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Kirgistan wird immer intransparenter

Das politische Geschehen in Kirgistan wird für Bürger:innen und Journalist:innen immer intransparenter. Die Behörden verwehren den Zugang zu Vermögenserklärungen, sie blockieren Wahlbeobachter und erschweren den Zugriff auf anstehende Gesetzentwürfe. Die zuvor so aktive Zivilgesellschaft zeigt dafür aber kaum Interesse. Folgender Artikel erschien im russischen Original beim kirgisischen Online-Medium Kloop.kg. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Kloop 

Übersetzt von: Florian Coppenrath

Kloop (23. August 2022)

Kirgistan Instransparenz
Illustrationsbild: Eine Reihe von Gesetzesentwürfen reduziert den Zugriff auf Daten von öffentlichem Interesse

Das politische Geschehen in Kirgistan wird für Bürger:innen und Journalist:innen immer intransparenter. Die Behörden verwehren den Zugang zu Vermögenserklärungen, sie blockieren Wahlbeobachter und erschweren den Zugriff auf anstehende Gesetzentwürfe. Die zuvor so aktive Zivilgesellschaft zeigt dafür aber kaum Interesse. Folgender Artikel erschien im russischen Original beim kirgisischen Online-Medium Kloop.kg. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

In Kirgistan wurde in den vergangenen zwei Jahren eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die den Zugang zu Informationen von öffentlichem Interesse einschränken. Mehrere weitere sind geplant. Hinzu kommt, dass bestehende öffentliche Datenbanken aufgrund unvollständiger oder nicht überprüfbarer Informationen oder oft nur von begrenztem Nutzen sind.

Verschleierte Einkommens- und Vermögenserklärungen

Ein Beispiel sind die Erklärungen von Beamten und Abgeordneten: Als einziges Land in Zentralasien veröffentlicht Kirgistan seit mehr als 15 Jahren Informationen über das Einkommen und Vermögen der Inhaber öffentlicher und politischer Ämter. Was ursprünglich als Teil der Korruptionsbekämpfung gedacht war, ist aber zu einer Formalität verkommen. Die Vermögenserklärungen enthalten immer weniger Daten, und es wurde noch niemand für falsche Angaben belangt, wie Kloop herausfand. Dennoch boten solche Erklärungen bislang wichtige Einblicke in das sichtbare und verborgene Vermögen der Beamten.

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Im Frühjahr 2022 schlug Sadyr Dschaparows Präsidialverwaltung vor, Einkommens- und Vermögenserklärungen geheim zu halten und die Steuerbehörden nicht mehr zur Veröffentlichung von aggregierten Daten über die Gehälter und das Vermögen der Beamten und Abgeordneten zu verpflichten. Die Verfasser des Gesetzesentwurfes haben den Grund für die Änderung nicht öffentlich erläutert. Sollte es bis zum Ende dieses Jahres verabschiedet werden, sind schon die Einkünfte für 2021 nicht mehr öffentlich zugänglich.

Gleichzeitig hat die Präsidialverwaltung einen Mechanismus vorgeschlagen, um alle nicht dokumentierten Vermögenswerte, einschließlich derer, die illegal oder unrechtmäßig erworben wurden, „reinzuwaschen“. Dafür reicht eine gesonderten Erklärung bei den Steuerbehörden. Es ist nicht nötig zu erklären, woher die „zusätzlichen“ Millionen Som oder etwa eine riesige Villa stammen. Durch eine einfache Erklärung sind öffentliche Bedienstete in Zukunft vor Strafverfolgung wegen illegalen Erwerbs von Vermögenswerten geschützt. Auch diese Erklärungen werden geheim sein – nach zehn Tagen sollen sie einfach vernichtet werden.

Die Verfasser des Gesetzes behaupten, dass die Offenlegung von zuvor verborgenem Einkommen und Vermögen die Investitionen erhöhen und den Anteil der Schattenwirtschaft verringern wird. In Wirklichkeit ermöglichen aber geheime Erklärungen es Personen, die schwere Straftaten begangen haben, sich ihrer Verantwortung zu entziehen.

