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Warum die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit ihre Relevanz verloren hat

Der Wettbewerb zwischen Russland und China und die erweiterte Mitgliedschaft haben die eurasische Sicherheitsgruppe zu einer reinen Gesprächsrunde gemacht.

Kasachstans Präsident Toqaev und sein russischer Amtskollege Putin bei einem Treffen im Juli 2014, Photo: akorda.kz

Der Wettbewerb zwischen Russland und China und die erweiterte Mitgliedschaft haben die eurasische Sicherheitsgruppe zu einer reinen Gesprächsrunde gemacht.

Das jüngste Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), das diese Woche in Kasachstan stattfand, erregte wie üblich große internationale Aufmerksamkeit. Menschen verfolgen das Geschehen in der SOZ, um ihre eigenen Befürchtungen zu rechtfertigen. Einige befürchten, dass Russland und China die SOZ nutzen werden, um ein Militärbündnis nach dem Vorbild der NATO aufzubauen, während andere glauben, dass die SOZ die Grundlage für eine neue, antidemokratische Weltordnung werden könnte.

Werden jedoch die Erfolge der Organisation seit ihrer ersten Erweiterung im Jahr 2001 betrachtet, so hat die SOZ wenig vorzuweisen. Abgesehen von der Ausdehnung auf immer mehr Länder und dem Ausbleiben von öffentlichkeitswirksamen Skandalen. Jedes Mitgliedsland nutzt die SOZ, um seine eigenen außenpolitischen Prioritäten zu fördern. Dies schadet der praktischen Wirksamkeit der Organisation, trägt aber zu ihrem hervorragenden internationalen Ruf bei.

Degradierung der SOZ

Laut der SOZ-Charta sind die Ziele der Organisation kurz gefasst folgende: Stärkung der Freundschaft zwischen den Mitgliedstaaten, Entwicklung einer multidisziplinären Zusammenarbeit, Bekämpfung der „drei bösen Phänomene“ (Terrorismus, Separatismus und Extremismus), Förderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Einklang mit der nationalen Gesetzgebung der Mitgliedstaaten usw.

Aus der Charta geht jedoch nicht eindeutig hervor, warum die SOZ tatsächlich benötigt wird. So können verschiedene Länder versuchen, die Organisation für ihre eigenen Zwecke zu nutzen.

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Russland zum Beispiel versucht, die SOZ dazu zu bringen, sich mit seinen außenpolitischen Abenteuern zu solidarisieren. Im Jahr 2008 warf der damalige Präsident Dmitri Medwedew die Frage der Unabhängigkeit Südossetiens auf, 2014 stand die Anerkennung der Krim auf Russlands Tagesordnung, und 2022 wollte Moskau bei der UN-Abstimmung über den Krieg in der Ukraine eine einheitliche Position der SOZ-Länder erreichen.

In ähnlicher Weise versucht China, den anderen Ländern seine ideologischen Konstrukte wie die „Schicksalsgemeinschaft“ aufzuzwingen. Kasachstan besteht darauf, dass der Transitverkehr ausgebaut werden soll, und so weiter.

Auf den jährlichen Gipfeltreffen geben die Staats- und Regierungschefs eine Vielzahl von Erklärungen ab und unterbreiten eine Reihe von Vorschlägen, die in den Medien zitiert, aber fast nie in die Realität umgesetzt werden. Die Institutionen innerhalb der SOZ existieren und sehen sogar recht beeindruckend aus, aber in Wirklichkeit sind sie nur eine weitere Ebene der Bürokratie, die im Wesentlichen mit dem Management von Veranstaltungen beschäftigt ist.

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Der SOZ-Wirtschaftsrat beispielsweise wird als „Vereinigung der maßgeblichen Vertreter der Wirtschaftskreise der SOZ-Mitgliedstaaten“ dargestellt. Doch in den fast 20 Jahren seiner Tätigkeit kann der Rat kein einziges anschauliches Beispiel für eine Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen der SOZ-Länder vorweisen, das durch seine Vermittlung zustande gekommen wäre. Alles reduziert sich auf die Durchführung von Veranstaltungen.

Ein weiteres Beispiel ist die „SOZ Interbank Association“, die Seminare „zu aktuellen Bank- und Finanzthemen“ abhält.

Wenn es ein funktionierendes Instrument innerhalb der SOZ gibt, dann ist es wohl die Regionale Anti-Terrorismus-Struktur (RATS) mit einem Büro in Taschkent. In der Tat hilft sie den SOZ-Ländern regelmäßig bei der Durchführung gemeinsamer militärischer Übungen in verschiedenen Formaten. Ansonsten gibt es jedoch nichts Bemerkenswertes. Von RATS hört man nichts, wenn in dem einen oder anderen SOZ-Land ein Terroranschlag verübt wird, und auf ihrer Webseite finden sich lediglich Pressemitteilungen mit Beileidsbekundungen. Allerdings hat die SOZ in ihren früheren Jahren bereits Erfolge erzielen können. Als die Organisation in 1996 als „Shanghai Five“ gegründet wurde, gelang es ihr, territoriale Fragen zwischen China und den angrenzenden Ländern der ehemaligen Sowjetunion zu lösen. Anstatt die Organisation aufzulösen, bestand die Hoffnung, sie in eine regionale Struktur für die Zusammenarbeit zwischen China und Russland im postsowjetischen Raum umzuwandeln. Doch hier konnten Peking und Moskau keine Einigung erzielen.

