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Der Schriftsteller und Geograf Cédric Gras auf den Straßen des Durstes

Der Aralsee, das Symbol einer Umweltkatastrophe, dessen Becken von den zentralasiatischen Republiken ausgebeutet wird, hat sein Wasser in etwa 60 Jahren um fast 90 Prozent schrumpfen sehen. Der Geograf und Schriftsteller Cédric Gras begibt sich auf die Spuren der Zuflüsse dieses Salzwassersees. Das Buch des sachkundigen Abenteurers "Auf den Straßen des Durstes" schildert die extremen Bedingungen, unter denen den Quellen des Aralsees die Luft ausgeht.

Cedric Gras und ein Fischer auf dem kleinen Aralsee. Foto: Christophe Raylat.

Der Aralsee, das Symbol einer Umweltkatastrophe, dessen Becken von den zentralasiatischen Republiken ausgebeutet wird, hat sein Wasser in etwa 60 Jahren um fast 90 Prozent schrumpfen sehen. Der Geograf und Schriftsteller Cédric Gras begibt sich auf die Spuren der Zuflüsse dieses Salzwassersees. Das Buch des sachkundigen Abenteurers „Auf den Straßen des Durstes“ schildert die extremen Bedingungen, unter denen den Quellen des Aralsees die Luft ausgeht.

Cédric Gras, französischer Geograf und Schriftsteller, veröffentlichte im Januar seinen Reisebericht über die Reise eines Wünschelrutengängers. Der bislang noch nicht übersetzte Titel „Auf den Straßen des Durstes“, im Original „Sur les routes de la soif“, ist im Französischen ein Wortspiel aus soif (Durst) und soie (Seide). An der Seite des Journalisten und Filmemachers Christophe Raylat durchquert der Autor Zentralasien, vom Aralsee über die Uferroute des Amudarja bis hin zur Quelle des Gewässers, dem Fedtschenko-Gletscher.

Ausgangspunkt ihrer Unternehmung ist der Aralsee, eigentlich ein Salzwassersee. Er teilt sich in zwei ungleiche Becken, den kleineren „Nördlichen Aralsee“ im südlichen Zentralkasachstan und den „Großen See“ im Nordwesten Usbekistans.

Seine Gewässer werden vom Fluss Syrdarja, der im kirgisischen Tian-Shan-Gebirge entspringt, und vom Amudarja, der aus dem Pamir-Gebirge, wo sich der Fedtschenko-Gletscher befindet, gespeist.

Der Autor, der seine Geografiekenntnisse mit seinem Schreibstil in Einklang zu bringen weiß, beschreibt seine Suche nach dem „Ursprung des Wassers, das alle Stan-Länder versorgt“ und den Kampf des Amudarja gegen seine Übernutzung. Gemeinsam mit Christoph Raylat hat er eine Arte-Reportage veröffentlicht – der Zweiteiler „Aralsee – Wo ist das Wasser hin?“ gibt dem Buch eine audiovisuelle Untermalung.

„Das Tschernobyl Zentralasiens“

„Der Planet durchlebt seine Metamorphosen im Galopp. Der Aralsee begann seine Ebbe in den 1960er Jahren, quasi gestern. Heute sprechen die Usbeken von Aralkum, der Aralwüste“, sagt Cédric Gras.

Einst war er der viertgrößte See der Erde: Noch in den 1960er Jahren erstreckte er sich über rund 68.000 Quadratkilometer. Heute ist er auf weniger als 7.000 Quadratkilometer geschrumpft. Das Wasser ist verdunstet und hat den Salzgehalt dadurch verzehnfacht. Die Folge: Zig Millionen Tonnen freigesetztes Salz und giftiger Staub. Eine Katastrophe, die der Autor beim Namen nennt: „das Tschernobyl Zentralasiens“.

Begonnen hat Cédric Gras seine Reise im südlichen Zentrum Kasachstans, wo das Wasser des Nördlichen Aralsees fortbesteht, gestützt durch den Kokaral-Damm, der 2005 fertiggestellt wurde. „Ein wenige Kilometer langer Staudamm, der das Wasser des Flusses Syrdarja enthält. […] Nicht genug, um gestrandete Trawler zu unterspülen, […] aber genug, um den Salzgehalt zu senken und einige Arten wieder anzusiedeln„, erklärt der Autor.

Am Ufer des Sees versinkt er in dichtem Schlamm, der einst mal luftiger Sand war. Er geht über Brücken, unter denen nichts als Wüste ist, und kommt schließlich nach Mo‘ynok. In der im Norden Karakalpakstans gelegenen Stadt findet er die letzten gestrandeten Fischtrawler, die nun als „apokalyptische Kulisse für Anflüge digitaler Selbstbezogenheit“ herhalten. Hier beschreibt der Autor den Aral als „ausgetrocknet, so weit das Auge reicht, niemand anderem ausgeliefert als dem Nichts“.

Ein gesegneter Fluss, der ausblutet wie kein anderer

Cédric Gras erzählt von seiner Reise flussaufwärts des Amudarja, zwischen Kyzylkum– und Karakum-Wüste, von „seinem Mäandern durch die Wüsten, in denen er sich verliert, bis zu seinen Anfängen, die hoch oben in den Tälern eingebettet liegen“.

Bevor der Fluss in den Aral mündet, legt er 2540 Kilometer zurück und windet sich durch Usbekistan, Turkmenistan und Afghanistan, bis er in den Höhen Tadschikistans seinen Durst löscht. Da die zentralasiatischen Länder nicht auf Meerwasser zurückgreifen können, begehren sie den Amudarja umso mehr, was zu Spannungen führt.

