Anfang der 1970er erfuhr das sowjetische Zentralasien ein wahres Aufblühen der Pop- und Rockmusikszene. Wild und ausgeflippt waren diese Musikrichtungen auch hier und damit eine beliebte Alternative zum bestehenden – eher biederen – Musikangebot. Folgender Artikel, eine Zeitreise durch die Entstehungsgeschichte des Rock und Pop in Zentralasien, erschien im russischen Original bei 365info.kz.
In gewisser Hinsicht kann man sagen, dass das Ende des ronald-reaganschen „Reich des Bösen“ mit dem Erscheinen des Rock begann. Dieser wurde teils mit Freude, oft gar mit komsomolschen Eifer empfangen. Jugendkomitees aller Art organisierten in ihrer Arbeit mit der neuen Generation sogar Festivals und Wettbewerbe der neuen beliebten Musik.
Vom Schlagzeug in die Politik: Kotow und Kosubajew
Eben der Komsomol rief solche Gruppen wie „Zolotye Olivy“ (Goldene Oliven) ins Leben. Dort spielte der heute bereits verstorbene Wiktor Nasarow, auch bekannt als Bek. Bek war ein Freund von Bari Alibasow, der später zum berühmten Produzenten der Gruppen „Integral“ und „Na-Na“ wurde.
Es war eine ziemliche Hippie-Gruppe! Neben Bek spielte Tolik Kotow, einer der besten Schlagzeuger seiner Zeit, der aus der Gruppe „Mursilka“ bekannt war. Kotow kehrte der Musik später den Rücken und führte eine rasende Karriere als professioneller Jurist und Politiker. Später wurde Professor Kotow kasachstanischer Senator. Heute weilt er nicht mehr unter uns.
Musiker aus allen Schichten
Auch der ehemalige Kultur- Sport und Medienminister Eset Kosubajew begann als ausgezeichneter Schlagzeuger.
In dieser romantischen Zeit waren studentische Gruppen wie „Nordy“, „Optimisty“ und „Iskateli“ (die Suchenden), besonders beliebt. Der Leader und Gitarrist der „Nordy“, Wiktor Kaljuschin alias Patron, war im damaligen Alma-Ata nicht weniger beliebt, als Richie Blackmore und Jimmy Page.
Aus der kasachischen Pädagogischen Universität für Frauen „SchenPI“, entstand das Vokal-Instrumental-Ensemble „Ajgul“ (Blume) aus jungen Frauen kasachischer Herkunft. Die zumeist aus dem Dorf stammenden Mädchen traten in Lurex-Kleidern und mit Gitarren auf und sangen mehrstimmg. Damit waren sie in ihrer Zeit einzigartig.
Auch die Gruppe „Schaklyma“, die die Tradition der „zentralen Popmusik“ fortführte, lag in aller munde. Angeführt wurde sie vom herausragenden Musiker und Kompositor Schanbota Taujakbajew („Botja“). Später schrieb er für Rosa Pymbajewa den Hit „Atameken-Aj“.
„Altyn Dan“ – Nachwuchs aus dem landwirtschaftlichen Institut
Die Musikgruppen stammten aus ganz verschiedenen Universitäten. Die berühmten „Dos-Mukasan“ waren zum Beispiel Studenten des polytechnischen Instituts. Als Gegenstück zu ihnen entstand aus einer Studentengruppen des landwirtschaftlichen Instituts die Gruppe „Altyn-Dan“ („Goldenes Getreide“).
Eine Zeit lang wurde diese Gruppe eifrig vom Interpreten Wladimir Ljwowskij, wegen seiner Augen „Tigrowskij“ genannt, angeführt. Im Jahr 1973 erreichten „Altyn-Dan“ mit ihm sogar den ersten Platz im gesamtsowjetischen Wettbewerb „Hallo, wir suchen Talente“ in Taschkent. Die Besetzung der Gruppe änderte sich mit der Zeit, zeitweise erfüllten dort Tles Kaschgalijew oder Kajrat Magawin ihre kurzfristigen Aufgaben mit Brio.
Die Erinnerungen sind noch lebendig
So konnte das Ensemble ebensolchen Ruhm erlangen, wie die „Dos-Mukasan“, auch dank aus der Zentralpop-Bewegung bekannte Figuren wie Dschanybek Aschigalijew („Mynko“), Nurlan Kurmangalijew („Pesch“), Konstantin Sosinin oder Galym Muchamedow. Schamil Arysow, ehemaliger Gitarrist der Gruppe und heute erfolgreicher Geschäftsmann, erinnert sich:
„Bei uns haben Nagima Eskalijewa, Ajdschan Taschenow oder Ajgul Babajewa ihre Karriere begonnen. Eine Zeit lang arbeitete Farchad Musabajew mit uns, heute ein berühmter kanadischer Musiker, oder Mischa Dschurajew, der heute als Schlagzeuglehrer in Deutschland arbeitet. 1978 drehten wir genauso wie „Dos-Mukasan“ unseren eigenen Film namens ‚Altyn dan andery‘.“
Vor kurzem erst hat die Gruppe kurz vor ihrem 75. Alma-Mater in der Vergangenheit gewühlt und eine zur Rarität gewordene CD herausgebracht.
„Guljder“ – Blumen auf der Bühne
Eine weitere sehr beliebte Jugendgruppe bot eine explosive Mischung aus Variété und Aufführungen von jungen Sängern in einer Bühnenorchester genannten Besetzung. Das waren auch schon Profis, genau wie die „Dos-Mukasan“. Das Kollektiv nannte sich „Guldjer“ und wurde zu der Zeit gegründet, als das usbekische Ensemble „Bachor“ die ganze Sowjetunion eroberte.
Wie es oft mit dem künstlerischen Erfolg einhergeht, hatte „Guldjer“ einen sehr guten Ruf bei den sowjetischen Administratoren und Managern, die die Touren aller Gastauftritte in der UdSSR organisierten. Profimusiker, herausragende Sänger und Sängerinnen, das zeitgenössige Ballett aus jungen Mädchen kasachischer Herkunft, all das spielte „Guljder“ in die Hände.
Guldjer heute
Aus der Gruppe kamen solche berühmten Künstler wie Roza Rymbajewa, Makpal Dschunusowa, Sembek Dschumagalijew, Asan Makaschew, „A-Studio“, „Musikola“ und weitere. Der Leiter des Kollektivs war lange Gabiden Tujakajew.
Drugs and Rock ’n’ Roll
Aber mit der Zeit verlor die Gruppe an Prestige. Die Marke „Guldjer“ wurde zu einem Übergangsort für alkoholsüchtige Musikanten, die sonst nirgendwo aufgenommen wurden. Das Ensemble degradierte sich langsam, eh es ganz verschwand. Alkohol und Drogen schweißten auch in der Sowjetunion viele Musiker- und Künstlergruppen zusammen.
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Es ist interessant zu beobachten, dass sich etwa zeitgleich in Anlehnung an „Guldjer“ weitere Kollektive nationaler Minderheiten gründeten, wie das koreanische „Ariran“ und das uigurische „Jaschlik“, die in ihren gemeinschaften einen sehr großen Ruhm genossen.
Auch andere Städte der kasachischen Sowjetrepublik hatten ihre Musiker. Schymkent war für seine starke Jazz-Tradition bekannt, Karaganda als Schule für Gitarristen, Tselinograd (ehem. Name von Astana) für seine Rockmusiker; die Brüder Uschakow und Ust-Kamenogorsk kannte man für die Bewegung des inzwischen russischen Producers Bari Alibasow.
Arsen Bajanow
365info.kz
Aus dem Russischen von Florian Coppenrath
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