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Baumwolle in Usbekistan vom Sezessionskrieg bis heute

Seit der Sowjetunion ist Usbekistans Wirtschaft abhängig von der Baumwollproduktion. Die massive Auswanderung und wirtschaftliche Schwäche zeugen von den Schwierigkeiten des Landes, sich von dieser Monokultur zu lösen. Folgende Analyse vom Central-Asian Analytical Network übersetzen wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Baumwolle Ernte
Seit den 1930ern bildet die Baumwollernte das Rückrat der usbekischen Wirtschaft

Seit der Sowjetunion ist Usbekistans Wirtschaft abhängig von der Baumwollproduktion. Die massive Auswanderung und wirtschaftliche Schwäche zeugen von den Schwierigkeiten des Landes, sich von dieser Monokultur zu lösen. Folgende Analyse vom Central-Asian Analytical Network übersetzen wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Als das Artilleriefeuer am 12. April 1861 auf Fort Summer erschallte, kennzeichnete es nicht bloß den Anfang des amerikanischen Bürgerkriegs, sondern setzte auch große Umwälzungen in der weltweiten Baumwollindustrie in Gang. Der amerikanische Baumwollexport, der sich damals zu 80% auf Großbritannien beschränkte, kam zum erliegen. Die Preise schossen in die Höhe und an allen Enden der Erde, von Australien bis nach Indien und Ägypten, stürzten die Produzenten sich auf die Baumwollfelder und vernachlässigten dabei jegliches Getreide und übrige Anbaukulturen.

Die Baumwolle war, neben geopolitischem Kalkül, einer der Gründe für die Expansionspolitik des russischen Reiches nach Zentralasien. Die Nachfrage im Textilbereich stieg in Russland seit 1860 enorm, weshalb die Großmacht nach neuen Baumwollressourcen zur Befriedigung des heimischen Textilmarktes strebte.

Zentralasien als Zentrum des Baumwollanbaus für Russland

Ende des 19. Jh. brachten der Preisanstieg der amerikanischen Baumwolle, sowie der erschwerte Transport Russland dazu, selbst in die Baumwollproduktion in Turkestan einzusteigen. Russland strebte danach, die Region zum Baumwollzentrum für das gesamte Russische Reich zu berufen:

„Der Norden und Nordosten (Kasachstan und Kirgistan), wo die Klimabedingungen keinen Baumwollanbau erlaubten und die Bevölkerung einen nomadischen Lebensstil pflegte, wurden als Land für die Bauern-Siedler festgelegt, die aus dem Osten Russlands und der Ukraine kamen. Der Süden hingegen, der eine sesshafte Bevölkerung beheimatete, wurde als Zentrum des Baumwollanbaus ernannt, um dem Bedarf der russischen Textilindustrie gerecht zu werden,“ beschreibt der Historiker Wjacheslav Baklanow.

Nichtsdestotrotz war Zentralasien nicht in der Lage, den gesamten Bedarf der russischen Textilindustrie zu decken, auch weil Chiwa und Buchara noch nicht ganz vom Russischen Reich einverleibt worden waren. Diese beiden Khanate (vergleichbar mit europäischen Fürstentümern – Anm. d. Red.) besaßen eine fast grenzenlose Selbstbestimmung, obwohl sie zu Russland gehörten. Aus diesem Grund war Russland weiterhin gezwungen, amerikanische Baumwolle zu kaufen. Insgesamt wurden 60% des Bedarfs importiert. 1910 wurde erstmals in Betracht gezogen, Buchara und Chiwa als tatsächliche Kolonien zu unterwerfen.

