Während der Januar-Ereignisse in Kasachstan erlangte der kirgisische Jazz-Musiker traurige Berühmtheit, als er gezwungen wurde, öffentlich ein falsches Geständnis des Terrorismus abzulegen. Mit der Politologin und Menschenrechtlerin Sofya du Boulay sprach er für Masa.media über seine Folter in kasachstanischer Haft und den Kampf für Gerechtigkeit. Wir übersetzen den Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Die Ereignisse des „Blutigen Januars“ haben die Straflosigkeit im System der organisierten Gewalt in Kasachstan gezeigt. Mehr als 200 Menschen verloren ihr Leben, sechs starben an Folgen von Folter. 139 wurden verstümmelt, 545 wegen Teilnahme an „Massenunruhen“ verurteilt, Dutzende werden vermisst und viele weitere Geschichten sind unbekannt.
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Die Geschichte von Wikram Rusachunow, einem Jazzmusiker aus Kirgistan, machte im Januar nicht nur in Kasachstan und Kirgistan, sondern auch in anderen Ländern die Runde. Der Mann wurde in einem Untersuchungsgefängnis aus einer Menge von Häftlingen ausgewählt und gezwungen, ein unglückliches Geständnis des Terrorismus aufzuzeichnen.
Seiner Überzeugung nach ermöglichten nur ein „glücklicher Zufall“ und seine Bekanntheit dem für ein Gastspiel nach Almaty gekommenen Musiker am Leben zu bleiben, in seiner Heimat Kirgistan erkannt zu werden und so den Mythos von angeheuerten Terroristen in Zentralasien zu entlarven. Die Politologin Sofya du Boulay sprach mit Wikram und seinem Anwalt Nurbek Toktakunow darüber, wie er den Vorfall überlebt hat, wie das Strafverfahren wegen seiner Folter fortschreitet und wie sich das Leben des Jazzmusikers Monate nach dem „Blutigen Januar“ entwickelt.
Ein aufsehenerregender Fall
An einem heißen Juliabend gehe ich mit Wikram Rusachunow und seinem mutigen Anwalt und Berater Nurbek Toktakunov essen. Ich vertrete eine internationale Menschenrechtsorganisation, das Norwegische Helsinki-Komitee, und will herausfinden, wie ich beim Prozess des ersten und bisher einzigen kirgisisch-kasachstanischen Präzedenzfalls zur Tatsache der Folter helfen kann.
„Wo sind Sie untergekommen? Ich kann Sie unterwegs abholen“, bietet Rusachunow galant an. Zur verabredeten Zeit sehe ich ein Auto herankommen, in dem ein Mann in einer hellblau glänzenden Jacke mit fröhlichem Gesichtsausdruck sitzt. Es ist kaum möglich, es mit dem replizierten Video eines verkrüppelten Gefangenen in Verbindung zu bringen.
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Seit dem unglückseligen Gastspiel in Almaty sind mehr als sechs Monate vergangen. Wikram hat mit einem Psychologen und einem Anwalt zusammengearbeitet und es geschafft, seine Gesundheit zu verbessern. Er hat seine musikalische Tätigkeit allmählich wieder aufgenommen, auch wenn er dies nicht mehr wie zuvor tun kann. „Etwas verfolgt mich, sodass ich mich bisher nicht voll und ganz auf die Musik einlassen kann. Es gibt Angebote, aber ich kann noch nicht auftreten. Ich muss diese Sache beenden“, sagt der Musiker.
Die wichtigste Veränderung war seine erzwungene Verwandlung vom Musiker zum Kämpfer gegen Gewalt. Jetzt ist Wikram in den sozialen Medien aktiv, veröffentlicht Updates zur Untersuchung seines Falls und blickt optimistisch in die Zukunft. „Fast alle Folterfälle werden in Kasachstan inzwischen totgeschwiegen. Aber ich hoffe, dass das in meinem Fall nicht passieren wird“, sagt er. Der kirgisische Präsident Sadyr Dschaparow selbst konnte sich dem hochkarätigen Fall nicht entziehen und sicherte den Bürgern des Landes, die während der Proteste zu Unrecht betroffen waren, volle Unterstützung zu.
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Die eskalierende geopolitische Lage in der eurasischen Region, die russische Aggression in der Ukraine und die innenpolitische Instabilität in Zentralasien ließen jedoch das Interesse an den Januar-Traumen schwinden und die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen in Almaty verzögerte sich.
Am 14. Februar wurde in Kirgistan ein Strafverfahren gegen die Polizeibehörde des Gebiets Almaty wegen Folter eingeleitet. Eine Woche später erklärte die kasachstanische Seite, keine Beweise für die Beteiligung des kirgisischen Bürgers Rusachunow an den Unruhen gefunden zu haben. Der Antikorruptionsdienst lud ihn im Rahmen der Ermittlungsmaßnahmen nach Almaty ein. Nach dem Strafprozessrecht beider Staaten wird die Straftat am Ort ihrer Begehung untersucht.
Im Mai wurden die Ermittlungen wegen fehlender Sicherheitsgarantien für den kirgisischen Generalstaatsanwalt und des Außenministeriums während der Reise zur Identifizierung und Verifizierung von Zeugenaussagen vorübergehend ausgesetzt. Dadurch zog sich der Prozess auf unbestimmte Zeit hin.
