Die kirgisische Präsidentschaftswahl am 15. Oktober ist so spannend wie Wahlen in der Region es normalerweise nicht sind: Ihr Ausgang ist offen. Dennoch bleiben aber Stimmenkauf und die Nutzung administrativer Ressourcen zugunsten der Regierungspartei nicht aus.
Ob in Taxis, auf der Straße oder in den Häusern: Die Präsidentschaftswahl in Kirgistan am 15. Oktober ist in aller Munde. Etwa drei Millionen eingetragene Wähler können an diesem Sonntag das nächste Staatsoberhaupt ihres Landes bestimmen. Aber das wichtigste Gesprächsthema sind nicht die Wahlprogramme. Es ist ein offenes Geheimnis, dass manche Wähler der Hauptstadt auch unter Druck gesetzt werden, um für den einen oder anderen Kandidaten zu wählen.
Von Tür zu Tür zum Stimmenkauf
Fais, ein bischkeker Student, hatte ein solches Angebot nicht kommen sehen, als er am 10. Oktober vor seiner Haustür sein Auto wusch. „Zwei junge Frauen näherten sich und fragten mich, ob ich einen biometrischen Pass habe [notwendige Bedingung, um an der Wahl teilzunehmen, Anm. d. Red.]. Als ich verneinte, sagten sie, ich solle meine Eltern rufen.“
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Ein wenig später erklärte ihm seine Mutter, dass die zwei Frauen für 1000 Som (etwa 12 Euro) ihre Stimmen für den Regierungskandidaten Sooronbaj Dscheenbekow kaufen wollten.
Laut zahlreichen Angaben scheint 1000 Som der gängige Preis zu sein. Eine scheinbar kleine Summe, aber in Kirgistan etwa ein Zehntel des durchschnittlichen Monatsgehalts, also gerade für die ärmeren Bürger ein attraktives Angebot. Das erklärt auch, warum solche Fälle in den reicheren Vierteln der Hauptstadt kaum vorzufinden sind.
Stimmenkauf ist in der ehemaligen Sowjetunion keine neue Praxis. Bereits bei vergangenen Wahlen in Kirgistan, ob bei Parlaments- (2015, 2010) oder Präsidentschaftswahlen (2011, 2009) haben Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) solche Fälle aufgezeichnet. „Bei der Parlamentswahl vor ein paar Jahren hatte mich schon ein Mann an der Fakultät gefragt, ob ich meine Stimme verkaufen wolle“, fügt Fais hinzu.
Wer die Stimmen kauft, ist jedoch schwer zu ermitteln, zumal die Polizei und die Wahlkommission keine Untersuchung zu dem Thema unternommen haben. Zurzeit hat die kirgisische Staatsanwaltschaft auf ihrer Webseite lediglich die verschiedenen Fälle, die ihr berichtet wurden, aufgeführt. Ohne konkrete Maßnahme gegen die Stimmkäufer.
Die Spitze des Eisbergs
Dabei ist der Stimmkauf nur die Spitze des Eisbergs, denn das Phänomen ist sichtbar und leicht zu erkennen. Die Nutzung administrativer Ressourcen und hierarchischer Stellungen, um Druck auf Wähler auszuüben, ist eine ebenfalls gängige aber kaum gemeldete Praxis.
„Drei Tage vor der Wahl hat man mich gebeten, meine biometrischen Daten abzugeben und am 15. Oktober wählen zu gehen“, erklärt Irina (der Name wurde geändert, Anm. d. Red.), die für die Staatliche Bahngesellschaft arbeitet. Dabei war die Frist für die biometrische Registrierung eigentlich der 30. September. „Mein Chef hat mir sogar gesagt, ich solle am Sonntag vor 10 Uhr anrufen! (die Wahlbüros öffnen um 8 Uhr, Anm. d. Red.)“, sagt sie empört.
Irinas Vorgesetzter hatte ihr nicht explizit gesagt, für wen sie wählen soll. Aber sie hat es schnell verstanden. Der Exekutivdirektor der staatlichen Firma, Herr Nogojbajew, hatte vor seinen Angestellten seine Unterstützung für den Regierungskandidaten Sooronbaj Dscheenbekow angekündigt. Diese Ansage wurde vom kirgisischen Fernsehsender NTS aufgezeichnet und gesendet.
Im Anschluss hatte eine Nichtregierungsorganisation den Fall vor die Wahlkommission getragen. Trotz des strikten Verbots für Angestellte öffentlicher Unternehmen sich öffentlich für einen Kandidaten auszusprechen wurde die Klage zurückgewiesen. Begründet wurde das mit einem Gesetzestext, demzufolge „Klagen zu Verletzungen des Wahlrechts nur von am Wahlprozess beteiligten Personen eingereicht werden [können].“
Der Pressedienst von Sooronbaj Dscheenbekow konnte nicht auf eine Anfrage von Novastan antworten, da ein Mitglied des Sicherheitsdienstes an den Hörer ging. Der Kandidat Omurbek Babanow hat keinen Pressedienst und wir konnten niemanden in seinem Team erreichen.
Die Wahlkommission, die für solche Fälle zuständig ist, hat uns an die Polizei weitergeleitet, ohne die Vorwürfe zu widerlegen oder zu bestätigen. Die städtische Polizei von Bischkek wiederum verwies im Gespräch mit Novastan auf – die Wahlkommission. Ein schönes Hin und Her.
Der Reichtum der zwei Kandidaten erlaubt eine Kampagne in der vieles erlaubt scheint, selbst der Stimmenkauf, obwohl das Thema Tabu bleibt. „Alle wissen, dass Druck ausgeübt wird, aber niemand spricht darüber. Es ist der Elephant im Raum, den alle ignorieren,“ so eine Bischkekerin. Von den Politikern werden die Probleme tatsächlich nicht angesprochen.
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Aus Bischkek und aus Osch erhielt Novastan Berichte von beschlagnahmten Pässen in Krankenhäusern und Universitäten. Die Pässe der betroffenen Angestellten und Studenten werden ihnen erst am Wahltag zurückgegeben. Ein weiteres Beispiel wurde von der Seite Vesti.kg angegeben: Studierenden der bischkeker Rechtsakademie wurde der Pass abgenommen und sie wurden gebeten für Dscheenbekow zu stimmen. Vier von ihnen haben sich geweigert und füchten nun eine Exmatrikulierung.
Unklare Ausmaße
Es ist sehr schwer, das Ausmaß dieses Phänomens zu erfassen, da es den Behörden nur selten gemeldet wird, berichtete die OSZE in ihren vergangenen Berichten. Die Nutzung von hierarchischen Druckmitteln könnte Wähler auch zum Schweigen bringen, da sie um ihre Arbeit fürchten könnten.
Novastan hat nur Berichte von Druck zugunsten der zwei Favoriten Sooronbaj Dscheenbekow und Omurbek Babanow erhalten. Sie sind auch die zwei Kandidaten mit dem bei weitem größten Wahlbudget. Laut Angaben der Wahlkommission beträgt es über 200 Millionen Som (ca. 2,5 Millionen Euro) für Babanow und über 100 Millionen Som für Dscheenbekow. Weit mehr, als die anderen zehn Kandidaten, die zusammen etwa 67 Millionen Som (ca. 838 000 Euro) ausgegeben haben.
Die zwei reichesten Kandidaten sind auch die Favoriten in dieser Wahl, die so spannend ist, dass es erstmals in der Geschichte Kirgistans einen zweiten Wahlgang geben könnte.
Anastasiia Shevtsova
Clara Marchaud
Aus dem Französischen von Florian Coppenrath
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