Am 4. Dezember 2016 wurde Schawkat Mirsijojew unüberraschend zum usbekischen Präsidenten gewählt. Er wird nach Islom Karimow der zweite Präsident des bevölkerungsreichsten Landes in Zentralasien. Ein Porträt.
In Usbekistan ist es besonders schwer, zuverlässige Quellen zur Vergangenheit von Politikern zu finden. Islom Karimows Leben wurde immer durch eine kurze, glatte Biographie beschrieben. Dazu gab es immer viele Spekulationen hinsichtlich seiner Herkunft und seines Lebens vor der Zeit, in der zu einer Schlüsselfigur im sowjetischen Apparat Usbekistans wurde.
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Informationen über Schawkat Miromonowitsch Mirsijojew sind ähnlich rar, ein Zeichen der Kontinuität des politischen Stils. Seine offizielle Biographie ist erst vor kurzem, während der Wahlkampagne, erschienen. Ihre Objektivität ist allerdings zweifelhaft, da sie vor allem darauf abzielt, Mirsijojew als einen glaubhaften Nachfolger von Karimow zu präsentieren. Vergleicht man die verfügbaren Quellen, ist es dennoch möglich, zumindest ein Teilporträt des neuen Staatschefs zu zeichnen.
Eine umstrittene Herkunft
Schon der Geburtsort Mirsijojews ist umstritten. Die offizielle Biographie besagt, er sei am 24 Juli 1957 in der Region Dschisak als Sohn eines Arztes usbekischer Nationalität geboren. Die Bemerkung ist nicht unwesentlich, da in Usbekistan wie anderswo in Zentralasien „Nationalität“ und „Staatsbürgerschaft“ zwei verschiedene Konzepte sind. Das erste bezieht sich auf die ethnische Herkunft und das zweite auf die Zugehörigkeit zu einem Staat.
Das unabhängige tadschikische Medium Asia-Plus stellt eben die Nationalität des Präsidenten in Frage. Er sei auf dem Territorium der sozialistischen Sowjetrepublik Tadschikistan geboren, in einem Dorf namens Ahtan, heißt es in der Recherche eines Journalistischen von Asia Plus. Eine Angabe, die auch andere bestätigt haben. Die Einwohner von Ahtan geben an, dass die Familie Mirsijojew aus der Region stammt. In den 1920ern sei sie nach Usbekistan ausgewandert und eine Generation später zurückgezogen.
Eine solche Geschichte ist in Hinsicht auf die Geschichte der Region nicht unwahrscheinlich, da Tadschikistan und Usbekistan lange demselben Land, der Sowjetunion, angehörten. Die Frage nach der Nationalität des Präsidenten wäre damit aber nicht geklärt: Die Bevölkerung von Ahtan ist mehrheitlich usbekischer Herkunft, aber manche behaupten, dass der Präsident in Wahrheit tadschikischer Abstammung ist.
In jedem Fall lässt sich über den ethnischen Hintergrund des Präsidenten nur Spekulieren: Das Ferganatal, in dem Ahtan liegt, ist seit Jahrhunderten eine sehr heterogene Region und die Frage der Identität spielt erst seit den 1990ern eine konfliktreiche Rolle.
Vom Gouverneur zum Premierminister
Mirsijojew schließt 1981 sein Studium am Institut für Ingenieurswesen, Bewässerung und landeswirtschaftliche Mechanisierung in Taschkent ab. Im Anschluss arbeitet er als Forscher und Professor und schließlich Prorektor an diesem Institut. Seine politische Aktivität beginnt 1990 mit seiner Wahl zum Abgeordneten des Obersten Sowjet der Republik.
Am Anfang ist er nur an der Lokalpolitik beteiligt, als „Hokim“ (Gouverneur) eines Bezirks der Stadt Taschkent von 1992 bis 1996 und im Anschluss bis 2001 als Hokim, erst der Region Dschisak, dann der Region Samarkand. Gleichzeitig ist er ab 1995 Abgeordneter des Olij Maschilis, die untere Kammer des Usbekischen Parlaments.
