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Kirgistan: Verbot von „Radio Azattyk“ schlägt Wellen

Ein Gericht in Kirgistans Hauptstadt Bischkek hat entschieden, die Aktivitäten von Radio Azattyk im Land zu unterbinden. Das Ausstrahlungsverbot löste eine Welle der Kritik internationaler Menschenrechtsorganisationen aus. Ihnen zufolge sei die Schließung von Radio Azattyk ein schwerer Schlag für die Meinungsfreiheit in Kirgistan und ein Alarmsignal für die unabhängigen Medien des Landes.

Radio Free Europe Radio Liberty in Prague
Radio Azattyk ist der kirgisische Zweig des US-Mediums Radio Free Europe/ Radio Liberty. Bild: Petr Kadlec/ WikiCommons

Ein Gericht in Kirgistans Hauptstadt Bischkek hat entschieden, die Aktivitäten von Radio Azattyk im Land zu unterbinden. Das Ausstrahlungsverbot löste eine Welle der Kritik internationaler Menschenrechtsorganisationen aus. Ihnen zufolge sei die Schließung von Radio Azattyk ein schwerer Schlag für die Meinungsfreiheit in Kirgistan und ein Alarmsignal für die unabhängigen Medien des Landes.

Am 27. April 2023 hat das Leninskij-Bezirksgericht in Bischkek entschieden, die Aktivitäten von Radio Azattyk, dem kirgisischen Dienst von Radio Liberty, auf dem Gebiet Kirgistans einzustellen. Im Januar 2023 hatte das kirgisische Kulturministerium eine Klage eingereicht, in der es der Nachrichtenagentur vorwarf, falsche Informationen über den Konflikt an der kirgisisch-tadschikischen Grenze verbreitet zu haben. Das von Azattyks Tochterunternehmen Current Time veröffentlichte Videomaterial verstoße nach Ansicht des Ministeriums gegen das Massenmediengesetz, das Kriegspropaganda, Gewalt, Grausamkeit und Intoleranz verbiete. Vertreter von Azattyk beabsichtigen, gegen die Entscheidung beim Stadtgericht von Bischkek Berufung einzulegen.

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Jamie Fly, Präsident und CEO von Radio Liberty, drückte seine Unzufriedenheit mit der gerichtlichen Entscheidung zur Schließung von Radio Azattyk aus. Er merkte an, dass das Publikum immer noch einen Weg finden werde, Informationen zu erhalten. „Wir legen Berufung gegen die skandalöse Entscheidung des Gerichts ein. Unsere Geschichte hat gezeigt, dass Menschen, die zuverlässige Informationen wünschen, die aber von ihrer Regierung zensiert werden, Wege finden, darauf zuzugreifen“, sagte Fly.

Einschränkung der Pressefreiheit

Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte, dass die kirgisischen Behörden auf diese Weise die kritische Berichterstattung über Ereignisse im Land einschränken und versuchen, „Journalisten den Mund zu verbieten“.

Laut Marie Struthers, Direktorin von Amnesty International für Osteuropa und Zentralasien, sei die Behauptung der kirgisischen Behörden, dass ein von einer Tochtergesellschaft von Radio Azattyk veröffentlichtes Video Hass fördere, ein falscher Vorwand für die Schließung eines unabhängigen Mediums.

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„Die Gerichtsentscheidung wird angefochten und Amnesty International wiederholt seinen Aufruf an die kirgisischen Behörden, von Versuchen einer gerichtlichen Schließung Azattyk abzusehen, die Belästigung und Einschüchterung von Journalisten und Regierungskritikern einzustellen und das Recht auf Freiheit aller Medien des Landes uneingeschränkt zu respektieren, zu schützen und zu fördern“, fügte Marie Struthers hinzu.

Das Komitee zum Schutz von Jornalisten (CPJ) forderte das Gericht auf, die Entscheidung aufzuheben. „Die Schließung von Radio Azattyk, einer der beliebtesten und vertrauenswürdigsten Nachrichtenquellen Kirgistans, sendet ein abschreckendes Signal an die unabhängigen Medien des Landes und wirft ernsthafte Fragen darüber auf, in welche Richtung die kirgisischen Behörden ihr Land führen wollen. Die Behörden sollten diese Entscheidung sofort revidieren und der Onlineausgabe ermöglichen, frei zu arbeiten“, erklärte Gulnoza Said, CPJ-Programmkoordinatorin für Europa und Zentralasien.

