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Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen für Zentralasien

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar haben zahlreiche Staaten wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen gegen Moskau eingeführt. Diese Sanktionen haben auch direkte Auswirkungen auf Zentralasien. Mehrere zentralasiatische Währungen verlieren an Wert, während sich die Lage der Arbeitsmigrant:innen in Russland verschlechtert. Die daraus resultierende geopolitische Unordnung schafft auch Sorgen um die Zukunft der regionalen Zusammenarbeit.

Demonstration Ukraine Almaty
Demonstration gegen den russischen Angriff auf die Ukraine in Almaty am 6. März 2022

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar haben zahlreiche Staaten wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen gegen Moskau eingeführt. Diese Sanktionen haben auch direkte Auswirkungen auf Zentralasien. Mehrere zentralasiatische Währungen verlieren an Wert, während sich die Lage der Arbeitsmigrant:innen in Russland verschlechtert. Die daraus resultierende geopolitische Unordnung schafft auch Sorgen um die Zukunft der regionalen Zusammenarbeit.

Die Nähe zur russischen Wirtschaft sorgt für Unruhe in Zentralasien. Die Sanktionen, die gegen Russland nach dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar verhängt wurden, machen sich in der Region in Form von Querschlägern bemerkbar. Das erste Anzeichen war ein konsequenter Rückgang der Währungen in der Region. Der Rubel erlitt auf den Märkten einen drastischen Einbruch und verlor zwischen Anfang 2022 und dem 7. März 50 Prozent seines Wertes, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.

In Kasachstan, dessen Tenge dem Rubel folgt, ohne an ihn gekoppelt zu sein, verlor die nationale Währung zwischen dem 22. Februar und dem 11. März 18,9 Prozent ihres Wertes und fiel von 428 Tenge pro US-Dollar auf 509,8 Tenge pro US-Dollar, wie das kasachstanische Wirtschaftsmedium Kapital.kz berichtet.

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Russland ist der engste und größte Wirtschaftspartner Kasachstans, und dessen Hauptlieferant [fr]. „Seit 2014 [Jahr der Annexion der Krim] ist Kasachstan indirekt von den internationalen Sanktionen gegen Russland betroffen“, erklärte der kasachstanische Politologe Dauren Aben Ende Februar gegenüber dem zentralasiatischen Medium CABAR.  Der Wert des KASE, des wichtigsten Aktienindex des Landes, fiel laut der kasachstanischen Nachrichtenagentur Kaztag zwischen dem 24. Februar und dem 6. März 2022 um 8 Prozent.

Auch der kirgisische Som erlitt einen deutlichen Werteinbruch, wie das kirgisische Wirtschaftsmedium Akchabar feststellte: von 84,8 Som pro US-Dollar am 22. Februar auf 103,5 Som pro US-Dollar am 11. März. In Tadschikistan wurde der Tauschwert der nationalen Währung am 9. März von 11,3 US-Dollar auf 13 US-Dollar für einen Somoni gesenkt. Der Wertverfall blieb jedoch geringer als der des Rubels, wie das tadschikische Medium Asia-Plus berichtete.

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Im Gegensatz dazu blieb die usbekische Währung zwischen dem 22. Februar und dem 11. März stabil auf einem Niveau von ca. 10.840 Sum pro US-Dollar, wie die Fachmedien Finance Rambler und Vyberu berichteten. Diese Stabilität sei laut der usbekischen Nationalbank vor allem auf die großen Devisenreserven des Landes zurückzuführen, die Anfang Februar fast 34 Milliarden US-Dollar betrugen. Mehr als die Hälfte dieser Reserve bestehe aus Gold. Die usbekische Wirtschaft bleibt jedoch beeinträchtigt, da die Nachfrage nach dem Verkauf von Rubel derzeit fast zehnmal so hoch wie üblich ist, beschrieb die Bank am 4. März 2022. Am 18. März lag der Wechselkurs schon bei knapp 11.600 Sum pro Dollar.

Arbeitsmigrant:innen in Russland direkt betroffen

Die sinkenden Wechselkurse haben auch konkrete Auswirkungen auf die Menschen in Zentralasien, insbesondere in Kirgistan und Tadschikistan, die in hohem Maße von den Geldüberweisungen von Arbeitskräften aus dem Ausland abhängig sind. Im Jahr 2020 machten diese Überweisungen laut Weltbank 31,3 Prozent des kirgisischen und 26,7 Prozent des tadschikischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus. Die große Mehrheit der Arbeitsmigrant:innen befindet sich in Russland.

