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Europa beobachtet den Fall Matajew sehr genau

Europa beobachtet den Fall Matajew sehr genau

Seitkazy Matajev
Seitkazy Matajev

Europa beobachtet den Fall Matajew sehr genau

Die Verhaftung von Sejtkazy Matajew im Februar 2016 hat in den europäischen Medien für Aufsehen gesorgt. Der Vorsitzende des nationalen Presseklubs Kasachstans und Chef der Nachrichtenagentur KazTAG wird beschuldigt, zusammen mit seinem Sohn Aset Matajew Steuergelder hinterzogen zu haben. Ein Insider verrät Novastan, was dahinter steckt.

Igor Kindop

Igor Kindop war Mitarbeiter der kasachischen Nachrichtenagentur KazTag. Er studiert derzeit Quantitative Ökonometrie an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel.

Novastan: Herr Kindop, Sie haben einige Jahre mit Sejtkazy und Aset Matajew zusammengearbeitet kennen Sie den Grund ihrer Verhaftung?

I. Kindop: Sejtkazy und Aset Matajew waren schon immer Personen des öffentlichen Lebens. Aus meiner Erfahrung, waren sie immer unabhängige Menschen. Das trifft besonders auf Sejtkazy, seiner Tätigkeit, als auch auf seine Meinungen zu. Ich habe den Eindruck, dass seine Verhaftung ein günstiges Mittel ist, um Druck aufzubauen.

Er ist ein unabhängiger Journalist und der Leiter des Nationalen Presseklubs Kasachstans und stand als solcher nicht unter der direkten Kontrolle der politischen Elite in Kasachstan. Vielleicht ist das ein Grund, warum er bedrängt wurde.

Herr Kindop, wie bewerten sie die Situation der Matajews?

Es ist schwierig darüber zu urteilen. Ich bin beeindruckt, welch ein großes Echo die Verhaftung der Familie Matajew ausgelöst hat, besonders im Ausland. Abgeordnete aus dem Europäischen Parlament, Menschenrechtsorganisationen und internationale Journalisten haben sich auf die Seite von Matajew gestellt und beobachten genau, was passiert.

Solch eine Resonanz erleben meine Kollegen und ich zum ersten Mal. Sogar die Proteste wegen der Bodenreform oder das Attentat in Aktobe bekamen hier in Europa weniger Aufmerksamkeit. Ein Gerichtsprozess gegen Matajew wird für erneute Aufregung sorgen, davon bin ich überzeugt. Denn hier in Europa wird die Pressefreiheit wie ein Schatz verteidigt. Hier im Westen wird die Meinungs- und Pressefreiheit auch auf der Antarktis verteidigt, wenn es nötig ist.

Matajew ist nicht nur Person des öffentlichen Lebens, er ist auch ein guter Medienmanager. Sein Presse-Klub wurde von allen Teilnehmern des politischen Prozesses benutzt. Deswegen hatte er und hat auch immer noch einen Ruf als unabhängige Person und als unabhängiger Journalist.

Sie haben angedeutet, dass es bei der Verhaftung der Matajews nicht nur um Steuerhinterziehung geht. Was lässt Sie vermuten, dass mehr hinter der Sache steckt?

Also ich würde den Prozess um Matajew nicht als staatlichen Angriff auf die Medien bezeichnen. Soweit ich weiß, sieht KazTAG die Sache auch nicht so. Es handelt sich hier vielmehr um eine Machtdemonstration bestimmter Leute aus der Elite. Dafür haben sie den administrativen Weg gewählt. Wenn solche Fälle in Europa an die Öffentlichkeit gelangen, reagieren die Politiker sofort und treten zurück.

Angenommen, der Regierung ginge es darum, die aktuelle Situation im Land zu konservieren, das heißt es herrsche Stabilität, Ruhe und es gäbe keine Proteste mehr. Dann wäre es sinnlos den Matajews an den Kragen zu gehen. Das kann dem Image Kasachstans sehr schaden und sogar auch wirtschaftliche Folgen haben. Niemand wird sein Geld in Ländern investieren, in denen Probleme mit der Pressefreiheit existieren.

Ich finde es bemerkenswert, dass Matajew gegenüber den Mächtigen und auch gegenüber der Opposition immer sehr loyal war. Er äußerte seine Meinung immer frei und besaß die feste Überzeugung, dass der Schutz der Pressefreiheit zu den bürgerlichen Rechten gehört. Das hat den Mächtigen natürlich noch nie gefallen. Sie können Matajew seine „Unprofessionalität“ nicht nachweisen. Dafür können mächtige Personen aus dem Staatsdienst aber Fehler in der Buchhaltung oder den Steuerabrechnungen auffinden. So eine Methode ist üblich in postsowjetischen Ländern.

