Als zum internationalen Frauentag hundert Demonstrantinnen den Tschui-Boulevard entlang ziehen, ist Baktygul Rakymbajewa ganz vorne mit dabei, spricht ins Megafon und nennt die Dinge beim Namen: Sexismus, mangelnde politische Repräsentanz, Entführungen und Zwangsheirat. Sie artikuliert lautstark die Hindernisse und Hoffnungen der Aktivistinnen. Über ihre Alltagserfahrungen als Jugendliche, Schülerin und Feministin im heutigen Kirgistan sprach sie mit Philip Klein, Journalist für Novastan.
Novastan: Du bist jetzt bei der Demonstration vorne gelaufen und hast knapp anderthalb Stunden ins Megafon gesprochen – Wie ist dein Eindruck von der Demonstration?
Baktygul Rakymbajewa: Tatsächlich habe ich gar nicht gesehen, wie viele da waren, die meisten liefen ja hinter mir. Ich hatte Sorge, dass gar niemand kommen würde, daher freue ich mich, dass die Leute kamen. Alles andere werden wir dann über die Sozialen Medien erfahren.
Eure Sprechchöre hast du bestimmt schon auswendig drauf, aber was waren für dich die wichtigsten Forderungen?
Natürlich kann ich das auswendig. Unsere konkrete Forderung ist, dass wir 30 % Frauen im Parlament haben wollen, wie es die Verfassung eigentlich auch vorschreibt. Zur Zeit sind es nur 18%. Wir Frauen sind stark, wir stehen gegen Gewalt gegen Frauen. Der sogenannte Brautraub ist keine Tradition, es ist einfach Gewalt, die Leute sollen das nicht zur Folklore erklären. Damit geht auch einher, dass wir sagen, wir wollen Wahlfreiheit. Auch was unsere Körper angeht und was wir anziehen. Unser Körper ist unsere Angelegenheit. Und dieser Tag ist dazu da, für Frauenrechte und Gleichberechtigung einzutreten. Leider geht das hier in Kirgistan oft unter. Die Männer begnügen sich damit, uns Blumen zu schenken. Unsere Haltung ist aber: Wir pfeifen auf die Blumen – Wir wollen Gleichberechtigung!
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Du meintest, du hättest Sorge gehabt, dass kaum jemand kommen würde?
Wir wurden auf unseren Social-Media-Kanälen massiv bedroht. Auf unserer Homepage haben irgendwelche Leute geschrieben, dass sie vorbeikommen und uns fertig machen. Auch die Polizei hat angerufen und uns Organisatorinnen nahegelegt, die Demonstration nicht abzuhalten. Sie sagten, dass sich Demonstrationsgegner angekündigt hätten und es gefährlich werden würde. Sie haben aber nicht gesagt, ob sie uns beschützen würden. Das hat mich schon beunruhigt.
Das klingt tatsächlich beängstigend…
Ja, ich hatte schon etwas Angst, ich bin ja noch sehr jung und ich will natürlich nicht von der Polizei mitgenommen werden.
Du bist 17 Jahre alt. Wie ist es denn an der Schule? Wie gehen die Leute mit deiner feministischen Haltung um?
In der Schule hassen mich die meisten, vor allem die Jungs. Aber auch Lehrer. Meine Klassenlehrerin sagt immer, es sollte für uns Mädchen im Leben nur drei wichtige Dinge geben: Erstens Mutter werden, zweitens vom Mann geliebt zu werden und drittens die Hausarbeit, dass immer schön sauber ist und gut gekocht wird und so. Natürlich stehe ich dann auf und stelle das infrage, die bekommen von mir dann ein klares “Nein” zu hören. Aber dabei stoße ich nur auf Ablehnung.
Also führt ihr im Unterricht Diskussionen und du kannst deine Argumente vorbringen?
Ja, das schon, aber das endet meist in einem fürchterlichen Streit. Sie wollen gar nicht hören, was ich zu sagen habe. Ich lass‘ mir normalerweise den Mund aber nicht verbieten. Aber dann rufen die Mitschüler, ich solle die Klappe halten. Also Schule macht mir meistens keinen Spaß.
Wie bist du dazu gekommen, Aktivistin zu werden?
