In Kasachstan werden regelmäßig Urteile wegen „separatistischen Aktivitäten“ verhängt. Dabei handelt es sich um ein schweres Vergehen, das mit einer Freiheitsstrafe geahndet wird. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle handelt es sich jedoch um „Online-Separatisten“ – Menschen, die sich, weit entfernt von Politik und Aktivismus, strafbar im Internet äußern. Wer sie sind und warum der Staat sie als Bedrohung betrachtet, lest ihr hier.
Das Gericht der Stadt Öskemen (Gebiet Ostkasachstan) hat vor kurzem zwei Anwohner:innen wegen Separatismus zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Den Ermittlungen zufolge hatten die Verurteilten im Februar dieses Jahres in einem Online-Chat über die Notwendigkeit eines Referendums zur Abtrennung des Gebiets Ostkasachstan von Kasachstan diskutiert und für den Fall eines Scheiterns zur gewaltsamen Inbesitznahme des Gebiets aufgerufen. Das Urteil wurde von der Generalstaatsanwaltschaft der Republik bekannt gegeben, ohne weitere Einzelheiten zu nennen.
Eine Woche zuvor, am 6. Juni, wurde Andrej Astachow in Qonaev (Gebiet Almaty) zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, weil er in einem Video den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Hilfe gebeten hatte, da er mit der Lage in Kasachstan unzufrieden war. Darüber hinaus bedrohte er kasachstanische Beamte und den Präsidenten. „Wladimir Wladimirowitsch [Putin], helfen Sie uns, retten Sie uns. Ich denke, Sie werden uns hören“, schloss Astachow sein Video. Er wurde wegen „Anstiftung zu sozialem Unfrieden“ verurteilt.
Vor und nach den Ereignissen auf der Krim
Pro-russische Stimmungen im Norden Kasachstans, in unmittelbarer Nähe zum „großen Nachbarn“ Russland, sind kein neues Phänomen. Seit der Unabhängigkeit gab es immer wieder Kräfte, die unter Berufung auf Geschichte, Sprache und andere Faktoren einen Teil des kasachstanischen Territoriums abtreten wollten. Diese Versuche fanden jedoch keine breite Unterstützung in der Bevölkerung.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stand die Kosakenbewegung an der Spitze der prorussischen Bewegung im Norden und Osten Kasachstans, die jedoch im Laufe der Zeit an Kraft verlor und in viele sich widerstreitende Organisationen zersplitterte.
Ataman Viktor Antoschko war einer der Vertretenden der Kosaken, der in Kasachstan als „abscheulicher Separatist“ bezeichnet wird den prorussischen Aufstand in der Region Kökşetau 1996 organisierte. Es wurde berichtet, dass er nach einem gescheiterten Aufstandsversuch nach Russland geflohen war. Bis vor kurzem war sein Schicksal unbekannt, doch dann wandte sich ein russisches Medium im Namen des „Rates der Atamanen des Kosakenvolkes“ in einem offenen Brief an den russischen Präsidenten, in dem Putin gebeten wurde, Viktor Antoschko in einem vereinfachten Verfahren die russische Staatsbürgerschaft zu verleihen.
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In der Botschaft hieß es, Antoschko habe sich lediglich für die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung Kasachstans eingesetzt, woraufhin die Behörden der Republik begonnen hätten, ihn und seine Familienmitglieder zu verfolgen, und sie gezwungen hätten, das Land zu verlassen. „Die ganze Zeit über lebte er illegal auf russischem Gebiet. Erst im April 2014 reiste er in den Donbass, um als stellvertretender Kommandeur der 6. Kompanie der Brigade „Wostok“ an der Verteidigung von Donezk teilzunehmen“, erklärten die Verfassenden des Schreibens und baten den russischen Präsidenten, ihm für seine besonderen Verdienste für das Vaterland die Staatsbürgerschaft zu verleihen.
