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Die Sackgasse – Leben am Pamir Highway

Seitdem die Grenze zwischen Tadschikistan und Kirgistan geschlossen ist, ist die berühmte „Pamir Highway“ zur Sackgasse geworden. Ohne den lebenswichtigen Handel und Verkehr geraten die Gemeinden entlang der 500 Kilometer langen Straße in eine immer größere Isolation.

M41 bei Dschelondy, Photo : Matthieu Audiffret

Seitdem die Grenze zwischen Tadschikistan und Kirgistan geschlossen ist, ist die berühmte „Pamir Highway“ zur Sackgasse geworden. Ohne den lebenswichtigen Handel und Verkehr geraten die Gemeinden entlang der 500 Kilometer langen Straße in eine immer größere Isolation.

Im Frühjahr 2021 flammten die latenten Spannungen, die zwischen Tadschikistan und Kirgistan über den Verlauf der Grenze herrschen, wieder auf. Konfrontationen zwischen den Streitkräften führten im April 2021 auf Befehl der Staats- und Regierungschefs beider Länder zur Schließung der Grenze. Diese Entscheidung hat zur Folge, dass der tadschikische Pamir, durch den die als Pamir Highway berühmte Fernstraße M41 nach Kirgistan verläuft, weiter isoliert wird.

Zwischen Chorugh und dem Karakul leben etwa 53.000 Menschen oder 0,6 Prozent der tadschikischen Bevölkerung entlang der M41. Die Straße ist heute eine Sackgasse und beraubt die Anwohner:innen wichtiger Handels- und Wirtschaftsverbindungen. Einige Bevölkerungsgruppen sind müde und haben beschlossen, dieses von den Schwierigkeiten betroffene Gebiet zu verlassen.

Die M41: Handelsroute in einer der entlegensten Ecke der Welt

Der Pamir Highway wurde in den 1930er Jahren unter sowjetischer Herrschaft gebaut und verbindet die tadschikische Hauptstadt Duschanbe mit Osch in Kirgistan. Lastkraftwagen kreuzen ihn permanent, um den Handel zwischen China, Pakistan, Afghanistan und den Ländern Zentralasiens sicherzustellen. Auch wenn die Straße oft asphaltiert ist, bleiben viele Abschnitte unsicher. Sie gilt als gefährlich, stellt aber die einzige Straßenverbindung – und somit den einzigen Versorgungsweg – zur Autonomen Provinz Berg-Badachschan dar.

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Der Pamir, der sich über die östliche Hälfte Tadschikistans erstreckt, ist riesig, aber menschenleer. Dort leben etwa 3 Prozent der tadschikischen Bevölkerung. Aus gutem Grund: Denn die unwirtliche Topographie, fehlende Arbeitsmöglichkeiten, die unterentwickelte Industrie, die fast nicht vorhandene Infrastruktur und die ertragsarme Landwirtschaft, erlauben es der Region kaum, ihre Bewohner:innen zu ernähren.

Ein Fernfahrer während einer Pause, Photo: Matthieu Audiffret

Hinzu kommt der tadschikisch-kirgisische Grenzkonflikt, die zur Schließung der Grenze geführt hat und so die Bevölkerung ihrer Bewegungsfreiheit in den Norden sowie des lebenswichtigen Handels beraubt hat.

Unterbrochene Handelsströme

Auf dem letzten, mehr als 180 Kilometer langen Abschnitt des M41 verläuft der Warenstrom nicht mehr. Der Austausch mit China wird über die bei Murghob abzweigende Straße zum Kulma-Pass auf 4.362 Metern Höhe fortgesetzt, dem einzigen Grenzübergang zwischen beiden Ländern.

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Der Handel mit Kirgistan liegt hingegen am Boden. Das usbekische Medium Daryo berichtet, dass dieses Jahr der Umsatz zwischen Tadschikistan und Kirgistan im Vergleich zum Vorjahr siebenmal niedriger war. Ein kirgisischer Beamter erklärte, dass „die finanziellen Verluste für tadschikische Bauernhöfe und Bauern erheblich waren“.

