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Zwischen Ost und West: Spannungen in der Organisation der Turkstaaten

Der informelle Gipfel der Organisation der Turkstaaten (OTS) am 21. Mai in Budapest wurde von Spannungen zwischen der Türkei und mehreren zentralasiatischen Staaten über deren Ausbau diplomatischer Beziehungen mit Zypern überschattet. Mit Beobachterstaat Ungarn als Gastgeber sorgte er jedoch auch für ein Novum.

Die Organisation der Turkstaaten tagte am 21. Mai das erste Mal in Budapest (Symbolbild), Photo: Wikimedia Commons.

Der informelle Gipfel der Organisation der Turkstaaten (OTS) am 21. Mai in Budapest wurde von Spannungen zwischen der Türkei und mehreren zentralasiatischen Staaten über deren Ausbau diplomatischer Beziehungen mit Zypern überschattet. Mit Beobachterstaat Ungarn als Gastgeber sorgte er jedoch auch für ein Novum.

Das informelle Treffen, auf dem die Staatsoberhäupter der fünf Mitgliedsstaaten – Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgistan, Türkei und Usbekistan – sowie der Beobachterstaaten Turkmenistan und Ungarn anwesend waren, fand etwas mehr als einen Monat nach dem EU-Zentralasien-Gipfel statt, auf dem die zentralasiatischen Staaten in einer gemeinsamen Erklärung ihre Unterstützung der UN-Resolutionen 541 und 550 betont hatten, in denen es um die territoriale Unversehrtheit Zyperns geht.

Schon in den Wochen und Monaten vor dem Treffen hatten mehrere zentralasiatische Staaten ihre Bereitschaft zu engeren Beziehungen mit dem Mittelmeerstaat signalisiert: So kündigte Kasachstan im Januar die Eröffnung einer eigenen Botschaft in Nicosia an, während Usbekistan und Turkmenistan mitteilten, dass ihre diplomatischen Vertretungen in Italien in Zukunft auch für Zypern zuständig sein würden.

Diese Annäherung ist ein Dorn im Auge des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der zuvor stets auf eine engere Zusammenarbeit seiner zentralasiatischen Verbündeten mit dem nicht anerkannten Nordzypern gepocht hatte, das unter starkem türkischem Einfluss steht. Vorherige Versuche, die Separatistenrepublik näher an das pantürkische Staatenbündnis heranzuführen, scheiterten jedoch kläglich: Erdogans unilaterale Entscheidung, Nordzypern auf dem OTS-Gipfel 2022 in Samarkand zum Beobachterstaat zu küren, wurde von den zentralasiatischen Bündnispartnern vehement zurückgewiesen.

Druckprobe für Erdogans Panturkismus?

Ikboljon Qoraboyev, Professor für internationale Beziehungen an der Universität Astana, bezeichnete den informellen Gipfel als eine Art Druckprobe für die Organisation, die deren interne Kohäsion und Widerstandsfähigkeit testen würde. Dementsprechend betonte der türkische Präsident in seiner Ansprache die Wichtigkeit der gegenseitigen Solidarität zwischen den Bündnispartnern, wobei er auch auf vergangene Konflikte Bezug nahm.

„Die Tragödien, die sich in der Vergangenheit in Zypern, Karabach, Bosnien-Herzegowina und heute in Gaza ereignet haben, erinnern uns daran, dass wir auch über unsere Grenzen hinaus denken müssen“, sagte Erdogan.

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„Wir müssen als Prinzip unserer Brüderlichkeit füreinander einstehen und unsere Solidarität stärker sichtbar machen. […] Wir glauben, dass ein Familienfoto der türkischen Welt ohne die [Türkische Republik Nordzypern] immer unvollständig sein wird“, fügte er hinzu.

Infrastruktur mit höchster Priorität

Währenddessen fokussierten sich die zentralasiatischen Vertreter vor allem auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit innerhalb des Bündnisses und betonten, dass die Entwicklung gemeinsamer Infrastrukturprojekte höchste Priorität genießen sollte.