Der einzige Artikel des ursprünglichen Gesetzentwurfs, unter dem es nicht möglich war, eine solche [gesonderte] Erklärung abzugeben, war der Terrorismus“, erklärt Tscholpon Dschakupowa, Leiterin der „Adilet Legal Clinic“, gegenüber Kloop. Bei anderen Fällen können die Erlöse einfach legalisiert werden. „Es wird dann nicht einmal gegen die entsprechende Person ermittelt. Es ist nicht möglich, ein Strafverfahren gegen sie einzuleiten – auch nicht in Zukunft“.

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Die Anwälte von Adilet haben die neuen Gesetzentwürfe im Auftrag der Regierung geprüft und festgestellt, dass sie mit der kirgisischen Verfassung sowie dem Straf- und Strafprozessrecht nicht vereinbar sind. Der Gesetzgeber hat jedoch nur einen ihrer Kommentare berücksichtigt. „In der letzten Fassung sah es so aus, dass man sich nicht der Verantwortung entziehen kann, wenn der Erlös aus dem Drogenhandel, dem Menschenhandel oder der Beteiligung an Sexsklaverei stammt“, so Dschakupowa.

Die größte Gefahr besteht jedoch darin, dass solche Gesetze die politische Korruption legalisieren, wie Adilet betont. Das kirgisische Strafgesetzbuch enthält einen Artikel über „unrechtmäßige Bereicherung“, der nach der Ratifizierung des UN-Übereinkommens gegen Korruption hinzugefügt wurde. Tatsächlich wurde er nie angewandt, weil die Steuerbehörden keinen wirksamen Mechanismus zur Überprüfung der Erklärungen der Beamten entwickelt haben. Nun machen die Initiativen des Präsidenten den Kampf gegen die Korruption in Kirgistan endgültig zur Farce.

Ihr werdet nie erfahren, was sie mit euren Steuern gekauft haben

Dschaparow hat auch eine Änderung des Gesetzes über das öffentliche Auftragswesen initiiert. Ab Sommer 2022 müssen staatliche und kommunale Unternehmen und Aktiengesellschaften mit mehr als 50 Prozent staatlicher Beteiligung keine Ausschreibungen mehr durchführen und keine Daten über ihre Einkäufe veröffentlichen. Ein Drittel der gesamten Haushaltsausgaben wird in den Schatten gestellt.

Beschaffungen durch kürzlich gegründete staatlichen Unternehmen wie die „Heritage of the Great Nomads holding“, „Kyrgyzindustriya AG“ und den „Tourism Development Fund“ werden nicht mehr ersichtlich sein. Im Wesentlichen wird der Staat über diese Unternehmen den Bergbau-, Energie-, Industrie- und Tourismussektor kontrollieren – alles, was gutes Geld einbringt. Wie diese Haushaltsmittel ausgegeben werden, soll jedoch ein Geheimnis bleiben.

Darüber hinaus führt das Gesetz eine neue Methode für die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen ein – eine eingeschränkte, bei der nur „qualifizierte“ Anbieter an Ausschreibungen teilnehmen dürfen. Die Informationen darüber, was zu welchem Preis gekauft wurde, sind vertraulich und können weder von Konkurrenten noch von normalen Bürgern Kirgistans eingesehen werden. Schulbücher zum Beispiel werden auf diese Weise beschafft.

Schließlich ließ Dschaparow die Liste der Bedingungen, unter denen Waren und Dienstleistungen ohne Ausschreibung von einem einzigen Anbieter erworben werden können, erheblich erweitern. Jetzt können direkte Beschaffungen mitunter auf Anordnung des Präsidenten durchgeführt werden. Er wird entscheiden, was der Staat kauft, und sein Kabinett wird die geeigneten Lieferanten auswählen.

