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Der Metal-Boom in Bischkek: ein kirgisischer Musikpionier im Porträt

Kirgistans Hauptstadt Bischkek ist die Heimat einer kleinen, aber lebendigen Metal-Szene. In der immer noch weitgehend traditionellen kirgisischen Gesellschaft haben lokale Metal-Künstler:innen oft Schwierigkeiten, ein Publikum zu finden, ihre Musik zu produzieren und die Aufmerksamkeit der Medien zu erlangen. Einige führende Persönlichkeiten der Metal-Szene von Bischkek versuchen jedoch aktiv, das Genre im In- und Ausland bekannt zu machen.

Alexander Degtjarjow ist Frontmann von Devouring Genocide, einer Death Metal Band aus Bischkek (Photo bereitgestellt vom ROCK DA BONE Festival)

Kirgistans Hauptstadt Bischkek ist die Heimat einer kleinen, aber lebendigen Metal-Szene. In der immer noch weitgehend traditionellen kirgisischen Gesellschaft haben lokale Metal-Künstler:innen oft Schwierigkeiten, ein Publikum zu finden, ihre Musik zu produzieren und die Aufmerksamkeit der Medien zu erlangen. Einige führende Persönlichkeiten der Metal-Szene von Bischkek versuchen jedoch aktiv, das Genre im In- und Ausland bekannt zu machen.

Einer dieser Menschen ist Alexander Degtjarjow (32). Er war in zahlreichen Projekten aktiv, produzierte mehrere Alben mit verschiedenen Bands und tritt regelmäßig in Bischkek und anderen Orten in Zentralasien auf. Sein Geburtstagsfestival im November 2023 lockte über 100 Menschen an, die sich in Bischkeks Lieblingstreffpunkt für Metalheads versammelten: „Bar56“. Novastan sprach mit dem Metal-Pionier über sein Leben, seine Karriere und die Rolle von Metal-Musik in den zentralasiatischen Gesellschaften.

Von Blur zu Metal

„Mit 14 habe ich zum ersten Mal Musik gemacht. Ich bin in Tokmok aufgewachsen. Damals war das ein harter Ort. Es gab viele soziale Probleme, die oft mit Drogen zu tun hatten. Als ich zur Schule ging, begann ich, in einer Punkband zu spielen. Später machte mich ein Freund mit einem Lied von Blur bekannt, was mir gut gefallen hat. In einem kirgisischen Online-Forum habe ich herausgefunden, dass viele Leute Mainstream-Bands wie Metallica, AC/DC, Black Sabbath und Slayer mögen. Auch diese Bands gefielen mir sehr gut, aber ich hatte immer noch das Gefühl, dass da etwas fehlte, also habe ich weitergesucht.

Nach und nach entdeckte ich andere Musikrichtungen wie Metalcore, Grindcore, Hardcore und Melodic Death Metal. Wenn ich diese Musik meinen Freunden vorspielte, schreckten sie oft zurück und sagten, dass es zu viel für sie sei. Aber ich habe es geliebt. Je lauter es war und je mehr es die Leute provozierte, desto mehr gefiel es mir. Ich mochte die Wut.

Als ich 16 war, bat mich ein Freund, in einer anderen Band zu spielen, aber ich fühlte mich zu alt dafür, weil ich dachte, Musik machen sei etwas, was nur die jüngeren Kids machen. Schließlich überredete er mich, einmal nach der Schule zu spielen. Danach kam ich immer wieder zurück und begann regelmäßig aufzutreten.

Von Band zu Band

Früher gab es in Kirgistan nur sehr wenige Metal-Bands. Und diejenigen, die auftraten, spielten nur Coverversionen. Kurz nach meinen ersten Auftritten gründete ich eine Band namens Almagest. Mit Almagest durfte ich mein erstes großes Konzert geben. Es war ein Open-Air-Konzert für rund 500 Personen. Ich liebte die Emotionen und die Energie des Publikums, wie es sich während des Konzerts in einen einzigen Organismus verwandelte. Mit Almagest spielten wir auch in einigen lokalen Rockbars. Leider haben wir vor der Auflösung der Band nicht mehr als eine Single produziert.