Zweifel an einer fairen Untersuchung
Wikrams Anwalt Nurbek Toktakunow fürchtet, dass Kasachstan keine faire Untersuchung der Folter durchführen könnte: „Wenn es den Wunsch gäbe, die Tatsachen über die Existenz von Folter aufzudecken, dann wären schon vor langer Zeit Signale gesendet worden, dass Identifizierungen und andere Maßnahmen durchgeführt werden sollen. Man muss den heißen Spuren folgen. Wenn beide Seiten keinen großen Impuls haben, für Gerechtigkeit zu sorgen, wird die Bürokratie zum Stolperstein.“
„Leider hat weder die kasachstanische noch die kirgisische Seite eine klar zum Ausdruck gebrachte Absicht, die Gerechtigkeit wiederherzustellen. Unsere und die kasachstanischen Strafverfolgungsbehörden beschäftigen sich mit formellen Absicherungen und der Deckung ihrer eigenen Leute“, fügt er hinzu.
„Sag, dass dich Soldaten verprügelt haben“
Als Wikram begann, nach dem Verlassen des Krankenhauses seine Geschichte in den sozialen Medien zu veröffentlichen, mobilisierte sich die Propagandamaschine in Kasachstan. Es tauchten Fake News auf, wonach Rusachunow bereits mit Verletzungen ins Untersuchungsgefängnis gebracht worden sei. Laut Wikram wollten die Strafverfolgungsbehörden schon während seiner Inhaftierung die Schuld auf das Militär schieben.
Bevor Rusachunows Fall an die Öffentlichkeit gelangte, förderten Beamte eine Erzählung über „ausländische Kämpfer, überwiegend aus zentralasiatischen Ländern“, die angeblich zur Durchführung der Pogrome eingesetzt wurden. Nachdem Wikram von Verwandten, Fans und Landsleuten identifiziert wurde, änderte sich der Diskurs zu einer vagen Formulierung von „bewaffneter Aggression durch den internationalen Terrorismus“.
Die Situation mit der Folter
Im Gegensatz zu Kasachstan wurde in Kirgistan seit der Präsidentschaft von Rosa Otunbajewa die Existenz von Folter auf offizieller Ebene anerkannt. 2011 bezeichnete sie vor den Sicherheitskräften die Folter im Land als „Teil der Kultur“. Seit zehn Jahren ist das Nationale Zentrum zur Verhütung von Folter in Kirgistan erfolgreich mit der Durchführung von Strafverfahren und Verhaftungen aufgrund von Folter tätig.
Wikram Rusuchunow spricht mit unverhohlener Freude über die Vorreiterrolle Kirgistans in Bezug auf die Zahl der erfüllten Ansprüche wegen Folter. Das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) erklärte jedoch, dass es „nach wie vor zutiefst besorgt über die Vorwürfe der Folter und Misshandlung von Menschen ist, denen während der Haft in Kirgistan durch Strafverfolgungsbeamte die Freiheit entzogen wurde“.
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„Mit universellen Menschenrechtsinstrumenten ist es möglich, Fragen der Legalität in anderen Ländern aufzuwerfen“, sagt Anwalt Toktakunow, auch wenn im Moment das politische Establishment und der Ombudsmann Kirgistans keinen Antrieb haben, dieses Thema voranzutreiben. Wikrams Prozess hat einen bürokratischen Höhepunkt erreicht.
Die Strafverfolgungsbehörden von Kasachstan und Kirgistan haben bereits in der Vergangenheit im Rahmen der Abkommen von Chişinău und Minsk zusammengearbeitet. Der Fall von Rusachunow ist jedoch der erste und im Moment einzige und er verursacht daher zusätzliche Schwierigkeiten aufgrund der Unerfahrenheit und des geringen Bewusstseins der lokalen Behörden auf beiden Seiten.
„Es ist wichtig, auf die Folter im Januar aufmerksam zu machen und Gerechtigkeit zu erreichen, damit die Bürger Kirgistans in Zukunft mit Vorsicht behandelt werden. Es muss sich an die Gesetze gehalten werden und die Inhaftierten müssen in Kontakt mit der Botschaft gebracht werden. Wir freuen uns auf eine effiziente und faire Untersuchung. Unsere Aufgabe ist es, alle Möglichkeiten des Gesetzes auszuschöpfen und die Täter vor Gericht zu bringen“, erklärt Toktakunow.
In naher Zukunft wird Wikram nach Almaty reisen müssen, um an den Ermittlungen mitzuwirken. In Kasachstan stellt sich die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit der kirgisischen Untersuchung und ersten Daten zur Krankengeschichte. Eventuell sind erneute Untersuchungen erforderlich. „Im Winter überlebte ich auf wundersame Weise. Die Ärzte sagten, dass zwei weitere Schläge tödliche Blutungen im Herzen verursacht hätten“, sagt Rusachunow.
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Ursprünglich hatte Wikram nicht vor, öffentlich über die Folter zu sprechen, aber dann wurde ihm klar: „Wenn ich nicht über die Folter spreche, wird das Unrecht spurlos vorübergehen.“ Als er anfing, über seinen Fall zu sprechen, wandten sich andere Landsleute sowie Bürger Usbekistans und Tadschikistans, die die Schrecken der Folter im Januar überlebt hatten, hilfesuchend an ihn. Vor kurzem trat Rusachunow dem Rat der Menschenrechtsbewegung Bir Duino-Kirgyzstan bei, und erhielt den Status eines Menschenrechtsaktivisten. Vikram hofft aufrichtig, dass die Gerechtigkeit siegen wird und seine Erfahrung für andere nützlich sein kann.
Masa.media
Aus dem Russischen von Robin Roth
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