Startseite      Die TikTokerin Niso Mamedova über Feminismus und das Publikum in den sozialen Medien

Die TikTokerin Niso Mamedova über Feminismus und das Publikum in den sozialen Medien

Die TikTokerin Niso Mamedova studiert am Taschkenter Standort des Moskauer Staatlichen Instituts für Internationale Beziehungen (kurz MGIMO) an der Fakultät für Wirtschaftsinformatik. Mamedova, deren Account 80.000 Menschen folgen, bezeichnet sich selbst als liberale Feministin. In den sozialen Medien positioniert sie sich klar gegen jede Form von Diskriminierung und macht außerdem auf Missstände in Usbekistan aufmerksam. Das folgende Porträt erschien im russischsprachigen Original bei Sarpa, wir übersetzen es mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. Es begann mit 2000-3000 FollowerInnen auf Instagram, wo ich zu Themen wie Feminismus, Body Positivity und Selbstakzeptanz Inhalte postete. Bei TikTok habe ich mich Ende 2018 angemeldet, damals hieß es noch Musicly. Ich habe die App eigentlich heruntergeladen, um Musikvideos zu bearbeiten. Dann wurde Musicly zu TikTok und ich fand das neue Format irgendwie ziemlich lustig. 2019 habe ich begonnen, selbst Videos zu veröffentlichen. Zu dieser Zeit wurde TikTok gerade bekannter in Usbekistan. Im Unterschied zu anderen sozialen Medien ist es hier nicht so wichtig, wie lange man schon aktiv ist – man kann sofort anfangen, schnell aufsteigen und bekannt werden. Lest auch auf Novastan: Amalia Aibusheva im Porträt: Beats, Design und Feminismus Unterhaltsame Inhalte wie Tänze oder kurze Sketche habe ich schon immer gerne aufgenommen. Ich begann, eigene Videos auf TikTok hochzuladen, für deren Veröffentlichung ich auf Instagram immer zu schüchtern war. Mir gefällt es, wenn mir die ZuschauerInnen ihre Aufmerksamkeit schenken. Mit meinem unterhaltsamen und lustigen Content ist meine Bekanntheit gewachsen.Doch dann habe ich gemerkt, dass ich meine eigenen Wertevorstellungen habe und über ernste Themen sprechen möchte, wie zum Beispiel Feminismus. Die Reaktionen meiner FollowerInnen machten mir klar, dass das eindeutig kein Format für unser Land ist. Sie verstanden meine Themen nicht. TikTok ist im Vergleich mit Instagram das freundlichere Netzwerk. Hier ist das Publikum jünger und toleranter. Außerdem ist die Community cool, es gibt viele FeministInnen und generell AktivistInnen verschiedener Bewegungen. So ist es auf TikTok wesentlich einfacher, Gleichgesinnte zu finden, wohingegen man auf Instagram für Beiträge zu diesen Themen sehr viel Hass erntet.

