Startseite      Russlands Zentralasienpolitik 3.0

Russlands Zentralasienpolitik 3.0

Die Länder des postsowjetischen Raums haben keine gemeinsame Union mehr, dafür aber gegenseitige Interessen. Wir übersetzen den Artikel von Rafael Sattarow für das Central Asian Analytical Network (CAA Network) mit der freundlichen Genehmigung der Redaktion.

Auf dem Treffen den Hohen Eurasischen Wirtschaftsrats im Oktober 2014

Die Länder des postsowjetischen Raums haben keine gemeinsame Union mehr, dafür aber gegenseitige Interessen. Wir übersetzen den Artikel von Rafael Sattarow für das Central Asian Analytical Network (CAA Network) mit der freundlichen Genehmigung der Redaktion.

Der letzte Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in den drei zentralasiatischen Republiken Kasachstan, Tadschikistan und Kirgistan hat viele Reaktionen in den regionalen Massenmedien hervorgerufen. Viele Fragen sich, was Putin denn in Zentralasien suche. Versucht er Russlands Position zu stärken oder verliert das Land Zentralasien? In einem Artikel wurde der Besuch sogar als „Inspektion“ der Region genannt.

Lest auch bei Novastan: Putins Zentralasienpolitik und das allgegenwärtige Russland

Denn dieser Besuch wurde nicht von wichtigen Vertragsunterschriften begleitet, was bei hohen Staatsbesuchen oft der Fall ist. Der Hauptgrund des Besuchs sei die Feier des 25. Jubiläums der diplomatischen Beziehungen zwischen Russland und den zentralasiatischen Staaten. Dieser Besuch hat den „hohen Grad des gegenseitigen politischen Vertrauens“ bestätigt.  Allerdings gibt es auch in Russland eine Debatte, wie Russlands Politik in der Region aussehen soll.

Eine zentrale Region für Russland?

Kurz nach dem Ende der Sowjetunion wollte sich Russland anfangs von Zentralasien „befreien“. Die Region galt als „Balast“, der die russischen Integration mit dem Westen behinderte. Als Boris Jelzins um internationale Kredite Kämpfte, führten die Kredite wegen der Forderungen der Kreditgeber zur Beschleunigung des Zerfalls der Union. Im Jahr 1991 stellte Washington für die Erteilung von Krediten für die Sowjetunion viele Bedingungen: die Abschaffung der Barrieren zwischen den Sowjetstaaten, die Entwicklung eigener Pläne für den Übergang in eine Marktwirtschaft in den Republiken sowie die Schaffung eines gemeinsamen Fonds für die Rückzahlung der Schulden, in die jede Republik je nach ihrer Wirtschaftsleistung einzahlen muss.

Sergej Schenin, der Autor von „Zurück nach Russland: Strategien und Politik der amerikanischen Unterstützung (90er Jahre)“ hebt hervor: „In seiner Rede am 28. Oktober 1990 hat Boris Jelzin den Sowjetrepubliken solch strenge Rahmen und Bedingungen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit gestellt, dass keine der Republiken ihnen zustimmen kann.“ Jelzins Oktoberrede fand kein Echo in den übrigen Sowjetrepubliken. Die russischen Liberalen und Befürworter der sogenannten „Schocktherapie“ versuchten Jelzin zu überreden, dass sich Moskau dringend von Zentralasien trennen muss. Die dortigen Republiken seien zu rückständig für radikalen Marktreformen und somit eine Gefährdung für das ganze Reformprojekt, da mit Zentralasien die Kredite in Gefahr seien.

Doch die Orientierung Moskaus nach Westen änderte sich schon bald. Nach der Bombardierung Belgrads durch die Nato im Kosovo-Krieg von 1999 verkomplizierten sich die Beziehung zum Westen. Danach legte der Kreml wieder größeres Augenmerk auf seine früheren Republiken.

Die Zentralasienpolitik unter Putin

Putins Zentralasienpolitik konzentriert sich auf drei traditionelle Bereiche. Zuerst steht die Sicherheitspolitik und militärisch-technische Zusammenarbeit im Mittelpunkt. Diese beinhaltet die Modernisierung der militärischen Kräfte der zentralasiatischen Staaten und den Aufbau der Militärstützpunkte in Kirgistan und Tadschikistan. Dazu kommen Projekte in den Bereichen Öl, Gas und hydroelektrischer Energie. Der dritte Bereich ist die Integration im Rahmen der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU, ehemals EvraSec).

