Fergana, der wichtigsten russischen Onlinezeitung für Zentralasien, droht aufgrund großer finanzieller Schwierigkeiten die Schließung.
Auf der Startseite der englischen Version der Onlinezeitung erscheint ein Banner: „Unterstützt Fergana!“ Das russische Medium, eines der ersten, das sich auf Zentralasien und zentralasiatische Migranten in Russland spezialisiert hat, steht aufgrund fehlender finanzieller Mittel kurz vor der Schließung. Anfang Oktober blieben nur noch zwei Mitarbeiter übrig, darunter der Direktor und Gründer Daniil Kislow. Freiberufler schreiben ohne Bezahlung, um die Website am Leben zu erhalten, auf der täglich nur noch ein paar Artikel veröffentlicht werden.
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Wenn das Spendensammeln bei Lesern eine Lösung sein soll, dann ist sie auch nur vorübergehend: Daniil Kislow, den Novastan kontaktiert hat, stellt fest, dass die Website „2 000 oder 3 000 Dollar“ gesammelt hat, mit denen er im Juni die Gehälter von zwei Personen bezahlen konnte. „Das ist gut, aber ich hatte auf einen höheren Betrag gehofft“, fügt er hinzu. Er erklärt, dass nur eine Minderheit der Leser es sich leisten könne, die Website zu unterstützen. Die meisten von ihnen sind Wanderarbeiter aus Zentralasien in Russland und können es sich nicht leisten, Spenden oder Abonnements zu bezahlen.
Enttäuschte Erwartungen
Laut Daniil Kislow ist der Hauptanteilseigner der Zeitung, der das Medium nicht mehr finanzieren möchte, die Ursache der Schwierigkeiten. In der Praxis, so die russische Zeitung Novaja Gaseta in einem langen Artikel über die Geschichte Ferganas, bedeute dies, dass der Investor irgendwann einfach nicht mehr auf die Anrufe der Redaktion reagierte. Plötzlich zog er seine finanzielle Unterstützung zurück und die Redaktion wurde für fast sechs Monate in unbezahlten Urlaub geschickt.
Die Beziehung zu dem Investor hatte einen guten Start: Wie Daniil Kislow erklärt, ist fergana.ru eine GmbH, von der er vor zwei Jahren „den Hauptanteil an einen berühmten Oligarchen“ verkaufte. Was er über ihn preisgeben kann ist, dass es sich um einen kasachischen Geschäftsmann handelt, der „Geschäftsinteressen in Russland und Usbekistan“ hat.
„Zum ersten Mal in der Geschichte Ferganas gab es allein in Moskau eine Nachrichtenredaktion mit 20 Mitarbeitern“, erinnert er sich. „Wir hatten Redaktionen in Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan und Kasachstan. Jede Redaktion hatte zwei oder drei Mitarbeiter, einen Chefredakteur, einen Stellvertreter, Beauftragte für die Optimierung der Websuchmaschinen [search engine optimization (SEO), Anm. d. Red.] und so weiter.“ Die Website boomte. „Im Jahr 2016 zum Beispiel, dem Todesjahr von Islom Karimov (der usbekische Präsident von 1989 bis 2016, Anm. d. Red.), hatten wir 5 Millionen Leser. Im Jahr 2019 hatten wir 8 Millionen“, so Daniil Kislow.
Sperrung, Entsperrung, Wiedersperrung
Als wären die finanziellen Schwierigkeiten nicht schlimm genug, fällt der Bruch mit dem Hauptaktionär zeitlich in eine Blockade durch die russischen Behörden. So ist der Zugang zur Website fergana.ru in Russland seit Ende 2019 von Roskomnadsor, dem für die Medien zuständigen staatlichen Dienst, blockiert. Das ist ein harter Schlag, denn gerade in Russland sind die meisten Leser und damit Werbepartner zu finden. Folglich ist es schwierig, Werbung auf einer Website zu schalten, die nicht offiziell zugänglich ist.
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Auch in Zentralasien war der Zugang zur Website zeitweise kompliziert. Usbekistan blockierte sie nach den Unruhen in Andijon, der gewaltsamen Niederschlagung einer Demonstration, bei der im Mai 2005 hunderte Menschen getötet wurden, und stellte den freien Zugang erst 2018 wieder her. Kirgistan und Kasachstan blockierten die Seite und gaben sie dann immer wieder zeitweise frei. Der Zugang von Turkmenistan aus bleibe unmöglich – „wahrscheinlich für immer“, meint Daniil Kislow.
Um diese Hindernisse zu umgehen, hat die Redaktion mehrere „Mirror-Sites“ online gestellt, also Kopien der Seite unter verschiedenen URLs: fergang.ru, fergana.agency, fergana.site, fergana.plus und fergana.media. Einige dieser Adressen sind je nach Land gesperrt, aber nicht alle.
Ungewisse Zukunft
Bis zum 1. Oktober hatten die übrigen Redakteure noch immer keine Nachricht von ihrem Investor. „Werden wir unsere Arbeit fortsetzen?“, fragt Daniil Kislow. Seine pessimistische Antwort lautet: „Vielleicht sollten wir aufhören und alles schließen. Vielleicht sollten wir versuchen, mit einem reduzierten Budget fortzufahren. Ich weiß es nicht.“
Vorerst arbeitet der Chefredakteur so weit wie möglich weiter und bittet die Journalisten, ohne Bezahlung zu schreiben. In diesem Zusammenhang erwähnt er eine tadschikische Journalistin, die sich bereit erklärt hat, anonyme Artikel zu schreiben, die sie in Tadschikistan nicht veröffentlichen könne. Der Drang zu informieren hält die Website am Leben – aber wie lange noch?
Valentine Baldassari
Aus dem Französischen von Elisabeth Rudolph
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