Das bedeutet, dass die Medien in Kasachstan gar nicht geschützt sind. Man kann an beliebigen Tagen unschuldige Leute oder Journalisten verurteilen?

Was mit Sejtkazy Matajew passiert ist, verdeutlicht sehr gut, dass die Medien in Kasachstan nicht geschützt sind. In Zukunft kann so jedem Medium ein Maulkorb verpasst werden: Agenturen wie KazTag, die Ihre Beiträge kostenpflichtig öffentlich machen, können genau dafür beschuldigt werden, nämlich, dass sie Informationen zurückhalten und nicht kostenlos zur Verfügung stellen – egal ob sie eine Auftragsausschreibung gewonnen haben oder nicht. Das ist doch Unsinn! Ich finde das ist eine lächerliche Forderung. Ich finde sogar, dass großen namenshaften Massenmedien die Regierung in Kasachstan überhaupt nicht stören und sich gar nicht erst in die Politik der Regierung einmischen.

Das klingt so, als würden einige Journalisten sich nicht trauen, eine politische Diskussion in der Öffentlichkeit zu führen. Warum mischen sie sich nicht ein?

Einer der Gründe dafür ist die mangelnde  Professionalität der Massenmedien. Gute Journalisten sind die Basis von professionellen Medien. Sobald kasachische Journalisten eine gute Ausbildung haben,  verlassen viele den Journalismus für einen Job in einer Pressestelle oder im Marketing.

Das ist eine schleichende Entwicklung, in der Journalisten immer weniger Druck auf den Staat ausüben können, weil es nichts und niemanden gibt, wogegen es sich lohnt politischen Druck auszuüben. Es gibt kaum noch überzeugende Journalisten, die bereit sind, nur die Wahrheit zu sagen, weil alle gutes Geld verdienen und ein schönes Leben führen wollen.

Herr Kindop, Sie haben als Journalist in Kasachstan gearbeitet, unter anderem bei KazTag. Wie sind Ihre Erfahrungen; haben Sie Fälle staatlicher Einflussnahme auf die Berichterstattung beobachtet? Inwiefern werden die Medien in Kasachstan vom Staat kontrolliert?

Wenn wir über massive Medienunterdrückung seitens des Staates sprechen, dann habe ich persönlich so etwas noch nie erlebt. Ich denke aber, dass es einen gegenseitigen Austausch zwischen allen Medien und dem nationalen Informationskomitee gibt. Ich persönlich weiß nicht, ob KazTAG und das Informationskomitee derartige Vereinbarungen haben. Aber ich vermute, dass KazTAG im Rahmen einer Ausschreibung staatlicher Gelder einen Bericht oder eine Nachricht veröffentlichen musste, die direkt aus dem nationalen Informationskomitee kam.

Dies kann man auch als eine Form der staatlichen Finanzierung der Massenmedien begreifen, die sich unter anderem wegen des geschwächten Werbemarktes seit der Wirtschaftskrise 2007 etabliert hat. Die Wirtschaftskrise hat den Werbemarkt sehr geschwächt und ist seitdem weniger in der Lage, die Medien zu finanzieren.

Diese finanzielle Schwäche der Medien wurde ausgenutzt. Seitdem gibt es das System der staatlichen Auftragsausschreibungen, das die Medien unterstützen soll. Der Staat bietet Geld und bestimmt dafür Informationsmaterial. Somit kontrolliert das Informationskomitee genau, was veröffentlicht wird. Ich bin mir sicher, dass viele Massenmedien dieses Instrument gerne nutzen, weil die Inhalte umsonst zur Verfügung gestellt werden.

Haben Sie selbst eine solche Situation erlebt, in der Sie etwas veröffentlichen wollten, aber nicht durften?

Nein, ich persönlich hatte keine Probleme mit der Zensur. Aber ich erinnere mich an einen Fall aus dem Jahr 2009. Damals beschloss die damalige Finanzaufsichtsbehörde, die Alliance Bank zu nationalisieren. Sie kaufte alle Aktien für 100 Tenge (damals ca. 0,5 Euro). Dabei hatte die  Bank eigentlich genug eigene Privataktionäre. Ich habe mich mit einem Aktionär in Verbindung gesetzt, der mit dieser Situation zu Recht unzufrieden war. Er verklagte die Alliance Bank, den Samruk-Kazyna Fond und die Finanzaufsichtsbehörde.

Ich habe damals bei KazTAG gearbeitet und in meiner Erinnerung gab es kein anderes Medium außer uns, gut vielleicht noch eine Zeitung, die über diese Aktion berichtet hat. Und ich weiß, warum das passiert ist.