Der Autor nähert sich den Rinnen des Flusses und damit seinem wunden Punkt. Turkmenistan auf der einen Seite, und Usbekistan auf der anderen, beschuldigen sich gegenseitig, für den immer niedrigeren Wasserstand des Flusses verantwortlich zu sein. Den Wettlauf um den Baumwollanbau bremst das nicht im Geringsten aus, und so beansprucht die Bewässerung der Felder den Amudarja immer weiter über alle Maße hinaus.

Cédric Gras beobachtet einen Fluss, der „bis aufs letzte Schlückchen ausgetrunken“ wird. Er sagt: „Wir wissen, was er erleidet, und wir haben ihn im tiefsten Karakalpakstan sterben sehen, wie einen alten Elefanten.“

Von seinem letzten Mäander bis zu seinem ersten Tropfen

Der Fedtschenko-Gletscher, der in den Höhen des Pamir-Gebirges in Tadschikistan Zuflucht gefunden hat, ist der verdiente Lohn der Reise. Außerhalb der Polarregionen ist der Fedtschenko, benannt nach dem russischen Abenteurer und Naturforscher Alexej Fedtschenko, das längste Gletscherplateau der Welt. Allein ein Achtel der Wasserreserven des Pamir stammen von ihm.

„Eine 77 Kilometer lange Zunge, die ein riesiges Becken von Zuflüssen speist, von bis zu 7500 Meter hohen Gipfeln fließt und deren gesamtes Schmelzwasser früher oder später in den Amudarja fließt“, erklärt der Autor.

Für die Durchführung der Expedition engagieren Cédric Gras und Christophe Raylat den einheimischen Reiseführer Anatoli Scharipow sowie den als „Polarabenteurer“ geltenden Matthieu Tordeur. Er hat als jüngster Mensch der Welt den Südpol im Alleingang auf Skiern und ohne Vorräte erreicht. Bei der Besteigung des Gletschers ist er mit von der Partie.

Im Oberlauf folgen sie über mehrere hundert Kilometer dem reißenden Fluss Pandsch. Neben dem Wachsch gehört er zu den wichtigsten Nebenflüssen des Amudarja. Bevor die Gletscherschmelze in den Amudarja mündet, fließt sie in Gebirgsbäche und von dort in die beiden Flüssen.

Der Zapfhahn Tadschikistans

Auf ihrem Weg zum Fedtschenko passierten die Abenteurer den Nurek-Staudamm, der am Fluss Wachsch errichtet wurde. Der 304 Meter hohe Bau aus Stein und Erde, der zwischen 1961 und 1980 errichtet wurde, ist nicht nur einer der größten Staudämme der Welt: Er deckt auch „die Hälfte des Strombedarfs [und] versorgt die Aluminiumindustrie“, berichtet der Autor.

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Damals hatte die Sowjetunion den Staudamm in die Kategorie ihrer wichtigsten und vorrangigen Infrastrukturprojekte aufgenommen. Bei einem Besuch am 1. September 1970 sprach der sowjetische Staatschef Leonid Iljitsch Breschnew zu den Monteuren, Maurern und Bohrtechnikern, den Maschinisten und Fahrern: „Als Ingenieur weiß ich einzuschätzen, wie schwierig die Anordnung der verschiedenen Teile des Bauwerks ist, aber ihr habt es geschafft, diese Aufgabe zu bewältigen. Ich gratuliere euch, den Einwohnern von Nurek, ihr seid wahre Helden und eure Arbeit ist bemerkenswert“.

Cédric Gras betont, dass das Ende der UdSSR auch die Solidarität zwischen den zentralasiatischen Republiken gebremst hat, und fügt hinzu, dass jedes Land seine eigenen Interessen in den Vordergrund stellt und versucht, aus seinen Ressourcen Profit zu schlagen. Dabei beschreibt er den Staudamm als einen Zapfhahn, der sich nach auf Willen Tadschikistans öffnet und schließt.

Ein Krieg, der mit der Führung des Flusses korreliert?

In „Auf den Straßen des Durstes“ fragt sich der Autor: „Überbewässerung, schwindelerregende Staudämme, Umleitungskanäle und Bevölkerungsexplosion – sind das die Vorboten eines Wasserkriegs zwischen diesen oft despotischen Ex-Sowjetrepubliken auf der ehemaligen Seidenstraße?“.

Während Usbekistan und Turkmenistan gefährlich nahe an die Schwelle des Wasserdefizits geraten, nutzt Tadschikistan sein hydroelektrisches Potenzial, indem es die Wasserführung seiner Flüsse reguliert. Der Autor fügt hinzu, dass Tadschikistan im Sommer, wenn die usbekischen und turkmenischen Feldfrüchte bewässert werden müssen, die Schleusen seiner Infrastruktur schließt, um Wasser zu speichern und im Winter Energie zu erzeugen.

Der Autor bezeichnet diese Änderung des Abflussregimes des Flusses als einen echten Nutzungskonflikt, der die bestehenden Spannungen aufdeckt, die zwischen den zentralasiatischen Ländern um die Kontrolle der Wasserressourcen herrschen.

Der afghanische Bau eines neuen Kanals am Oberlauf des Amu-Darja-Flusses im März 2023 brachte die Wasserwirtschaftspolitik in Zentralasien erneut in Bedrängnis.

Marianne Bultel für Novastan

Aus dem Französischen von Arthur Siavash Klischat

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