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Trotz Reformen: Warum die einzigen Oppositionsparteien Usbekistans nicht zur Parlamentswahl zugelassen wurden

Am 22. Dezember 2019 fand in Usbekistan die erste Parlamentswahl während der Amtszeit von Shavkat Mirziyoyev statt. Doch auch unter dem neuen, reformfreudigen Präsidenten wurde den beiden einzigen Oppositionsparteien des Landes die Teilnahme an der Wahl untersagt. Der folgende Artikel erschien im russischsprachigen Original auf Hook. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Oppositionsparteien waren bei der Parlamentswahl in Usbekistan nicht zugelassen

Am 22. Dezember 2019 fand in Usbekistan die erste Parlamentswahl während der Amtszeit von Shavkat Mirziyoyev statt. Doch auch unter dem neuen, reformfreudigen Präsidenten wurde den beiden einzigen Oppositionsparteien des Landes die Teilnahme an der Wahl untersagt. Der folgende Artikel erschien im russischsprachigen Original auf Hook. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Die letzte Parlamentswahl in Usbekistan fand ohne Teilnahme der Opposition statt. Die Parteien „Erk“ und „Birlik“ konnten sich nicht beim Justizministerium für die Teilnahme an der Wahl registrieren, obwohl sie es versuchten. Unterdessen verkündete der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission, dass es im Land keinerlei Barrieren für die politische Arbeit der Opposition gebe – auch nicht für jene Parteien, die deutliche Kritik an der aktuellen Staatsführung üben.

Handelt es sich dabei um wiederkehrenden Populismus oder um ein Signal an die Opposition? Angesichts des Ratschlags, den der Justizminister VertreterInnen von „Erk“ gab, „die Partei in der Vergangenheit zu lassen“, analysieren wir die Situation zusammen mit dem Politologen Kamoliddin Rabbimov.

Niemand hat die Opposition im Land verboten

Der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission Mirzo-Ulugbek Abdusalomov teilte mit, dass es im Gegensatz zu früher keinerlei Verbote für oppositionelle Parteien gebe. Der Beamte wies sogar auf die „Opposition im Exil“ – „Erk“ und „Birlik“ – hin und merkte an, dass diese ihre Arbeit im Land wieder aufnehmen könnten. Damit reagierte er auf die Anschuldigung, dass die Opposition nicht zur Wahl zugelassen worden sei.

Außerdem merkte der Vorsitzende der Wahlkommission an, dass die Volksdemokratische Partei Usbekistans (VDPU) sich als Opposition betrachten könne. „Dafür gibt es eine rechtliche und politische Grundlage“, teilte Abdusalomov mit.

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Der Politologe Kamoliddin Rabbimov hält die Erklärung Abdusalomovs für eine Sensation. „In den letzten 15-20 Jahren haben hohe Amtsträger solche Begriffe wie „Oppositionspartei“, „Erk“ und „Birlik“ ausschließlich in einem negativen Kontext verwendet. Abdusalomov hat diese Termini erstmal in der jüngeren Geschichte des Landes in einem neutralen oder positiven Zusammenhang gebraucht“, sagt der Politikwissenschaftler.

Laut Rabbimov wurden die Namen der Oppositionsparteien unter der Herrschaft Islom Karimovs zu Synonymen für politischen Extremismus. „Nicht nur Beamte, sondern auch gewöhnliche Leute fürchteten sich diese Namen in einem Gespräch zu erwähnen. Und den offiziellen Medien war es strikt verboten, über dieses Thema zu berichten. Wenn überhaupt, wurde es auf Anordnung von oben in einem bestimmten Kontext gestreift“, meint der Politologe. Seiner Meinung nach betrachtete die damalige Verwaltung die Opposition als eine Bedrohung für die Stabilität und Sicherheit des Landes und als ein Hemmnis für dessen Entwicklung.

 „Birlik“ war 1988 als eine Volksbewegung gegründet worden, die für den Austritt Usbekistans aus der UdSSR sowie für demokratische Reformen eintrat. Darüber hinaus forderte sie, dass das Usbekische den Status einer Staatssprache erhalte. Nach der Unabhängigkeit wurde „Birlik“ wegen „gegen die Regierung gerichteter Tätigkeit“ verboten, die Bewegung ging in den Untergrund. 2003 wurde verkündet, dass „Birlik“ in eine Partei umgewandelt werde. Vorsitzender wurde der Wissenschaftler Abdurahim Pulat, der in die USA emigrierte.

