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Welche Risiken birgt das Südkorridorprojekt für Kasachstan?

Kasachstan sollte den Südlichen Transportkorridor nicht als Bedrohung sehen, sondern vielmehr als ein Zeichen, die zentralasiatische Zusammenarbeit zu stärken und gemeinsame Logistikprojekte mit den Nachbarn zu starten, meint Kanat Nogojbaew, Absolvent der CABAR.asia School of Analytics.

Der Hafen der turkmenischen Stadt Türkmenbaşy könnte ein wichtiger Handelspunkt im geplanten "Südlichen Korridor" werden, Photo: Wikimedia Commons.

Kasachstan sollte den Südlichen Transportkorridor nicht als Bedrohung sehen, sondern vielmehr als ein Zeichen, die zentralasiatische Zusammenarbeit zu stärken und gemeinsame Logistikprojekte mit den Nachbarn zu starten, meint Kanat Nogojbaew, Absolvent der CABAR.asia School of Analytics.

Nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine haben die Transportwege in Zentralasien aufgrund von Sanktionen und Parallelimporten für alle Akteure an strategischer Bedeutung gewonnen. Der wichtigste Verbündete Russlands war seit jeher Kasachstan, über das die meisten Güter innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) transportiert werden. Die Uneinigkeit zwischen den Mitgliedsländern der Union wurde für Russland jedoch immer wieder zum Problem. Seit Jahren bilden sich an der kirgisisch-kasachstanischen Grenze riesige LKW-Schlangen, und keine Treffen oder Vereinbarungen auf höchster Ebene haben die Praxis der grundlosen Grenzkontrollen beeinflusst.

Die Idee des „Südlichen Korridors“

Das Wirtschaftsministerium der Kirgisischen Republik hat innerhalb der EAWU wiederholt auf die Dringlichkeit des Problems hingewiesen. In diesem Jahr äußerte der Minister für Wirtschaft und Handel, Danijar Amangeldiew, die Idee einer südlichen Transportroute unter Umgehung Kasachstans: Usbekistan, Turkmenistan, Kirgistan und Russland trafen sich in Moskau und der Hauptstadt Turkmenistans Aşgabat, um ihr Interesse an dem Projekt zu bekunden. Außerdem wurde vereinbart, die Infrastruktur zu verbessern, um die Kapazitäten am Kaspischen Meer zu erhöhen.

Dies bietet Kirgistan die Möglichkeit, seine Transportrouten zu diversifizieren und die Abhängigkeit von Kasachstan zu verringern. Darüber hinaus verkürzt die Route den Transportweg für Güter erheblich und spart Zeit und Geld. Für Usbekistan und Turkmenistan ist es ein klarer Vorteil, Geld für den Transit zu erhalten und ihre Waren nach Russland zu schicken.

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Die Südroute ist für die SpediteurInnen selbst nicht neu. Jedoch wurde sie bisher aufgrund von Infrastrukturproblemen wie dem Fehlen regelmäßiger Fährverbindungen und der Schwierigkeit, ein turkmenisches Visum für die Durchquerung des Landes zu erhalten, kaum genutzt. Um das Projekt zu realisieren, muss nicht nur ein „Grüner Korridor“ mit der turkmenischen Führung ausgehandelt werden, sondern es müssen auch die russischen Häfen verbessert und kostengünstige Fähren für den LKW-Transport bereitgestellt werden. Diese Arbeiten haben nach offiziellen Angaben bereits begonnen.

Die Position Kasachstans

Der Transportsektor macht neun Prozent des kasachstanischen BIPs aus und ist eine wichtige Einnahmequelle. Bisher haben sich die kasachstanischen Behörden nicht zum Projekt des „Südlichen Korridors“ geäußert und werden dies wahrscheinlich auch in naher Zukunft nicht tun.

