Kasachisch soll ab 2025 mit lateinischen Buchstaben geschrieben werden. Das entsprechende Alphabet wurde im September vorgestellt. Was spricht für und gegen diese Umstellung? Open Asia hat die Argumenten von Befürworter*innen und Gegner*innen aufgezeichnet. Wir übersetzen den Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Der Präsident hat den Zeitplan vorgegeben. Bis 2025 soll das kasachische Alphabet – derzeit noch in kyrillischen Lettern dargestellt – in Lateinschrift wiedergegeben werden. Die Umstellung, die Präsident Nursultan Nasarbajew erstmals in der Strategie Kasachstan 2050 forderte, soll allen offiziellen Schriftverkehr bis hin zu Tageszeitungen und Schulbüchern betreffen. Im September wurde ein erster Entwurf für Kasachisch in lateinischen Buchstaben vorgestellt.
Angesichts Unterstützung seitens Nasarbajews besteht an der Umsetzung der Reform kaum Zweifel. Doch das Thema hat im Laufe des Jahres viele Debatten in der kasachstanischen Gesellschaft angeregt. Der Bestsellerautor Kanat Tasibekow ist dafür, der Vorsitzende der Union der Muslime Kasachstans Murat Telibekow dagegen. Ihre Argumente:
Kanat Tasibekow: Drei Gründe für Lateinschrift
Ich bin für die Einführung des Lateinalphabets. Argumente dafür gibt es viele, ich möchte die drei Wesentlichen nennen.
An erster Stelle löst ein Übergang zur Latinica die Fragen der Terminologie. Neue Wörter bilden fast eine eigene Sprache und in der letzen Zeit haben 8.000 von ihnen Einzug ins Kasachische gefunden. Viele der neuen Wörter stammen aus anderen Sprachen, werden in der Phonetik adaptiert und erscheinen als neues Wort.
Aus dem Russischen stammen nur wenige dieser Wörter, die meisten kommen aus anderen Sprachen, zum Beispiel aus dem Englischen. Die russische Sprache nimmt sie auf, gibt sie in der kyrillischen Schrift wieder und heraus kommen russische Wörter wie rejting, supervajzer, menedzher.
Das Kasachische übernimmt diese Wörter genau so. Wenn wir zur Lateinschrift übergehen, brauchen wir diese Wörter nicht über einen „Zwischenhändler“ zu nehmen, sondern können die Wörter direkt aus der Ursprungssprache übernehmen und adaptieren. Kurzum, der Umgang mit Lehnwörtern wird angenehmer.
Kasachische Sprache braucht Modernisierung
Der zweite Grund ist, dass die kasachische Sprache einer Modernisierung bedarf. Wir haben viele Wörter, die in zwei bis drei Varianten geschrieben werden, da zur rechten Zeit keine Rechtschreibreform vorgenommen wurde. Wenn wir auf Lateinschrift umstellen, werden wir in den Wörterbüchern eine Norm festlegen. Atatürk hat es seinerzeit in der Türkei genauso gemacht – eine einvernehmliche Modernisierung der Sprache.
Der dritte Grund ist Benutzerfreundlichkeit. Die Länder, in denen man das kyrillische Alphabet verwendet, sind äußerst wenige im Vergleich zu jenen, in denen man das lateinische Alphabet benutzt. Selbst wenn man heute auf einer kyrillischen Tastatur kasachisch schreibt, ist dies eine Qual, da alle Sonderzeichen (von denen es im Kasachischen etliche gibt, Anm. d. Ü.) sich an der Stelle der Zahlen befinden und man immer die Einstellungen ändern muss. Wie wir das mit den kasachischen Sonderzeichen in Lateinschrift machen werden, können wir neu entscheiden. Ich bin sicher, dass wir eine Lösung finden werden. Das Französischen und das Deutsche haben auch Sonderzeichen und wir könnten uns daran orientieren.
Ich kann direkt auf zwei Argumente der Gegner*innen der Reform antworten. Sie sagen: „Haben wir denn sonst keine Probleme?“ Aber was soll das heißen? Warum vermengen wir die Frage des kasachischen Alphabets mit wirtschaftlichen Problemen? Das sind unterschiedliche Bereiche. Das ist Populismus.
Umstellung verursacht weniger Kosten als gedacht
Und was die „riesigen finanziellen Ausgaben“ betrifft: Alles Alte bleibt auf Kyrillisch. Man muss nichts übersetzen. Wir schreiben nur alles Neue in Lateinschrift. Als ob die Leute an einem Tag die Kyrillica vergessen. Und die neue Generation, die in Kasachstan aufwächst, wird eh Russisch lernen und Puschkin auf Kyrillisch lesen. Niemand wird Analphabet und unser kulturelles Erbe wird auch nicht verschwinden.
Murat Telibekow: Der gesunde Menschenverstand wird siegen
Ich bin gegen die Umstellung des kasachischen Alphabets auf Lateinschrift. Ich denke, dass die Beweggründe dahinter in erster Linie politischer Natur sind und nicht etwa kultureller Art. Um dies zu verstehen, muss man die politische Situation der Welt betrachten, insbesondere den Orbit, in dem sich Kasachstan bewegt.
Wir sehen einen Gegensatz von Russland einerseits und dem Westen anderseits, allen voran die USA. Und in dieser Situation versucht Kasachstan zwischen den Polen zu balancieren und mit beiden Seiten gute Beziehungen zu haben. Den amerikanischen Kollegen liefert man manchmal antirussische Ausfälle, den russischen Freunden manchmal antiamerikanische Gesten. Und den Übergang von der kyrillischen zur lateinischen Schrift werte ich als eine eben solche antirussische politische Aktion. Ich denke, dass Kasachstan mehr dadurch verliert als gewinnt.