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Um 2014 herum habe ich mich besonders für New York Hardcore interessiert. Aber es gab niemanden, der das gespielt hat. Ich fand heraus, dass Angebot Nachfrage schafft: Wenn man anfängt, etwas zu spielen, kommen die Leute und hören es sich an. Einige werden es nicht mögen, aber andere tun es und bleiben. Deshalb habe ich begonnen, selbst mehr in diesem Genre zu spielen und eine zweite Band gegründet: Art of Gore. Mit Art of Gore sind wir durch Kasachstan getourt, aber leider bekam unser Schlagzeuger juristische Probleme und wir mussten das Projekt stoppen.

2016 startete ich ein neues Projekt: Shahid. Und kurz darauf folgte eine weitere Band namens Devouring Genocide. Dazwischen hatte ich noch viele andere Bands. Ich habe jeden Tag gespielt. Es kursiert sogar ein Meme darüber, dass ich ständig neue Bands gründe.

Clash of cultures

Generell ist es schwierig, in Kirgistan Metal zu machen; oft denken die Leute sogar, man sei Satanist. Wenn man sich in Kirgistan für Metal interessiert, muss man entweder stark sein oder sich verstecken. Es ist ein traditionelles Land und manchmal reagieren die Menschen schlecht auf diese Musik.

Auch wirtschaftlich war es schwierig. Damals hatten wir kein Geld für Equipment. Als ich meine erste Gitarre bekam, habe ich ein halbes Jahr lang nur Nudeln gegessen, um sie zu bezahlen. Wir bekamen unsere Trommeln aus dem alten „Haus der Kultur“, dem Treffpunkt der Jugend aus der Sowjetzeit. Einem Freund von mir gelang es, einen Studiomonitor aufzutreiben, woraufhin wir mit den Aufnahmen beginnen konnten. Wir hatten nie ein richtiges Studio und ich glaube, dass es in Kirgistan immer noch keine professionellen Metal-Studios gibt.

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Wir spielen in unseren Garagen, Kellern oder wo immer wir können. Eine Steckdose, ein paar Lampen, Wände und ein Dach reichen dafür aus. Dennoch hält uns die Wirtschaft klein. Wenn Menschen wenig Geld zum Ausgeben haben, ist der Besuch von Konzerten nicht die erste Priorität. Zum Glück gibt es mehrere gute Veranstaltungsorte, an denen Underground-Metal-Bands proben, und es gab schon immer Leute, die versucht haben, Studios, Clubs und Konzerte für den Underground zu errichten. Wir verlassen uns auf diese Fanatiker, die die lokale Szene unterstützen.

Es geht aufwärts

Mittlerweile ist es besser geworden und die Leute haben mehr Geld. Früher hatten wir nur alte sowjetische und billige chinesische Instrumente, aber jetzt bekommen wir bessere Sachen in die Hände. Auch das Interesse in der Öffentlichkeit wächst. Metal verbreitet sich durch das Internet. Die Musik ist nicht mehr von der Nationalität abhängig, sondern hat sich globalisiert und kann einfach über TikTok gefunden werden. Es entsteht eine neue Generation von Musikern, da die Jungs, die uns als Teenager zugehört haben, begonnen haben, die Musik zu verstehen und sie auf ihre eigene Art zu interpretieren. Die Technologie hat es für uns auch billiger gemacht, Musik zu machen, da ein Teil der Produktion digitalisiert wurde.

In Kirgistan ist die Szene weniger auffällig als in Kasachstan, insbesondere in Almaty. Wir spielen oft dort. Die Bevölkerung ist größer und auch die Wirtschaft ist weiter entwickelt. Wenn wir Schwierigkeiten hatten, Geld für unser Equipment aufzutreiben, gelang es den Jungs in Kasachstan meist, etwas Besseres zu besorgen. Auch in Usbekistan wächst die Szene, seit sich das Land unter dem jetzigen Präsidenten öffnet. Früher war dort alles Underground, aber bald gibt es dort ein erstes großes Konzert mit einer Band von außerhalb, The 69 Eyes aus Finnland.

