Zentralasiens junge Filmemacher:innen und ihr Werk sind äußerst vielseitig. Davon konnte sich das Publikum beim 24. goEast-Filmfestival in Wiesbaden in verschiedenen Kurzfilmprogrammen überzeugen. Novastan war dabei und stellt euch eine Auswahl vor.
Vom 24. bis zum 30. April fand das 24. goEast Festival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden statt. Neben zwei Filmen im Hauptwettbewerb war das zentralasiatische Kino in diesem Jahr vor allem mit Kurzfilmen vertreten, die in vier verschiedenen Programmen gezeigt wurden. Drei von ihnen konkurrierten im Rheinmain-Kurzfilm-Wettbewerb. Zudem zeigte goEast mit „New Voices from Central Asia“ in Zusammenarbeit mit dem ZDF/ARTE-Kurzschlussmagazin ein Programm, das allein der Region gewidmet war. Wir stellen unsere Highlights vor.
Black Wagon
Der Bergbau ist einer der wichtigsten Wirtschaftssektoren in Kirgistan. Unter welchen katastrophalen Bedingungen jedoch Kohle und andere Rohstoffe abgebaut werden, zeigt Adilek Karzhoev eindrucksvoll in seinem Dokumentarfilm „Black Wagon“. Er nimmt die Zuschauer:innen mit ins Innere eines privaten Bergwerks im südwestlichen Kirgistan und veranschaulicht bedrückend gut die beengten Verhältnisse bei der Arbeit unter Tage.
Dunkelheit und Staub bestimmen die Ästhetik, während sich die Arbeiter mit von Schweiß glänzenden nackten Oberkörpern ihren Weg durch die labyrinthartigen Gänge bahnen. Dabei herrscht oftmals eine laute und bedrohliche Geräuschkulisse. Innerhalb dieser unwirklichen Szenerie schafft es Karzhoev dennoch, die Normalität und Alltäglichkeit einzufangen, die sich die Arbeiter in 500 Metern Tiefe erschaffen: Mit dem Kohlewagen lassen sie sich Tee in den Schacht bringen, frische Luft nehmen sie in Tüten mit nach unten. In den Pausen wird gegessen und gescherzt: über die unlösbaren Konflikte rund um die Kumtor-Mine, die größte Goldmine des Landes, und über die nicht enden wollenden Grenzkonflikte.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Um ein Smartphone herum sitzt die Gruppe zusammen und schaut ein Video an. Doch über der alltäglichen Szene schwebt wortwörtlich ständig die Gefahr: Jederzeit kann es hier zu Einstürzen und Unfällen kommen, Teile der Schächte sind nur durch Holzbalken gestützt statt durch sicherere Metallstreben. Als sich tatsächlich Teile einer Wand lösen, hat selbst der Kameramann gerade noch genug Zeit, seine Kamera in Sicherheit zu bringen. Ein bis zwei Arbeiter, so heißt es am Ende des Films, lassen pro Monat ihr Leben in einer der über 300 privaten Minen rund um die Stadt Sülüktü im Südwesten Kirgistans.
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Erst am Ende des Films werden die Zuschauer:innen zusammen mit den Arbeitern aus dem Schacht heraus ans Tageslicht geführt. Je nach geleisteter Arbeit werden die Bergarbeiter in bar bezahlt und verabschieden sich – bis zu ihrem nächsten Arbeitseinsatz. Viele der Arbeiter arbeiten jahrelang, teils ihr ganzes Leben in den Bergwerken – so auch diejenigen, die in Karzhoevs Film zu Wort kommen. Als die Kamera am Ende noch einmal die weite Gebirgslandschaft um die Mine zeigt, wird deutlich, wieso: Der Bergbau bleibt die große wirtschaftliche Hoffnung der Region. Karzhoev wirft mit seinem Kurzfilm jedoch ein wichtiges Schlaglicht auf die unmenschlichen Arbeitsbedingungen – und es bleibt zu hoffen, dass diese in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit erhalten.
Der späte Wind
Saya ist schwanger. Doch kurz nachdem ihr Freund Qaırat davon erfährt, verschwindet er spurlos. Der Film begleitet Saya auf ihrer Suche, in die immer wieder Straßenproteste hereinbrechen. Drückt sich Qaırat vor der Verantwortung? Oder steht sein Verschwinden in Zusammenhang mit den Protesten?