Der erste Weltkrieg und seine Bremswirkung auf russische Bestrebungen 

Vor allem die russische Presse forderte dazu auf, sich dem  französischen Kolonialismus in Tunesien anzupassen. In einem Artikel etwa heißt esein europäischer Staat wie Russland muss sich ein Beispiel an Frankreichs Umgang mit Tunesien nehmen und dieses asiatische Barbarenvolk regieren“, sowie seinen eigenen Vorteil aus dem Potential der Fürstentümer ziehen um die Baumwollfelder zu erweitern. Dieses Vorgehen „wird dem russischen Baumwollmarkt helfen, sich von der amerikanischen Abhängigkeit zu befreien“ schreibt Baklanow ins seiner Studie über Turkestan.

Der Eintritt Russlands in den ersten Weltkrieg verdrängte allerdings seine Annektierungsbestrebungen. Und so vermochte es Turkestan weiterhin nicht die Unabhängigkeit Russlands von amerikanischer Baumwolle zu sichern- bis zur Revolution. Erst Anfang der 1930er Jahre, nach dem Sieg über die Basmatschi (also nach der definitiven Eroberung Zentralasiens), erlangte Russland, das mittlerweile zur Sowjetunion umbenannt worden war, eine vollständige Unabhängigkeit in der Baumwollproduktion. 

Die wirtschaftliche Unabhängigkeit- der neue sowjetische Gral  

Die neue russische Autorität, die Bolschewiken, und insbesondere „Lenin maßen der Entwicklung der Baumwollindustrie eine beachtliche Bedeutung zu, indem sie den wirtschaftlichen Wert dieses Industriezweigs auf Augenhöhe mit jenem der Kohle aus dem Donezk und  dem Erdöl aus Baku stellten, und die Erreichung der Unabhängigkeit der Baumwolle für die Sowjetunion als eine der Hauptvoraussetzungen für den Erfolg einer sozialistischen Gesellschaft nannten,“ erklärt Asada Chakimowa in ihrem Werk über die Rolle des usbekischen Rats in der Erreichung der Unabhängigkeit.

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„Eine vollständige technologische und wirtschaftliche Unabhängigkeit des Landes wurde zu einem Hauptelement in Lenins Plan für die Umgestaltung des Sozialismus der UdSSR…Im Bewusstsein über die Bedeutung der Baumwollindustrie für das eigene Wirtschaftswachstum erarbeiteten die kommunistische Partei und die Sowjetunion ein komplexes Wiederaufbauprogramm dieses nationalen Wirtschaftszweigs für den Zeitraum von 1928 bis 1932. In der Umsetzung dieses Programms spielte Usbekistan als Baumwollzentrum der UdSSR eine besondere Rolle“, so die Historikerin.

Usbekistan als Hauptbaumwollzentrum der UdSSR 

Die 1942 entstandene Usbekische Sozialistische Sowjetrepublik (UsSSR) wurde zum Hauptbaumwollzentrum der Sowjetunion umgestaltet und sollte von nun an die Unabhängigkeit des Landes im Baumwollsektor garantieren.

Sprungbrunnen Baumwollknospe Taschkent Usbekistan
Ein Springbrunnen in Form einer Baumwollknospe in der usbekischen Hauptstadt Taschkent

Ab 1938 wurde mit dem Bau von Bewässerungskanälen für die Baumwollplantagen begonnen, an dem sich sowohl Stadtbewohner wie auch Landbewohner beteiligten. Die Arbeitsweise orientierte sich dabei an nationale Bauarbeiten wie dem Großen Ferghanakanal,  den nördlichen und südlichen Kanälen in Ferghana, sowie jenen in Taschkent, dem Kanal von Serafschan, dem Karakumkanal, dem Kattakörgon Reservoir und vielen weiteren. Es wurden außerdem Entwässerungskanäle neu gebaut oder renoviert, sodass der Zustand vieler Sumpfgebiete sich verbesserte.

So kam es während der gesamten Zeit der Sowjetunion zu Entwässerungsarbeiten im großen Stil. Dank des breit angelegten Kanalnetzes wurden weite Wüstenflächen Usbekistans in landwirtschaftliche Böden umgewandelt und riesige neue Baumwollregionen entstanden.