Kirgistans Präsident Sadyr Dschaparow hob den Ausbau des Schienennetzes zwischen Kirgistan, Usbekistan und China hervor, während sein kasachisches Pendant Kassym-Dschomart Tokajew dazu aufrief, den Mittleren Korridor, der Europa über den Landweg mit China verbinden soll, als strategisches Projekt und Transportbrücke voranzutreiben.

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Auf das Thema Nordzypern ging keines der vier anwesenden zentralasiatischen Länder ein, wohl in der Hoffnung, weitere Reibereien vermeiden zu können. Im Abschlusskommuniqué des Gipfels, das von allen fünf Staatsoberhäuptern der vollwertigen OTS-Mitgliedsstaaten unterzeichnet wurde, wird Nordzypern allerdings als Beobachterstaat und „inseparabler Teil” der türkischen Welt bezeichnet.

Ungarn als „Brücke zum Westen”?

Der Gipfel stellte insofern ein Novum dar, als dass er der erste war, der in einem der Beobachterstaaten der Organisation stattfand. Obwohl Ungarns Status als Beobachter auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen mag, gehört das politische Engagement Viktor Orbáns innerhalb des Staatenbündnisses zu einem der Grundpfeiler der „Öffnung gen Osten”, mit der seine Regierung seit knapp 15 Jahren als außenpolitisches Mantra hantiert.

Passenderweise fand der Gipfel daher auch unter dem Motto „Meeting Point of East and West” statt. In seiner Rede betonte Orban, dass er selbst nicht gedacht hätte, dass die Organisation irgendwann einen solchen Stellenwert einnehmen würde, als Ungarn 2018 als Beobachterstaat hinzustieß. Seine Teilnahme am Bündnis begründet Ungarn mit der pseudohistorischen Strömung des „Turanismus”, der besagt, dass die Turkvölker und Finno-Ugrier (zu denen Ungarn gehört) einen gemeinsamen Ursprung haben.

Verdopplung des Handels

Vor dem Hintergrund der sich stets verschlechternden Beziehungen zur EU versucht Ungarn seit geraumer Zeit, seine Handelsbeziehungen mit eurasischen Ländern auszubauen. Hierbei spielt vor allem China eine übergeordnete Rolle: Laut der Hungarian Investment Promotion Agency (HIPA), einer Regierungsbehörde zur Förderung von ausländischen Direktinvestitionen, war China 2024 mit Gesamtinvestitionen in Höhe von 5,2 Milliarden Euro für 51 Prozent von Ungarns Gesamtzufluss an ausländischen Direktinvestitionen verantwortlich. Dabei stechen der Bau von zwei Fabriken des chinesischen Elektroautoherstellers BYD und einer Niederlassung des Lithium-Ionen-Batterieherstellers CATL heraus.

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Auch der ungarische Handel mit den Ländern Zentralasiens floriert. Laut Außenminister Peter Szijjarto hat sich das Handelsvolumen mit den Turkstaaten seit 2018 – als Ungarn seine Beobachterrolle in der OTS aufnahm – verdoppelt und beträgt mittlerweile 5 Milliarden Euro. Der Handel mit Kasachstan war im ersten Quartal dieses Jahres um 37 Prozent gewachsen, und am Rande des informellen Gipfels einigte sich das Land mit Usbekistan auf neue gemeinsame Projekte in Höhe von 1,5 Milliarden Euro. Gerade in den Bereichen Energie und Transport sieht Ungarn in seiner Partnerschaft mit Zentralasien großes Potenzial, sowohl um seine Energieabhängigkeit von Russland zu lindern, als auch um den Ausbau des Mittleren Korridors voranzutreiben und damit vom Handel zwischen Europa und China zu profitieren.

Die OTS sieht in Ungarn derweil einen Türöffner zur EU, weswegen das „europäische Repräsentanzbüro” der Organisation in Budapest angesiedelt wurde, ungeachtet der nicht vollwertigen Mitgliedschaft des Landes im Bündnis. Angesichts der wachsenden Beziehungen der EU zu den zentralasiatischen Ländern, die im 12-Milliarden-Euro schweren Investitionspaket vom April ihren bisherigen Höhepunkt erreichten, sieht Ungarn seine Chance, als „Brückenbauer” zwischen Ost und West zu fungieren und so seinen Einfluss innerhalb der EU zu vergrößern.

Benedikt Stöckl für Novastan

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