Obwohl der Film mit wenig Handlung und einem Minimum an Dialogen auskommt, schafft Regisseurin Şygula Serjan einen atmosphärischen, bedrückenden Film, der als Sinnbild für das heutige Kasachstan steht. Dies ist unter anderem Hauptdarstellerin Tolğanaı Talğat zu verdanken, deren einfühlsames Spiel uns an Sayas Innerstem teilhaben lässt und viel zur beunruhigenden Atmosphäre, die über dem gesamten Film schwebt, beiträgt. Während Saya sich stets nach Wärme und Geborgenheit sehnt und kindlich anmutende Zeichnungen der Sonne an das beschlagene Fenster malt, bleibt ihr diese im ganzen Film versagt. Dreharbeiten bei winterlichem Schmuddelwetter in Almaty und bei Dunkelheit schaffen ein allgegenwärtiges Grau, das die bedrückende Stimmung des Films hervorhebt.
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Auch wenn die Straßenproteste angesichts des niedrigen Filmbudgets eher kläglich wirken, rufen sie dennoch unweigerlich Erinnerungen an den Qantar wach, eines der traumatischsten Ereignisse der jüngeren Vergangenheit Kasachstans. Sayas Suche bleibt erfolglos, ihre Fragen unbeantwortet. Gemeinsam mit ihr schaut das ganze Land in eine unklare, aber auf jeden Fall beunruhigende Zukunft.
Old Things
Drei Männer baden im Kanal, ein Mädchen spricht liebevoll mit ausgestopften Tieren auf einem Trödelmarkt, ein Arbeiter zeigt stolz seinen Bibliotheksausweis. „Old things“ von Roman Zakharov ist ein Porträt der usbekischen Hauptstadt Taschkent, das die Widersprüche der postsowjetischen Stadt aufzeigt, ohne in plakative Darstellungen zu verfallen.
Zakharov lotet vielmehr das vielschichtige Spektrum aus, das die Stadt bietet, und insbesondere die Menschen, die in ihr leben und arbeiten. Da ist ein Brotverkäufer, der am Straßenrand seine Ware verkauft, eine Hundebesitzerin, die sich über den vielen Müll in der Stadt beschwert, ein Passant, der über die politischen Veränderungen im Land spricht. Feinsinnig stellt Zakharov verschiedene Realitäten nebeneinander: Neubauten und Grün, Dreck am Straßenrand und sauber polierte Gedenkstätten, kritische Stimmen und überdimensionale Landesflaggen. Auch verschiedene sprachliche Welten treffen aufeinander: Teils wird Russisch gesprochen, teils Usbekisch, teils stößt auch der aus Kasachstan stammende Regisseur mit seinen Sprachkenntnissen in den Gesprächen an seine Grenzen.
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Zakharovs Kurzfilm scheint dabei lose dem Ablauf eines Tages zu folgen: vom Sonnenaufgang und einem Basar, der gerade erst zu erwachen scheint über die pralle Mittagssonne auf dem Taschkenter Unabhängigkeitsplatz bis zum am Abend in bunten Farben leuchtenden Unabhängigkeitsdenkmal im „Yangi O‘zbekiston“-Park in Form eines riesigen Humo-Vogels. So entsteht aus dem Nebeneinander der Eindruck eines runden Porträts, das eindrücklich die Vielstimmigkeit der zentralasiatischen Metropole zum Ausdruck bringt und Zwischentöne aufschimmern lässt, die man sonst in Darstellungen der usbekischen Hauptstadt häufig vergeblich sucht, und die Brüche mit den gängigen nationalen Narrativen zulassen.
ASK
Die Dystopie des kirgisischen Regisseurs Naizabek Sydykov führt uns in eine Ruinenstadt, in der eine bizarre Diktatur herrscht. Laut dem „großen Führer“ soll hier eine „Stadt der Zukunft“ entstehen, doch zuerst sind die Einwohner:innen gezwungen, alle noch vorhandenen Häuser abzureißen. Der Zwang zur Uniformität („Sei wie die anderen“) und die Überwachung lassen dabei an die Werke George Orwells erinnern.