Eine fehlende Zentralmacht und eine vernachlässigte Minderheit

Berg-Badachschan ist die ärmste und sozial am stärksten gefährdete Provinz Tadschikistans. Doch Proteste gegen Armut, Arbeitslosigkeit und Forderungen nach Gerechtigkeit werden wie zuletzt im Mai 2022 brutal unterdrückt.

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Die als Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung deklarierte Reaktion der Regierung führte zum Tod Dutzender Pamiris sowie zu hunderten Verhaftungen. „Die jüngere Pamiri-Generation geht lieber ins Exil, meist illegal, als in einem so korrupten Land zu bleiben“, sagt Z., eine in der Provinzhauptstadt Chorugh ansässige Bergführerin.

Yaks in der Nähe von Batschor, Photo: © 2023 Matthieu Audiffret

Vor der Karte des Pamirs, die an der Wand ihrer Küche hängt, erzählt sie von den blutigen Ereignissen im Mai 2022. „Ein Völkermord“, wie sie sagt. Trotz ihres Humors blicken ihre tiefliegenden Augen hinter die Kulissen und zerstören die Illusion eines in voller Entwicklung stehenden Landes.

Sie ist sich möglicher Repressalien bewusst und hat Angst vor der Reaktion der Behörden. Allerdings kann Z. ihre Region nicht verlassen, da sie dem Pamir und ihrer dortigen Familie zu sehr verbunden ist. „Veränderungen werden nicht zu Lebzeiten unserer Generation stattfinden“, erklärt sie fatalistisch.

Die Jugend verschwindet

Von der Zentralmacht im Stich gelassen, entscheiden sich viele Pamiris dafür, das Land zu verlassen, um im Ausland einen Job und eine bessere Zukunft zu finden. Allein im Jahr 2022 seien fast 987.000 tadschikische Staatsangehörige nach Russland gekommen, berichtet Fergana News. Angesichts einer Bevölkerung von rund 10 Millionen ist dies ein nicht unwesentlicher Anteil. Viele Familien sind auf Überweisungen aus dem Ausland angewiesen.

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Dies ist der Fall bei Mabat und Orzu, zwei Brüdern einer Familie mit sieben Kindern aus Batschor, 120 Kilometer von Chorugh entfernt. Mabat spricht fließend Englisch. Er arbeitete mehrere Jahre in Moskau, bevor er in das Tal seiner Kindheit zurückkehrte, wo er im Sommer als Reiseführer für Tourist:innen tätig ist. Sein Bruder arbeitet im Baugewerbe – manchmal in Duschanbe, manchmal in Moskau – und reist den Jobangeboten hinterher.

Orzu aus Batschor, Photo: © 2023 Matthieu Audiffret

Wenn sie in Batschor sind, helfen beide ihrem älteren Bruder, das Land zu bestellen, Gräben auszuheben und sich um das Vieh zu kümmern. Sie hängen sehr an ihrer Heimat und sind „glücklich, in Batschor aufgewachsen zu sein“. Sie sind sich jedoch bewusst, dass das Verlassen des Tals für die Bedürfnisse einer großen Familie unerlässlich ist.

Dörfer in Isolation

Wie Batschor befinden sich die Dörfer entlang der M41 in geografischer Isolation und bieten kaum wirtschaftliche Möglichkeiten. Murghob, das letzte große Dorf im Osten, scheint wie verlassen auf einer Höhe von 3.655 Metern über dem Meeresspiegel.

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Das Dorf, das hauptsächlich von ethnischen Kirgis:innen bewohnt wird, leidet unter rauen Wetterbedingungen. Auf der hohen, offenen Hochebene verstärken heftige Böen die polare Kälte, die halbjährig herrscht. Die Trockenheit des Landes macht jede Landwirtschaft zwecklos. Im gesamten Pamir bedecken Bergketten einen großen Teil des Territoriums und nur ein Bruchteil von 3 Prozent besteht nach Angaben von The Diplomat aus Ackerland. Die meisten kirgisischen Gemeinden im Pamir züchten Yaks, deren Fleisch und Leder ihnen ein Einkommen verschaffen.