Eine weitere „russische Meuterei“ wurde 1999 von kasachstanischen Sicherheitsbeamten vereitelt. Das Nationale Sicherheitskomitee meldete damals die Verhaftung von 22 Mitgliedern der Organisation Rus (zwölf davon russische Staatsbürger), die sich darauf vorbereiteten, die Macht in Öskemen zu übernehmen und dort eine „russische Republik“ auszurufen. Gleichzeitig leugneten lokale russische Organisationen den versuchten Aufstand, ebenso wie der Anführer des Aufstandes, Viktor Kasimirtschuk.
Die Verschwörer wurden verhaftet und der Skandal war plötzlich vorbei. Die gescheiterten Rebellen wurden zu unterschiedlichen Strafen verurteilt. In den nächsten anderthalb Jahrzehnten verstummten die Diskussionen über die „nördlichen Gebiete“ Kasachstans, doch die Ereignisse von 2014 sollten alles ändern.
Juristischer Kampf gegen Separatismus
Kasachstan empfand und empfindet keine Angst im Zusammenhang mit den Ereignissen auf der Krim, erklärte Kasachstans Präsident Toqaev in einem Interview mit deutschen Medien im Jahr 2019. Dennoch beschloss Kasachstan im April 2014, weniger als einen Monat nach der „Rückkehr der Krim in ihren Heimathafen“, die Strafe für Aufrufe zum Separatismus zu verschärfen.
Nach der Verabschiedung des neuen Strafgesetzbuchs konnten die Behörden jegliche Agitation zugunsten des Separatismus unter Strafe stellen, auch die friedliche Agitation, wovon sie nun aktiv Gebrauch machen. „Meiner Meinung nach ist es zutreffender, von der Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für Separatismus zu sprechen, als von deren Verschärfung“, so Rechtsanwalt Johar Utebekov.
Am 24. August 2014 erklärte der damalige Regierungschef Nursultan Nazarbaev in einem Interview offen, dass Kasachstan zu einer „zweiten Ukraine“ werden könnte, wenn alle Sprachen außer der Staatssprache gesetzlich verboten würden. Wenige Tage später gab der russische Präsident Wladimir Putin eine Erklärung ab, die die Befürchtungen hinsichtlich einer möglichen Übertragung des ukrainischen Szenarios auf Kasachstan noch verstärkte.
Absprache einer kasachstanischen Eigenstaatlichkeit?
Verschiedene Äußerungen russischer Politiker:innen gingen ebenfalls in diese Richtung; so etwa sprachen sie Kasachstan eine richtige Staatlichkeit ab und behaupteten, dass das kasachstanische Territorium „ein großes Geschenk Russlands und der Sowjetunion“ sei.
Obwohl der Kreml die Privatmeinungen der Abgeordneten jeweils mit einem Achselzucken abtat und versicherte, dass Russland keine territorialen Ansprüche auf seine Nachbarn erhebe, reagierten die kasachstanischen Behörden äußerst nervös auf jeden derartigen Angriff auf ihr eigenes Territorium und unterdrückten derartige Diskussionen auf ihrem Territorium mit aller Härte.
In den Medien beider Staaten wechselten sich Äußerungen russischer Politiker:innen über die „nördlichen Gebiete“ mit Verurteilungen derjenigen kasachstanischen Staatsbürger:innen ab, die sie unterstützten. Diese Verfahren lösten neue Ausbrüche russischer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus, und die gegenseitigen Forderungen erreichten einen neuen Höhepunkt.
So erschien beispielsweise im August 2022 auf der Seite vk.com (russische Version von Facebook, Anm. d. Red.) ein Post von Dmitri Medwedew, dem stellvertretenden Vorsitzenden des russischen Sicherheitsrats, in dem er Kasachstan als „künstlichen Staat“ bezeichnete. Der Beitrag wurde wenige Minuten später gelöscht und Medwedew behauptete, seine Seite sei gehackt worden.
Am darauffolgenden Tag beschloss das Stadtgericht Petropawl, Einzelheiten zum Fall eines wegen Separatismus verurteilten Ehepaars bekannt zu geben, obwohl die Verhandlung selbst schon einige Monate zurücklag. Die Ehefrau arbeitete als Buchhalterin, ihr Mann als Elektriker. Im Dezember 2021 chatteten sie mit einem Einwohner der Ukraine und äußerten die Auffassung, dass die Region Nordkasachstan an Russland gehen sollte. Vor Gericht beteuerten die Eheleute ihre Unschuld und erklärten, sie seien provoziert worden. Sie wurden wegen Separatismus zu je fünf Jahren Gefängnis verurteilt.