Putin Nasarbajew Rahmon Akajew Karimow
Informelles Treffen zwischen den Präsidenten von Russland, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan im Juli 2002 in Aktau, Kasachstan

Ist Zentralasien eine zentrale Region für Russland? Die Experten des russischen Rates für Außen- und Verteidigungspolitik gehen davon aus, dass „der postsowjetische Raum ins Archiv gehört“. Die Integration im postsowjetischen Raum habe ihre Grenzen, da „es in der heutigen Welt es nicht mehr notwendig ist, Belastung auf sich zu nehmen, wie es die russischen Zaren und Kommunisten gemacht haben.“ Die Organisationen des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) und die EAWU haben ihre kurzfristige Maximalgröße erreicht. Sie sollten eher mit konkreten Inhalten gefüllt werden und die eurasischen politisch-wirtschaftlichen Konfigurationen sollten breiter aufgebaut werden.

Gegenüber den anderen postsowjetischen Ländern bedeutet das „eine möglichst Kostengünstige Unterstützung ihrer Stabilität und die Verhinderung des Beitritts weiterer Mitglieder, die eine Bedrohung für russische Interessen darstellen“.

Russische Zentralasienexperten vertreten jedoch sehr unterschiedliche Meinungen zur Bedeutung der Region. „In allen offiziellen russischen Dokumenten wird Zentralasien als eine Priorität genannt“, so Stanislaw Pritschin, Experte des Zentrums für Zentralasien- und Kaukasusstudien am Institut für Orientalistik der Russischen Akademie der Wissenschaften. Er fügt jedoch hinzu, dass „trotz vieler Vereinigungen nicht alle Länder der Region an den Integrationsprojekten teilnehmen. Deshalb braucht Russland jetzt eine umfangreiche Strategie, um eine neue Zentralasienpolitik zu gestalten.

Arkadij Dubnow, Experte für GUS-Staaten, ist überzeugt, dass sich die Folgestaaten der Region 25 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion sehr unterschiedlich entwickelt haben. Der Fehler der russischen Regierung lag in dem Versuch, einheitliche Beziehungen mit den Ländern Zentralasiens aufzubauen. Dies war bei Putins Besuch in Tadschikistan besonders deutlich. „Muss man Tadschikistan so beharrlich dazu überreden, der EAWU zu beitreten, wo die Beitritte Kirgistans und Armeniens bisher noch keine besonders guten Vorbilder zeigen? “, – fragt Dubnow.

Moskaus Interessen in Zentralasien sind augenfällig. Da wäre es ein Fehler, Zentralasien als eine einheitliche Region zu betrachten.

Öl oder Sicherhiet als gemeinsamer Nenner?

Um die Nachbarländer im russischen Einflussbereich zu halten ist vor allem eine starke russische Wirtschaft wichtig. Bisher stehen die russisch-zentralasiatischen Wirtschaftsbeziehungen im Rahmen des alten Prinzips „Waren gegen Arbeitskräfte“. Zentralasien ist ein Absatzmarkt für russische Waren und dafür eine Erweiterung des zentralasiatischen Arbeitsmarkts. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China bietet hingegen viel Originalität und Entwicklungsmöglichkeiten in den Transport-, Logistik- und Transitbereichen für die ganze Region.

Zentralasien spielt für Russland eine große Rolle. Aber die Subventionen, Präferenztarife, Investitionen und direkte Kredite sowie die indirekte Finanzierung durch die Aufnahme von Migranten und Kompromisse beim Öl- und Gastransit wiegen auf dem russischen Budget.

Der von russischen und kasachischen Experten Ende 2016 veröffentlichte Bericht „Von Turkestan zu Zentralasien: Die politische Zukunft der Region“ empfiehlt Russland, bei der definierung seiner Regionalpolitik die Bedrohungen, Entwicklungen und Besonderheiten der Region zu berücksichtigen. Durch die erdachten Mechanismen sollte sie einen großen Einfluss auf die sozioökonomische Entwicklung der Länder auswirken und nachhaltige Entwicklung gewährleisten.

Die bald permanente sozialen und wirtschaftliche Krise, die Zentralasien fast ins Chaos stürzt, hat in jedem Fall einen direkten negativen Einfluss auf Russland und auf China“, es im Bericht.

Lest auch bei Novastan: Kommt der Maidan nach Zentralasien?

