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Die Europäische Union überdenkt ihre Zentralasien-Strategie

ENTSCHLÜSSELUNG. Das Europäische Parlament fordert die EU auf, ihre diplomatische Strategie gegenüber Zentralasien zu überdenken. Die Vertiefung der Beziehungen zu den Ländern der Region erscheint vor dem Hintergrund großer globaler Umbrüche notwendig, wird aber durch europäische Forderungen nach Demokratisierung erschwert.

Das Europäische Parlament in Straßburg hat eine Resolution zu Zentralasien verabschiedet (Symbolbild), Photo: Wikimedia Commons

ENTSCHLÜSSELUNG. Das Europäische Parlament fordert die EU auf, ihre diplomatische Strategie gegenüber Zentralasien zu überdenken. Die Vertiefung der Beziehungen zu den Ländern der Region erscheint vor dem Hintergrund großer globaler Umbrüche notwendig, wird aber durch europäische Forderungen nach Demokratisierung erschwert.

Am 17. Januar hat das Europäische Parlament einen Entschließungsantrag zur Zentralasien-Strategie der Europäischen Union verabschiedet. Der Text unterstreicht die Notwendigkeit, das Engagement der EU in dieser Region der Welt zu stärken, die regionale Zusammenarbeit zu fördern, demokratische Werte wie die Menschenrechte zu schützen und den bilateralen Handel zu unterstützen.

In dem Dokument wird betont, dass diese Stärkung des europäischen Handelns in der Region angesichts des geopolitischen Kontexts von entscheidender Bedeutung ist. Insbesondere werden der Krieg in der Ukraine und die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan genannt, aber auch interne Bewegungen wie die großen zivilen Mobilisierungen im Jahr 2022 – etwa in den Großstädten Kasachstans oder in der autonome Regionen Berg-Badachschan und Karakalpakstan.

Die Vertiefung der Beziehungen im Mittelpunkt

Seit der Verabschiedung der Strategie von 2019 haben sich die Beziehungen zu Zentralasien weiter vertieft, erklärt Peter Stano, Sprecher der Europäischen Kommission für Auswärtige Angelegenheiten und Sicherheit, gegenüber Novastan.

Die erzielten Ergebnisse hätten „die Gültigkeit der Strategie und ihrer drei Prioritäten unterstrichen“, nämlich das Engagement für Wohlstand, Widerstandsfähigkeit und interregionale Zusammenarbeit. Dieser Fortschritt habe die Union auch dazu ermutigt, am 23. Oktober im Anschluss an das Treffen europäischer Beamter mit den zentralasiatischen Außenministern in Luxemburg eine neue Roadmap zur Stärkung der Beziehungen zwischen der EU und Zentralasien zu verabschieden.

Die globale Strategie umfasse den Abschluss neuer Vereinbarungen und Initiativen, die zusammenlaufen, um „durch Veranstaltungen wie das Global Gateway Investors Forum on Sustainable Transport Connectivity [am 29. und 30. Januar 2024] gemeinsam auf eine verstärkte interregionale Konnektivität zu konzentrieren“, erklärte Stano.

Berücksichtigung regionaler Besonderheiten

Die Zentralasien-Strategie der EU ist von einem regionalen Ansatz geprägt. Die Roadmap sieht jedoch auch die Entwicklung bilateraler Beziehungen mit den fünf zentralasiatischen Partnern vor, insbesondere um der Konkurrenz Chinas entgegenzutreten. Während der Krieg in der Ukraine die zentralasiatischen Staaten dazu drängt, sich bis zu einem gewissen Grad von Russland zu lösen, tendiert China heute dazu, seine Präsenz durch den Ausbau von Kommunikationswegen oder sogar durch umfangreiche Investitionen in den Energiesektor zu verstärken.

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Zwischen der EU und den zentralasiatischen Staaten konnten so verschiedene Vereinbarungen geschlossen werden. Im Falle Kasachstans besteht seit 2020 ein Erweitertes Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (EPKA). Mit Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan bestehen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA), wobei EPKAs derzeit ausgehandelt werden oder auf ihre Unterzeichnung warten. Die Beziehungen zu Turkmenistan basieren auf dem Interimsabkommen von 2010, ein PKA muss noch vom Europäischen Parlament ratifiziert werden.