Ein Schritt zurück

Laut dem kirgisischen Parlamentsabgeordneten Dastan Bekeschew kam die Entscheidung des Gerichts nicht unerwartet. Gleichzeitig äußerte er jedoch die Meinung, dass die Behörden nicht in der Lage sein werden, die Meinungsfreiheit im Land zu stoppen. „[A]uf jeden Fall gab es Hoffnungen, dass die Behörden zur Vernunft kommen und dem Richter ein Signal geben würden, eine rechtmäßige Entscheidung zu treffen. Aber mit der Schließung von Azattyk ist die  Meinungsfreiheit nicht am Ende. Die Behörden machen einen Fehler, indem sie auf die Meinungsfreiheit wie auch auf andere Normen der Verfassung zielen“, schrieb Bekeschew in seinem Telegram-Kanal.

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Er deutete an, dass der Trend des Drucks auf die Medien anhalten werde und das Land allmählich an Attraktivität für ausländische Investoren verliere. „Leider geht das Land aufgrund solch dummer Entscheidungen einen Schritt zurück und beraubt sich des Rechts auf Entwicklung. Ohne Meinungsfreiheit wird es kein Wirtschaftswunder geben“, sagte der Abgeordnete.

Inwiefern begeistert Azattyk die Menschen?

Radio Azattyk eines der beliebtesten Medien in Kirgistan. Die Gesamtzahl der Abonnent:innen in allen sozialen Netzwerken erreicht 5 Millionen Menschen. Auch das kirgisische Medium Bashta unterstützt Azattyk. Die Herausgeber stellten fest, dass Versuche, Druck auf die Medien auszuüben, nur in den „dunkelsten“ Zeiten in der Geschichte Kirgistans stattfanden – vor der Tulpenrevolution 2005 und der Aprilrevolution 2010.

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„Die gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew und Askar Akajew stellten 28 Tage vor der Revolution die Ausstrahlung von Azattyk ein. Später wurden sie beide aufgrund ihrer autoritären Politik, der Clanherrschaft und des Drucks auf die Meinungsfreiheit gestürzt. [Der Präsident, Anm. d. Red.] Sadyr Dschaparow ist sich bewusst, wie bedauernswert die damaligen Ereignisse waren, denn er war von 2007 bis 2009 Bakijews Berater“, heißt es der Erklärung.

Eldijar Arykbajew, Chefredakteur von Kloop, einem der größten kirgisischen Medien, teilte auf Facebook seine persönliche Meinung, in der er die Entscheidung des Gerichts verurteilte und die Bedeutung von Azattyk für das kirgisische Volk darlegte. „Der wichtigste Wert Kirgistans liegt gerade in der Präsenz einer unabhängigen und freien Presse und Richter und Beamte berauben das kirgisische Volk mit ihren unüberlegten Handlungen dieser Freiheit (buchstäblich)“, heißt es in dem Beitrag.

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Er stellte fest, dass Azattyk umfangreiche Recherchen durchgeführt habe und ohne dieses Medium die Öffentlichkeit nichts von den Straftaten einiger der mächtigen Beamten Kirgistans erfahren hätte. „Ohne Azattyk hätte es all diese großartigen Ermittlungen nicht gegeben: Die Matraimows würden das Land führen, die Korruption wäre sogar kolossal. Und die Öffentlichkeit hätte nichts von all den Straftaten gewusst, die Azattyk-Journalisten aufgedeckt haben“, erklärte Arykbajew.

Im Oktober 2022 war der Zugang zur Azattyk-Website in Kirgistan vorübergehend gesperrt und die Bankkonten von Mitarbeitern und Medium eingefroren worden, angeblich in Übereinstimmung mit den nationalen Gesetzen zur Geldwäsche. Im Dezember wurde die Sperrung der Seite von den Behörden für „unbefristet“ erklärt.

Sherzod Babakulov für Novastan

Aus dem Russischen von Robin Roth

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