Bild_Mamedova
Bild_Mamedova

Die TikTokerin Niso Mamedova studiert am Taschkenter Standort des Moskauer Staatlichen Instituts für Internationale Beziehungen (kurz MGIMO) an der Fakultät für Wirtschaftsinformatik. Mamedova, deren Account 80.000 Menschen folgen, bezeichnet sich selbst als liberale Feministin. In den sozialen Medien positioniert sie sich klar gegen jede Form von Diskriminierung und macht außerdem auf Missstände in Usbekistan aufmerksam. Das folgende Porträt erschien im russischsprachigen Original bei Sarpa, wir übersetzen es mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. Es begann mit 2000-3000 FollowerInnen auf Instagram, wo ich zu Themen wie Feminismus, Body Positivity und Selbstakzeptanz Inhalte postete. Bei TikTok habe ich mich Ende 2018 angemeldet, damals hieß es noch Musicly. Ich habe die App eigentlich heruntergeladen, um Musikvideos zu bearbeiten. Dann wurde Musicly zu TikTok und ich fand das neue Format irgendwie ziemlich lustig. 2019 habe ich begonnen, selbst Videos zu veröffentlichen. Zu dieser Zeit wurde TikTok gerade bekannter in Usbekistan. Im Unterschied zu anderen sozialen Medien ist es hier nicht so wichtig, wie lange man schon aktiv ist – man kann sofort anfangen, schnell aufsteigen und bekannt werden. Lest auch auf Novastan: Amalia Aibusheva im Porträt: Beats, Design und Feminismus Unterhaltsame Inhalte wie Tänze oder kurze Sketche habe ich schon immer gerne aufgenommen. Ich begann, eigene Videos auf TikTok hochzuladen, für deren Veröffentlichung ich auf Instagram immer zu schüchtern war. Mir gefällt es, wenn mir die ZuschauerInnen ihre Aufmerksamkeit schenken. Mit meinem unterhaltsamen und lustigen Content ist meine Bekanntheit gewachsen.Doch dann habe ich gemerkt, dass ich meine eigenen Wertevorstellungen habe und über ernste Themen sprechen möchte, wie zum Beispiel Feminismus. Die Reaktionen meiner FollowerInnen machten mir klar, dass das eindeutig kein Format für unser Land ist. Sie verstanden meine Themen nicht. TikTok ist im Vergleich mit Instagram das freundlichere Netzwerk. Hier ist das Publikum jünger und toleranter. Außerdem ist die Community cool, es gibt viele FeministInnen und generell AktivistInnen verschiedener Bewegungen. So ist es auf TikTok wesentlich einfacher, Gleichgesinnte zu finden, wohingegen man auf Instagram für Beiträge zu diesen Themen sehr viel Hass erntet.

Drehorte in Taschkent

Das Gelände des Forumspalastes ist ein beliebter Drehort. Am Anfang war es eher ein Geheimtipp. Zu dieser Zeit war ich auch oft dort, später kamen immer mehr russisch- und usbekischsprachige BloggerInnen nach. Sie nehmen an unterschiedlichen Orten auf dem weitläufigen Areal Videos auf. Es gibt viel Platz und Licht, einen wunderschönen Springbrunnen, niemand stört uns, man kann gemeinsam auf der Bank sitzen. Nur wenn man auf dem Rasen sitzt, wird man rausgeworfen. Dabei kommen Aufnahmen mit grünem Rasen und Sonnenschein immer sehr gut auf TikTok an. Seht auch auf Novastan: Im Forumspalast Ansonsten gibt es in Taschkent nämlich keinen einzigen Ort, an dem man in Ruhe Videos aufnehmen kann, ohne gestört zu werden. Die Leute verstehen das bei uns wirklich nicht. Ich habe mal versucht, am Einkaufszentrum Videos zu machen, stellte mein Stativ auf und alle liefen mir durchs Bild. Es war, als würden sie nicht verstehen wollen, dass ich gerade filme.

Die Entwicklung von TikTok in Usbekistan

Als TikTok in Usbekistan populärer wurde, waren die Inhalte weder komplett „Straight“ noch komplett „Alt“, sondern irgendwas dazwischen. Die TikToks handelten von den Dingen, die uns hier beschäftigten, über die wir nachdachten. Wir haben Ideen nicht komplett ausgearbeitet und uns einfach etwas ausgedacht. Die meisten ließen sich damals eher von koreanischen als von amerikanischen TikTokerInnen inspirieren.

Novastan ist das einzige deutschsprachige Nachrichtenmagazin über Zentralasien. Wir arbeiten auf Vereinsgrundlage und Dank eurer Teilnahme. Wir sind unabhängig und wollen es bleiben, dafür brauchen wir euch! Durch jede noch so kleine Spende helft ihr uns, weiter ein realitätsnahes Bild von Zentralasien zu vermitteln.

Exkurs: Was sind Straight und Alt TikTok?