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Bei der Unterzeichnung des neuen Gesetzes erklärte der Präsident in bester Tradition von George Orwells Dystopie „1984“, dass offene und wettbewerbsorientierte Ausschreibungen der Hauptgrund für Korruption seien. Als Beispiel nannte der Präsident Bauaufträge. „Unter dem Deckmantel einer Ausschreibung wurden Schulen gebaut, die 820 Dollar pro Quadratmeter kosten“, schrieb er auf Facebook. „Zugleich entsprach die Qualität nicht den Normen. Ich habe Experten einberufen und Berechnungen angestellt. Heutzutage kann ein Bauunternehmer bei Kosten von 650 Dollar pro Quadratmeter einen Gewinn mit seiner Arbeit erzielen.

Solche Mängel könnten durch eine gründlichere Ausarbeitung der Ausschreibungsunterlagen und durch die Einladung neuer Auftragnehmer behoben werden, aber Kirgistan hat einen anderen Weg eingeschlagen: Es hat dem Präsidenten allein die Entscheidung darüber überlassen, wer was in Kirgistan baut und wie viel Gewinn er dabei machen kann. All dies schränkt die Transparenz und den Wettbewerb im öffentlichen Auftragswesen erheblich ein.

In der kirgisischen Geschäftswelt weiß man nie, wer wer ist

Die Daten über das öffentliche Beschaffungswesen in Kirgistan waren bisher von dürftiger Qualität. So werden beispielsweise im Portal für das öffentliche Auftragswesen keine Verträge veröffentlicht, die im Rahmen von Ausschreibungen geschlossen wurden, und auch keine Angaben zu den Durchführungsphasen. So ist etwa nachvollziehbar, das der Bau einer Schule ausgeschrieben und an einen Auftragnehmer vermittelt wurde. Ob die Schule aber gebaut wurde, kann man den Unterlagen nicht entnehmen.

Dennoch konnten Investigativjournalisten anhand der Daten des Portals für das öffentliche Auftragswesen verschiedene korrupte Praktiken aufdecken. Mit Hilfe einer von der Kloop-Datenabteilung entwickelten Graphikdatenbank konnten die Gründer der Unternehmen, die die profitabelsten Ausschreibungen gewonnen haben, ermittelt werden. Beispielsweise hatte der Sohn des ehemaligen Abgeordneten Abdimuktar Mamatow über eine Milliarde Som (ca. 12 Millionen Euro) mit dem Verkauf von Treib- und Schmierstoffen an die Regierung verdient, während sein Vater Mitglied des parlamentarischen Treibstoffausschusses war.

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Aber selbst mit modernen Hilfsmitteln ist es nicht einfach, solche Fälle zu untersuchen, da Unternehmensgründer Namensvettern haben können. Unter dem Vorwand des Schutzes personenbezogener Daten werden in der Datenbank der juristischen Personen keine individuellen Steuernummern der Unternehmenseigentümer veröffentlicht, und die Datenbank des Steuerdienstes liefert seit einiger Zeit keine Informationen über den Wohnsitz der Steuerzahler. Zuvor konnten Journalisten durch eine Anfrage beim Staatlichen Registrierungsdienst (GRS) herausfinden, wie viele Personen mit demselben Namen im Land leben. In letzter Zeit antwortet der GRS jedoch nicht mehr auf solche Anfragen.

Geheime Gesetzesentwürfe

Seit Dschaparow Präsident ist, hat das Parlament, der Dschogorku Kengesch, mitunter ganze neue Gesetzbücher verabschiedet: das Steuergesetzbuch, das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung und das Gesetzbuch für Straftaten. Jedoch fast ohne Beteiligung der Öffentlichkeit. Die Entwürfe der Gesetzesbücher wurden zunächst auf der Website des Parlaments veröffentlicht, woraufhin zahlreiche Kommentare von Bürgern eingingen. Es war jedoch nicht möglich zu überprüfen, ob sie vor der Verabschiedung berücksichtigt worden waren – die endgültige Fassung der Gesetze wurde direkt an den Präsidenten übermittelt.

Generell war der Bereich für Gesetzesentwürfe auf der Website des Dschogorku Kengesch für mehr als einem Jahr nicht aufrufbar. Im Oktober 2020 wurde er vom Netz genommen, als ein Mob das Weiße Haus in Bischkek stürmte und den Server des Parlaments zerstörte, aus Ärger über die Ergebnisse einer anderen Wahl. Die Bürger erfuhren von der Verabschiedung neuer Gesetze aus den Zeitungen, aber erst mit Verzögerung. Dies steht im Widerspruch zum Gesetz über normative und rechtliche Akte, in dem ausdrücklich festgelegt ist, dass bei der Schaffung und Änderung von Gesetzen die Grundsätze der Öffentlichkeit zu beachten sind.

