Die Umweltauswirkungen der neuen Seidenstraße, des großen chinesischen Infrastrukturprojekts, werden zu oft übersehen. Viele NGOs sind alarmiert: Die Investitionen Chinas halten die Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung zur Eindämmung des Klimawandels nicht ein.
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Es scheint, die meisten zentralasiatischen Staaten freuen sich über ihre Teilnahme am ehrgeizigen Projekt der neuen Seidenstraße, die auch als Belt and Road Initiative (BRI) bekannt ist. Ziel des 2013 ins Leben gerufenen Instrastrukturprojekts ist es, China sowohl auf dem Schienen- als auch auf dem Seeweg mit Europa und Afrika zu verbinden. Innerhalb weniger Jahre überstieg die BRI ihre eigenen Ansprüche und entwickelte sich zum Vorzeigeprojekt des chinesischen Präsidenten Xi Jinping.
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ExpertInnen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft der teilnehmenden Staaten äußern jedoch Bedenken im Hinblick auf die Umweltauswirkungen der chinesischen Investitionsprojekte. Während des Webinars „Umweltaspekte der BRI in Zentralasien“, das am 3. Juni von der kasachischen NGO „Sozial- und Umweltfonds“ organisiert wurde, gaben UmweltaktivistInnen aus vier zentralasiatischen Staaten Anschauungsbeispiele negativer Auswirkungen der Initiative.
Ein „Krieg gegen die Umweltverschmutzung“?
Im Jahr 2014 erklärte China einen „Krieg gegen die Umweltverschmutzung“. Ein ehrgeiziges Engagement, das sich in der Verabschiedung strengerer Umweltstandards für die Industrie verdeutlichte. Die Kampagne führte zur Schließung tausender Fabriken. China ist nach wie vor an der Gewinnung von Rohstoffen interessiert, deren Erschließung die Umwelt und die Gesundheit der beteiligten Menschen beeinträchtigt. Nicht nur der Bau von Schienen und Straßen, sondern auch diese Art der Investition ist Teil der BRI.
Die Zementproduktion ist ein typisches Beispiel für umweltschädliche Produktionsstätten, die China nach Zentralasien verlagert. „In Tadschikistan sind 85% der Anteile an den 18 Zementwerken des Landes in der Hand chinesischer Investoren. Ihre ausgestoßenen Schadstoffe färben die Kleidung der Bewohner der umliegenden Dörfer schwarz“, schildert Umidjon Ulugov, Projektleiter der NGO Pehsaf und Teilnehmer des Webinars „Umweltaspekte der BRI in Zentralasien“.
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Evgeny Simonov, Koordinator des in Russland gegründeten und im ganzen postsowjetischen Raum aktiven Vereins „Flüsse ohne Grenzen“, erwähnt in seiner Kolumne für Sibreal (sibirischer Zweig des US-amerikanischen Mediums RFE/RL) 60 Investitionen, die ein Risiko für die Umwelt darstellen. Zwölf von ihnen gefährden UNESCO-Weltkulturerbestätten. 34 von ihnen bedrohen Naturschutzgebiete, in denen insgesamt 600 Arten an Flora und Fauna ansässig sind. Für keines der Projekte wurde die lokale Bevölkerung konsultiert. Dennoch steht mit 49 Projekten die überwiegende Mehrheit jener Investitionen im Konflikt mit lokalen Behörden und indigenen Völkern.
Unzureichende Mechanismen gegen umweltschädliche Produktionen
Die BRI als Ganzes wird ohne strategische Umweltprüfung zur Evaluation ökologischer und sozioökonomischer Auswirkung entwickelt und umgesetzt. Zwar führte China Anlagestandards für die Projekte der BRI ein, doch handelt es sich hierbei lediglich um Empfehlungen, so Evgeny Simonov während des Webinars. Die BRI unterliegt weder einer Umweltbehörde, noch einer dediziert „grünen“ Politik. Die Korridore der BRI werden ohne vorherige strategische Planung festgelegt. Eine Gesamtübersicht über die kumulierten Umweltauswirkungen bleibt aus, wie der Experte feststellt.
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In Zentralasien haben Umweltphänomene oftmals grenzüberschreitende Auswirkungen, so Natalia Schulepina, eine für Sreda.uz tätige und auf Umweltanliegen spezialisierte usbekische Medienjournalistin, während ihres Vortrags für das Webinar. Sie nennt als Beispiel die Mehrzweckproduktionsstätte von Peng Sheng. 70 Kilometer von Taschkent entfernt wird von der mit chinesischen Technologien ausgestatteten 102 Hektar großen Arbeitsfläche aus ein Nebenfluss des Syrdarjas verschmutzt. Nach Aussage der Journalistin wird das von der Produktionsstätte in den Fluss geleitete Brackwasser zur Wasserversorgung benachbarter Ortschaften verwendet. Industrielle zogen es jahrelang vor, Geldstrafen zu zahlen, anstatt ihre Wasseraufbereitungssysteme zu modernisieren.
Unfähigkeit oder Unwillen: Sind lokale Behörden das eigentliche Problem?
