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30 Jahre Menschenrechtsschutz: Wendepunkte in Zentralasien

Vom 28. bis 29. August fand in Almaty die Konferenz „Turning Points in Eurasia“ (Wendepunkte in Eurasien) statt. Mehr als 200 Expertinnen und Experten aus Zentralasien, der Europäischen Union und den USA trafen sich vor Ort und per Videoschaltung, um vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine über die aktuelle geopolitische, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Lage und Perspektiven in Zentralasien zu diskutieren. Nach Angaben der Veranstalter handelte es sich um eine der größten von Nichtregierungsorganisationen veranstalteten Regionalkonferenzen seit Jahrzehnten.

Konferenz Almaty Turning Points Eurasia
Am 28. und 29. August war die Konferenz "Turning Points in Eurasia" in Almaty den Fragen der Menschenrechte in Zentralasien gewidmet. Foto: KIBHR

Vom 28. bis 29. August fand in Almaty die Konferenz „Turning Points in Eurasia“ (Wendepunkte in Eurasien) statt. Mehr als 200 Expertinnen und Experten aus Zentralasien, der Europäischen Union und den USA trafen sich vor Ort und per Videoschaltung, um vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine über die aktuelle geopolitische, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Lage und Perspektiven in Zentralasien zu diskutieren. Nach Angaben der Veranstalter handelte es sich um eine der größten von Nichtregierungsorganisationen veranstalteten Regionalkonferenzen seit Jahrzehnten.

Die Konferenz hatte einen dreifachen Anlass. Zunächst markierte sie das 30-jährige Bestehen des Kasachstanischen Internationalen Büros für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit (KIBHR), der ältesten Menschenrechtsorganisation in Kasachstan, deren Berichte eine der wichtigsten Informationsquellen für die lokale und internationale Öffentlichkeit über die Einhaltung der politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten in Kasachstan darstellen. Hinzu kommen der 75. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und der 25. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechtsverteidiger. 

Dementsprechend lag ein besonderer Schwerpunkt fast aller Beiträge auf dem Thema Menschenrechte in Zentralasien. Veranstalter der Konferenz waren das KIBHR, die kasachstanische Öffentliche Stiftung Kadyr-Kassiet („Würde“), die kirgistanische Menschenrechtsbewegung Bir Düinö („Eine Welt“) sowie Austausch e.V.. Die Konferenz wurde von der Civic Solidarity Platform mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes initiiert.

Die EU wendet sich nicht von Zentralasien ab

Einer der Mitbegründer und Vorsitzender des KIBHR, Evgeni Jovtis, betonte, dass Kasachstan und Zentralasien in den letzten 30 Jahren immer noch als schwarzes Loch zwischen China und Russland, zwei großen Autokratien mit eigenen geopolitischen Ambitionen, und dem instabilen islamischen Süden wahrgenommen würden.

Die Welt befindet sich in einem tektonischen geopolitischen Wandel, der sich leider noch nicht in den Strategien und Politiken gegenüber der zentralasiatischen Region niedergeschlagen hat“, sagte Jovtis. Er verwies auf die EU-Zentralasien-Strategie 2019, die „natürlich überarbeitet werden muss, vor allem wegen des anhaltenden Krieges, der die Länder [Zentralasiens] mit Flüchtlingen, dem Zusammenbruch der wirtschaftlichen Beziehungen und der Verkehrsverbindungen betrifft“.

Die anwesenden Vertreter der Europäischen Union und der deutschen Bundesregierung bekräftigten die Bedeutung der zentralasiatischen Region für ihre Außenpolitik und ihre Bereitschaft, sich den Herausforderungen gemeinsam mit den Ländern der Region zu stellen. 

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Auch wenn die Europäische Union viel in die Unterstützung der Ukraine investiert, haben wir uns weder von Afghanistan abgewandt noch unsere Zusammenarbeit mit Zentralasien reduziert. Im Gegenteil, wir sind dabei, eine langfristige Partnerschaft mit Zentralasien aufzubauen,” so die Sonderbeauftragte der Europäischen Union für Zentralasien Terhi Hakala. „Die EU bietet die Möglichkeit, eine widerstandsfähige Region aufzubauen, die in der Lage ist, zu kooperieren und ihren Weg in dieser turbulenten Welt zu finden. Die Länder Zentralasiens haben erkannt, dass sie ihre außenpolitischen Optionen diversifizieren müssen, und das zu Recht. Die EU setzt sich für diese Partnerschaft ein und wir sind sehr zuversichtlich, dass sich die Beziehungen vertiefen und stärken werden“.

Der Bundestagsabgeordnete und Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit dem Südkaukasus, der Republik Moldau und Zentralasien, Robin Wagener, betont die führende Rolle Deutschlands bei der Erarbeitung der EU-Zentralasien-Strategie in den Jahren 2007 und 2019.