Meinungen gehen auseinander

In den 2000er Jahren wurde die SOZ zur ersten Organisation im postsowjetischen Raum, in der nicht nur Russland (das zu diesem Zeitpunkt bereits die GUS und die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit hatte), sondern auch China ein großes Gewicht hatte. Die Tatsache, dass die Organisation einen mit China assoziierten Namen trägt und ihren Sitz in Peking hat, trug zur Bedeutung der Rolle Chinas in der Organisation bei.

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Zunächst versuchte Peking, die SOZ in eine Arbeitsstruktur zu verwandeln, um seine Ambitionen in Zentralasien zu verwirklichen – vor allem in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen. Im Sicherheitsbereich ist es in der Tat gelungen, regelmäßige gemeinsame Übungen zwischen den Mitgliedsstaaten abzuhalten und Kontakte zwischen hochrangigen Verteidigungs- und Sicherheitsbeamten herzustellen.

Die Arbeit der SOZ hat auch dazu geführt, dass die NATO-Militärstützpunkte aus Zentralasien verdrängt wurden. Die Hauptgründe für den Rückzug der USA waren interne Probleme in Usbekistan und Kirgisistan, aber auch die koordinierte Politik Russlands und Chinas spielte eine Rolle.

In der Wirtschaft konnte jedoch nicht das gleiche Maß an Zusammenarbeit erreicht werden. Russland blockierte hartnäckig zwei der wichtigsten Ideen Chinas: die Schaffung einer Entwicklungsbank und einer Freihandelszone. Infolgedessen verlor Peking das Interesse an der Entwicklung der SOZ und begann, eigenständig zu handeln. Seitdem stützt sich die wirtschaftliche Zusammenarbeit Zentralasiens mit China auf das Großprojekt „Neue Seidenstraße”, bilaterale Abkommen und in jüngster Zeit auf das Sechs-Parteien-Format China plus Zentralasien, an dem Russland nicht beteiligt ist.

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Auch im Sicherheitsbereich hat Peking begonnen, die SOZ (und damit auch Russland) zu umgehen, indem es mehr Waffen an die zentralasiatischen Länder liefert, bilaterale Militärübungen mit ihnen durchführt (2019 führten bewaffnete chinesische Milizen Übungen mit jedem der fünf Länder der Region durch) und vor Ort präsent ist (Stützpunkte der bewaffneten chinesischen Volksmiliz befinden sich unter anderem an der tadschikisch-afghanischen Grenze).

Als Russland begann, auf eine Erweiterung der SOZ zu drängen, schätzte China die Organisation nicht mehr genug, um für ihre Wirksamkeit zu kämpfen. Indien und Pakistan traten der SOZ 2017 bei, der Iran 2022. Auf dem jüngsten Gipfel in Kasachstan wurde Belarus als zehntes Mitglied in die Gruppe aufgenommen. Es versteht sich von selbst, dass es bei einer so vielfältigen Mitgliedschaft schwierig ist, etwas auf die Beine zu stellen.

Viel Aufwand für wenig Effekt

Heute ist die SOZ zu einem Club für die Staatsoberhäupter geworden, die mehr oder weniger gut miteinander kommunizieren können. Aber es ist unwahrscheinlich, dass sie die Realität in irgendeiner Weise verändern wird, egal wie sehr die Mitgliedsstaaten die Welt vom Gegenteil überzeugen wollen.

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Die SOZ könnte sich in naher Zukunft noch weiter ausdehnen. Warum nicht beitreten, wenn die Teilnahme keine zusätzlichen Verpflichtungen mit sich bringt? Die Länder, die bereits beigetreten sind, werden die SOZ weiterhin für ihre eigenen, engen Zwecke nutzen. Für die zentralasiatischen Staaten ist es beispielsweise wichtig, sich mit hochrangigen Beamten der SOZ-Mitgliedstaaten vernetzen zu können.

China nutzt die SOZ, um seine diskursive Macht auszubauen, was sich auch in den gemeinsamen Dokumenten widerspiegelt, die in der Organisation angenommen werden. In diese Dokumente fließen Begriffe aus den Dokumenten der Kommunistischen Partei Chinas ein, wie z. B. „Schicksalsgemeinschaft”.

Auch Russland versucht, seine ideologische Vision einer neuen SOZ-Mission zu propagieren, aber seine derzeitige Ideologie deckt sich nicht mit den außenpolitischen Prioritäten der anderen Mitgliedstaaten. Vor dem SOZ-Gipfel in Samarkand 2022 wurde in Taschkent die These russischer Journalist:innen, die SOZ sei Russlands Antwort auf die NATO, ausdrücklich zurückgewiesen.

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Insgesamt ist die Degradierung der SOZ ein weiteres Beispiel dafür, wie Russlands planlose Außenpolitik den russischen Einfluss selbst dort zerstört, wo Moskau nach dem Zusammenbruch der UdSSR fast eine Monopolstellung innehatte. Aus Angst vor der Konkurrenz mit China blockierte Russland Initiativen, die die SOZ zu einer effektiven regionalen Organisation hätten machen können. Stattdessen hat sich Moskau dafür entschieden, in eine Situation zu geraten, in der sich der chinesische Einfluss in Zentralasien ohnehin verfestigt hat, so dass nur noch die Hülle einer Institution übrig geblieben ist, die lediglich Tagungen abhalten und egoistische Schlagzeilen produzieren kann.

Temur Umarov für Carnegie

Aus dem Russischen von Makham Khamidov

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