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Die Golfstaaten investieren in Zentralasien

Seit einigen Jahren verfestigen die Staaten des persischen Golfes ihre Präsenz in Zentralasien. Auch wenn wirtschaftliche Interessen hierbei im Vordergrund zu sein scheinen, spielen geopolitische Aspekte keine geringere Rolle.

Der usbekische Präsident Mirziyoyev mit dem emiratischen Kronprinzen Mohammed ben Zayed al-Nahyan.

Seit einigen Jahren verfestigen die Staaten des persischen Golfes ihre Präsenz in Zentralasien. Auch wenn wirtschaftliche Interessen hierbei im Vordergrund zu sein scheinen, spielen geopolitische Aspekte keine geringere Rolle.

Lange Zeit waren die arabischen Golfstaaten Objekt der Begierde traditioneller Regionalmächte. Nun mischen sie zunehmend im Ringen um das wirtschaftliche und strategische Potential Zentralasiens mit. An vorderster Stelle der Investoren stehen die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Insbesondere in den Schlüsselsektoren Energie, Infrastruktur, Landwirtschaft, Finanzen und Industrie sind rege Aktivitäten zu beobachten. Die neue Präsenz der VAE stimuliert nicht nur die Wirtschaft, sondern rüttelt ebenso an den geopolitischen Verhältnissen Zentralasiens.

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Während der letzten Monate vertieften sich die Beziehungen zwischen den Golfstaaten und Zentralasien. Dies wurde vor allem im März 2019 während der Staatsbesuche des kasachischen Präsidenten Qasym-Jomart Tokaev und des usbekischen Präsidenten Shavkat Mirziyoyev in den Emiraten ersichtlich. Letzterer unterzeichnete bilaterale Abkommen über Investitionen in den Sektoren Finanzen, erneuerbare Energien, Industrie, Infrastruktur, Landwirtschaft und Kultur. Wie das amerikanische Medium Eurasianet berichtete, schloss der usbekische Präsident ebenso ein Abkommen über Investitionen im Umfang von 10 Mrd. US-Dollar mit dem emiratischen Staatsfond Mubadala Development Company in drei Schlüsselsektoren ab: Elektrizität, erneuerbare Energien, sowie in der Öl- und Gasindustrie.

Die Golfstaaten investitieren in Zentralasien

Die usbekische staatliche Ölgesellschaft Uzbekneftegaz profitierte im vergangenen Jahr nicht nur finanziell, sondern auch durch strategische Beratungen zur Ölproduktion und zum Vertrieb durch die Abu Dhabi National Oil Company. Mit 107 emiratischen Kapitalgesellschaften, die in Usbekistan operieren, verfügt Taschkent bereits über solide Wirtschaftsbeziehungen mit den VAE – vor allem in den Sektoren Textilien, Baumaterial und Dienstleistungen. Im Jahr 2018 betrug das bilaterale Handelsvolumen 400 Mio. US-Dollar. Für das kommende Jahr wird angepeilt, die Milliardenmarke zu knacken. Schon im  letzten Januar kündigten die VAE an, massiv in die usbekische Textilindustrie zu investieren.

Dem Think Tank Middle East Institute zufolge erhält Kasachstan, das zur Zeit am meisten prosperierende Land der Region, den größten Anteil arabischer Investitionen. Die emiratische Aktiengesellschaft DP World, drittgrößter Hafenbetreiber der Welt, erwarb erst kürzlich 49% der Anteile an der Sonderwirtschaftszone des Hafens von Aqtau am Kaspischen Meer, sowie 51% der Anteile an der Sonderwirtschaftszone Khorgos – einem strategisch wichtigen Punkt zwischen China und Kasachstan. Der staatliche Investitionsfond Mubadala plant darüber hinaus, einen auf kaspischem Erdgas aufbauenden Chemiekomplex im Hafen von Atyrau zu errichten und in die Produktion von Polyethylen und Polypropylen zu investieren.

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Turkmenistan, das seinen Energiesektor bislang stark gegen ausländische Unternehmen schützte, öffnete sich nun den VAE gegenüber. Das in Dubai ansässige Öl- und Erdgasunternehmen Dragon Oil ist mittlerweile einer der größten Investoren in Turkmenistan. Darüber hinaus verfolgen die VAE gemeinsam mit Saudi-Arabien den Bau der Pipeline „TAPI“ zwischen Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan und Indien.

Im vergangenen März hat Tadschikistan schließlich einen Vertrag über ein Darlehen von 25,5 Mio. US-Dollar mit dem Kuwait Fund for Arab Economic Development abgeschlossen. Das Darlehen soll für Reparaturen der Infrastruktur im Südosten des Landes verwendet werden.

Wie Zentralasien arabisches Kapital anlockt

Ihrerseits unternehmen die Staaten Zentralasiens große Anstrengungen, um ausländische Unternehmen zu Investitionen zu ermutigen. So rief Kasachstan im Jahr 2018 das Internationale Finanzzentrum Astana (AIFC) ins Leben. Das AIFC will zum regionalen Hub für Finanzdienstleistungen im strategisch wichtigen Schnittpunkt zwischen den Märkten Asiens, Europas und des Nahen Ostens werden. Das AIFC und seine Schiedsgerichte operieren nach der angelsächsischen Common Law, eine wichtige Vorraussetzung für ausländische Investitionen.

Die Initiativen werden von weiteren Maßnahmen begleitet: U.a. Visafreiheit für mehrere arabische Staaten und ihre Investoren, Übernahme von Bankentgelten seitens des AIFC, sowie kostenfreie Bereitstellung von Büroräumen ab 2021. Ebenso wurden neue Flugverbindungen von Nur-Sultan nach Abu Dhabi und Dubai eingerichtet. Weitere Linien zwischen Kasachstan und den Staaten Katar, Oman und Saudi-Arabien sind gleichfalls angedacht.