Robin Wagener
Robin Wagener, Koordinator der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit dem Südkaukasus, der Republik Moldau und Zentralasien (Foto: KIBHR)

Unsere Zusammenarbeit mit Zentralasien geht weit über Politik und Wirtschaft hinaus. Wir suchen den Dialog mit der Zivilgesellschaft ebenso wie mit der politischen Führung,“ so Wagener. Die Bundesregierung fördere zahlreiche Menschenrechtsprojekte und Nichtregierungsorganisationen in Bereichen wie der Pressefreiheit, der Bekämpfung der Klimakrise und Frauenrechten. „Es stimmt, dass wir engere politische Beziehungen und ein stärkeres gegenseitiges wirtschaftliches Engagement anstreben. All diese Engagements wären allerdings wertlos, wenn sie nicht mit einer Verbesserung der Menschenrechtslage und der Stärkung der Zivilgesellschaft einhergehen würden.“

Wenig Optimismus im Menschenrechtsschutz

Mehr als 60 Vertreterinnen und Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, der Zivilgesellschaft und aus der Wissenschaft diskutierten zwei Tage lang in acht Panels über innenpolitische Entwicklungen, Rechte von Frauen, Migrantinnen und Migranten, LGBTQ+ und ethnischen Minderheiten, Pressefreiheit und die Auswirkungen des Klimawandels auf Zentralasien. 

Die meisten Rednerinnen und Redner waren sich einig, dass die fünf zentralasiatischen Länder zwar internationale Menschenrechtserklärungen, Antidiskriminierungs- oder Klimaschutzabkommen beigetreten sind, aber nicht die Absicht haben, die Anforderungen dieser Verträge zu erfüllen. Jüngste Ereignisse in der Region wie Qandy Qantar (der “Blutige Januar” 2022) in Kasachstan, die Proteste in Karakalpakstan, die Verfolgung der Pamiri in Tadschikistan, das Abschmelzen der Gletscher in Kirgistan oder der sinkende Wasserspiegel des Kaspischen Meeres und die anhaltende Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in allen Ländern der Region belegen dies.

Jovtis beschrieb die Grundrechte und -freiheiten in der Region als „Geiseln“ des politischen Kontextes im In- und Ausland. „Unabhängige Gewerkschaften, unabhängige Medien, Journalisten und Blogger, Menschenrechtsorganisationen und Bürgerrechtler werden von den Behörden entweder als Feinde im Allgemeinen oder als potenziell verdächtige Elemente betrachtet, die einer besonderen Kontrolle durch die nationalen Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden oder die Staatsanwaltschaft bedürfen“, so der KIBHR-Vorsitzende.

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Dem stimmte der Politikwissenschaftler Dimash Áljanov zu. Die Entwicklung zivilgesellschaftlicher Organisationen könne nicht losgelöst vom autokratischen Kontext Zentralasiens betrachtet werden. „In allen Ländern wurde die politische Opposition zerschlagen. Nach der Unterdrückung der politischen Opposition gerieten die zivilgesellschaftlichen Organisationen unter Beschuss. Verschiedene Gesetzesinitiativen wurden ergriffen, um den Einfluss dieser Organisationen auf die Fähigkeit der Gesellschaft, politische Veränderungen einzufordern, zu minimieren. Die Unterstützung der Zivilgesellschaft muss mit dem Schutz des politischen Raums einhergehen“, so Áljanov. 

Bhavna Davé, assoziierte Professorin für Politik in Zentralasien an der Universität London, sieht das ähnlich. Zunächst müsse die politische Passivität überwunden und eine aktive politische Gesellschaft entwickelt werden, damit die Zivilgesellschaft richtig funktionieren könne. Nachhaltige Entwicklung sei ohne Sicherheit für alle Menschen nicht möglich, sagte Khalida Azhigulova, internationale UN-Beraterin für den Schutz vor sexueller Ausbeutung und Missbrauch.

Evgeni Jovtis
Evgeni Jovtis, Direktor des KIBHR und langjähriger Menschenrechtsaktivist in Kasachstan (Foto: KIBHR)

Frauen seien in der Strafverfolgung, der Justiz und den Streitkräften unterrepräsentiert, und diejenigen, die dort arbeiten, seien immer noch der Gefahr von Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt, so Azhigulova. Die Rednerinnen und Redner stellten ihre Lösungsansätze für diese Probleme vor, wobei einige Maßnahmen unter den gegebenen Umständen eher unrealistisch erscheinen.

Zum Abschluss der Konferenz erinnerte Jovtis daran, dass keine Konferenz alle Probleme lösen könne, sondern nur dazu dienen könne, Lösungen für Probleme zu artikulieren. Nach 30 Jahren Menschenrechtsarbeit bleibt er optimistisch: „Manchmal folgen auf Rückschläge Aufschwünge und es gibt immer Hoffnung auf positive Veränderungen in der Region Zentralasien. Leider korrelieren die Geschwindigkeit der Veränderungen und die Geschwindigkeit des eigenen Lebens nicht miteinander“, so der KIBHR-Vorsitzende.

Aizere Malaisarova
Aus Almaty für Novastan.org

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