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Das internationale Interesse an Zentralasien wird 2024 abnehmen

Im Jahr 2023 genoss Zentralasien großes internationales Interesse, es fanden zahlreiche diplomatische Treffen und Besuche statt, verschiedene Abkommen und Initiativen wurden abgeschlossen. Dies könnte sich in diesem Jahr vor dem Hintergrund zunehmender innenpolitischer Prioritäten der Weltmächte ändern. CABAR bietet einen Überblick darüber, was das für die Region bedeutet.

Zentralasien 5+1
Gipfeltreffen Zentralasien 5+1 mit US-Präsident Joe Biden im September 2023 in New York, Photo: Wikimedia Commons.

Im Jahr 2023 genoss Zentralasien großes internationales Interesse, es fanden zahlreiche diplomatische Treffen und Besuche statt, verschiedene Abkommen und Initiativen wurden abgeschlossen. Dies könnte sich in diesem Jahr vor dem Hintergrund zunehmender innenpolitischer Prioritäten der Weltmächte ändern. CABAR bietet einen Überblick darüber, was das für die Region bedeutet.

Im Jahr 2023 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der zentralasiatischen Länder ein gutes Dutzend Mal. Das Jahr endet mit einer Reihe außenpolitischer Gipfel der zentralasiatischen Länder nach dem Format „C5+1„. Die Länder der Region gehen mit der gleichen großen Aufmerksamkeit externer Akteure in das nächste Jahr.

Aus westlicher Sicht ist Zentralasien vor allem wegen seiner engen Beziehungen sowohl zu Russland als auch zu China, seiner Nachbarschaft zu Afghanistan, des Potenzial für Wasserkonflikte, der Energieexporte aus und des Warentransits durch die Region interessant. Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass dieses Interesse langfristige Bindungen erfordert, um insbesondere die Beziehungen zu den westlichen Staaten zu stärken. Bis 2024 wird das Interesse externer Akteure an Zentralasien aus folgenden Gründen abnehmen.

Abnehmende Konkurrenz zwischen den USA und Russland

Die Wahlen in den USA und Russland im Jahr 2024 bringen eine stärkere Konzentration auf innenpolitische Themen mit sich. Es wird Stabilität und Ruhe suggeriert, wie es die Wählerschaft erwartet. Der Hauptgrund für das jüngst gestiegene Interesse an Zentralasien ist der Krieg in der Ukraine und seine Folgen. Der Krieg dauert nun schon mehr als eineinhalb Jahre, und das Interesse der Weltgemeinschaft hat aufgrund anderer Konflikte in der Welt deutlich nachgelassen.

In diesem Jahr ist weder ein Gipfeltreffen zwischen Zentralasien und Russland noch zwischen Zentralasien und den USA geplant. Meinungsumfragen in den USA zeigen, dass die Bevölkerung eine aktivere Innen- als Außenpolitik wünscht. Ähnlich ist die Situation in Russland.

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Russlands Strategie in Zentralasien wird sich nach den bevorstehenden Wahlen wahrscheinlich auf den Ausbau der Kommunikation in der Region konzentrieren, um die Beziehungen zu anderen Teilen der eurasischen Region zu stärken. Sollten die Republikaner die Wahlen in den USA gewinnen, wird sich ihre Außenpolitik vermutlich stärker auf ihre Nachbarländer konzentrieren. Bei einem Wahlsieg der Demokraten ist mit einem stärkeren Engagement in Zentralasien zu rechnen, da Chinas Präsenz in der Region weiter zunimmt.

Mögliche EU-Erweiterung

Zentralasien ist kein direkter Nachbar der Europäische Union (EU), daher konzentriert sich die EU stärker auf die Zusammenarbeit mit Nachbarn, die potenzielle Beitrittskandidaten sind, etwa die westlichen Balkanstaaten (Serbien, Montenegro, Nordmazedonien, Albanien, Bosnien & Herzegowina) oder die Länder der Östlichen Partnerschaft (Moldawien, Ukraine, Georgien).

Die Entscheidung, Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldawien aufzunehmen und Georgien den Kandidatenstatus zuzuerkennen, wird die EU dazu zwingen, mehr Ressourcen in diese Länder zu investieren. All dies führt zu einer geringeren Aufmerksamkeit der EU für Zentralasien.

Rückgang des Handelsvolumens zwischen EU und China

Die eigene Abhängigkeit von großen Ländern wie Russland und China zu verringern, ist ein wichtiges außenpolitisches Gebot für die EU. Deutschland beispielsweise setzt verstärkt auf eine Regionalisierung der wirtschaftlichen Aktivitäten innerhalb der EU. Dabei steht eine schrittweise Reduzierung der Handelsbeziehungen mit China im Vordergrund, um hohe Anfangskosten für Deutschland zu vermeiden.

Dabei ist der Gütertransit von China über Zentralasien nach Europa schon heute kaum der Rede wert: Trotz stetig wachsender Sendungen macht der Straßentransport über Kasachstan nur 0,01 Prozent des gesamten chinesischen Güterverkehrs nach Europa aus. Gleichzeitig schickt China 1,6 Milliarden Tonnen Fracht auf dem Seeweg nach Europa.

Infrastrukturengpässe und regulatorische Erwägungen

Zentralasien liefert einen Großteil seiner Energieressourcen in die EU. Diese möchte ihre Abhängigkeit von autoritären Staaten bei der Öl- und Gasversorgung verringern und sucht daher nach alternativen Lieferanten wie den USA, Norwegen und Nigeria. Obwohl Kasachstan seinen Anteil am Ölimport der EU-Länder im zweiten Quartal 2023 auf 10 Prozent erhöht hat – im Vergleich zu 7 Prozent ein Jahr zuvor –, ist der Spielraum für ein weiteres Wachstum der Energielieferungen ungewiss.

