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Russlands Druck auf zentralasiatische Medien nimmt zu

ENTSCHLÜSSELUNG. Die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine wird in Zentralasien erschwert. Während staatliche Medien sich in Selbstzensur üben, wird Zentralasiens unabhängige Presse vom Kreml und seiner restriktiven Regierungsbehörde Roskomnadzor auf die Probe gestellt. Welche mediale und digitale Souveränität haben die Länder der Region? Eine Analyse.

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ENTSCHLÜSSELUNG. Die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine wird in Zentralasien erschwert. Während staatliche Medien sich in Selbstzensur üben, wird Zentralasiens unabhängige Presse vom Kreml und seiner restriktiven Regierungsbehörde Roskomnadzor auf die Probe gestellt. Welche mediale und digitale Souveränität haben die Länder der Region? Eine Analyse.

Es ist eine Wende, die viel über die Freiheit des kasachstanischen Fernsehlandschaft aussagt. Beeline, der Hauptbetreiber in Kasachstan, hatte angekündigt, die Ausstrahlung bestimmter russischer Kanäle einzustellen, darunter die kremlnahen Propagandamaschinen Perwyj Kanal und NTV. Doch wie das kasachstanische Nachrichtenportal Vlast unter Berufung auf das russische Ministerium für digitale Entwicklung berichtete, revidierte das Unternehmen seine Entscheidung am 3. Oktober.

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„In Astana wird die Einstellung der Ausstrahlung russischer Fernsehsender heiß diskutiert, und die Mehrheit ist dafür. Aber Tatsache ist, dass sich nichts ändert“, erklärt der kasachstanische Politologe Dimash Aljanov gegenüber Novastan. Trotz zivilgesellschaftlichen Drucks bleibt das kasachstanische Fernsehen daher unter einem russischen Einfluss, der sich auch in den Printmedien wiederfindet.

Tatsächlich hat Moskau über seine Regierungsbehörde Roskomnadzor bestimmte unabhängige zentralasiatische Medien-Websites blockiert, wie eine Untersuchung von MediaZona enthüllt. Die staatliche Zensurbehörde schickte Warnschreiben an russischsprachige Nachrichtendienste aus Kasachstan und Kirgistan und forderte diese auf, verschiedene Artikel über den Krieg in der Ukraine zurückzuziehen. Dies betraf unter anderem Kloop in Kirgistan sowie Katel und NewTimes in Kasachstan.

Der Krieg in der Ukraine wird zensiert

Wie die Direktorin von Kloop gegenüber MediaZona betonte, blockiert Roskomnadzor Websites, die für Russlands Invasion in der Ukraine das Wort „Krieg“ statt „Spezialoperation“ verwenden. Obwohl die Sperrungen auf russisches Gebiet beschränkt sind und somit die zentralasiatischen Medien nicht im Inland betreffen, besteht Dimash Aljanov darauf, dass diese „Warnungen“ erfolgen, um „bestimmte Sanktionen gegen sie zu verhängen“ und sie zum Schweigen zu bringen.

Die Direktorin der kasachstanischen öffentlichen Stiftung Legal Media Center, Diana Okremova, erklärte gegenüber MediaZona, dass „solche Aktionen von Roskomnadzor als Element der Informationskriegsführung bezeichnet werden können“.

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Aber der Druck auf zentralasiatische Seiten geht nicht nur auf den Beginn des Krieges in der Ukraine zurück. Laut MediaZona weitet Roskomnadzor seine Kontrolle über die zentralasiatischen Medien seit mehreren Jahren aus und zwingt einige dazu, Inhalte zu löschen, in denen etwa Einzelheiten zu Selbstmorden erwähnt werden, was nach russischem Recht verboten ist. So war es 2017 bei der Seite von Rika TV aus Kasachstan oder 2019 beim tadschikischen Nachrichtenportal Asia-Plus.

Russischer „Informationsraum“

Zentralasien und seine Medien ‚erfordern‘ daher seit einiger Zeit die volle Aufmerksamkeit Russlands. „Sie beeinflussen uns seit zehn Jahren. Russland versucht, zentralasiatische Länder in seinen Informationsraum zu locken. Sie nutzt Fernsehkanäle, um ihre Propaganda zu verbreiten“, erklärt Dimash Aljanov.

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In Kasachstan werden weiterhin einige russische Sender ausgestrahlt, da beide Länder ein zwischenstaatliches Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Verbreitung von Masseninformationen geschlossen haben. Russland verfolge die Idee, Information – sogar Desinformation – und Unterhaltung zu mischen. „Diese Programme verwenden Kasachstaner in ihren Programmen, um sie „weniger russisch“ zu machen und dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft zunehmend Inhalte aus Moskau sieht“, analysiert der Politologe.