Das ist tatsächlich eine lustige Geschichte. Als ich angefangen habe, zu sprechen, habe ich immer allen erzählt, dass ich eines Tages Präsidentin werde. Meine Eltern meinten nur, ich könne das vergessen, weil ich ein Mädchen sei. Weil hier in Zentralasien die Präsidenten immer Männer sind. Ich habe das zunächst so hingenommen. Aber als ich neun Jahre alt war, habe ich mitbekommen, dass unsere Präsidentin Rosa Otunbajewa war. Das habe ich natürlich meinen Eltern vorgehalten, ich meinte, schaut, es ist doch möglich für eine Frau so weit zu kommen, ihr wolltet es ja nicht glauben. Danach dachte ich dann, alles ist möglich – unabhängig vom Geschlecht. Alle können tun oder werden was sie wollen. Aber die Leute hängen oft an traditionellen Vorstellungen.
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Das war also dein erster Schritt in dieser Richtung?
Ich bin zusammen mit drei Jungen groß geworden. Wir spielten immer zusammen, auch wildere Spiele, Jungenspiele. Aber wenn es an den Abwasch oder ums Putzen ging, hieß es immer: „Baktygul – das ist deine Aufgabe, du bist das Mädchen“. Ich habe aber keinen Unterschied zwischen uns gesehen. Ich habe das lange hingenommen und alles erledigt. Eines Tages aber hat mich das so aufgeregt, dass ich wütend war und richtig lange geschrien habe. Warum sollen die Jungs ausruhen und Fernsehen schauen, während ich die Arbeit mache? Warum sollen die sich wertvoller fühlen als ich? Ich war so zornig und niemand konnte mich beruhigen. Dann haben sie mich zum ersten Mal ernst genommen. Nach diesem Vorfall haben wir uns die Hausarbeit aufgeteilt, Tag für Tag haben wir uns abgewechselt. Das war mein kleiner Sieg und ich fühlte mich bestätigt, dass sich Dinge, die ich nicht leiden kann, verändern lassen.
Und wie hast du dann Mitstreiterinnen gefunden?
Mit 13 Jahren habe ich zum ersten Mal an Treffen und Fortbildungen teilgenommen, die vor allem von UN Women [Organ der Vereinten Nationen für Geschlechtergleichheit und Empowerment von Frauen] organisiert wurden. Dabei wurde ich dann eingeladen, bei Girl Activists of Kyrgyzstan mitzumachen. Die engagieren sich für Gleichberechtigung und Rechte von Mädchen. Das Besondere an dieser Organisation ist, dass alle 13 bis 17 Jahre alt sind. Denn: Nur wir wissen, was gut für uns ist.
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Unter euch Mädchen konntet ihr die Probleme besser ansprechen?
Wir hatten viele Workshops, einen Blog, Mädchen aus dem ganzen Land konnten so ihre Probleme artikulieren. Wir hatten aber auch Aktionen mit Jungs, wo wir unsere Themen dann auch direkt vorbringen können.
Um dort zur Veränderung anzuregen, wie bei deinen Brüdern?
Ja, genau. Wir haben gemeinsam Demonstrationen und Aktivitäten geplant, aber wir hatten auch Selbstbehauptungskurse. Dadurch kam ich in Kontakt mit Bishkek Feminist Initiatives. Unsere Mädchen-Organisation wurde auch zu einer der besten weltweit gewählt, eben weil es eine Jugendorganisation ist, bei der niemand über 18 Jahre alt ist. Leider bedeutet das, das ich bald auch zu alt bin, um dort weiter mitzuarbeiten.
Wie steht deine Familie zu deinen Aktivitäten? Wissen sie, was für eine Rolle du da heute gespielt hast?
Sie wissen, dass ich da heute bin, aber was genau ich tue, ist ihnen nicht klar. Sie meinten auch, bleib lieber daheim, und sagten: „Hoffentlich kriegt dich die Polizei nicht. Wenn du auf der Wache sitzt, werden wir dich nicht rausholen. Also lass dich lieber nicht schnappen“. So nach dem Motto: „Es ist deine Sache, was du machst.“
Klingt eher nicht, als würdest du da große Unterstützung erfahren?