Mit dem Fall des Rubels und der lokalen Währungen sinkt auch der Wert dieser Geldüberweisungen. Laut der Global Knowledge Partnership on Migration and Development (KNOMAD) werden die Rücküberweisungen in Kirgistan im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr 2021 um 33 Prozent zurückgehen, berichtet das kirgisische Medium Kloop.kg. Vor dem Krieg in der Ukraine wurde eine Erhöhung der Überweisungen um drei Prozent prognostiziert. Auch in Tadschikistan dürften diese Geldströme um 22 Prozent zurückgehen, schätzt der KNOMAD.

Kloop.kg hat mehrere Aussagen von kirgisischen, kasachischen und usbekischen Arbeitsmigrant:innen aufgezeichnet, die die sehr realen Auswirkungen des Wertverlusts der Währungen feststellen. So musste zum Biespiel der usbekische Arbeiter Tahir feststellen, wie der Wert seines Lohns fast um die Hälfte sank, wobei er eine ganze Familie zu versorgen hat. Die Nachrichtenagentur Fergana News bemerkte, dass sich die zu erwartende Rezession der russischen Wirtschaft auch auf verfügbare Arbeitsplätze auswirken werde, vor allem auch auf die von Migrant:innen. Der usbekische Geschäftsmann Zafar Xashimov erklärte in einer Analyse auf seiner Facebook-Seite, dass Bargeldtransfers an Wert verlieren würden, da die Arbeitsmigranten in Rubel bezahlt werden. Er merkte auch an, dass Lebensmittelimporte aus Polen und den baltischen Staaten ausfallen könnten.

Befürchtungen hinsichtlich der Beschäftigung von Emigranten

Generell könnten die vielen Zentralasiat:innen, die in Russland arbeiten, ihren Arbeitsplatz verlieren, was zu einem kompletten Stopp ihrer Geldüberweisungen in ihre Heimatländer führen würde. In mehreren zentralasiatischen Ländern wurden solche Unterbrechungen unmittelbar nach der Abkopplung Russlands vom SWIFT-System am 2. März beobachtet, beschreibt das zentralasiatische Medium Mediazona.

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Diese Abkopplung führt dazu, dass Zahlungsmittel wie Visa oder Mastercard, die von zentralasiatischen Arbeitnehmern verwendet werden, in Russland nicht mehr funktionieren. Umgekehrt funktionieren auch die russischen Zahlungssysteme außerhalb des Landes nicht mehr. Noch größer sind die Risiken in Tadschikistan, wo 2021 30 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Russland lebten.

Rustami Sukhrob, ein von CABAR befragter tadschikischer Doktorand im Bereich internationale Beziehungen, ist besonders besorgt über die künftigen Folgen für Arbeitnehmer:innen aus Tadschikistan, Kasachstan und Kirgistan. Er befürchtet, dass eine nationale Präferenz für russische Staatsbürger:innen zu einem beschleunigten Verlust von Arbeitsplätzen für zentralasiatische Arbeitnehmer führen wird.

Eine heikle „Neutralität“

Diese wirtschaftlichen und finanziellen Verbindungen vermischen sich mit dem komplexen strategischen Hintergrund, vor dem sich Zentralasien bewegt. In dieser Hinsicht besteht die Hauptposition der verschiedenen zentralasiatischen Länder derzeit darin, Russland weder formell zu verurteilen noch allzu aktiv zu unterstützen. Ein solche formale Neutralität zeigte sich bei der Abstimmung der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur Verurteilung der russischen Aggression am 2. März 2022.

Laut Al-Jazeera, welches die Einzelheiten der Abstimmung wiedergab, enthielten sich die zentralasiatischen Staaten der Stimme oder erschienen erst gar nicht zur Versammlung. „Wir sind ein kleines Land und haben nicht genug Einfluss, um den Krieg zu stoppen. Daher müssen wir unparteiisch sein“, sagte der kirgisische Präsident Sadyr Dschaparow am 9. März, wie die kirgisische Nachrichtenagentur AKIPress berichtet. In Usbekistan betonten die Behörden zunächst offiziell ihre Neutralität: „Unser Land hat immer enge und freundschaftliche Beziehungen zu Russland und der Ukraine unterhalten. Wir wollen Frieden, Stabilität und nachhaltige Entwicklung in unserer riesigen Region“, sagte der Sprecher des usbekischen Präsidenten Sherzod Asadov am 26. Februar auf Telegram.