Murghob, Photo: © 2023 Matthieu Audiffret

Die Einwohner:innen von Murghob sind daher stark auf Lastwagen aus Osch angewiesen. Doch da die kirgisische Bevölkerung Tadschikistans nicht in der Lage ist, sich zwischen den beiden Ländern frei zu bewegen, „wird sie sich für den Exodus entscheiden, wenn die Grenzen wieder geöffnet werden“, meint Z. „Bald wird es niemanden mehr geben, es wird nur noch Polizei geben“, macht sie halbherzig Witze.

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Die Schließung der tadschikisch-kirgisischen Grenze und Covid-19 haben den wachsenden Tourismus des letzten Jahrzehnts niedergerungen. Murghob und die benachbarten Dörfer befinden sich wieder in der gewohnten Isolation.

Karakul und seine Schule, die „auf Sponsoren angewiesen ist“

Karakul, 130 Kilometer hinter Murghob am Ufer des gleichnamigen Sees gelegen, ist das letzte Dorf vor der kirgisischen Grenze. Die weißen Flachdachhäuser tragen auf ihren heruntergekommenen Mauern meist die Aufschrift „Homestay“, eine Erinnerung an einen florierenden Tourismus.

Im Jahr 2019 generierte in Tadschikistan ein Strom von 1,2 Millionen Tourist:innen rund 208 Millionen Euro. Im Pandemie-Jahr darauf waren es noch 350.000 Besucher:innen und rund 62,5 Millionen Euro, so das tadschikische Nachrichtenportal Asia-Plus.

Schuldirektorin Svetlana, Photo: © 2023 Matthieu Audiffret

Svetlana ist die Direktorin einer Schule in dem kleinen Dorf, das von seinen Bewohner:innen verlassen wird. Gerne heißt sie die seltenen vorbeikommenden Tourist:innen willkommen und spricht über die finanziellen Schwierigkeiten. Denn der Betrieb der Schule sei „auf Spenden und Sponsoren angewiesen“, erklärt sie. Svetlana leitet die Schule seit einem Jahr. Sie ist in Karakul aufgewachsen und kann sich kaum vorstellen, die Region ihrer Kindheit zu verlassen, obwohl sie sich ihrer Grenzen bewusst ist.

Eine finanzielle Sackgasse

Die finanzielle Sackgasse, in der sich Svetlanas Schule befindet, spiegelt die wirtschaftlichen und topografischen Probleme der Region wider. Das Dorf am riesigen Karakul, dem „Schwarzen See“, ist kein prosperierender Fischerort. Der abflusslose See hält das Salzwasser in seinem Becken fest, was die Entwicklung jeglicher Lebensform dort verhindert.

Während die Abgelegenheit Berg-Badachschans, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Bewohner:innen der Provinz hemmt, stellt die jüngste Schließung der Grenze zu Kirgistan eine weitere Belastung dar. Der Pamir Highway, die Lebensader der Region, ist zu einer Sackgasse geworden und der einzige Ausweg im Osten ist eine Abzweigung nach China.

Karakul, Photo: © 2023 Matthieu Audiffret

Eine Wiedereröffnung würde jedoch keine Rückkehr zum Wohlstand in einer Region bedeuten, in der die jüngeren Generationen versucht sind, für ihr Studium oder auf der Suche nach Arbeit auszuwandern. Die Zentralmacht in Duschanbe ist sich der sozialen und wirtschaftlichen Ursachen der Pamir-Problematik nicht bewusst und hält die strategisch wichtige Region, ein Handelsknotenpunkt Zentralasiens, der den Interessen des Landes dienen sollte, fest im Griff.

Tiphaine Tellier, Redakteurin für Novastan

mit Fotos von Matthieu Audiffret

aus dem Französischen von Robin Roth

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