Straight TikTok bezeichnet Mainstreaminhalte, bei denen die NutzerInnen Standardvideos zu (Pop-) Musik aufnehmen. Alt TikTok (kurz für „Alternative TikTok“, Anm. d. Ü.) ist eine alternative Community, die sich durch einen nachdenklichen, ironischen Inhalt auszeichnet und oft mit schwarzem Humor spielt. Insbesondere im Alt TikTok finden sich VertreterInnen vieler Subkulturen. Mittlerweile gibt es viel mehr usbekische TikTokerInnen. Viele machen genau dasselbe wie alle anderen und die Qualität der Aufnahmen hat sich auch verschlechtert. Ich zum Beispiel habe erst etwas aufgenommen, als ich das neue iPhone hatte, auch wenn es damals nur das iPhone 7 war. Aber heute machen viele Leute Aufnahmen auf „Seifenschalen“ (Slang für qualitativ schlechte Kameratechnik, Anm. d. Ü.), es macht keinen Spaß, das anzuschauen. Ihre Videos sind schon total verpixelt und sie packen noch Filter und Effekte drauf. Ich sage immer, dass die Videos manchmal schon besser werden, wenn man die Filter entfernt. Wenn ein Video keinen tieferen Sinn hat, sollte man sich zumindest auf eine gute Qualität konzentrieren.

Gemischte Reaktionen aus dem Umfeld

In der Schule haben mich zuerst alle ausgelacht, obwohl ich eine hervorragende Schülerin war, sportlich und selbstbewusst bin. Als meine MitschülerInnen meinen TikTok-Account fanden, fingen sie an, sich darüber lustig zu machen. Sie selbst waren damals natürlich nicht auf TikTok. Die Schulverwaltung sprach sich auch gegen meine Aktivität auf TikTok aus und nahm mir das Telefon weg, als ich in den Pausen ein Video drehte. Bis heute verstehe ich nicht, warum TikTokerInnen so gehasst werden, dieselben Videos sind ja auch auf Instagram.

Ganz Zentralasien in deiner Mailbox Abonniert unseren wöchentlichen Newsletter

Entdeckt die neueste Ausgabe

Meine Eltern haben auch nicht wirklich verstanden, was ich da mache. Erst als Unternehmen wie Aviasales und Les Ailes anfingen mich zu kontaktieren – also als ich anfing, damit Geld zu verdienen -, haben sie es ernst genommen. Meine erste bezahlte Werbung war für Aviasales. Zuerst wusste ich gar nicht, wieviel ich berechnen soll. Ich bekam 50 US-Dollar (etwa 49 Euro, Anm. d. Ü.). Sie haben es meiner Mutter auf die Karte überwiesen und sie ist total ausgeflippt. In der Regel ist mein aktuelles Einkommen durch Werbung wechselhaft, alles hängt davon ab, wie viele Videos in einem Monat in den Tops landen und wie stark die Zahl meiner FollowerInnen wächst.

Umgang mit Kritik

Ich habe lange nicht verstanden, was das Publikum von mir sehen möchte. Ich habe mich beim Tanzen gefilmt – die Leute haben gefragt, warum ich so viel tanze. Ich habe Sketches aufgenommen – dieselbe Reaktion. Irgendwann beschloss ich, einfach das zu filmen, was ich möchte, und nicht über die möglichen Reaktionen nachzudenken. Der ganze Prozess, ein TikTok zu drehen, macht mir wahnsinnig viel Spaß. Wenn ich ein neues Video hochlade und die Leute es mögen, freue ich mich richtig. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich mich dabei gut fühle: Ich liebe Aufmerksamkeit, auch wenn ich lange Zeit in meinem Leben Angst hatte, um sie zu bitten und sie zu erhalten. Aber eigentlich kämpfe ich immer für das, was ich möchte. Wenn in der Schule zum Beispiel gefragt wurde, wer bei einer Veranstaltung auftreten will, wollte ich das zwar immer, aber hatte Angst. Jetzt studiere ich an der Uni und stehe immer im Vordergrund. Ich bin eine Rampensau geworden und werde es eindeutig bis ans Ende meines Lebens bleiben (lacht). In sozialen Situationen ist das sehr hilfreich, ich war zum Beispiel die Einzige in meiner Gruppe, die zu einer Konferenz mit dem Rektor des MGIMO zugelassen wurde, ich durfte ein Foto mit Lawrow machen und ich war die Erste, die an der Uni ein eigenes Projekt gestartet hat.

