Mehr als 500 Tier- und Pflanzenarten sind in Tadschikistan bedroht. Ihr Verschwinden schreitet unaufhörlich voran. Die Ursachen sind vielfältig, aber vor allem menschlichen Ursprungs.
Als 1988 die erste Ausgabe der Roten Liste der bedrohten Arten in Tadschikistan erschien, umfasste sie 162 Tier- und 226 Pflanzenarten. In der 2015 veröffentlichten, aktualisierten Fassung waren es schon 222 Tier- und 267 Pflanzenarten. Um diese bedrohten Arten zu erhalten und zu vermehren, ergreifen die Behörden verschiedene Maßnahmen. So werden zum Beispiel Verordnungen zu ihrem Schutz verabschiedet und auch praktische Maßnahmen unternommen, indem Wilderei und illegale Beweidung bekämpft und Lebensräume von bedrohten Tieren und Pflanzen erhalten werden. Dennoch scheint der Prozess des Verschwindens von Arten unumkehrbar.
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Das Staatsgebiet Tadschikistans umfasst eine Gesamtfläche von 142.970 km², von denen 93 Prozent aus Gebirge bestehen. Laut Angaben des russischen Auslandsmediums Sputnik betrug 1991, im Jahr der Unabhängigkeit, die für die Landwirtschaft zugeteilte Fläche 4,2 Millionen Hektar. Davon waren 0,8 Millionen Hektar Ackerland, die restlichen 3,2 Millionen Hektar Weideland. Seitdem ist die Ackerfläche um ein Viertel zurückgegangen, weite Teile wurden Bauland für Wohngebäude und Industrieanlagen. In etlichen Regionen kommt hinzu, dass übermäßiger Einsatz von chemischen Mineraldüngern und Pestiziden den Boden nachhaltig geschädigt hat.
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Obwohl das verbliebene Ackerland noch nicht einmal für die einheimische Landwirtschaft reicht, wurden im Süden des Landes, insbesondere in der Provinz Chatlon, auf Beschluss der Behörden mehr als 18.000 Hektar Land für einen Zeitraum von 49 Jahren an chinesische Agrarbetriebe verpachtet. Parallel dazu wächst die Bevölkerung des Landes: Während es 1989 noch 5,15 Millionen Tadschik:innen gab, so waren es am 1. Januar 2021 bereits 9,5 Millionen. Infolgedessen wachsen Städte und Gemeinden auf Kosten von unberührtem Bergland und Wüsten – dem Lebensraum seltener Tiere und Pflanzen.
Der Mensch schädigt das Ökosystem
Trotz der fast ein Jahrhundert währenden unzureichenden Beachtung des Ökosystems sind die Flora und Fauna Tadschikistans reich und vielfältig. Gemäß den neuesten Daten leben in Tadschikistan mehr als 13.000 Tierarten. Hinzu kommen etwa 5.000 Pflanzenarten. Dies ist der natürliche Reichtum des Landes. Der Lebensraum von 80 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten befindet sich in Bergregionen, doch auch mehr als 70 Prozent der menschlichen Bevölkerung leben in ländlichen und bergigen Gebieten. Da das ökologische Bewusstsein bei der Mehrheit der Bevölkerung gering ist, begann sie die Ressourcen der Berggebiete zunehmend zu erschließen.
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Durch den Einfluss des Menschen degradiert das Ökosystem in Tadschikistan. Seltene Tier- und Pflanzenarten werden Opfer mutwilliger Zerstörung. Zum Beispiel wird jedes Jahr im Frühling und Sommer entlang der Fernstraßen Duschanbe – Chudschand und Wachdat – Chorugh wilder Rhabarber zum Verkauf angeboten – eine seltene Pflanze, die in die Rote Liste Tadschikistans aufgenommen wurde. Obwohl 2017 verordnet wurde, dass das Pflücken wilden Rhabarbers eine besondere Lizenz erfordert, gehen dennoch ganze Familien in die Berge, um diese Pflanze zu pflücken und dann entlang der Straßen oder auf Wochenmärkten zu verkaufen. Das Gleiche geschieht mit anderen bedrohten Kräutern.