Sowjet-Nostalgie mit Folgen
Zu Beginn der Unabhängigkeit von der Sowjetunion lag der Anteil an Kasach:innen in der Republik bei etwa 40 Prozent und damit etwa gleich hoch wie der der Russen. Inzwischen liegt der Anteil der kasachischen Titularethnie bei über 70 Prozent und wächst weiter. Das bedeutet, dass die Kasach:innen das Klima im Lande bestimmen und alle gesellschaftlichen Prozesse, einschließlich der interethnischen Beziehungen, beeinflussen.
Gleichzeitig werden einige Schritte der kasachischen Führung, z. B. die Umbenennung sowjetischer Städte- und Straßennamen in kasachische Namen, von den Russen schmerzlich zur Kenntnis genommen. Zwar sind sie in der Minderheit, machen aber immer noch einen erheblichen Teil der Bevölkerung aus, vor allem im Norden und Nordosten des Landes.
Nicht weniger schmerzhaft werden Versuche wahrgenommen, die jüngste sowjetische Vergangenheit neu zu interpretieren. In diesem Jahr wird ein neues siebenbändiges Buch über die Geschichte Kasachstans vorbereitet, in dem „den negativen Erscheinungen der Sowjetzeit Aufmerksamkeit“ geschenkt werden soll. Dieses Werk wird nach Anweisung von Präsident Toqaev die Grundlage für alle Geschichtslehrbücher der Republik bilden.
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Nostalgie für die sowjetische Vergangenheit ein gemeinsames Merkmal der pro-russischen Separatisten in Kasachstan. Im Dezember 2023 wurde eine Einwohnerin der Republik zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, da sie den Wunsch äußerte, die Sowjetunion wiederherzustellen. Sie hatte einen Post auf Instagram kommentiert, in der der Abriss eines Lenin-Denkmals in der Region Altai-Ostkasachstan dargestellt wurde.
„Früher oder später wird sich Ostkasachstan Russland anschließen (…), und dann werden wir sehen, was mit anderen Denkmälern passiert. Sie waren es nicht, die Lenin aufgestellt haben, und es steht Ihnen nicht zu, ihn zu entfernen, schon gar nicht auf diese Weise“, schrieb die Angeklagte.
Die Frau wurde wegen Separatismus angeklagt. Sie räumte ihre Schuld in vollem Umfang ein, drückte ihr Bedauern aus und sagte, dass sie Kasachstan liebe. Das Gericht verhängte eine fünfjährige Bewährungsstrafe gegen die Frau, da sie zwei Kinder im Alter von 13 und 7 Jahren allein erziehe.
Der aufsehenerregendste Prozess der letzten Jahre war schließlich der Prozess gegen die Teilnehmenden des so genannten „Volksrats der Arbeiter“. In dieser Organisation hatten sich 19 Einwohner:innen von Petropawl zusammengeschlossen und sich selbst zu „Erben der UdSSR“ erklärt. Im März 2023 hielten sie eine Versammlung ab, auf der sie erklärten, dass sie das moderne Kasachstan nicht anerkennen und den Behörden der Republik nicht gehorchen. Das Filmmaterial des Treffens gelangte ins Internet, woraufhin sie von den Strafverfolgungsbehörden entdeckt wurden.
Experten sahen in den Handlungen der Teilnehmer des „Rates“ Anzeichen für Separatismus und Propaganda zur Untergrabung der Sicherheit des Staates. Im November wurden die „Erben der UdSSR“ verurteilt: Der Organisator – der 48-jährige Automechaniker Wjatscheslaw Suderman – wurde zu neun Jahren Gefängnis verurteilt, seine Mitstreitenden erhielten jeweils sieben Jahre Haft.
Anna Kozyreva für Fergana News
Aus dem Russischen von Michèle Häfliger
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