Die Inbetriebnahme des „Südlichen Korridors“ kann auf jeden Fall zu Einbußen bei den kasachstanischen Zolleinnahmen und den indirekten Einnahmen der SpediteurInnen führen. Wichtiger als die entgangenen Einnahmen ist jedoch der Verlust an Einfluss in der Region. Für Kasachstan spielen die Handelsverbindungen eine wichtige Rolle. Das Land ist Verkehrsknotenpunkt in Zentralasien und der Verlust von Einflussmöglichkeiten bei der Frachtkontrolle verringert die Bedeutung Kasachstans.

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Ein weiterer Punkt ist die Entwicklung neuer Korridore in der Region, wie die China-Kirgistan-Usbekistan-Eisenbahnroute und die bestehende Hybrid-Frachtverbindung vom chinesischen Kashgar über die kirgisischen Orte Irkeschtam und Osch nach Usbekistan. Diese Routen könnten einen Teil des Güterverkehrs, der derzeit über die chinesisch-kasachstanische Grenze bei Khorgos abgewickelt wird, umleiten, was sich auf die Zolleinnahmen auswirken würde. Wird der „Südliche Korridor“ in Betrieb genommen, wird Kasachstan auf jeden Fall finanzielle Einbußen erleiden und seine Rolle in der Region schwächen.

Die Position Russlands

Die unabhängige Politik Kasachstans gefällt dem Kreml nicht und er möchte mehr Einfluss nehmen. Dennoch sind die Verzögerungen an der kirgisisch-kasachstanischen Grenze dem Kreml ein Dorn im Auge, da dies zu Verlusten führt. Immerhin wurden nach der Invasion in die Ukraine die Hauptrouten aus China über den „Mittleren Korridor“ durch Kasachstan umgeleitet, statt wie bisher über den „Nördlichen Korridor“ direkt nach Russland.

Für Russland könnte die Entwicklung des „Südlichen Korridors“ gleichzeitig zu dem Projekt des Nord-Süd-Korridors mit Iran und Indien verlaufen. So würde die Kapazität des russischen Hafens in Astrachan in jedem Fall steigen. Es ist jedoch klar, dass der „Südliche Korridor“ die Entwicklung partnerschaftlicher Beziehungen mit Kasachstan nicht beeinträchtigen und Russland seine Projekte auf anderen Routen nicht aufgeben wird.

Ebenso wichtig ist für Russland die Stärkung der Beziehungen zu Turkmenistan, Usbekistan und Kirgistan, mit denen es keine Landgrenzen hat. Die Nutzung des turkmenischen Hafens Türkmenbaşy wird dazu beitragen, den Einfluss in diesem Land zu erhöhen. Vor dem Hintergrund der geopolitischen Krise sehen wir ein deutliches Bemühen des Kremls, sich den zentralasiatischen Ländern anzunähern. Kirgistan und Usbekistan, die stark von Rücküberweisungen und Lieferungen von Agrar- und Bekleidungsprodukten abhängig sind, haben ein großes Interesse an der Entwicklung des Korridors mit Russland.

Der Standpunkt Chinas

Alle Korridore entlang der zentralasiatischen Route sind zusätzliche Möglichkeiten für China, seine Güter nach Europa zu liefern. Lange Zeit wickelte China den Großteil seiner Transporte über Kasachstan und Russland ab, doch nach Ausbruch des Krieges und der Verhängung von Sanktionen ging der Schienentransit zwischen China und der EU über den Nördlichen Korridor durch Russland im Jahr 2022 um 34 Prozent zurück.

Der geplante Bau einer Eisenbahnstrecke durch Kirgistan und Usbekistan könnte als Erweiterung des „Südlichen Korridors“ auch für die „One Belt, One Road“-Initiative, auch bekannt als die „Neue Seidenstraße“, von Interesse sein. Die neuen Strecken reduzieren die Reisezeit und die Kosten für den Warentransport nach Europa erheblich. Da der südliche Teil Kirgistans bereits für den Güterverkehr genutzt wird, könnte der Korridor auch Parallelimporte nach Russland fördern.