Im Jahr 2003 nominiert ihn Islom Karimow als Premierminister Usbekistans und das Parlament erneuert ihm sein Vetrauen nach den Wahlen von 2005, 2010 und 2015. An diesem Posten war er unter anderem für die Baumwollernte zuständig: Dabei setzte er das seit dem Russischen Reich bestehende System der Produktionsquota auf regionaler Ebene fort.
Für die Baumwollernte werden jedes Jahr Millionen Bürger mobilisiert, was laut Menschenrechtsorganisationen einer Zwangsarbeit gleichkommt. In dem 2015-Landesbericht erklärte Human Rights Watch zum Beispiel, wie Hochschullehrer, Ärzte, Beamte und Privatangestellte unter der Drohung, ihre Arbeit zu verlieren, an der Ernte teilnehmen mussten.
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Daniil Kislow, Chefredakteur der sehr kritischen Presseagentur Fergana News, beschreibt Mirsijojews Charakter, wie den von Karimow, als streng und hart. Mirsijojews Gegner beschuldigen ihn außerdem, ein gewalttätiger Mann zu sein. Laut Zeugenangaben habe er als Gouverneur von Dschisak einen Bauern geschlagen, der sich über die mangelnden Ressourcen in der Region beklagte. Er habe auch mehrere Leiter von Kollektivwirtschaften mehrere Stunden auf einem gefrorenen See warten lassen, nachdem diese ihre Erntequota nicht erfüllt hatten. Diese Angaben sind wie die meisten mit Vorsicht zu betrachten, beschreiben aber die allgemeine Gewalt, mit der Politik in Usbekistan verbunden wird.
Schawkat Mirsijojew, ein Erbe der Karimow-Ära
Trotz seiner wichtigen Rolle im usbekischen Verwaltungsapparat blieb Mirsijojew unter Karimow eine sehr diskrete Figur. Karimow achtete darauf, dass ihn niemand in seinen Schatten stellen könnte. Mirsijojew hat sich immer gehütet, so den Ärger des Präsidenten auf sich zu ziehen. Laut einer von Wikileaks veröffentlichten US-Amerikanischen diplomatischen Depesche aus dem Jahr 2008 habe er sogar den Medien angewiesen, ihn nie im Fersehen zu zeigen, aus Sorge: „Karimow [könne] neidisch werden, wenn die Medien andere hochrangige Persönlichkeiten zeigen.“
Diese Diskretion erweitert sich auch auf Mirsijojews Familie, die zum allerersten Mal in seiner offiziellen Biographie Erwähnung fand. Der Präsident ist mit einer Ingenieurin namens Z.M. Choschimowa, zurzeit Hausfrau, verheiratet und er ist Vater von zwei Töchtern und einem Sohn. Das erste öffentliche Foto der Präsidentenfamilie wurde erst bei der Wahl am 4. Dezember aufgenommen.
Unmittelbar nach seiner Nominierung als Interimspräsident betonte Mirsijojew die Notwendigkeit, die Politik seines Vorgängers weiterzuführen: „Die Weiterführung des Erbes des Vaters unserer Nation ist unsere heilige Pflicht.“ Während der ganzen Wahlkampagne hat der Interimspräsident -wie übrigens auch die drei anderen Kandidaten – vor allem betont, dass das Land Stabilität und Kontinuität braucht.
Bei mehreren Angelegenheiten hat er dennoch schnell eine alternative Linie verfolgt. Zum Beispiel hat der Präsident eine Online-Platform eröffnet, bei der die Bürger ihre Probleme schildern können. Eine solche Annäherung an die Bevölkerung wäre unter Karimow undenkbar gewesen. Diese Platform wurde im Anschluss auf alle öffentlichen Verwaltungen und Ministerien erweitert.
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Ein Präsident unter Ankündigung
Während der kurzen Unklarheit in den Tagen rund um Karimows Einweisung ins Krankenhaus und anschließenden Tod gab es bereits viel Spekulation zu seiner Nachfolge. Der „Vater der Nation“ hatte aus Angst eines Machtverlustes keinen Erben benannt.