Über Feminismus in Usbekistan

Zum Feminismus kam ich im Alter von 14 Jahren: Ich stieß auf feministische Gruppen in VK (Vkontakte, russisches soziales Netzwerk ähnlich zu Facebook, Anm. d. Ü.) und merkte, dass nicht nur ich die Probleme in unserer Gesellschaft wahrnehme. In meiner Familie sind Gleichberechtigung und gegenseitiger Respekt normal. Ich habe unglaublich großen Respekt vor meiner Mutter, meiner Oma und Tante, sie sind sehr starke Frauen. Die Männer in meiner Familie haben sie immer dabei unterstützt, sich weiterzuentwickeln. Als ich erfahren habe, dass das nicht überall so ist, war ich sehr verwundert. Außerdem habe ich seit meiner Kindheit Sport gemacht und immer versucht, im Studium aktiv zu sein.. Trotzdem habe ich immer noch mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass Jungen alles besser können, nur weil sie als Jungen geboren wurden. Ich akzeptiere das nicht, so funktioniert das für mich nicht! Lest auch auf Novastan: Eine weibliche Gouverneurin in Usbekistan: Symbol eines fortschreitenden Feminismus? Ich würde mir sehr wünschen, dass die Regierung ihre Aufmerksamkeit darauf richtet, dass Frauen sich weder auf der Straße noch zuhause  – eigentlich nirgends sicher fühlen können. Ich bin in diesem Land geboren und ich habe jedes Recht, hier sicher zu leben und mich überall wohlzufühlen. Meiner Meinung nach besteht das Hauptproblem in Usbekistan darin, dass alle Arten von Gewalt, einschließlich häuslicher Gewalt, auf rechtlicher und gesellschaftlicher Ebene nicht angemessen bestraft werden. Es gibt auch Probleme mit Viktimisierung und Objektifizierung. Im beruflichen Kontext sehe ich die gläserne Decke, Belästigung und die Existenz von Stereotypen wie zum Beispiel, dass die Arbeit eines Mannes besser sei, nur weil er ein Mann ist, als wichtige Probleme.

So gelingt das perfekte TikTok

Meine Empfehlung ist, Videos nur mit Standardgeschwindigkeit zu drehen und keine Filter zu benutzen. Lernt den Text auswendig, um den Ton genau zu treffen, und versucht, die Qualität der Aufnahme durch hochwertiges Equipment zu verbessern. Wenn ihr einen Text zu dem Video schreibt, achtet auf (Tipp-)Fehler. Am besten postet ihr zwei bis drei Videos pro Tag, mindestens Eines davon sollte in den Empfehlungen landen. Meine Indikatoren sind wie folgt: Wenn ein Video 10.000 Aufrufe hat, bedeutet das, dass ich in den Empfehlungen gelandet bin. Wenn es 50.000 Aufrufe hat, bedeutet das, dass es sehr gut ist. Ich selbst mag den Content von Ksjusha (ksywame), Julia (saijove), Suli (idinafig), Kamilla (Kamilla kh) und noch vielen anderen. Wir kennen uns schon ziemlich lange und ich mag die Qualität und den Humor ihrer Posts. Sie stecken viel Arbeit in ihre Videos und klauen nicht einfach Ideen von anderen.

Zukunftspläne

Ich will unbedingt eine seriöse Bloggerin werden. So wie jetzt, mit TikTok, ist es natürlich schwer vorstellbar, aber ich möchte über wichtige Dinge sprechen – und zwar laut. Vor zwei Jahren, als ich über Themen schrieb, die für mich wichtig waren, bin ich auf viel Negativität gestoßen. Ich habe erkannt, dass die Menschen hier noch nicht bereit waren, meine Ideen zu unterstützen. Aber jetzt sehe ich, dass sich die Situation bessert und ich hoffe, dass ich diese unsichtbare Barriere bald überwinden kann, um meine Meinung aktiver zu äußern. Außerhalb des Internets plane ich, in fünf Jahren einen Master in Europa oder Russland zu machen, je nachdem, wie viel Glück ich mit Praktika und der Zulassung habe.

Sarpa Media

Aus dem Russischen von Ramona Bleimhofer

Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen, schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.

Kommentare

Your comment will be revised by the site if needed.