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Das unerwartete Wachstum des BIPs der zentralasiatischen Staaten und des Handelsumsatzes mit Russland zeigt, dass trotz offizieller Verlautbarungen sanktionierte Waren geliefert werden. Während Kasachstan drohende Sekundärsanktionen fürchtet und Parallelimporte einzuschränken droht, sind andere Länder eher daran interessiert, davon zu profitieren und stehen weniger im Fokus des Westens.

Die Position des Westens

Der Besuch des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier und der EU-Zentralasien-Gipfel zeigen das starke Interesse des Westens an einer Stärkung der Beziehungen zu den Ländern Zentralasiens.

Europa ist zweifellos von chinesischen Lieferungen abhängig und die Verfügbarkeit einer Alternative zum Nördlichen Korridor ist eine Möglichkeit, diese Lieferungen ohne Unterbrechungen aufrechtzuerhalten. Es liegt auch im Interesse der EU, den Einfluss Russlands in der Region zurückzudrängen, aber aufgrund der schwachen Wirtschaftsbeziehungen hat sie den Ländern nichts anzubieten.

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Zwar stieg der Handelsumsatz zwischen Kasachstan und der EU ein Jahr nach Kriegsbeginn um 70,9 Prozent. Doch gerade deshalb ist der „Südliche Korridor“ ein Schlag gegen die Interessen westlicher Länder. Dem Westen bleibt nichts anderes übrig, als die Zusammenarbeit mit Kasachstan zu intensivieren, wie Steinmeiers Besuch bestätigte. Der Korridor kann also einerseits ein Hebel für die Einflussnahme Russlands sein, andererseits kann er Kasachstan mit seiner multisektoralen Politik des Staates auch näher an die westlichen Partner heranführen.

Was kann Kasachstan tun?

Trotz der Schwierigkeiten bei der Umsetzung des „Südlichen Korridors“ beabsichtigen die Länder, eine Route unter Umgehung Kasachstans zu bauen: Die Voraussetzungen sind vorhanden. Noch kann Kasachstan jedoch die entgangenen Gewinne verringern und den Bau des Korridors sogar verhindern.

Dazu müssen die Verzögerungen im Güterverkehr an der kasachstanisch-kirgisischen Grenze beseitigt werden. In diesem Fall kann Kirgistan weiterhin die Route über Kasachstan nutzen und das Problem des „Grünen Korridors“ mit Turkmenistan, wo die Visabestimmungen viel komplizierter und die Gebühren viel höher sind, kann umgangen werden.

Der zweite Aspekt ist die Modernisierung der Häfen am Kaspischen Meer. Die kasachstanischen Häfen können schneller ausgebaut werden als die russischen. Außerdem bleibt Kasachstan über die Stadt Petropavl wichtig, da der „Südliche Korridor“ für den Warentransport aus Kirgistan und Usbekistan nach Sibirien ungünstig ist.

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Die Stärkung der Beziehungen zu den zentralasiatischen Ländern ist notwendig, um gemeinsame Projekte am Kaspischen Meer zu entwickeln. Eine Konsultationsplattform der zentralasiatischen Länder und bilaterale Treffen können dazu beitragen. Einigkeit in der Region in Wirtschaftsfragen kann zudem einen übermäßigen russischen Einfluss vermeiden und ein günstiges Klima für die Zusammenarbeit schaffen. Da ein enormer Warenstrom aus China durch Kasachstan fließt, kann eine Verbindung mit den Nachbarn den Warenstrom gleichmäßig umverteilen. Dritte Akteure wie Russland müssen dazu nicht einbezogen werden.

Der „Südliche Korridor“ sollte von Kasachstan deswegen nicht als Bedrohung empfunden werden, sondern vielmehr als Zeichen für eine verstärkte Zusammenarbeit in Zentralasien.

Kanat Nogojbaev für CABAR

Aus dem Russischen von Michèle Häfliger

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