Lateinische Schrift bringt keinen intellektuellen Fortschritt
Ich bin absolut überzeugt davon, dass diese Idee nicht umgesetzt wird, da ihre Sinnlosigkeit und Unzulänglichkeit so offensichtlich ist, dass der gesunde Menschenverstand sie überwinden wird. Nehmen wir als Beispiel Usbekistan und andere Länder der ehemaligen Sowjetunion, die von der kyrillischen zur lateinischen Schrift übergegangen sind. Was sehen wir dort? Hat irgendein intellektueller Boom eingesetzt? Führte dies zu einer Erhöhung der Bildungsstandards oder zu großen Errungenschaften im Bereich der Wissenschaft? Nichts Derartiges sehen wir auch nur in einem der betroffenen Länder.
Von den ökonomischen Ausgaben ganz zu schweigen. Man muss eine riesige Zahl an Büchern in die Lateinschrift übertragen. Und das schrecklichste ist, dass wir von dem Jahrhunderte währenden, intellektuellen Potenzial, der Masse an Büchern in kyrillischer Schrift abgeschnitten werden. Dies wird katastrophale Folgen für das Land, die Bevölkerung und das kulturelle Leben haben.
Überhaupt sollte man diese Polittechnologien, die man anwendet um den ideologieleeren Raum zu füllen, einfach verwerfen. Damit die Menschen sich streiten und sich in solchen Diskussionen ihres Verstandes bedienen. Das alles ist nicht als ein Ablenkungsmanöver um die geistige Leere zu füllen, die man heute beobachten kann.
Aus dem Russischen von Robin Roth
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Hoppe, 2019-10-28
Ein ganz klein wenig sollte man aber schon Bescheid wissen über seine eigene Sprache, wenn man so engagiert argumentiert wie Murat Telibekow. Die Kasachische Sprache ist nie in einer eigenen Schrift geschrieben worden (das hätte allenfalls eine Form der oghusischen Schrift sein können), sondern sie wurde immer nur in fremden Schriftzeichen wiedergegeben: in der arabischen für ca. 700 Jahre, dann kurz in Latein, dann in Kyrillisch..
Es gibt keine Jahrhunderte währende kasachische Überlieferung in kyrillischer Schrift, denn diese ist eine stalinistische Schöpfung aus den 1930er Jahren mit Einführung 1940. Davor gab es schon gut 10 Jahre Janalif oder NTA (Neues turksprachiges Alphabet) auch in Kasachstan, eine sehr sinnvolle Neuerung einerseits zur Abschaffung der vorher üblichen, für solch vokalreiche Sprachen sehr wenig geeigneten arabischen Konsonantenschrift, andererseits zur Untermauerung und Betonung der Verbundenheit der Turkvölker über Ländergrenzen hinweg. Genau dieses „über Ländergrenzen hinweg“ war der Grund, warum Stalin Ende der 30er allen Völkern der Sowjetunion außer den Georgiern und Armeniern mit ihren uralten Schriften und den Balten ihre nichtkyrillischen Schriften nahm. Damit nicht genug, wurden auch den innersowjetischen Völkern Verständigungsschwierigkeiten in den Weg gelegt, indem gleiche Laute in den unterschiedlichen Schriftsystemen unterschiedlich wiedergegeben wurden. So wurden sogar sehr nahe verwandte Sprachen über die Schrift auseinander dividiert.
Das kyrillische Kasachisch ist wegen dieser Ursprünge und Zielstellungen keiner Verteidigung wert. Das Lateinalphabet für diese Sprache ist älter und wissenschaftlich basiert, daher weit besser begründet. Die Abschaffung des Kyrillischen ist ein später Akt der Entstalinisierung, und, bei allem Respekt gegenüber Rußland und seiner Kultur, auch der Entkolonialisierung. Das NTA ist für das nationgewordene Kasachstan eigentlich unerläßlich. Daß ausgerechnet ein Moslemführer der alten Christen- und Stalinschrift (ein Eintreten für das Arabische hätte ich ja noch verstanden) das Wort redet, erstaunt.
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Tom, 2022-07-18
In dem Artikel ignoriert man das wesentliche. Durch Geld, bzw. Wirtschaft haben sich Völker entwickelt. Als man angefangen hat Handel zu treiben, hat sich die Sprache zwischen den ganzen Völkern angenährt. Genauso wie auch deren Verhältnis zu einander. Kasachstan hat begriffen, dass Russland kein zukunftsweisender Partner ist. Russland hat nichts, was Kasachstan auch nicht hat. Das sieht bei den lateinsprachigen Ländern, wie auch China und Indien anders aus. Indien ist bereits start auf Englisch umgestellt und viele Chinesen verstehen Englisch. Brasilien und Mexiko sind in Latein gehalten. Wie immer gilt, man versucht einen gemeinsamen Nenner zu finden. Und der heißt hier ganz klar „Lateinschrift“. Zumal fast die ganze Welt in Latein gehalten wird: https://de.wikipedia.org/wiki/Indischer_Schriftenkreis#/media/Datei:WritingSystemsOfTheWorld_de.svg
Ich bin eher gespannt, ob hier russische Fanatiker ähnlich wie in der Ukraine von Genozid sprechen werden.
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