Verschwindende Datenbanken

Die Integrität der Datenbanken von Regierungswebsites ist ein Schwachpunkt der kirgisischen Regierungsbehörden. Im Februar 2021, einen Monat nach der Präsidentschaftswahl, die Sadyr Dschaparow im Amt bestätigte, aktualisierte die Generalstaatsanwaltschaft Kirgistans ihre offizielle Website. Dabei verschwanden alle alten Pressemitteilungen. Gleichzeitig wurde auch die Internetseite des kirgisischen Innenministeriums aktualisiert. Das dortige Archiv für Nachrichten und Pressemitteilungen ist ebenfalls nicht mehr verfügbar. Die Staatsanwaltschaft erklärte, dass es aus technischen Gründen nicht möglich gewesen sei, alle Materialien und Daten der alten Website wiederherzustellen.

Die Bürger haben jedoch keinen Zugang mehr zu der umfassendsten und zuverlässigsten Datenbank über die im Lande begangenen Straftaten. Gerichtsurteile in Kirgistan sollten eigentlich öffentlich einsehbar sein, aber in Realität sind Entscheidungen in vielen heiklen Fällen, z. B. in Korruptionsfällen, nicht in der Datenbank der Gerichtsakten enthalten. Die Gerichte weigern sich, sie auszuhändigen, selbst auf Anfrage. Die Anwälte von Kloop versuchten, gegen die Ablehnungen Berufung einzulegen, verloren jedoch, da das kirgisische Recht den Bürgern nicht erlaubt, die Justiz zu verklagen.

Gleichzeitig sind die Gerichte zunehmend dazu übergegangen, hochkarätige Fälle unter Ausschluss der Öffentlich zu verhandeln. Vor Kurzem wurde in Bischkek der Vergewaltigungsfall eines 13-jährigen Mädchens hinter verschlossenen Türen verhandelt – selbst ein Mitarbeiter des Ombudsmannes durfte den Gerichtssaal nicht betreten. Verschiedene offene Datenbanken auf den Webseiten von Regierungsbehörden fallen ständig aus. Seit mehreren Jahren kann man auf der Website der Hohen Beglaubigungskommission nicht mehr auf die Datenbank der in Kirgistan verteidigten Dissertationen zugreifen.

Interessanterweise „zerbrach“ die Seite, nachdem das internationale Projekt Dissernet eine Reihe von Untersuchungen über die zahlreichen Plagiatsfälle kirgisischer Beamter und Abgeordneter veröffentlicht hatte. Im vergangenen Jahr konnten die Journalisten von Kloop keine einzige Informationsquelle über die Verteilung der humanitären Hilfe finden, die zur Bekämpfung von COVID-19 ins Land kam: Die Webseiten ließen sich entweder gar nicht öffnen oder enthielten veraltete Informationen.

Unkontrollierte Wahlen

Im September 2021 hat die Zentrale Wahlkommission das Registrierungsverfahren für Wahlbeobachter geändert. Seitdem sind nur noch Organisationen zulässig, die sich in ihrer Satzung ausdrücklich mit Wahlen, Wahlrecht und Menschenrechten befassen. Auf der Grundlage des neuen Verfahrens weigerte sich die Wahlkommission, Kloop als Beobachter für die Parlamentswahlen im November 2021 zu registrieren.

Der Grund dafür ist banal: Während früherer Wahlkämpfe schickte Kloop Tausende von Beobachtern in die Wahllokale im ganzen Land, die Hunderte von geringfügigen bis sehr schwerwiegenden Verstößen dokumentierten, wie Bestechung oder Druck auf die Wähler. Gegen die meisten dieser Verstöße versuchte Kloop in allen Instanzen, bis hin zu den Gerichten, Einspruch zu erheben: Die Einschränkung des Rechts von Bürgern und Organisationen, den Wahlvorgang zu beobachten, verstößt gegen das Wahlrecht.