Peter Stano betont, dass „die aktuellen globalen Rahmenbedingungen und die geopolitische Situation, die sich aus dem von Russland provozierten illegalen Krieg in der Ukraine ergibt, die Bedeutung der Beziehungen zu Zentralasien verstärken“. Der zunehmende Austausch mit den regionalen Partnern der Union spiegelt dies wider.

Menschenrechte haben Priorität

Während sich die Beziehungen der EU zu Zentralasien tendenziell verstärken, gibt die Menschenrechtslage in der Region durchaus Anlass zur Sorge. Am Tag nach der Abstimmung über den Bericht zur Strategie der Union wurde ein Text angenommen, der die staatliche Repression gegen die Medien in Tadschikistan, die ungerechtfertigte Inhaftierung von Journalist:innen und Zensur verurteilt.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Europäische Parlament bestimmte Praktiken seiner zentralasiatischen Partner kritisiert. So richtete sich im vergangenen Oktober eine Resolution gegen Usbekistan und im Juli gegen Kirgistan. Kasachstan war bereits in den Jahren 2021 und 2022 Ziel ähnlicher Resolutionen.

Im Einklang mit diesen früheren Erklärungen wird in der Resolution vom 17. Januar betont, „dass nach wie vor grundlegende demokratische Mängel in Zentralasien in Bezug auf die demokratische Staatsführung, die Rechtsstaatlichkeit und den Schutz der Menschenrechte bestehen und sich diese Mängel unlängst in mehrfacher Hinsicht verschärft haben“.

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Diese Überlegungen spiegeln deutlich die Schwierigkeiten wider, mit denen die EU im Rahmen ihrer diplomatischen Strategie konfrontiert ist. Die Abgeordneten fordern die Kommission auf, diese Situation „bei der Bewertung des Antrags auf das Allgemeine Präferenzsystem Plus (APS+) und bei den Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Tadschikistan zu berücksichtigen.“

Laut Peter Stano ist „die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten ein zentrales Prinzip, das nach wie vor im Mittelpunkt der europäischen Außenpolitik steht und sich in den bestehenden Vereinbarungen mit unseren Partnern widerspiegelt.“ Die Bedeutung, die der Achtung dieser Werte beigemessen werde, erkläre, warum das PKA mit Turkmenistan noch nicht vom Europäischen Parlament ratifiziert worden sei.

Gleichzeitig organisiert die EU jährliche Menschenrechtsdialoge mit jedem ihrer Partner, um Verbesserungen in diesem Bereich zu erörtern. Die Abgeordneten fordern die Kommission daher auf, „die Beratungen zur Entwicklung gezielter und umfassender Reformprogramme für zentralasiatische Staaten zu intensivieren, um den Weg für Vereinbarungen zur Erleichterung der Visaverfahren zu ebnen.“

Zuckerbrot und Peitsche

Allerdings fehlt es der EU an Entschlossenheit, diese Forderungen durchzusetzen. Wenn auch geplant sei, „vertragliche Vereinbarungen im Falle schwerwiegender Verstöße gegen [ihre] wesentlichen Klauseln, zu denen die Achtung demokratischer Grundsätze, Menschenrechte und Grundfreiheiten gehören“, auszusetzen, bleibe die Menschenrechtslage in Zentralasien besorgniserregend, betont Human Rights Watch.

Laut Iskra Kirova, Administratorin von Human Rights Watch in der Europa-Zentralasien-Abteilung, sollte die EU repressives Verhalten nicht tolerieren und ihre Partnerschaften von der Achtung ihrer Werte abhängig machen.

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Solche Sanktionsmaßnahmen könnten sich jedoch zum Nachteil der EU auswirken, die mit Russland und vor allem China konkurrieren muss. Tatsächlich hat Brüssel ein Interesse daran, den Ländern Zentralasiens eine attraktive Partnerschaft anzubieten, um seinen Einfluss in der Region nicht zu verlieren, insbesondere angesichts der Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland. Damit soll auch verhindert werden, dass sich die zentralasiatischen Länder anderen Partnern zuwenden.

Die Abstimmung über den Parlamentsbericht bietet die Gelegenheit, die Politik der Europäischen Union gegenüber Zentralasien zu überdenken und die Vertiefung der bilateralen Beziehungen mit der konsequenten Verteidigung europäischer Werte in Einklang zu bringen.

Eva Montford für Novastan

Aus dem Französischen von Robin Roth

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