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In unserer kleinen Szene kennt sich jeder und man versucht sich gegenseitig zu helfen. Als wir anfingen, hatten wir niemanden, der uns half. Im Moment sind es drei von uns, die die Metal-Szene in Bischkek mehr oder weniger leiten. Arsenij Scherdew spielt bei KASHGAR, einer Ethno-Black-Metal-Band. Er organisiert die großen Konzerte und schafft es, Bands von außerhalb der Region zu gewinnen. Ein sehr wichtiger Moment für alle war, als Sepultura, eine brasilianische Heavy-Metal-Band, nach Bischkek kam. Wir konnten es kaum glauben. Michail Efimenko konzentriert sich auf die lokal etablierten Bands aus Kasachstan und Kirgistan. Er spielt in MY OWN SHIVA, einer Metalcore-Band.

Ich arbeite nur mit Leuten aus dem Underground. Für mich ist es die Emotion, die zählt. Wenn ein Schamane anfängt, eine Trommel zu schlagen und Metal machen möchte, werde ich ihm dabei helfen. Meine Lebensphilosophie besteht darin, Kreativität zu unterstützen. Egal ob man Qomuz spielt, Grindcore, Punk, Death Metal oder was auch immer – ich finde das alles super. Spiel einfach. Wenn ich helfen kann, dann helfe ich.

Musik verbindet

Durch meine Musik konnte ich eine Verbindung zu Menschen außerhalb des Landes, aus der ganzen Welt aufbauen. Das erste Album meiner Band Shahid, Откровение (Offenbarung), handelte von sozialen Problemen in Kirgistan: Kriminalität, Revolutionen, Straßengewalt, Hass, familiäre Probleme, Armut, Drogen und psychische Probleme. Es war postsowjetische Melancholie, post-Union Noir. Es ging um den Untergang. Wir haben in Kirgistan nicht viele Möglichkeiten und es gab viel Instabilität.

Mit diesem Album musste ich mich einfach zu Wort melden. Ich hatte nicht erwartet, dass das irgendjemand verstehen würde. Aber es stellte sich heraus, dass die Menschen im gesamten postsowjetischen Raum genauso denken und fühlen. Leute haben mir aus der Ukraine, aus Belarus, Kasachstan, Russland und Polen geschrieben. Ich habe sogar eine Nachricht von zwei Jungs aus Kanada bekommen. Obwohl meine Texte nur auf Russisch sind, sagten sie mir, dass sie wüssten, was ich meinte und wie ich mich fühlte. Dann habe ich verstanden, dass die Probleme mit der Globalisierung überall auf der Welt die gleichen sind. Und wenn du darüber singst, werden dich die Leute überall verstehen.

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Für uns ist Musik mehr als nur ein Hobby. Es ist eine Lebenseinstellung. Wir werden jetzt alle etwas älter und haben berufliche, familiäre, soziale und andere Probleme. Wir verdienen kein Geld, wenn wir spielen. Im Gegenteil: Wir zahlen oft für die Reisen und Auftritte. Aber das ist uns egal. Wir werden weiterhin versuchen, den Locals zu helfen, die spielen möchten, indem wir ihnen Gitarren, Schlagzeug, Mikrofone – alles, was sie brauchen – leihen. Wir haben daran kein materielles Interesse, wir tun dies nur aus Leidenschaft und Idealismus. Und ich trete auch weiterhin auf. Bald werde ich sogar mit Death Before Dishonor (einer Hardcore-Band aus Boston, USA) in Almaty spielen. Wenn du mir das vor fünf Jahren gesagt hättest, hätte ich dir nicht geglaubt.“

Douwe van der Meer für Novastan

Aus dem Englischen von Robin Roth

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