Konsum russischer Inhalte

In einem Interview mit Vlast erklärt der Politikwissenschaftler Shalqar Nurseıitov, dass das eigentliche Problem in Zentralasien der einfache Zugang zu russischen Medien sei. „Die meisten Bürger haben Zugang zu Medien, die die Agenda des Kremls verbreiten. Und diejenigen, denen es an kritischem Denken mangelt, glauben der Propaganda“, meint Nurseıitov.

Die internationale Organisation Internews hat 2019 und 2021 in Kasachstan, Tadschikistan und Usbekistan eine Studie zum Medienkonsumverhalten der jeweiligen Bevölkerung durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten, dass 30 Prozent der Befragten in Kasachstan ihre Nachrichten aus dem Fernsehen beziehen, während der Anteil in Tadschikistan und Usbekistan höher ist.

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In Kasachstan sieht die überwiegende Mehrheit der Zuschauer:innen russischsprachige Sender und nur 11 Prozent der Befragten kasachischsprachiges Fernsehen. Mehr als die Hälfte der Befragten lesen Zeitungen, Zeitschriften und Internetseiten auf Russisch, etwas mehr als 8 Prozent auf Kasachisch.

Druck von innen

„Wenn die Ausstrahlung russischer Kanäle eingeschränkt wird, bedeutet dies nicht, dass das Problem der Meinungsfreiheit in Kasachstan gelöst wird“, meint Dimash Aljanov. „Das Problem der Manipulation von Informationen durch die [Staats-]Macht bleibt bestehen, und daher kann die Meinungsfreiheit nur durch ein ausgewogenes politisches System garantiert werden.“

Im April 2022 veröffentlichte die NGO Reporter ohne Grenzen (RSF) einen Bericht, der den vielfältigen Druck aufzeigt, dem Online-Medien in Zentralasien seit Beginn des Ukraine-Krieges durch nationale Behörden ausgesetzt waren. Tatsächlich vermeiden in den zentralasiatischen Republiken seit Februar staatliche Sender und Nachrichtenseiten die Wörter „Krieg“ und „Invasion“ oder sie sprechen erst gar nicht darüber, wie es in Tadschikistan der Fall ist.

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Zu Beginn der Invasion in der Ukraine sei dies laut Dimash Aljanov auch in Kasachstan passiert, als die staatlichen Medien es sorgfältig vermieden, das Thema anzusprechen. Dies entspricht der Zeit, als Präsident Qasym-Jomart Toqaev nicht wusste, wie er sich positionieren sollte und ob er Wladimir Putin unterstützt oder nicht. RSF weist auch darauf hin, dass die Länder Zentralasiens in Bezug auf die Pressefreiheit nicht gut eingestuft werden. Kirgistan belegt im World Press Freedom Index 2021 den 79. Platz von 180 Ländern, Kasachstan liegt auf Platz 155. Usbekistan nimmt den 157. Platz ein, vor Tadschikistan auf Platz 162 und Turkmenistan auf Platz 178.

Abhängig von russischen Netzen

Auch die Medienlandschaft in den Ländern Zentralasiens erklärt sich aus einer strukturellen Abhängigkeit von Russland. In Kasachstan beispielsweise laufen „mindestens 95 Prozent des Internetverkehrs über Russland“, erklärt Talģat Nurlybaev gegenüber der kasachstanischen Nachrichtenseite 365 Info. Laut Grégory Joubert, ehemaliger Student am Französischen Institut für Geopolitik und Spezialist für den kasachstanischen Cyberspace, liegt es vor allem an den Daten, dass Russland die Kontrolle über Zentralasien übernommen hat, und zwar durch die „russische GAFAM, nämlich Mail.ru, Vkontakte und Yandex.

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Telekommunikation in Zentralasien bleibt daher nach wie vor ein wichtiger Einflussfaktor für Moskau und Teil seiner Informationsstrategie. „Russland kann theoretisch in den zentralasiatischen Informationsraum eingreifen, indem es den Zugang zu bestimmten Ressourcen beschränkt, da Telekommunikationsbetreiber in Russland gesetzlich verpflichtet sind, auf ihre Anfragen zu reagieren. […]  Wenn Russland den Ehrgeiz hätte, beispielsweise Kasachstan anzugreifen, wäre die Internetstruktur wichtig“, schließt Joubert.

Emma Collet, Redakteurin für Novastan

Aus dem Französischen von Robin Roth

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