Die Baumwollindustrie als Motor der Industrialisierung 

Die Entwicklung der Baumwollindustrie zog auch den Aufschwung der technischen Industrie und den Bau von Infrastruktur in Usbekistan mit sich. Neue Industrieunternehmen entstanden während dieser Zeit, die landwirtschaftliche Produkte, und Maschinen zur Primärverarbeitung oder zur Ernte von Baumwolle produzierten, darunter Sämaschinen, industrielle Spinnmaschinen sowie Fabriken zur Erarbeitung von chemischem Dünger. Für Usbekistan markierte die Zeit den Beginn einer industriellen Ära, denn der Ertrag aus den Baumwollfeldern war enorm.

So wandelte sich das Land in eine Baumwollmacht und wurde zu einem wichtigen Zentrum der sowjetischen Baumwollmanufaktur.

Der Aralsee- Opfer der industriellen Entwicklung der Baumwollbranche 

Aufgrund der einseitigen Aufmerksamkeit, die man der Baumwollwirtschaft schenkte, fingen die schädlichen Nebenwirkung mit der Zeit an, das Land zu belasten.

Diese ungewollten Konsequenzen hatten sowohl ökologische, wie auch sozio-ökonomische Folgen. Die berühmtesten Opfer des usbekischen Baumwollanbaus sind der Aralsee, die von Pestiziden verseuchten Böden und von Krankheit befallenen Menschen aufgrund der Pflanzengifte und anderer chemischer Produkte und aufgrund des Einsickerns von Salzeinlagen in der Luft, die sich am Grund des ausgetrockneten Meeresbodens gesammelt haben. 

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Die ineffiziente Bewässerung und exzessive Nutzung von Wasserressourcen führten zur Austrocknung des Aralsees, der einst der viertgrößte See des Welt war und nun zu einer der größten Umweltkatastrophen der heutigen Zeit verkümmert ist.

Die Wüste hat den See ersetzt
Die Wüste hat den Aralsee ersetzt

Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Politik entpuppten sich als weitaus gravierender wie anfänglich gedacht und markierten das Schicksal der Usbeken auch nach der erlangten Unabhängigkeit. Das Land stand nun vor riesigen sozioökonomischen Herausforderungen, viele davon ein sowjetisches Erbe.

Wirtschaft ohne verarbeitende Industrie 

Die Usbekische Wirtschaft wurde zur Monokultur und basierte sich fast ausschließlich auf den Baumwollanbau. Laut Statistiken aus den 1980ern machte dieser Industriezweig mehr als 65% der usbekischen Gesamtproduktion aus. Doch weniger als 10% der produzierten Baumwolle wurde in Usbekistan auch verarbeitet. Der Großteil wurde nach Russland exportiert, wo die Leichtindustrie hauptsächlich angesiedelt war.

Zur Zeit der UdSSR gab es in der Teilrepublik Usbekistan weder eine Leicht- noch eine Schwerindustrie, mit Ausnahme der Landwirtschaftsmaschinen für die Ernte der Baumwolle und einiger weniger großer Industriekomplexe, wie die Tashkent Aviation Production Association, die man in den Jahren 1941/42 von Russland und der Ukraine umsiedeln musste.

Der Grund dafür, war der Eintritt der Sowjetunion in den 2. Weltkrieg, ohne den die Autoritäten nie auf die Idee gekommen wären, eine Fabrik der Luftfahrtindustrie in eine so abgeschiedene Region zu installieren. Die UdSSR betrachtete Usbekistan als einen einfachen Baumwolllieferanten, der nur brauchte, was für die Ernte nötig war: Dünger und Traktoren.

Niedrige Lebensstandards

Allerdings war die Baumwolle nicht das einzig exportierte Gut aus Usbekistan. „Fast 50% der jährlichen Goldförderung der Sowjetunion stammte aus Usbekistan. Trotzdem behielt die Teilrepublik nur 1% des Werts dieser Produktion ein“, schreibt Baklanow.