Weidewirtschaft als Problem
Sadriddin Abdurachimow, Mineraloge an der Staatlichen Universität Chudschand, ist überzeugt, dass das unregulierte Weiden von Rindern erheblichen Schaden in der Pflanzenwelt anrichtet. So werden alle Arten von Pflanzen niedergetrampelt, ohne dass sie Zeit hätten, zu reifen und zu samen. Die Beweidung beeinträchtigt auch den Lebensraum von Bären, Schneeleoparden oder Rebhühnern. Das Rebhuhn legt beispielsweise Eier in am Boden liegende Nester, die vom Vieh zertrampelt werden.
„Anfang der 70er Jahren wurden Angoraziegen aus dem fernen Australien nach Tadschikistan gebracht, um gute Wolle zu bekommen. Sie fressen gnadenlos alle Gräser und Pflanzen mit ihren Wurzeln. Daher zerstörten sie in kurzer Zeit Dutzende seltene Pflanzenarten. Wissenschaftler haben vorgeschlagen, spezielle Weiden für sie zu schaffen und sie von anderem Vieh getrennt zu halten. Es ist notwendig, die Weideflächen zu erweitern“, erklärt Abdurachimow.
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Laut Komildschon Ibrohimow, Leiter des der Weiderückgewinnungs-Trust in der Provinz Sughd, gab es zum 1. Januar 2021 in der Region 784.110 Hektar Weideland, auf dem etwa 1,5 Millionen Tiere gehalten werden. Das sind 100.487 Hektar weniger als im Jahr 2018.
„Nach den anerkannten Regeln dürfen 4 bis 6 Nutztiere auf einem Quadratkilometer Weideland grasen. Diese Regel wird aber nicht befolgt. Folglich fressen Tiere alles samt Wurzeln ab. Im nächsten Jahr wachsen an diesen Orten keine Pflanzen mehr, darunter seltene Arten, die in der Roten Liste aufgeführt sind. Um sie vor dem Aussterben zu schützen, muss ihr Lebensraum geschützt werden. Schließlich frisst das Vieh alles. Vor allem die Tulpe, die sehr lecker ist. Außerdem wissen die Hirten selbst nicht, wo seltene Pflanzen wachsen“, meint Ibrohimow.
In Tadschikistan werden laut inoffiziellen Angaben etwa 8 Millionen Nutztiere gehalten, davon mehr als 2,3 Millionen Rinder und 5,7 Millionen Schafe und Ziegen. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorgaisation der Vereinten Nationen (FAO) beträgt die Gesamtfläche der Weiden im Land 3,8 Millionen Hektar Land.
Legale und illegale Jagd
Das Verschwinden bestimmter Tierarten setzte bereits in den frühen 30er Jahren des 20. Jahrhunderts ein, als die Entwicklung des Wachsch-Tals vorangetrieben wurde. Vor etwa 70 Jahren zog sich der mittlerweile ausgestorbene Kaspische Tiger aus dem Naturreservat Tigrowaja Balka ins nahe Afghanistan zurück. Den Höhepunkt erreichte die Ausrottung von Wildtieren in den südlichen Regionen des Landes mit dem Bürgerkrieg 1992-1997.
„In Tadschikistan begann der Bürgerkrieg und die Situation im Naturreservat Tigrowaja Balka geriet praktisch außer Kontrolle. Die Ausrottung seltener Tierarten war an der Tagesordnung. Bis Mitte der 1990er Jahre ging beispielsweise die Zahl der Hirsche und Gazellen im Reservat um das Sieben- bis Achtfache zurück“, sagt der Umweltexperte Dschamsched Kadyrow.
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Einer der Gründe für das Verschwinden seltener Tierarten ist Wilderei, aber auch legale Jagd gehört dazu. So weist das Umweltschutzkomitee der tadschikischen Regierung jährlich eine bestimmte Quote für die Jagd auf gefährdete Arten wie das Riesenwildschaf, die Schraubenziege, das Steppenschaf und den Braunbären zu.