Nämlich weil die neue Verwaltung der Alliance Bank, alle Zeitungen gebeten hatte, diese Information im Austausch für Werbebudget zurückzuhalten. Es gab bestimmt auch bei KazTag einen solchen Bestechungsversuch, aber wirklich bekannt ist mir keiner. Es hat mir niemand verboten, über die Hintergründe der Nationalisierung der Allianz-Bank zu berichten. Dieses Beispiel beschreibt die Arbeit der KazTAG-Agentur sehr gut: maximal unabhängig und maximal ausgewogen zu sein.

Selbstzensur innerhalb der Redaktionen, geringe Werbeeinnahmen und Abhängigkeit von staatlichen Geldern: Das klingt nicht nach guten Voraussetzungen für den Journalismus in Kasachstan. Fällt es den Lesern nicht auf, dass viele der Inhalte nicht mehr von Journalisten stammen, sondern vom nationalen Informationskomitee kommen?

Ich denke nicht. Unsere Leser sind einfach nicht daran gewöhnt, hochqualitative Inhalte zu bekommen. Sie haben keinen Zugang zu hochqualitativen und investigativem Journalismus. Es passiert oft, dass unseren Lesern Meinungen von so genannten Experten vermittelt werden. Demzufolge werden die Medien und ihre Leser von solchen selbsternannten Experten manipuliert.

Ich glaube es passiert sehr selten, dass neue Fakten oder journalistische Enthüllungen präsentiert werden, weil es einen sehr großen Mangel an Professionalität unter den Journalisten gibt. Dadurch dass die Leser keinen Unterschied zwischen professionellem und mangelhaftem Journalismus kennen, haben sie sich daran gewöhnt.

Lange gab es auch kaum eine Medienvielfalt in Kasachstan, wie wir sie in Deutschland kennen. Was denken Sie, fehlt den kasachischen Lesern die Fähigkeit, die Medien im Land kritisch wahrzunehmen?

Ich stimme dem zu, dass es in der kasachischen Medienlandschaft kaum eine sichtbare Vielfalt gibt. Aber ich glaube nicht, dass das von der Regierung bestimmt wird. Es ist eher die Folge einer mangelnden Professionalität unter den Journalisten. Einige kasachische Journalisten vestehen das, was ich meine, als Beleidung. Aber es ist einfach die Situation, an die wir uns gewöhnt haben.

Anderseits gibt es nur wenige Journalisten, die daran etwas ändern können. Alle Journalisten verstehen sehr gut, dass es ein Problem gibt mit dem Journalismus in Kasachstan. Die Medienmanager und Leiter wissen ganz genau, wie schwer es ist, einen guten Journalisten zu finden. Das führt auch zu einem Mangel an Meinungsvielfalt.

Wie schreibt man einen Artikel? Man kann Experten anrufen und sie nach ihrer Meinung fragen, recherchieren und Informationen sammeln. Oder man kann die Artikel anderer Kollegen lesen, kopieren, umformulieren und einfach einen anderen Artikel auf der Grundlage des vorhandenen Materials schreiben. Es ist klar, was einfacher ist. Ein hochqualitativer Text, der gut recherchiert ist, wird immer hochgeschätzt – sowohl in Kasachstan als auch in Deutschland.

Aber weil gute Artikel nicht besser bezahlt werden, ist es einfacher, die Artikel von Kollegen zu kopieren. Dabei kennen viele Journalisten bei uns die gängigen Qualitätsstandards nicht. Es ist ihnen egal, weil sie so oder so nicht mehr Geld verdienen. Das ist momentan ein großes Problem und der Leser steht leider außerhalb dieses Prozesses.

Kann das Internet die Position der Massenmedien in Kasachstan verändern?

Das Internet eröffnet den Zugang zu einer Menge von Informationen. Das Internet hilft gute und möglicherweise qualitative Informationen zu finden. Ich möchte damit sagen, dass unter der Menge von Informationen auf Russisch – ich kann leider nur für russische Quellen sprechen – die russischsprachigen Medien eine führende Position bezüglich ihrer Qualität und ihrer Zugänglichkeit einnehmen.

Ein Beweis dafür ist die Verbreitung der nationalistischen russischen Ideen unter den kasachischen Lesern. Hier zeigt sich die Wirkung der russischen Propaganda. Ob diese Menschen kasachische Online-Medien lesen werden, das bezweifle ich sehr. Es gibt in der Tat nur ganz wenige gute und qualitative Online-Medien in kasachischer Sprache. Ich kann sie an einer Hand abzählen.

Anderseits darf man nicht vergessen, dass die Bevölkerung Kasachstans nur 17 Mio. Menschen beträgt. Davon haben viele Menschen immer noch keinen Zugang zum Internet. Ich würde mir aber wünschen, dass es in Kasachstan mehr gute qualitative Online-Medien sowohl auf Russisch als auch auf Kasachisch gibt.

Interview: Zarina Zinnatova

Übersetzung und Redaktion: Dominik Vorhölter

(Die russische Version des Interviews ist bei Kaztag und Zona erhältlich)

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