Sie haben das Recht zu schweigen

Das Recht auf freien Zugang zu Informationen ist in der kirgisischen Verfassung verankert. Das Gesetz über Massenmedien ermöglicht es Journalisten, Daten von staatlichen Stellen innerhalb einer Sonderfrist von zwei Wochen zu erhalten. In Wahrheit ignorieren Regierungsbeamte zunehmend Anfragen oder antworten nicht in der gewünschten Weise, wobei die sich auf Geschäftsgeheimnisse und das Gesetz über personenbezogene Daten berufen.

So ignorierte das kirgisische Gesundheitsministerium im Jahr 2021 mindestens fünf Anfragen von Kloop bezüglich der Verteilung der internationalen humanitären Hilfe, die zur Bekämpfung von COVID-19 ins Land kam. Im Jahr 2022 wurde der Leiter des Ministeriums, Alymkadyr Beischenalijew, der sein Amt auf dem Höhepunkt der Epidemie antrat, festgenommen. Gegen ihn wurden sieben Strafverfahren eingeleitet: Korruption, Bestechung, Amtsmissbrauch und Abschluss eines wissentlich unrentablen Vertrags – offenbar hat das Gesundheitsministerium wirklich etwas zu verbergen.

Unmittelbar nach der Verhaftung des Ministers setzte der Präsident Dschaparow eine Kommission ein, die die Umstände seiner Verhaftung untersuchen sollte. Es wurde jedoch bald klar, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht öffentlich sein würden – alles, was die Kommission herausfände, würde nur dem Präsidenten zugänglich sein.

Es ist nicht die erste Untersuchung der Angelegenheiten des Gesundheitsministeriums. Im Jahr 2020 setzte Kirgistan eine interministerielle Kommission ein, die prüfen sollte, wie die Behörden des Landes mit der Coronavirus-Epidemie im Frühjahr und vor allem im Sommer 2020 umgingen – einer Zeit, in der die Opferzahlen ihren Höhepunkt erreichten.

Die Kommission sammelte Daten, hielt eine große Pressekonferenz ab, auf der es viele Hinweise auf schwere Unregelmäßigkeiten gab, und ihre Mitglieder gaben mehrere Interviews. Der Prüfbericht wurde jedoch nie veröffentlicht, und die Kommission löste sich bald selbst auf. Auch der Rechnungshof untersuchte, wie der Staat die aus dem COVID-19-Haushalt bereitgestellten Mittel ausgegeben hatte. Die wichtigsten Ergebnisse wurden bei einer Pressekonferenz im Dezember 2021 präsentiert. Der Bericht selbst wurde jedoch entgegen den gesetzlichen Anforderungen nicht auf der offiziellen Website veröffentlicht.

Die Journalisten von Kloop konnten ihn erst im Büro der Rechnungskammer einsehen, nachdem sie sich verpflichtet hatten, keine Fotos von dem Dokument zu machen. Es stellte sich heraus, dass der Bericht viele interessante Details und Hinweise auf Unregelmäßigkeiten enthielt, die der Generalstaatsanwaltschaft zur Prüfung übermittelt wurden. Die Staatsanwaltschaft hat auf die Anfrage von Kloop nach ihren Erkenntnissen und den eingeleiteten Strafverfahren nie geantwortet.

Manchmal gelingt es Journalisten, ihr Recht auf Auskunft vor Gericht zu verteidigen. Als sich das kirgisische Justizministerium weigerte, auf Kloops Anfragen zu den Gründern juristischer Personen zu antworten, zogen die Journalisten vor Gericht und gewannen den Fall. Doch seit 2017 ist es schwieriger geworden, die Behörden zu verklagen. Die kirgisischen Gerichte akzeptieren solche Klagen nur noch, wenn ein Ministerium oder eine Behörde der Exekutive als Beklagter genannt wird. Es ist nicht möglich, die Legislative, die Judikative, den Bürgerbeauftragten oder die Nationalbank zu verklagen, da das Gericht sie für ungeeignete Beklagte hält.