Parallel dazu empfahlen die Sicherheitsdienste usbekischen Journalisten und Bloggern, bei ihrer Berichterstattung über den Konflikt ihre eigene Neutralität zu wahren, beschreibt Mediazona. Bei einer Rede vor dem Senat am 17. März distanzierte sich der usbekische Außenminister Abdulaziz Komilov jedoch explizit von der russischen Position. Nachdem er die humanitäte Hilfe Usbekistans für die Ukraine erwog, erklärte er: „Usbekistan erkennt die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Unversehrheit der Ukraine an. Wir haben die Volksrepubliken Luhansk und Donetsk nicht anerkannt“, so die usbekische Onlinezeitung Gazeta.uz. Die tadschikischen Behörden haben sich bislang nicht offiziell zum Konflikt in der Ukraine geäußert.

Balanceakt in Kasachstan

Auf diplomatischer Ebene ist die Position Kasachstans gegenüber diesem Konflikt die heikelste von allen. Bereits am 22. Februar erklärte der Außenminister Muhtar Tileýberdi, die Anerkennung der Unabhängigkeit der abtrünnigen Republiken Donetsk und Luhansk stehe nicht in Erwägung, so das kasachstanische Medium Tengrinews. Am 1. März schlug Kasachstans Präsident Qasym-Jomart Toqaev vor, dass sein Land bei den Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland helfen sollte, beschreibt Tengrinews.

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Am 6. März 2022 wurde in Almaty, der südlichen Wirtschaftsmetropole Kasachstans, eine Demonstration gegen den Krieg genehmigt. Laut dem kasachstanischen Medium Vlast.kz nahmen daran mehr als 2.000 Menschen teil. Das grüne Licht für diese Demonstration ist ein subtiler Marker für Kasachstans Haltung zu dem Konflikt. Toqaev, ein Karrierediplomat, bot der Ukraine am 7. März auch humanitäre Hilfe an, berichtet Tengrinews.

Diese kasachstanische Position steht im Gegensatz zu dem, was einige Beobachter:innen nach den Ereignissen in Kasachstan im Januar 2022 vorhergesagt hatten. Die aufgetretenen Demonstrationen und Unruhen waren nämlich mit Rückendeckung der von Moskau dominierten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) gestoppt worden. Russland wurde für dieses Eingreifen mehrfach gedankt [fr], ohne dass Kasachstan dadurch geopolitisch zu einem bedingungslosen Verbündeten geworden wäre.

Spannungen in der EAWU

Kasachstan und Kirgistan sind ebefalls Mitglied in der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU), der auch Russland, Belarus und Armenien angehören. Die russische Zeitung Kommersant berichtet von einer „angespannten Atmosphäre“ bei einem Treffen des Rates der Union am 17. März, bei dem auch die Folgen der Sanktionen gegen Russland und Belarus besprochen wurden. Einerseits seien die zwei Länder auf die Unterstützung der EAWU Mitglieder angewiesen, welche es jedoch nicht riskieren wollen, selbst mit Sanktionen belegt zu werden.

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Bei einer Debatte rund um die Gutschreibung der gemeinsamen Einfuhrzölle setzte sich laut Vlast.kz ein Kompromissvorschlag Kasachstans durch, demzufolge die Zölle für Russland und Belarus in Rubeln gehandhabt werden, die von Kasachstan, Kirgistan und Armenien hingegen, wie zuvor, in US-Dollar. Am 10. März hatte Russland laut der Nachrichtenagentur TASS erklärt, die Exporte von Getreide und Zucker in EAWU Mitgliedstaaten vorerst einzustellen.

Wie der Experte des Moskauer Carnegie Zentrums Temur Umarov im Interview mit der Onlinezeitung Meduza erklärt, illustriere die aktuelle Situation, dass die wirtschaftliche Integration innerhalb der EAWU nie besonders erfolgreich war: „Was jetzt geschieht, ist der Beweis dafür, was alle Experten seit Jahren sagen: Es handelt sich [bei der EAWU] eher um ein politisches Konstrukt, über das man versucht hat, einen wirtschaftlichen Schleier zu ziehen.

Jean Moneger & Etienne Combier Novastan France

Aus dem Französischen und Ergänzungen von Florian Coppenrath

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