„Diese ausbeuterische Vorgehensweise nahm kolonialistische Züge an und widerspiegelte nicht den Geist der Gerechtigkeit, Freundschaft und Brüderlichkeit, in dem sich die UdSSR sah, und auch kaum eine sozialistische Kooperation. Gold, seltene Nichteisenmetalle, Uranium und andere strategische Ressourcen wurden mitten in der Nacht unter großer Verschleierung aus der Republik abtransportiert, fast so wie bei einem Raub“, heißt es weiter.

Es wurde nicht als nötig befunden, die lokalen Parteiableger und usbekischen Autoritäten darüber zu informieren. Diese nationale Politik des „Leninismus“ führte dazu, dass  Usbekistan, trotz seiner Vielfalt an Bodenschätzen, zu einer der ärmsten Republiken der Sowjetunion verkümmerte.  Der durchschnittliche Lebensstandard erreichte das niedrigste Niveau der gesamten UdSSR. Das Einkommen pro Einwohner war zwei Mal niedriger, wie der Durchschnitt der Sowjetunion: Allgemein betrug das Durchschnittseinkommen 2118 Rubel. In Usbekistan lag es bei 1093 Rubel. Nur Tadschikistan wies ein noch geringeres Einkommen (948 Rubel) auf“, erklärt der Historiker.

Abhängigkeit des Getreideanbaus 

Aufgrund der Vernachlässigung anderer traditioneller Anbaukulturen zugunsten der Baumwolle, verschlechterte sich die Agrarwirtschaft Usbekistans weiter. Das Land war somit fast vollständig Abhängig von Getreide- und Brotlieferungen aus Russland und anderen traditionellen Getreideanbaugebieten der Region.

Laut Kahramon Jakubow, dem ehemaligen Vizeminister für Landwirtschaft der UsSSR, war Usbekistan während der Sowjetzeit gezwungen „aufgrund des Ungleichgewichts Grundnahrungsmittel aus anderen Teilrepubliken oder dem Ausland zu importieren – Weizen, Kartoffel, Fleisch, Milchprodukte, Eier und Zucker. Aus irgendeinem Grund herrschte damals die Meinung, Usbekistan würde für seine Baumwolle ausreichend kompensiert. Das ist ein Mythos. Sicherlich, Taschkent und andere Mono-industriellen Städte wie Nawoj, Olmalik und Tschirtschik, profitierten vom sogenannten „Schutz der Union“; was allerdings die Lebensmittel anging, so lebte das restliche Land in absoluter Armut, und die Personalleistungen reichten nicht aus um die Situation im Land auszugleichen.“ Das hohe Bevölkerungswachstum in urbanen Lebensräumen verstärkte die Probleme zusätzlich.

Die heutige Arbeitsmigraion als Resultat sowjetischer Baumwollkultur 

Selbst das Phänomen der Arbeitsmigration, heute vielfach mit Usbekistan assoziiert, ist auf die Politik der Sowjetunion und ihrer Baumwollkultur in der damaligen Teilrepublik zurückzuführen. Heute hat sich der schlechte Ruf Usbekistans verfestigt, nicht allerdings das Bewusstsein darüber, dass der Überschuss an Arbeitskräften, der seit der Unabhängigkeit stetig gewachsen ist, ein Erbe der Sowjetunion ist.  Zweifelsfrei liegt ein Teil des Problems an den Fehlern der UdSSR bei der Gestaltung ihres politischen Demografie-Entwurfs.

Arbeiter bei der Baumwollernte in Usbekistan
Arbeiter bei der Baumwollernte in Usbekistan

Auch in der Urbanisierung lag Usbekistan gegenüber den anderen Teilrepubliken der Sowjetunion zurück. Die Urbanisierungsprozesse des Landes wurden durch eine gezielte Förderung der Nachfrage an Arbeitskräften mit Absicht verlangsamt, um die Spezialisierung Usbekistans im Baumwollanbau zu sichern. Aus diesem Grund siedelte sich die Bevölkerung in ruralen Zonen an, aus denen aufgrund der Monokultur der Baumwolle für Jahre das Haupteinkommen geschöpft wurde. 