Gruppenbild usbekischer Oppositioneller, Taschkent 1987
Oppositionelle der ersten Stunde, Taschkent 1987

„Erk“ ist die erste im unabhängigen Usbekistan offiziell registrierte Partei und wurde von ehemaligen VertreterInnen der Bewegung „Birlik“ gegründet. Ihr Anführer Muhammad Solih war der einzige Gegner Islom Karimovs bei der Präsidentschaftswahl 1991. 1994 gelang der Partei die Wiederregistrierung beim Justizministerium nicht und sie wurde illegal. Nach den Terroranschlägen 1999 wurde die Repression gegen Mitglieder von „Erk“ verstärkt. Muhammad Solih wurde beschuldigt, die Anschläge organisiert zu haben.

Warum wird plötzlich über diese Parteien gesprochen?

Abdusalomovs Äußerung zu den Parteien kam unerwartet und wurde im Netz unterschiedlich interpretiert. Die einen betrachten sie als positives Zeichen für die Opposition und prognostizieren deren Teilnahme an den nächsten Wahlen, die anderen nennen sie populistisch und an die „westliche Welt“ gerichtet. Kamoliddin Rabbimov vertritt die These, dass die Aussage das Ziel hatte, „die Situation zu entschärfen und sie in eine positive Richtung zu lenken“. Denn die internationale Gemeinschaft hat die Wahlen in Usbekistan wegen der fehlenden Opposition kritisiert.

„In einem freien Staat sollte mindestens die Hälfte der politischen Parteien radikal kritische Positionen beziehen, sie sollten also oppositionelle Ansichten vertreten. Wenn nur eine Partei an der Macht ist, sind alle anderen natürlicherweise in Opposition zu ihr. Das ist die einfachste und beständigste Regel der Demokratie. Bei der letzten Parlamentswahl hat aber keine einzige Partei weder die politische Situation noch die Regierung noch den Präsidenten kritisiert. Nicht eine Partei hat sich als Opposition positioniert. Nach den Standards freier, demokratischer Länder ist dies eine Anomalie“, meint der Politologe.

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Angesichts seines Ranges ist davon auszugehen, dass sich in der Abdusalomovs Äußerung die Position der usbekischen Behörden widerspiegelt. „Der Vorsitzende der Wahlkommission ist ein hoher Beamter. Abdusalomov ist ein Mann mit großer Erfahrung und ein sehr vorsichtiger Politiker. Er wird definitiv nichts sagen, ohne sorgfältig darüber nachzudenken und die Situation von verschiedenen Seiten her zu betrachten“, meint Rabbimov.

Der Politologe bezweifelt aber, dass sich von nun an jede beliebige Partei im Land registrieren lassen kann. Er erklärt dies damit, dass die Regierung Usbekistans ein Vierteljahrhundert lang ununterbrochen die Bevölkerung getäuscht und Versprechen nicht eingehalten habe. Deshalb sei Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Macht natürlich.

Vielleicht ist alles nur ein „altes Spiel“

Das Mitglied des Zentralrats der Partei „Birlik“ Anvar Usmanov bezeichnete die Erklärung Abdusalomovs in einem Interview mit Radio Ozodlik (der usbekische Dienst von Radio Free Europe, Anm. d. Ü.)  als ein „altes Spiel“, in dem die Opposition zwar de jure nicht verboten ist, es ihr aber de facto verunmöglicht wird, frei zu existieren. Usmanov berichtete auch von den erfolglosen Versuchen, „Birlik“ für die Teilnahme an der Wahl zu registrieren.

„Vor der Wahl haben wir uns neun Mal mit einem Antrag an das Justizministerium gewandt. Der Wunsch der Partei, an den Wahlen teilzunehmen, wurde offen geäußert. Die Vertreter von „Birlik“ wurden im Justizministerium empfangen. Es gab ein höfliches Gespräch. Aber das Ergebnis ist das gleiche wie unter Karimov — „Birlik“ wurde nicht registriert“, sagte Usmonov.

Laut dem Oppositionellen wurden VertreterInnen von „Birlik“ vor ein paar Monaten im Europäischen Parlament empfangen. Dort erzählten Mitglieder der Partei, dass die Regierung Usbekistans sie nicht registrieren lässt.