Die Teilnehmenden des Webinars sind sich einig, dass das Problem weniger böse Absichten der chinesischen Investoren, sondern vielmehr die Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit lokaler Behörden in den Partnerländern der BRI ist. Wie Natalia Schulepina festellt, wurden in Usbekistan außerplanmäßige Inspektionen von Unternehmen mit dem 1. Januar 2017 abgeschafft, um ihre Machenschaften nicht zu behindern.
Die Staaten Zentralasiens sind nicht bereit, die erforderlichen rechtlichen und institutionellen Anstrengungen zu unternehmen, um ein ökologisches Mindestmaß bei Neubauprojekten zu gewährleisten, so Vadim Ni vom kasachischen „Sozial und Umweltfonds“. „Die Bevölkerung wird nicht ausreichend über die Auswirkungen der Projekte informiert. Regierungen bieten keine Unterstützung für Protestaktionen der Bevölkerung. Bei den wenigen Bauprojekten in Kasachstan, bei denen die Meinungen der lokalen Bevölkerung eingeholt wurde, wurden die Ergebnisse verzerrt dargestellt“, bedauert Vadim Ni. In Kasachstan sind insgesamt 55 chinesische Investitionsprojekte geplant, von denen die meisten den Ausbau konventioneller Energieressourcen fördern sollen. Lediglich zehn von ihnen fördern erneuerbare Energien.
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Korruption ist eine weitere Hürde für die Ökologisierung der BRI, so die Teilnehmenden des Webinars. So unregelmäßig und lax Umweltinspektionen an den Baustandorten auch sind, selbst diese Ergebnisse werden verfälscht oder gar ganz unter den Teppich gekehrt. Skrupellos verletzen Industrielle ökologische und hygienische Standards und verfassen beschönigende Berichte.
Am Beispiel der kirgisischen Goldindustrie, an der auch eine Reihe chinesischer Investoren beteiligt ist, weist Oleg Peschenjuk von der kirgisischen NGO „Unabhängige Umweltexpertise“ auf Probleme der Korruption und Schattenwirtschaft hin. Während des Webinars wurde die Ansicht des Experten deutlich, dass ein mangelnder Austausch zwischen Unternehmen und lokaler Bevölkerung die Ursache für die teils gewalttätigen Proteste der Anwohner sind. So wurde im Sommer 2019 die sich in der Region Naryn befindende und von der Firma „Zhong Ji Mining“ betriebene Mine Solton-Sary beschuldigt, durch Umweltverschmutzungen den Tod von Rindern verursacht zu haben. Nach einem Zusammenstoß mit Dorfbewohnern wurden etwa 20 chinesische Minenarbeiter ins Krankenhaus eingeliefert. Daneben befand sich die Minenverwaltung Anfang des Jahres im Zentrum eines Betrugs- und Korruptionsskandals.
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Ökologischer Aktivismus im Schatten geopolitischer Spiele
Zwischen den gewaltsamen Zusammenstößen, den Petitionen und offenen Briefen an die Regierung zielen die Reaktionen der Zivilbevölkerung darauf ab, die nationalen Behörden auf ihre Verbandelung in den chinesischen Investitionen aufmerksam zu machen. Investitionen sind schließlich auch politisch und gehen über rein wirtschaftliche Interessen hinaus.
Der Kampf um die Ökologisierung der neuen Seidenstraße erfordert vor allem politische Reformen, die die Korruption bekämpfen, Umweltschutz im Gesetz verankern und Umweltkontrollen innerhalb der Unternehmen verbindlich festlegen. Prüfungen des Umweltschutzes fallen schließlich nicht in die Zuständigkeit der Investoren, sondern in die der staatlichen Behörden, so Evgeny Simonov während des Webinars „Umweltaspekte der BRI in Zentralasien“.
Eine grenzüberschreitende Koordinierung ökologischer Bemühungen der Zivilgesellschaft ist, genau wie ein zwischenstaatlicher Umweltschutz, eine ambitionierte Herausforderung für die Region, in der Naturräume durch willkürliche Grenzziehungen geteilt wurden. Die zentralasiatische Zivilgesellschaft bereitet sich auf den Dialog mit ihren jeweiligen Regierungen und mit chinesischen Unternehmen vor. Webinare, wie das hier im Artikel beschriebene, bringen Menschen zusammen und schulen sie im Hinblick auf ihre Gestaltungsmöglichkeiten. Es werden Verbände wie „Die grüne Seidenstraße“ mit dem Ziel gegründet, zivilgesellschaftliche Bemühungen zu koordinieren und Druck auf Unternehmen und staatliche Institutionen auszuüben.
Anna Chtorkh, Redakteurin für Novastan
Aus dem Französischen von Robin Shakibaie
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Lahodynsky, 2020-07-13
Wer ist Autor dieser Landkarte? Der China – Pakistan Korridor endet im Hafen von Gwadar, den China gepachtet hat. Von dort nimmt die wesentlich kürzere maritime Seidenstrasse ihren Ausgang nach Afrika und Europa.
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Robin Roth, 2020-07-13
Die Karte ist von Wikimedia Commons übernommen. Hier der Link: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:One-belt-one-road.svg
Die Darstellung ist tatsächlich vereinfacht. Auch andere Korridore führen weiter.
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