Eine baumwollbedingte Demographie  

Das Bevölkerungswachstum der Sowjetischen Republik Usbekistan hing unzertrennlich mit dem Bruttoanstieg und der Flächenerweiterung der Baumwolle zusammen. Ab 1960 beschleunigte sich die Baumwollproduktion und erreichte ihren Höhepunkt in den 1980ern. Während dieser Zeit hat sich die usbekische Bevölkerung, von 8 Millionen Einwohnern in den 60ern zu 19 Millionen im Jahr 1987, mehr als verdoppelt.

Somit setzte während der Sowjetära ein Prozess ein, der dazu führte, dass die Bevölkerung schneller wuchs, als die nun vermehrt nötigen Ressourcen für deren Grundversorgung. Im Jahr 1991 hatte die Bevölkerung die 20 Millionen Grenze bereits erreicht.

Rang Usbekistan Baumwolle Ernte Fact
Usbekistan ist weltweit vierter Baumwollproduzent

Es gibt noch einen wichtigen Faktor. 1989 lebte ein Großteil der usbekischen Bevölkerung im ländlichen Raum, während 74% der Russen in Städten lebte. Während der Sowjetzeit, waren die Lebensstandards in den Städten deutlich höher als auf dem Land. Jene Teilrepubliken, die einen höheren Anteil an Stadtbewohnern besaßen, profitierten daher von einer besseren materiellen Absicherung sowie einem höheren Bildungsniveau. In Usbekistan allerdings war der Urbanisierungsanteil gering, und dementsprechend niedrig auch Modernisierung und Wohlstand.

Zentralistische Baumwollpolitik 

Die soziodemografischen Schwierigkeiten verschlimmerten sich und zogen weitere Probleme mit sich. Ende der 1980er Jahre erstarkten in den Teilrepubliken Zentralasiens und insbesondere in einer Reihe von besonders dicht besiedelten Regionen Usbekistans, Tadschikistans und Kirgistans Religiosität und Nationalismus. Die willkürliche Ansiedlung eines Teils der Bevölkerung in der abgelegenen Peripherie und deren beschränkte Kenntnisse in der Landnutzung führten zu Intoleranz und dem Wunsch, einen islamischen Staat zu gründen, um sich aus dieser Situation zu befreien.

Diese Umstände ebneten bereits während der Sowjetunion den Weg für die Entstehung einer armen und weniger gebildeten Bevölkerungsschicht in Usbekistan, die sich stärker mit Traditionen identifiziert. Dadurch wurde Usbekistan die Möglichkeit einer gebildeten und auf bestimmte Bereiche spezialisierten Personalentwicklung entbehrt. Der Baumwollsektor hängt somit untrennbar mit der Entwicklung aller anderen Agrarzweige sowie mit dem Aufschwung von Kultur und Wohlstand in Usbekistan zusammen. Allgemein assoziiert man die Omnipräsenz der Baumwolle in der usbekischen Gesellschaft mit dem Begriff Baumwollpolitik.

Der Zwang zum Ländlichen

„Um die wirtschaftliche Unabhängigkeit der UdSSR sicherzustellen, schafften die sowjetischen Autoritäten willkürlich ein Monopol der Baumwolle in Zentralasien. Der Anbau von Baumwolle verlangt einen größeren Arbeitsumfang, wie etwa der Getreideanbau, wodurch die zentralasiatische Bevölkerung mit allen Mitteln gezwungen wurde, in ländlichen Gebieten zu bleiben“, beschreibt der Zentralasienforscher Sergej Abaschin.

Die gesamte zentralasiatische Industrie und die urbane Kultur sind das Resultat der Zwangsumsiedlungen seit die europäischen Seite der Sowjetunion sich allmählich von der Landwirtschaft befreite“, erklärt er weiter.