Meine Mutter unterstützt mich schon, sie glaubt an mich und sagt mir, ich solle tun, was ich für richtig halte.
Also bist du aktiv, seit du 13 Jahre alt bist – Auf wie vielen Demonstrationen warst du bisher?
Ich bin das dritte Mal nun auf einer Demonstration, also jedes Jahr einmal. Der Internationale Frauentag ist der wichtigste Tag für mich, beinahe wichtiger als mein Geburtstag. Auch letztes Jahr war ich schon mit dem Megafon unterwegs. Die Organisatorinnen mochten einfach meine Stimme, auch wenn ich heute nicht ganz so zufrieden mit ihr bin.
Bei all euren Standpunkten und Wünschen, was liegt dir persönlich besonders am Herzen?
Mir ist besonders wichtig, dass Brautentführungen nicht länger als Tradition verklärt werden. Meine Mutter wurde entführt, als sie 17 Jahre alt war. Sie war ein Jahr weg von Zuhause und lebte mit der Familie, die sie entführt hatte. Sie wollte immer fort von da, aber ihre Mutter redete auf sie ein und sagte: „Es ist eine gute Familie, der Mann liebt dich und du wirst bestimmt glücklich werden.“ Also hatte sie keine Wahl, es war schrecklich für sie, aber sie konnte nichts machen. Ich will, dass Mädchen und Frauen selbst bestimmen können, zu gehen, wann und wohin sie wollen. Es regt mich echt auf, dass es Leute gibt, die meinen, das sei eine Tradition. Das ist es sicher nicht!
Bei so einer Entführung sind es immer vier, fünf Männer, die einen entführen und zum Haus des Mannes bringen. Da heißt es dann: „Du wirst jetzt meine Frau“. Und viele Mädchen können gar nichts dagegen tun. Dann ruft die Familie des Mannes die Eltern des Mädchens an, sie sagen dann: „Kommt her, wir halten die Hochzeit ab.“ Wenn die Eltern dann nicht zustimmen, können sie das Mädchen wieder zurückholen. Aber wenn die Eltern des Mädchens die Familie des Mannes gut genug finden, sind sie zufrieden und willigen in die Vermählung ein. Aber was das Mädchen will, hat überhaupt keine Bedeutung. Als ob sie kein Mensch wäre, viel eher wie ein Tier über das verhandelt wird. Wie über ein Schaf.
Und deine Mutter hat das auch erlebt?
Sie wurde mit einem Mann verheiratet und lebte ein Jahr lang mit ihm. Sie dachte, sie müsse bleiben und mit ihm zusammenleben. Immer in der Hoffnung, vielleicht glücklich zu werden, vielleicht eine glückliche Familie zu werden. Aber sie sagte, dass es dort sehr, sehr schlimm gewesen sei. Dabei nahm sie sich vor, zu bleiben und eine gute Ehefrau zu sein. Eines Tages aber entschied sie, dass sie es nicht mehr aushalten konnte und sie flüchtete. Sie selbst heiratete danach nicht wieder. Mit 42 Jahren hat sie mich dann geboren.
Du meintest, du bist bald zu alt für die Mädchen-Organisation. Was sind deine Zukunftspläne?
Ich werde für ein feministisches Jugendmagazin schreiben. Ich sollte mich eigentlich mal damit auseinandersetzen, was ich studieren möchte. Aber bisher habe ich noch keine konkrete Idee. Ich interessiere mich für so viele Dinge, darum fällt es mir auch schwer, mich für das eine Studium zu entscheiden. Generell aber lieber nicht hier, ich würde gerne im Ausland studieren. Hier ist es schwer auszuhalten, ich befürchte die Universitäten hier sind schlimmer als die Schulen.
Was würdest du anderen Mädchen und Frauen mit auf den Weg geben?
Ich würde sagen, als Mädchen können wir nicht darauf warten, dass uns unsere Rechte irgendwann einfach so zufliegen. Wir müssen sie einfordern, wir müssen etwas tun, manchmal sogar schreien. Solange es nur laut genug ist.
Mit Baktygul Rakymbajewa sprach Philip Klein,
Journalist für Novastan in Bischkek.
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