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Über 40 Tote bei Zusammenstößen an der kirgisisch-tadschikischen Grenze

Mehr als 40 Personen sind nach gewaltsamen Zusammenstößen an der Grenze zwischen Kirgistan und Tadschikistan ums Leben gekommen. Ein Gefecht, das mit Steinwürfen zwischen Anwohnern begann, eskalierte zur schlimmsten Auseinandersetzung in den vergangenen Jahren.

Grenze Konflikt Kirgistan Tadschikistan

Mehr als 40 Personen sind nach gewaltsamen Zusammenstößen an der Grenze zwischen Kirgistan und Tadschikistan ums Leben gekommen. Ein Gefecht, das mit Steinwürfen zwischen Anwohnern begann, eskalierte zur schlimmsten Auseinandersetzung in den vergangenen Jahren.

Das Grenzgebiet zwischen Kirgistan und Tadschikistan erlebt die gewalttätigsten Zusammenstöße in den letzten Jahren. Seit dem 28. April haben Kämpfe zwischen Bewohnern und Militärs der beiden Länder zu zahlreichen Toten und Verletzten geführt.

Das kirgisischen Gesundheitsministerium verzeichnete laut Angaben der Onlinezeitung 24.kg am 1. Mai 33 Tote und über 160 Verletzte. Außerdem seien über 27 000 Kirgistaner aus dem Grenzgebiet evakuiert worden, so die kirgisische Presseagentur Akipress. Aus Tadschikistan gibt es keine offizielle Erklärung zu den Opfern, aber die tadschikische Onlinezeitung Asia Plus schrieb am 30. April von zehn Toten und 90 Verletzten.   

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Am Abend des 30. April schien sich die Situation nach einem Waffenstillstandsabkommen zwischen den zwei Staaten beruhigt zu haben. Aber am 1. Mai ist in kirgisischen Medien wie dem Onlinemedium Kloop.kg von Straßenblockaden und Schüssen durch tadschikische Soldaten die Rede. An den Grenzabschnitten, die weder definiert noch demarkiert sind, kommt es häufig zu Zusammenstößen, aber der aktuelle ist besonders brenzlich. Wie üblich unterscheiden sich die Beschreibungen und Interpretationen der Ereignisse je nach Quelle erheblich.

Konflikt zwischen Anwohnern eskaliert

Die Feindseligkeiten begannen am 28. April in der Nähe des Dorfes Kök-Tasch in der Provinz Batken im Süden Kirgistans, an der Grenze zu Tadschikistan. Wie die kirgisische Nachrichtenagentur 24.kg unter Berufung auf Informationen der kirgisischen Behörden berichtet, installierten tadschikische Einwohner eine Videoüberwachungskamera an einem Strommast unweit der Wasserentnahmestelle Golownaja am Oberlauf des Flusses Isfara.

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AnwohnerInnen aus Kirgistan empfanden dies als Provokation und versuchten, den Mast mit der Videokamera abzusägen. 24.kg berichtet weiter, dass sich auf beiden Seiten etwa 30-40 Personen versammelten und begannen, sich gegenseitig mit Steinen zu bewerfen.

Auf tadschikischer Seite erwähnen die Behörden die Installation der Überwachungskamera nicht. Am 28. April kommentierte der tadschikische Grenzschutz in der staatliche Nachrichtenagentur Khovar, dass „die Behörden der Kirgisischen Republik gezielt ihre Bürger aus abgelegenen Siedlungen mobilisieren und sie zu interethnischen Konflikten anstacheln.

Armeen mobilisiert

Am frühen Morgen des 29. April eskalierte der Konflikt weiter. Die kirgisische Nachrichtenagentur AKIPress berichtet mit Verweis auf die kirgisische Polizei, dass tadschikische Bürger mit Schusswaffen eine kirgisische Militäreinheit im Dorf angegriffen hätten. Laut kirgisischem Grenzschutz kam es am selben Morgen im Gebiet um Kotscho-Boju ebenfalls zu einem Zwischenfall mit Waffeneinsatz.

Diese ersten Schusswechsel verschärften die Lage: Streitkräfte beider Länder stießen laut AKIPress entlang eines umstrittenen Grenzabschnitts zusammen. Ein am Ort des Geschehens aufgenommenes Video zeigt einen Einsatz kirgisischer Soldaten, die von der lokalen Bevölkerung unterstützt werden.

Die Soldaten der Kirgisischen Republik eröffneten heute um 13:05 Uhr das Feuer auf die Soldaten der Grenztruppen der Republik Tadschikistan auf dem Gelände der Wasserverteilungsstelle Golownaja „, beschrieben die tadschikischen Behörden die Situation nach Angaben von Asia-Plus.

AKIPress schrieb hingegen von einem Angriff der tadschikischen Armee auf mehrere kirgisische Grenzeinrichtungen am Nachmittag des 29. April: „Gegen 17.00 Uhr eröffnete die tadschikische Seite das Feuer an den Grenzaußenposten Kaptschygaj, Ming-Bulak, Dostuk sowie an den Grenzposten Kodschogar und Bulak-Baschy. Durch Mörserbeschuss wurde das Gebäude des Grenzaußenpostens Dostuk des Grenzkommandos Batken in Brand gesetzt„, so die kirgisischen Behörden.