Ein Weg in Parkent, in der Nähe von Taschkent
Ein Weg in Parkent, in der Nähe von Taschkent

„Anders gesagt, der Staat förderte den Fortbestand einer „bäuerlichen“ Gruppe und eine Umwandlung einer anderen „bäuerlichen“ Gruppe in eine „industrielle“ Gruppe. Diese Situation wird heute als Indikator „ethnischer“ Unterschiede betrachtet, allerdings entstand er nicht vor dem 20. Jh., sondern zwischen 1940 und 1970.  Zu exakt dieser Zeit entstanden die jeweiligen nationalen oder ethnischen Stereotypen, während „traditionelle“ oder „moderne“ Mentalitäten als ökonomische Strategien angesehen werden können“, so Abaschin. 

„Die Usbeken, Tadschiken und andere Völker Zentralasiens sind „altmodisch“, „traditionell“, tendieren zum „Kollektivismus“ und sind der Natur sehr nahe. Allgemein verkörpern sie dieselben Charakteristika, die während der 1920er und 1930er den Russen und Ukrainern, sowie am Ende des vorherigen Jahrhunderts den Franzosen und Deutschen zugeschrieben werden können“, beschreibt der Historiker.

Die Versteckte Arbeitslosigkeit unter UdSSR-Zeiten

Der Autor beschreibt eine Zeit, in der bereits währen der Sowjet Ära viele Landarbeiter in Arbeitslosigkeit lebten: „Laut Angaben des Landesrates von Mindon, einer usbekischen Ortschaft im Ferghanatal, zählte die Gemeinschaft Anfang 1991 etwa 11.000 Personen, wovon mehr oder weniger 5.000 als beschäftigt galten. 2.500 Personen arbeiteten auf der Kolchose (landwirtschaftlicher Großbetrieb- Anm. d. Red.), also genau die Hälfte jener Beschäftigten. Rund 2.000 Mitarbeiter der Kolchose  waren Mitglieder der Baumwollbrigaden, d.h. sie arbeiteten direkt in der Landwirtschaftlichen Produktion. Die 500 restlichen Personen wurden als technisches Personal in der Verwaltung eingesetzt, oder als Kinderbetreuer und ähnlichem“. 

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„Das Erstaunlichste daran ist, dass von den 2.000 Mitgliedern der Baumwollbrigaden, nur 60 Arbeiter mehr als 300 Tage im Jahr arbeiteten, die anderen waren alle geringer beschäftigt. Zum Beispiel arbeiteten 600 davon weniger als 50 Tage im Jahr. Eine überwältigende Mehrheit der Kolchosen-Arbeiter waren nicht mehr als zwei bis drei Jahre in der Baumwollproduktion beschäftigt. Die restliche Zeit arbeiteten diese „Landwirtschaftskräfte“ entweder gar nicht, teilweise als Putzkraft oder inoffiziell in anderen Sektoren außerhalb der Landwirtschaft“, beschreibt der Forscher.

Die Unabhängigkeit und das Ende der Illusion 

„Es gibt natürliche Grenzen im Wachstum landwirtschaftlicher Produktion. Noch Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Mindon für jeden Haushalt um die fünf bis sechs  Hektar Anbaufläche. Anfang der 1990er waren es pro Haushalt weniger als ein Hektar, inklusive Privatgrundstücke wie jene der Kolkhosen Arbeiter“, erklärt Abaschin den Grund für die Entstehung von Arbeitsmigration.