Eine Steigerung der Öllieferungen würde zudem entsprechende Infrastruktur erfordern. Die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline (BTC) hat eine geringere Kapazität (50 Millionen Tonnen) als das Kaspische Pipeline-Konsortium (bis zu 80 Millionen Tonnen), das die Hauptroute für den Transport von kasachstanischem Öl darstellt.

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Ein Anstieg der kasachstanischen Ölproduktion könnte die Möglichkeit, große Mengen durch die BTC zu transportieren, einschränken und das Kaspische Pipeline-Konsortium für Kasachstan attraktiver machen. Um jedoch einen signifikanten Teil des Öls durch Aserbaidschan umleiten zu können, muss Kasachstan etwas gegen die Verflachung des Kaspischen Meeres unternehmen. Dies erfordert zusätzliche Investitionen in Baggerarbeiten und möglicherweise den Bau einer Pipeline auf dem Meeresboden – ein kostspieliges Projekt.

Zentralasien im Fokus des Westens als Gegengewicht zu Russland

Viele westliche Staaten nehmen Russland im Vergleich zu China als die größere Bedrohung wahr. Dies wird beispielsweise in der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesrepublik Deutschland deutlich: „Das heutige Russland stellt auf absehbare Zeit die größte Bedrohung für Frieden und Sicherheit im euro-atlantischen Raum dar.“ Der Fokus des Westens in (inter-)nationalen Sicherheitsfragen dürfte in den nächsten zwei bis drei Jahren stärker auf Russland als auf China liegen. In dieser Hinsicht rücken die zentralasiatischen Länder in den Mittelpunkt des Interesses, da sie zwischen den beiden Großmächten liegen.

Hinzu kommt, dass aufgrund der internationalen Wirtschaftssanktionen gegen Russland immer mehr russische Unternehmen in die zentralasiatischen Länder ausweichen. Deutlich wird dies an der wachsenden Zahl russischer Firmen, die in Kasachstan registriert sind. Die EU sowie Japan und Großbritannien sehen darin einen Versuch Russlands, seinen Einfluss in Zentralasien auszuweiten. In strategischen Dokumenten westlicher Staaten wird daher zunehmend das Ziel formuliert, die „Abhängigkeit von China und Russland“ in der zentralasiatischen Region zu verringern bzw. zu beseitigen.

Wasserkrise gefährdet Stabilität und Ressourcenversorgung

Insbesondere Usbekistan und Turkmenistan verfügen zwar über reiche Erdgasvorkommen für die Energieerzeugung und den Export, sind aber für die landwirtschaftliche Produktion von den Wasserströmen der flussaufwärts gelegenen Nachbarländer Kirgistan, Tadschikistan und Afghanistan abhängig. Laut einer Studie der Eurasian Development Bank (EDB) wird Zentralasien in fünf Jahren unter erheblichem Wassermangel leiden und die Nachfrage nach Elektrizität stark ansteigen.

Im Juni 2023 konnten die Bauern in der turkmenistanischen Provinz Lebap ihre Baumwollfelder nicht bewässern, weil das Wasser einfach nicht zu ihren Feldern gelangte. Die Ernteprobleme des Landes wirken sich auf die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln aus, was zu Protesten führt, weil die von der Regierung subventionierten Lebensmittel knapp werden. Als Reaktion darauf subventioniert die Regierung die Preise. Die sich verschlechternde Wassersituation könnte bereits in diesem Sommer eine neue Protestwelle im Land auslösen.

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Mitverantwortlich ist der Bau des Kusch-Tepa-Kanals, mit dem die Taliban im März 2022 begonnen haben. Aktuellen Angaben zufolge ist etwa ein Drittel der geplanten 285 Kilometer fertiggestellt. Der Kanal wird 25 Prozent des Wassers des Amudarja in die drei nordafghanischen Provinzen Balch, Dschuzdschan und Faryab umleiten, die an Usbekistan und Turkmenistan grenzen.

Schätzungen zufolge wird die durchschnittliche Wasserverfügbarkeit in Turkmenistan im Mittel- und Unterlauf des grenzüberschreitenden Flusses mit Inbetriebnahme des Kanals in fünf bis sechs Jahren von 80 auf 65 Prozent sinken. Wasserkrisen werden daher die Aufmerksamkeit externer Mächte auf sich ziehen, die ein Interesse an den Ressourcen der Region haben.

Zentralasiatische Länder sollten das Jahr 2024 optimal nutzen

Angesichts dieser Herausforderungen müssen sich die zentralasiatischen Länder aktiv auf innenpolitische und innerregionale Themen konzentrieren, um ihre Position zu stärken und Stabilität zu erhalten. Es ist wichtig, dass sich die Regierungen sich auf das Engagement der Gemeinschaft konzentrieren, soziale Unterstützung leisten und die notwendigen Reformen durchführen, um die Grundlagen der inneren Stabilität zu stärken.

Insgesamt wird für 2024 ein vorübergehender Rückgang der internationalen Konflikte erwartet, die Länder Zentralasiens müssen jedoch wachsam bleiben und sich auf mögliche neue Herausforderungen vorbereiten. Die erfolgreiche Lösung innenpolitischer Probleme wird ein wichtiger Faktor für die Aufrechterhaltung von Frieden und Stabilität in der Region sein.

Eldaniz Gusseinov
Für CABAR

Aus dem Russischen (in gekürzter Fassung) von Michèle Häfliger


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