Allerdings warnen Experten schon lange, dass eine instabile und arme zentralasiatische Wirtschaft auch zu Sicherheitsrisiken führen könne. Es könnte den radikalen Islamismus fördern oder Nationalisten an die Macht bringen. „Wie soll sich die OVKS in so einem Fall, oder im Fall eines zentralasiatischen Maidan, verhalten?“ Laut den Experten ist es dann notwendig, die Stärkung der OVKS und die Anwendung von kollektiven operativen Kräften zu besprechen.

John Kerry C5°1
Der ehem. amerikanische Außenminister John Kerry wendet sich beim ersten C5+1 Treffen an die Außenminister der fünf zentralasiatischen Staaten. Samarkand, Usbekistan, am 1. November 2015.

Russlands Schutz für die autoritären Regimes in Zentralasien könnte mit dem Generationenwechsel nach hinten losgehen. Besonders nach der Aneignung der Krim wird Russland verstärkt der übermäßigen Einmischung verdächtigt. Russland erschien für Zentralasien als eine Bedrohung, was zu neuen Sicherheitsmechanismen geführt hat. Obwohl das US-Amerikanische C5 + 1 oder Chinas  „Ein Gürtel – Ein Weg“ bei weitem keine Sicherheitsgarantien bieten, könnten die neuen Herausforderungen zu einer rein regionalen Initiative führen.

Lest auch bei Novastan: C5+1 – Wie steht es um die amerikanische Zentralasienpolitik?

Auch vom Besuch des usbekischen Präsidenten Schawkat Mirsijojew in Kasachstan wurden Zeichen einer regionalen Integration erwartet.

Hängt Zentralasiens Zukunft wirklich an Russland?

Die Frage nach zentralasiens Abhängigkeit an Russland wurde bei einer Veranstaltung an der Moskauer Staatlichen Universität (MGU) wurde besonders intensiv diskutiert. Die Runde wurde von Wladimir Jakunin moderiert, dem ehemaligen Leiter der Russischen Eisenbahngesellschaft und heutigen Lehrstuhlleiter für Staatspolitik an der MGU: „Wir haben ein gemeinsame Plattform: unsere gemeinsame sowjetische Vergangenheit. Noch eint sie uns. Aber der enthusiasmus für den Aufbau eines idealen Sozialismus flaute in der Region schon in den 60-70er Jahre ab. Wir brauchen eine klare Strategie, die auch das Business berücksichtigt.

Lest auch bei Novastan: Russland und China – Der Ölhebel Zentralasiens

Während China in Zentralasien wirtschaftlich an Bedeutung gewinnt, verliert Russland seine Monopolstellung. Das zeigt, dass es Zeit für eine differenzierte Zusammenarbeit mit den Ländern der Region ist. Genau dies haben SWAP Experten gemeint, als sie der russischen Regierung den Abschied vom postsowjetischen Raum empfahlen: „25 Jahre sind seit dem Zusammenbruch der UdSSR vergangen. Es ist sinnlos die Zeit weiter nachzusehnen. Eine neue Politik ist nötig.“

Besonders die Mitgliedstaaten der OVKS und der EAWU – Kasachstan, Tadschikistan und Kirgistan – bieten sich für eine engere Partnerschaft an. In die Beziehungen mit Usbekistan und Turkmenistan sollte nur das Minimum investiert werden.

Russlands kultureller Einfluss und seine soft power über den sehr starken Einfluss seiner Medien sind noch bedeutender. Sogar einige russischen Gesetze zur Wahrung traditioneller Werte werden kopiert.

Auf jeden Fall wird Russlands Zentralasienpolitik noch weiter für Gesprächsstoff sorgen. Eine offene Frage dabei ist die neue US-Amerikanische Zentralasienpolitik in der Trump-Präsidentschaft. „Alle Staatschefs der Region sind beunruhigt, dass die Trump-Verwaltung noch kein klares Konzept weder zu Russland noch zu Zentralasien entwickelt hat“, sagte der Experte Andrej Grosin im Bericht von Gazeta.ru. Die neue Regierung von Präsident Trump hat sich noch nicht mit ihren außenpolitischen auseinandergesetzt, besonders in dem weit entfernten Zentralasien.

Rafael Sattarow
CAA Network

Aus dem Russischen von Sobira Majidowa

Kommentare

Your comment will be revised by the site if needed.