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Teenager Umut ist einer der wenigen, die die Umstände hinterfragen. Zufällig entdeckt er eine Kapsel mit alten Plänen der in Zerstörung begriffenen Stadt. Umut erkennt: „Es wird keine Stadt der Zukunft geben, denn wir haben sie schon zerstört.“ Als er auf der nächsten Versammlung wagt, den „großen Führer“ mit Fragen zu konfrontieren, wird er von seinen eigenen Eltern als krank erklärt, da diese fürchten, zu von der glorreichen Zukunft ausgeschlossenen Paria zu werden. Außerdem muss Umut sich öffentlich entschuldigen. Allein seine (namentlich unbekannte) Freundin, die er in seine Entdeckung eingeweiht hat, hält zu ihm. Ausgehend von ihr beginnen immer mehr Menschen, das System zu hinterfragen.
Auch wenn die eigentlichen Gründe vermutlich im Budget zu suchen sind, schafft Sydykov in „ASK“ eine unglaublich billige Ästhetik, die wie eigens für die dargestellte Diktatur entworfen wirkt und deren Absurdität perfekt hervorhebt. Und obwohl die politische Botschaft des Films eher simpel scheint, ist „ASK“ eine gelungene Parabel auf zeitgenössische Regime wie in Kasachstan, Usbekistan oder auch im Kirgistan Sadyr Dschaparows, in denen die politische Führung stets grundlegende Erneuerungen verspricht, ohne diese jedoch wirklich zu liefern. Eine Zeit, um Dinge zu hinterfragen.
Mirtemir geht´s gut
Karakalpakstan im Sommer 2022: In der Autonomen Republik brechen Proteste los, die von der usbekischen Regierung gewaltsam niedergeschlagen werden. Die Filmemacher:innen Sasha Kulak und Mihail Borodin reisen inmitten dieser Situation nach Nukus, um sich ein Bild vor Ort zu machen. An einer mobilen Karaoke-Station am Hauptplatz der Stadt lernen sie Mirtemir kennen.
Mirtemir, der „wie ein Teenager aus Kreuzberg oder Williamsburg“ (goEast-Programmheft) erscheint, zieht die beiden Filmemacher:innen in seinen Bann und so entsteht ein wundervolles Porträt eines karakalpakischen Jugendlichen, der einen unglaublichen Optimismus ausstrahlt. Dabei ist sein Leben nicht einfach: Er pflegt seine blinde Großmutter, bei der er lebt, da die Mutter zur Arbeit ins Ausland gegangen ist (ein Plan, den Mirtemir auch selbst hegt). Tagsüber arbeitet er in einem Fastfood-Restaurant und nachts an eben jener Karaoke-Station. Doch Mirtemir trotz allen Nöten mit einer aus dem tiefsten Innern kommenden Leichtigkeit.
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Mit „Mirtemir geht´s gut“ gewähren Kulak und Borodin einen Einblick in eine Region, die abseits von Aralsee und Sawitzki-Museum, im Westen kaum Beachtung findet. Durch ihre Kameraführung, die mal frontal und meist sehr nah am Protagonisten ist, schaffen sie dabei einen Film, der – obwohl Dokumentation – phasenweise fast fiktional wird. Und auch Mirtemirs grenzenlose Zuversicht wirft die Frage auf, ob diese Unbeschwertheit nicht angesichts der Kamera gespielt ist. Ein Film, zu schön, um wahr zu sein?
Nein. Denn der Film verschließt auch vor den Problemen die Linse nicht, stellt ihnen aber Mirtemirs Optimismus lachend entgegen. Dabei hat der Film einen ernsten Hintergrund: Denn Mirtemir teilt das Schicksal mit vielen anderen zurückgelassenen Kindern von Arbeitsmigrat:innen aus Zentralasien. Dies erfahren die Zuschauenden allerdings erst in der Abblende. Doch trotz alledem: Mirtemir vermag es, mit seiner Positivität anzustecken und gemeinsam mit ihm schauen wir in eine strahlende Zukunft.
Annkatrin Müller und Robin Roth für Novastan
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Das Kurzfilmprogramm „NEW VOICES FROM CENTRAL ASIA“, das unter anderem „Black Wagon“, „ASK“ und „Old Things“ enthält, läuft nochmal am 8. Juni 2024 um 19.30 Uhr beim Kurzfilmfestival Hamburg.
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