Eine ausgebrannte Zivilgesellschaft

Die Zivilgesellschaft in Kirgistan gilt als besonders aktiv, obwohl jeder, der an die Macht kommt, versucht, sie so weit wie möglich zu neutralisieren. Wenn es jedoch um den rapiden Verlust an Transparenz in Kirgistan geht, gibt es kaum einen Aufschrei. Tscholpon Dschakupowa, Leiterin der Adilet Legal Clinic, meint, die Zivilgesellschaft reagiere „sehr passiv“ auf die Gesetzgebung zur Legalisierung von unrechtmäßigem Vermögen und die Geheimhaltung der Vermögenserklärungen von Politikern.

In letzter Zeit hat sie [die Zivilgesellschaft] auf unbedeutende Dinge reagiert: auf das Baden von Abgeordneten, auf Hochzeitsfeiern, auf die Art und Weise, wie jemand gekleidet ist. Aber wenn es um einige wichtige Dinge geht, reagiert sie nicht. Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, wird die Gesellschaft sich über neue Villen aufregen, aber der Schaden ist dann schon angerichtet“, sagte sie.

Dschakupowa weist auf die Unfähigkeit der Zivilgesellschaft hin, präventiv zu handeln: „Es tut mir leid, aber man muss lernen, präventiv zu arbeiten und nicht erst, wenn man mit den Folgen konfrontiert wird.“ Dinara Oschurachunowa, Leiterin des Civil Initiatives Fund, räumt ein, dass die Menschenrechtsgemeinschaft des Landes „ausgebrannt“ sei. Sie führt dies auf die Tatsache zurück, dass die Zivilgesellschaft viel Energie auf den Kampf gegen die Verfassungsreform von Sadyr Dschaparow verwendet hat, um die parlamentarische Regierungsform in Kirgistan zu verteidigen.

Als die Verfassung verabschiedet wurde und ein Neubeginn für die Inventarisierung von über 300 Gesetzen angekündigt wurde, bildeten einige Koalitionen und beteiligten sich an dem Prozess, aber einige Kollegen und ich weigerten uns, an diesen Diskussionen teilzunehmen. Viele Kollegen, die daran teilgenommen haben, haben auch schon ihren Eifer verloren. Wir sind einfach nicht genug. Deshalb beginnen die Behörden und Gruppen um uns herum, Initiativen zu ergreifen, die unser Land zurückwerfen“, gesteht die Menschenrechtsaktivistin.

Der Oppositionspolitiker Rawschan Dscheenbekow beobachtet ebenfalls die Ermüdung der Zivilgesellschaft. „Drei Revolutionen in 30 Jahren. Viele Menschen – Aktivist:innen und Journalist:innen – kämpfen, aber leider gibt es keine sichtbaren Ergebnisse, die das Land voranbringen“, sagte er.

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Die kirgisische Zivilgesellschaft und die Journalistinnen betrachten die finanziellen und politischen Entscheidungen der Regierung aus der Ferne, was jener nur recht ist. „Es ist, als ob es nicht ihr Thema wäre“, erklärt der Politiker. „Als ob der Haushalt des Landes nicht ihr Geld wäre„. Dennoch glaubt Dscheenbekow, dass sich die Gesellschaft in Kirgistan wieder zu beleben beginnt.

Ich bin sicher, dass wir ab Herbst in die aktive Politik einsteigen werden“, schließt er optimistisch. Die Aktivistin Rita Karasartowa sagt jedoch unverblümt, dass sie keinen Sinn mehr darin sieht, auf die Initiativen der Behörden zu reagieren: „Ich sage nur: ‚Na gut, dann ist es eben so, wie es ist‘. Selbst ich bin skeptisch geworden. Die Stimme derer, die verstehen, worum es geht, ist so klein. Es ist die spießbürgerliche Mehrheit, die das Problem oberflächlich betrachtet, die sich durchsetzt„.

Ekaterina Resnikowa und Ajdaj Irgebajewa Kloop.kg

Aus dem Russischen von Florian Coppenrath

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