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Sangesur-Korridor: Neue Chancen für Zentralasien?

Der geplante Sangesur-Korridor im Südkaukasus könnte die Handelswege zwischen Asien und Europa grundlegend verändern. Zentralasien erhofft sich wirtschaftliche Vorteile, doch geopolitische Rivalitäten und politische Risiken werfen Fragen auf.

Der vorgesehene Sangesur-Korridor. Welchen Einfluss wird seine Eröffnung auf Zentralasien haben? Foto: Wikimedia commons

Der geplante Sangesur-Korridor im Südkaukasus könnte die Handelswege zwischen Asien und Europa grundlegend verändern. Zentralasien erhofft sich wirtschaftliche Vorteile, doch geopolitische Rivalitäten und politische Risiken werfen Fragen auf.

Im kirgisischen Bergdorf Kosch-Döbö auf über 2.200 Metern Höhe erinnert wenig an große Weltpolitik. Doch genau hier entstehen Brücken und Tunnel für eine neue Eisenbahnlinie, die China mit Kirgistan verbinden soll.

Wir haben schon viele ihrer Wörter gelernt“, erzählt der Dorfbewohner Isabek Dschusupow über seine chinesischen Kollegen. Die Baustelle bringe Arbeit und Hoffnung.

Zehntausend Kilometer weiter westlich, in New York, erklärte Usbekistans Präsident Shavkat Mirziyoyev bei Gesprächen mit Donald Trump, wie wichtig eine stabile Lage im Südkaukasus für Zentralasien sei. Dabei ging es unter anderem um ein großes Projekt: den Sangesur-Korridor, eine fast 40 Kilometer lange Route, die die geopolitische Landkarte Eurasiens neu ordnen könnte.

Ein neuer Korridor mit globaler Bedeutung

Der Korridor soll Aserbaidschan mit seiner Exklave Nachitschewan über armenisches Territorium verbinden. Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew und Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan einigten sich im August in Washington auf das Projekt, vermittelt von den USA und ohne Beteiligung Russlands.

Der 43 Kilometer lange Abschnitt trägt offiziell den Namen „Trump Route for International Peace and Prosperity“ (TRIPP). Er soll von den USA verwaltet werden und eine Eisenbahn, Öl- und Gaspipelines sowie Glasfaserleitungen umfassen. Armenien hat den Vereinigten Staaten für 99 Jahre das exklusive Entwicklungsrecht zugesprochen.

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TRIPP ist nicht nur ein regionales Infrastrukturprojekt. Es könnte die Mittlere (Transkaspische) Route, also die Verbindung zwischen China, Zentralasien, dem Südkaukasus und der Türkei, erheblich attraktiver machen. Seit Russlands Angriff auf die Ukraine meiden viele Unternehmen den Nordkorridor, der über Russland verläuft. Die Mittlere Route gewinnt dadurch an Bedeutung. Der Politikwissenschaftler Nicola Contessi erklärt: „Ich sehe die Türkei als den großen Gewinner, der sich hinter den Kulissen versteckt.“ TRIPP stärke die Achse Ankara–Baku und die Bedeutung panturkischer Verbindungen.

Zentralasiens Erwartungen

Die zentralasiatischen Staaten setzen große Hoffnungen in das Projekt. Usbekistan, Kasachstan, Turkmenistan, Kirgistan und Tadschikistan könnten dadurch schneller und günstiger auf den europäischen Markt gelangen. Die Transportkosten würden sinken, Lieferketten zuverlässiger werden.

Bei einem Treffen im turkmenischen Awaza diskutierten Mirziyoyev und seine Amtskollegen aus Aserbaidschan und Turkmenistan über die Anbindung an TRIPP. Die neue Eisenbahnlinie, die derzeit in Kosch-Döbö entsteht, könnte künftig den Weg nach Europa verkürzen. Die Politikwissenschaftlerin Asel Tutumlu betont: „Es geht nicht nur um den Transit von Waren nach Europa oder China. Zentralasien kann eigene regionale Wirtschaftszentren entwickeln und seine Industrie besser an globale Märkte anbinden.

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Zentralasien könnte zudem von der Ausfuhr von Öl und Gas profitieren. Turkmenistan und Kasachstan suchen schon lange nach Alternativen zu russischen Pipelines. Seit 2022 blockierte Moskau mehrfach den Betrieb des Kaspischen Pipeline-Konsortiums, durch das Kasachstan einen Großteil seines Öls exportiert.

Geopolitische Gewinner und Verlierer

Der Korridor ist nicht nur ein Wirtschaftsprojekt, sondern ein geopolitisches Statement. Die USA wären erstmals dauerhaft als Sicherheits- und Wirtschaftsmacht im Südkaukasus präsent. Russland hingegen hätte seinen traditionellen Einfluss eingebüßt. Der russische Außenminister Sergej Lawrow reagierte kühl: „Man muss abwarten, wie es funktioniert. Wenn nichts darauf folgt, bleibt es einfach nur ein Strohfeuer.“ Auch Iran zeigt deutliche Ablehnung. Teheran hatte eigene Pläne für einen alternativen Transportweg – den Aras-Korridor – verfolgt. Doch mit TRIPP würde dieser überflüssig.

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Nicola Contessi erklärt: „Russland und Iran werden zu unbeteiligten Akteuren. Gleichzeitig wächst der Einfluss der Türkei und der USA.“ Für die Türkei steht viel auf dem Spiel. Ankara sieht im Korridor nicht nur wirtschaftliche, sondern auch identitätsstiftende Chancen für die „türkische Welt“. Eine Pipelineverbindung über Sangesur würde den Zugang zu zentralasiatischen Energieressourcen erleichtern. China wiederum betrachtet das Projekt als Ergänzung seiner Initiative „One Belt, One Road“. Der Sangesur-Korridor könnte die Mittlere Route beschleunigen und stabilisieren.

Risiken und Unsicherheiten

Bisher existiert TRIPP nur auf dem Papier. Sein Erfolg hängt von der politischen Lage im Südkaukasus ab. Armeniens Ratifizierung eines Friedensvertrags mit Aserbaidschan ist an Verfassungsänderungen geknüpft – ein politisch heikles Thema. 2026 finden in Armenien Wahlen statt, Paschinjans Zustimmung in der Bevölkerung ist jedoch niedrig.

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Verzögerungen beim Bau oder bei der Finanzierung sind ebenfalls wahrscheinlich. Paschinjan sagte Ende September: „Die Route bleibt auf der Tagesordnung. Wir kommen langsam voran, aber wir bleiben nicht stehen.

Hoffnung in Kosch-Döbö

Während sich geopolitische Machtzentren verschieben, wartet das Dorf Kosch-Döbö auf seine Chance. Die Fahrt dorthin ist beschwerlich: Fast die Hälfte des Weges ist eine holprige Schotterstraße, und der Ort liegt 530 Kilometer von Bischkek entfernt.

Doch die Menschen hier sehen im Bahnbau eine seltene Zukunftsperspektive. Manas Nasirow, ein Anwohner des Dorfes, meint: „In ein Dorf, das man kaum mit dem Auto erreicht, wird bald ein Zug kommen. Das gibt den Menschen Hoffnung.“

Ein Beitrag von Radio Azattyk

Aus dem Russischen von Margaret Bullich

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