Die Kosten der Lizenzen hängen von der Tierart ab. So kostet der Abschuss eines Riesenwildschafs 5.000 US-Dollar und einer Schraubenziege 3.000 US-Dollar. Für ein Steppenschaf müssen 2.800 US-Dollar entrichtet werden und für einen Braunbären 1.000 US-Dollar. Obwohl auf diesen Weg jedes Jahr ein beträchtlicher Betrag in die Staatskasse gespült wird, lehnen insbesondere Naturfreund:innen diese „legale“ Bezahljagd ab.
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Ein weiterer Grund für das Verschwinden bedrohter Tiere ist die traditionelle Medizin. Zum Beispiel werden Blindschlangen von Volksheiler:innen als Mittel gegen Krebs verwendet und in einigen Ritualen eingesetzt. Oft wird aus ihnen eine Abkochung zubereitet. Sie werden illegal gejagt und anschließend entlang der Fernstraße Chudschand – Istarawschan oder auf dem Zentralmarkt von Chudschand verkauft.
Die Levanteotter, die ebenfalls auf der Roten Liste des Landes steht, wird im Bezirk Tursunsoda im Westen Tadschikistans wegen ihrer Zähne gnadenlos gejagt. Das Fett von Murmeltieren ist als Heilmittel gegen Tuberkulose beliebt, das Fleisch von Stachelschweinen wird zur Gewichtsreduktion eingesetzt. Ein Geierkadaver kann als Heilmittel gegen Osteochondrose verwendet werden.
Bedingungen für die Wiederansiedlung
Sanginboj Kurbonow ist ehemaliger Abteilungsleiter für Umweltschutz in der Provinz Sughd. Er berichtet, dass es dem agroindustriellen Verband „Temurmalik“ im Jahre 1991 gestattet wurde, den Flachwasserteil des Kairakkum-Stausees am Fluss Syrdarja auf einer Fläche von 2400 Hektar zu bewirtschaften. Um die Flora und Fauna der Auen und die Bedingungen für das Laichen von Fischen zu erhalten, wurde jedoch festgelegt, eine weitere Erschließung des verbleibenden Flachwasserteils im Stausee nicht ohne Abstimmung mit dem Ausschuss für Naturschutz zuzulassen.
Um den Verlust der Fischbestände im Stausee zu verhindern, wurde „Temurmalik“ beauftragt, Teiche zur Zucht von Jungfischen anzulegen, die dann im See ausgesetzt werden sollten. Außerdem musste „Temurmalik“ Umweltmaßnahmen ergreifen, um die Schäden an Flora und Fauna im ausgewiesenen Gebiet zu kompensieren. Keine dieser Anforderungen wurde jemals erfüllt.
Inzwischen sind im Kairakkum-Stausee die natürlichen Laichgründe der Fische deutlich zurückgegangen. Die Fische zogen sich in den Naryn, einen der Quellflüsse des Syrdarja, sowie in den Toktogul-Stausee zurück. Heute sind von 15 Fischarten, die zuvor im Kairakkum-Stausee lebten, nur noch fünf oder sechs erhalten. „Sie werden nicht zurückkehren, da für sie natürliche Lebensräume geschaffen wurden“, schließt Kurbonow.
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Laut dem Umweltjournalisten Kamar Ahror (Name geändert) sind viele der ausgestorbenen oder vom Aussterben bedrohten Pflanzen- und Tierarten endemisch, sie kommen also nur in einem relativ begrenzten Gebiet vor. Um ihre Populationen wiederherzustellen, müssen daher die notwendigen Bedingungen für ihre Wiederansiedlung und Vermehrung geschaffen werden.
„Um gefährdete Tier- und Pflanzenarten zu retten, ist es notwendig, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, die Anzahl der Schutzgebiete zu erhöhen, die Verschmutzung der Natur zu verhindern und das ökologische Bewusstsein der Bevölkerung zu erweitern. Nur in einem solchen integrierten Ansatz ist es möglich, bedrohte Tier- und Pflanzenarten zu retten. Der Erhalt der biologischen Vielfalt sichert die Harmonie des Menschen mit allen Arten von Lebewesen. Die Verletzung dieser Harmonie, das Ungleichgewicht des Ökosystems, hat katastrophale Folgen sowohl für den Menschen als auch für die Pflanzen- und Tierwelt“, fasst der Umweltjournalist zusammen.
Aziz Rustamov für Novastan
Aus dem Russischen von Robin Roth
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