Fragiler Waffenstillstand

Mehr als 800 kirgisische Bewohner mehrerer bedrohter Dörfer wurden evakuiert. Die Auseinandersetzungen führten zu Bränden in verschiedenen Häusern, aber auch an Grenzposten und anderen öffentlichen Gebäuden auf beiden Seiten. Mit der Zunahme der Zusammenstöße wurden auf beiden Seiten Verletzte und Tote gemeldet.

Der Welle der Gewalt wurde mit diplomatischen Bemühungen auf staatlicher Ebene begegnet. Der kirgisische Präsident bat auf seiner Facebook-Seite darum, „ruhig zu bleiben, sich nicht zu Provokationen hinreißen zu lassen, keine Feindseligkeit und Zwietracht zu schüren.“ Am frühen Abend des 29. April verhandelten die beiden Außenminister über einen Waffenstillstand, beschreibt Asia-Plus.

Am Abend einigen sich beide Seiten auf einen Waffenstillstand und den Abzug der Truppen aus dem Gebiet, berichtet Kloop. Damira Dschusupowa, Sprecherin der kirgisischen Polizei in Batken, sagte jedoch laut Interfax, dass am Freitag vor Sonnenaufgang erneut schweres Geschützfeuer ausgebrochen sei.

Einer der schwersten Zwischenfälle seit Jahren

Laut kirgisischem Grenzschutz bleibt die Lage an der Grenze am 1. Mai „angespannt“, so Kloop.kg. Demnach habe es im Laufe des Tages mehrere Angriffe und Straßenblockaden von tadschikischer Seite auf kirgisischem Territorium gegeben. Der tadschikische Grenzschutz bestreitet laut Angaben von Asia-Plus die Anschuldigungen und verweist auf die erhöhte Mobilisierung von kirgisischem Militär an der Grenze.

Die Spannungen reichen auch in die jeweilige kirgisische und tadschikische Öffentlichkeit. Am 1. Mai demonstrierten laut Kloop etwa 500 Leute in Bischkek mit der Forderung an die Behörden, ihnen Waffen auszuhändigen, damit sie „ihr Vaterland schützen“. In Kirgistan bereiten außerdem Aktivisten aus der Zivilgesellschaft eine Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof vor, so die Juristin Sanija Toktogasijewa auf Facebook.  

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Die internationale Gemeinschaft verfolge die Ereignisse mit Besorgnis, berichtet Kloop. In einer Erklärung vom 30. April begrüßte die Europäische Union den beschlossenen Waffenstillstand: „Die EU bedauert die Gewalttaten der letzten Tage und drückt denjenigen, die Angehörige oder Freunde verloren haben, ihr Mitgefühl aus.“ Sowohl der Präsident von Kasachstan Qasym-Jomart Toqaev als auch der usbekische Präsident Shavkat Mirziyoyev riefen in Telefonaten mit ihren tadschikischen und kirgisischen Amtskollegen zu einer Schlichtung des Konfliktes aus.   

Am Abend des 1. Mai unterschrieben die Leiter des kirgisischen und tadschikischen Sicherheitsdiente Kamtschybek Taschijew und Dajmumin Jatimow ein Protokoll zur weiteren Schlichtung der Lage und beschlossen neben einer Waffenruhe den Rückzug der jeweiligen Streitkräfte aus dem Grenzgebiet. „Vom heutigen Tag an wird durch die Bemühungen unserer respektierten Nachbarn und durch unsere Bemühungen Frieden und Ruhe in unseren Ländern eintreten, insbesondere in den Grenzgebieten“, so Taschijew laut Angaben der kirgisischen Onlinezeitung Kaktus.  

Eine unbestimmte Grenze

Seit dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 kam es zwischen den beiden zentralasiatischen Ländern immer wieder zu mehr oder weniger heftigen Grenzkonflikten. Im Zentrum der Frustrationen steht die Grenze zwischen den beiden Ländern: Von den 971 Kilometern gemeinsamer Grenze sind nur 504 definiert und markiert.

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Im Februar 2020 war zuletzt von einer Lösung für einen Landtausch zwischen den beiden Staaten die Rede, die aber nicht zustande kam. Ein Treffen im Juli 2019 zwischen Emomalii Rahmon und dem damaligen kirgisischen Präsidenten Sooronbaj Dscheenbekow führte zu einer Erklärung, in der es hieß, dass es keine „ungelösten Fragen“ mehr zwischen den beiden Staaten gebe. Die Zusammenstöße vom 28. und 29. April zeigen, dass dies nicht der Fall ist.

Es bleibt jedoch ein Wahlkampfversprechen des derzeitigen kirgisischen Präsidenten Sadyr Dschaparow. Letzten November, als er noch amtierender Premierminister war, versprach er, die Grenze zu Tadschikistan nach einem Zwischenfall im Oktober zu „befrieden„. Zuletzt führte Kirgistan im März dieses Jahres Militärübungen an der Grenze zu Tadschikistan durch.

Juan-Martin Mounier-Sales
Journalist für Novastan France

Aus dem Französischen und Ergänzungen von Florian Coppenrath

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