„Auch wenn man den Anstieg der Umsätze pro Anbaugebiet miteinberechnet, wird ersichtlich, dass sich der aus der Landwirtschaft gezogene Nutzen in den letzten Jahren schrittweise verringert hat. Das bedeutet, die Bevölkerung ist darauf angewiesen, über Mindon hinaus Arbeit zu finden. Die Überbevölkerung in den Landwirtschaftsgebieten hat eine kritische Hürde erreicht und die einheimische Bevölkerung Zentralasiens verlässt nach und nach den Landwirtschaftssektor zugunsten anderer wirtschaftlicher Bereiche. Das ist ein entscheidender Faktor, der die Migrationsprozesse der zentralasiatischen Bevölkerung nach Russland in Gang gesetzt hat“, beschreibt der Forscher.

Ein junger Usbeke im Dorf Ajaktschi
Ein junger Usbeke im Dorf Ajaktschi

Die sozio-ökonomischen, demografischen, kulturellen und arbeitsmarktbezogenen Probleme von Heute hängen zum Großteil mit der sowjetischen Transformationspolitik Usbekistans in eine Monoindustrie zusammen. Diese zu lösen ist nicht einfach und bedarf enormer Anstrengungen.

Die Zukunft der Baumwollkultur hängt von der Energie ab 

Um die Konsequenzen wieder gut zu machen und zur Liste der entwickelten Länder aufzuschließen, muss Usbekistan langfristig denken und verstärkt auf Modernisierung und Urbanisierung des Landes setzten. Außerdem ist es wichtig, sich auf erneuerbare Energien zu stützen, um so die Abhängigkeit von traditionellen Energiequellen wie Kohle und Gas zu reduzieren.

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Zur Hälfte des 21. Jahrhunderts werden die Rohstoffvorkommen der zentralasiatischen Republik, die während der Sowjetära entdeckt wurden, aufgebraucht sein. Die Zukunft der Baumwollindustrie ist ebenso ungewiss. Nach Erlangung seiner Unabhängigkeit verringerte Usbekistan die Baumwollproduktion, um Jene im Lebensmittelbereich wiederzubeleben und somit die Grundnahrungsmittel für die Bevölkerung sicher zu stellen. Nichtsdestotrotz könnte die Entwicklung der Baumwollkultur und Landwirtschaft in Zukunft auf unvorhersehbare Schwierigkeiten stoßen, etwa durch die Umsetzung hydroelektrischer Projekte der Nachbarländer.

Auf dem Weg zu erneuerbaren Energien? 

Von diesem Standpunkt aus wäre Usbekistan besser darin beraten, auf erneuerbare Energien zu setzen. In Deutschland zum Beispiel wird 8% der Elektrischen Energie aus Windparks und 5% der Energie aus Solaranlagen gewonnen. Der Anteil erneuerbarer Energien in der Herstellung elektrischer Energie ist für Deutschland zwar noch nicht stark entwickelt, allerdings ist der Elektrizitätsverbrauch in Usbekistan zehn mal geringer, wie jener im hyper-industrialisierten Deutschland. Dies macht nochmal die Rolle deutlich, die erneuerbare Energien in der zentralasiatischen Republik spielen könnten.

Das Land muss außerdem auf eine weitere unerschöpfliche Ressource setzten: Das menschliche Kapital. Usbekistan muss lernen, wie es seine Bewohner fördern kann, um ihr Potential zu verbessern, ihren Ertrag, ihr Wissen und ihre Kompetenzen damit sie zum Hauptfaktor seiner Entwicklung werden können.

Nurali Mingbajew
Central Asian Analytical Network

 Aus dem Russischen von Julia Tappeiner

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Kommentieren (1)

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Mez, 2019-09-20

Es ist schon erstaunlich, dass in dem Artikel die militärische Nutzung von Baumwolle nicht einmal erwähnt wird. Es ging auch Russland – und später der Sowjetunion – nicht nur um die Textilindustrie sondern auch um die Munitionsherstellung. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird „Schießbaumwolle“ (Cellulosenitrat“ aus Baumwolle hergestellt und statt Schwarzpulver eingesetzt. Die Explosionsstärke ist 147% von TNT. In Wikipedia ist der Schießbaumwolle ein eigener Artikel gewidmet.

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