Die tatsächliche Nachfolge ist dafür sehr ruhig verlaufen. Der Präsident des Senats, der laut Verfassung im Falle eines Machtvakuums die Interimspräsidentschaft übernehmen soll, hat seinen Platz schnell Mirsijojew überlassen. Von dem Moment an hat dieser sich als der eindeutige Nachfolger Karimows durchgesetzt. In seiner Stellung als Interimspräsident konnte er sich in drei Monaten als richtigen Staatschef Präsentieren und in Sachen Öffentlichkeit einen riesigen Vorsprung auf die anderen Präsidentschaftskandidaten gewinnen.
Welche Aufgaben erwarten den neu-gewählten Präsidenten?
Vor allem in der Wirtschaft erwarten den neuen Präsidenten einige große Baustellen. Laut den Prognosen des Internationalen Währungsfonds soll das Bruttoinlandsprodukt 2016 nur um 6% wachsen, der niedrigste Wert seit zehn Jahren. Die Rezession in Russland hat Usbekistan über die Millionen Arbeitsmigranten, die dort arbeiten, hart getroffen, da die Wirtschaft des Landes sehr von den Rückzahlungen der Migranten abhängt.
Hinzu kommt eine starke Inflationsrate, die durch die Weigerung der Regierung, den Sum entsprechend zu devaluieren nur kaschiert wird. Über die Jahre hat das zu einer weiten Spanne zwischen offiziellem und inoffiziellem Währungskurs geführt: Offiziell bekommt man für einen Dollar im Moment circa 3400 usbekische Sum, auf dem Schwarzmarkt jedoch bis zu 7000, tendenz steigend.
Mirsijojew hat seine Wahlkampagne vor allem auf die Wirtschaft konzentriert. Auch seine offizielle Biographie hebt seine Arbeit an der Verbesserung der Produktionsstrukturen auf lokaler und nationaler Ebene in seinen Funktionen als Gouverneur und Premierminister hervor. Auch seine Wahlversprechen sind vor allem wirtschaftlicher Natur: Ende November kündigte der Präsident an, eine weitreichende Fiskalreform durchführen zu wollen. Diese zielt vor allem darauf ab, den Sum-Kurs freizugeben, um ihn an die weltweiten Kurse anzupassen und so dem doppelten Wechselkurs ein Ende zu setzen.
Was die internationalen Beziehungen betrifft wird Mirsijojew meist als pro-Russisch dargestellt, mehr als sein Vorgänger Karimow. Regionalexperten sehen allerdings keine wesentlichen Änderungen in den usbekisch-russischen Beziehungen vor. Für Arkadi Dubnov vom Moskauer Carnegie-Center wird sich die Beziehung zu Russland bestimmt stärken, „das bedeutet aber keinen Beitritt [Usbekistans] zur Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit oder zur Eurasischen Wirtschaftsunion„.
In der Beziehung zu den Nachbarländern hat Mirsijojew jedoch einen Annäherungswillen signalisiert. Vor allem in den Beziehungen mit Kirgistan und Tadschikistan, die seit Jahren wegen Grenzstreitigkeiten und dem Problem der Wasserverteilung auf einem Tiefpunkt stehen, gibt es Zeichen einer positiven Entwicklung. Die seit der Machtübernahme des ehemaligen Premierministers organisierten gegenseitigen Besucher offizieller Delegationen und Willenserklärungen könnten den Normalisierung darstellen. Dem stellen sich aber noch viele Hürden in den Weg.
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Ausblick in die Zukunft
Schawkat Mirsijojew wurde am 4. Dezember mit 88,61% der Stimmen zum Präsidenten der Republik Usbekistan gewählt. Dies setzt auch der Kommunikationsphase der Wahlkampagne ein Ende, in der Mirsijojew sein Bild als glaubhafter Nachfolger Islom Karimows gefestigt hat.
Nun bleibt es abzuwarten, welche Versprechen in den Reden Mirsijojews nur Wahlversprechen bleiben werden und inwiefern er die Grundlinien der Politik seines Vorgängers ändern wird. Auch die Langlebigkeit des politischen Systems, das sich ganz rund um die Persönlichkeit Karimows entwickelt hat und oft als verknöchert beschrieben wird, ist zu Beginn dieser neuen Ära in der Geschichte Usbekistans noch ungewiss.
Bertrand Gouarné, Vizechefredakteur der französischen Version von Novastan
Aus dem Französischen übersetzt von Florian Coppenrath