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Auch der Versuch von „Erk“, ins Land zurückzukehren, war nicht von Erfolg gekrönt. Der Parteivorsitzende Muhammad Solih bestätigte in einem Video auf Youtube, dass sein Appell an Shavkat Mirziyoyev unbeantwortet blieb: „Ich habe dem Präsidenten persönlich  einen Brief geschrieben. Ich wollte die Rehabilitierung meiner Person und den Fortbestand meiner politischen Tätigkeit im Land [erreichen]. Ich habe aber keinerlei Antwort erhalten.“ Gemäß den Worten Muhammad Solihs gibt es in Usbekistan bis heute eine soziale Schicht, die die Ideen von „Erk“ unterstützt. Und davor fürchte sich die Staatsmacht.

Kürzlich haben sich VertreterInnen von „Erk“ mit Justizminister Ruslanbek Davletov getroffen. Laut ihrem Bericht hörte der Minister zwar alle Meinungen aufmerksam an, schlug dann aber vor, die Partei zu vergessen, da sie „in der Vergangenheit geblieben“ sei.

Die Regierung glaubt, dass eine Opposition entsteht

Internationale BeobachterInnen bemerkten unter dem neuen Präsidenten in Usbekistan eine „Verbesserung der Wahlgesetzgebung“ und eine „steigende Toleranz gegenüber unabhängigen Meinungen“. Aber auch sie erwähnten die Abwesenheit der Opposition und der damit einhergehenden „wirklichen Konkurrenz“ bei den Wahlen.

„Die Verbesserungen im Wahlrecht Usbekistans und die zunehmende Akzeptanz der Meinungsfreiheit sind lobenswert, aber sie konnten das Fehlen der Oppositionsparteien, die anhaltende Missachtung der Grundrechte und schwere Verletzungen am Wahltag nicht kompensieren“, sagte die Leiterin der OSZE-Wahlbeobachtungsmission Tana de Zulueta.

Auf einer Pressekonferenz am 20. Dezember äußerte sich der Vorsitzende des Senats (das Oberhaus des usbekischen Parlaments Oliy Majlis, Anm. d Ü.) Sadyk Safaev zur Opposition in Usbekistan. Er denkt, dass im Land allmählich  eine Opposition entstehe: „In Usbekistan gibt es eine oppositionelle politische Weltanschauung. Unsere Aufgabe ist, dass wir die entsprechenden Bedingungen für die Entstehung der Opposition schaffen.“

Der Politologe Kamoliddin Rabbimov hofft, dass bis 2024 umfangreiche politische Reformen stattfinden und es bei den nächsten Wahlen eine starke Konkurrenz geben wird:

„Momentan gibt es in der Welt Konflikte, die Freiheit und Demokratie betreffen. Einerseits stehen klassische demokratische Modelle vor dem Kollaps, weil die sich in der Vergangenheit gebildeten Parteien und der Anteil politischer Teilhabe die heutigen Bewohner des Westens nicht mehr vollständig zufriedenstellen. Trotzdem sagt sich die Welt nicht von der Demokratie los. Im Gegenteil, aufgrund der zunehmenden Freiheiten und des Bewusstseins für gesellschaftliche Probleme erfüllen frühere Modelle demokratischer Regierungsführung nicht mehr die Bedürfnisse der Gesellschaft.

Kamoliddin Rabbinov
Kamoliddin Rabbinov

Globalismus und freier Informationsaustausch fordern von den Regierungen, Politik und Recht schneller zu reformieren. Denn in der modernen Welt wird eine Regierung, die ihren Ruf verloren hat, nicht nur nicht in der Lage sein, ihre Aufgaben zu erfüllen, sondern auch die Gelegenheit verlieren, die Interessen des Staates zu schützen.

Wenn bis zur nächsten Parlamentswahl die Tür für die freie Gründung politischer Parteien geöffnet wird und die rechtlichen Anforderungen zu ihrer Gründung vereinfacht werden, dann können Vertreter der jungen Generation viele neue und progressive Parteien gründen.

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Stellen Sie sich vor, wie die politische Konkurrenz zunimmt und welch starkes Parlament sich formiert, wenn die Zahl der politischen Parteien bis 2024 auf 15-20 steigt. Ob das passiert oder nicht – vieles hängt von der Weltanschauung der derzeitigen Staatsmacht ab, ihrem Selbstvertrauen. Ich hoffe sehr, dass in Usbekistan alle inoffiziellen Barrieren für politische Reformen eingerissen werden, darunter auch die, die die Liberalisierung des Verfahrens zur Gründung und Registrierung von Parteien behindern.“

Hook

Aus dem Russischen von Robin Roth

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