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Ähnliche Maßnahmen wurden auch in Usbekistan getroffen. Präsident Shavkat Mirziyoyev hob per Dekret die Visapflicht für emiratische Staatsbürger für eine Aufenthaltsdauer von bis zu 30 Tagen auf. Ebenfalls wurde in den Golfstaaten eine Tourismuskampagne gestartet. Seit 2018 stieg die Zahl emiratischer Touristen um 50%. Mit der neuen Visaregelung wird ein anhaltender Trend erwartet.

Wirtschaftliche Diversifizierung  für beide Seiten wichtig

Die Gemeinsamkeiten beider Regionen – namentlich ihre strategische Lage, ihre Rohstoffabhängigkeit, der sunnitische Islam, ihre wirtschafltichen Möglichkeiten – vereinfachen dieses neue interregionale Paradigma.

Wie der Experte Rauf Mammadov kommentiert, sei das Engagement ein wahrer Segen für Zentralasien, angesichts wirtschaftlicher Schwierigkeiten in der Region. Der schwache Ölpreis aufgrund eines momentan fragilen Weltmarkts zwang die Regierungen Zentralasiens, den kasachischen Tenge abzuwerten. Die Golfstaaten, die wie die Staaten Zentralasiens vom Ölpreis abhängig sind, seien ebenfalls an einer Diversifizierung ihrer Wirtschaft interessiert.

Die Investitionen der Golfstaaten dienen einerseits ehrgeizigen Projekten in Zentralasien, für die es sonst an finanziellen Mitteln mangelt, und andererseits den arabischen Ländern in einer Region Fuß zu fassen, in der sie große Investitionsmöglichkeiten sehen. Sie bringen darüber hinaus eigene Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich der wirtschaftlichen Diversifizierung mit. Während die VAE diesen Weg bereits seit Jahren gehen, implementierte Saudi-Arabien mit der Vision 2030 eine Agenda, die ebenfalls eine Diversifizierung in den kommenden Jahren einleitet.

Nicht nur wirtschaftliche, auch geopolitische Gründe

Der Eintritt der Golfstaaten in die Region untergräbt das geopolitische Spiel um Zentralasien, in dem Russland und China traditionell die Fäden zogen. Während Russland Zentralasien als historische Einflusszone betrachtet, steht die Region für China im Zentrum des Projekts Neue Seidenstraße. Für beide stellen die Golfstaaten eine ernste Konkurrenz dar.

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Dem Wissenschafler und Analysten Theodore Karasik zufolge, gehe es den Golfstaaten darum, ihren Nachbarn Türkei und Iran entgegenzutreten. Die Interessen Saudi-Arabiens und der VAE in Tadschikistan, das zum Iran historisch-kulturelle Bindungen pflegt, seien nicht nur wirtschaftlicher, sondern sicherlich auch geopolitischer Natur, um den Iran aus der Region zu vertreiben. Im Mai 2018 erwarb ein saudischer Investitionsfond 51% der Anteile an einer strauchelnden tadschikischen Bank. Nichtsdestotrotz betonte der tadschikische Botschafter in Teheran die Notwendigkeit der wirtschaftlichen Kooperation beider Länder und appellierte an iranische Investitionen in Tadschikistan.

Während des dreizehnten Zusammentreffens des iranisch-tadschikischen Wirtschaftskomitees im vergangenen Dezember drängte der Iran Tadschikistan, konkretere Maßnahmen zu treffen, um ihre Wirtschaftsbeziehungen zu vertiefen. Der iranische Energieminister Reza Ardakanian kritisierte hierbei ihr aktuell unzureichendes bilaterales Handelsvolumen. In der Landwirtschaft, dem Gesundheitswesen, der Strom- und Wasserversorgung und der Bildung sieht der Iran Potentiale zur Kooperation und Verminderung von Handelshindernissen.

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Der Iran scheint sich im Spiel um Einfluss in Zentralasien mit einer Zuschauerrolle nicht zufrieden zu geben und bekräftigte seine Präsenz in der Region mit dem Staatsbesuch des Präsidenten Hassan Rohani beim turkmenischen Präsidenten Gurbanguly Berdimuhamedow. Das iranische Ansinnen, Aschgabat ausschließlich für sich allein zu gewinnen, scheint angesichts Turkmenistans Not, seine Isolation zu überwinden und neue Exportmöglichkeiten für sein Öl zu finden, vergeblich.

Währenddessen versuchen die VAE der Türkei in ihrer islamischen Geopolitik in Zentralasien Konkurrenz zu machen. Hierbei stehen sich zwei Weltanschauungen gegenüber: Eine der toleranten Mäßigung und Vernunft, und eine radikale, der Muslimbruderschaft nahestehende Agenda.

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Nach Angaben des Center for Global Policy werden die Emirate in Zukunft über die wirtschaftliche Diversifizierung hinaus bestrebt sein, ihre Präsenz in Zentralasien durch den Ausbau der Verteidigungs- und Sicherheitsbeziehungen auszubauen. Abu Dhabi beginnt bereits, eine Sicherheitsagenda für Turkmenistan zu entwickeln, die ihrer Außenpolitik im Jemen und am Horn von Afrika ähnelt. Wie der Kreml sich angesichts dieser Tendenz verhalten wird, bleibt abzuwarten.

Manon Mazuir
Redakteurin von Novastan France

Aus dem Französischen von Robin Shakibaie

 

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