Startseite      Der Aralsee heute: Nur „kleinere Pfützen“ – Ein Interview mit dem Ökologen Yusup Kamalov

Der Aralsee heute: Nur „kleinere Pfützen“ – Ein Interview mit dem Ökologen Yusup Kamalov

Der Umweltwissenschaftler Yusup Kamalov widmet bereits seit dreißig Jahren sein Leben der Rettung des Aralsees. Neben der Ökologie forscht Yusup Kamalov auch zur Aerodynamik und entwirft Hängegleiter, mit denen er die Flugweise von Vögeln nachahmen will. Das Magazin Hook sprach mit dem karakalpakischen Ingenieur über sein Aufwachsen in einer Familie, die als „Volksfeind“ galt und sein Engagement zur Rettung des Aralsees.

Trockener Boden, Schiff im Aralsee, Photo: Wikimedia Commons.

Der Umweltwissenschaftler Yusup Kamalov widmet bereits seit dreißig Jahren sein Leben der Rettung des Aralsees. Neben der Ökologie forscht Yusup Kamalov auch zur Aerodynamik und entwirft Hängegleiter, mit denen er die Flugweise von Vögeln nachahmen will. Das Magazin Hook sprach mit dem karakalpakischen Ingenieur über sein Aufwachsen in einer Familie, die als „Volksfeind“ galt und sein Engagement zur Rettung des Aralsees.

Ich wurde noch zur Zeit Stalins geboren und vermute, dass man mich nicht grundlos Yusup nannte, sondern dass dies zu Ehren Iosif Wissarionowitsch Stalins geschah. Ich habe einen ganz gewöhnlichen Lebenslauf: Schulzeit, und danach ein Studium am Moskauer Energetischen Institut. Nach dem Studienabschluss war ich Energietechniker und wurde zur Arbeit in das Kesselwerk des Wärmekraftwerks in Taxiatosh entsand.

Aufgrund des Zustandes des Aralsees regte mein Vater einen Wechsel zur Ökologie an. Er war Archäologe und Historiker und leitete circa 37 Jahre lang das Historische Institut. Nach dem Abgang von Marat Nurmuxamedov (Anm. d. Red.: Karakalpakischer Wissenschaftler, erstes karakalpakisches Mitglied der Akademie der Wissenschaften der Usbekischen Sozialistischen Sowjetrepublik) hat mein Vater quasi die Leitung der Akademie übernommen. Mein Vater hat sich ganz dem Schutz des Aralsees verschrieben und hat versucht, so viele wie möglich zum Studium nach Moskau zu entsenden, seien es Mathematiker:innen, Ökolog:innen oder andere Fachrichtungen. So entstand eine ganze Schar von Anhänger:innen.

Lest auch bei Novastan: Die touristischen Perlen Karakalpakstans

Nach der Eröffnung eines Rechenzentrums in Moskau eröffnete die Karakalpakische Akademie der Wissenschaften 1977 ebenfalls eins. Trotz seiner seltsamen Bezeichnung hat sich das Zentrum einer ganzen Reihe spannender Probleme angenommen, darunter auch der Ökologie. Ich war Praktikant und Doktorand am Rechenzentrum der Akademie der Wissenschaften der UdSSR in Moskau am Laboratorium für mathematische Ökologie. Später wechselte ich in die Abteilung für Wasserprobleme, wo wir mathematische Modelle für das Wassermanagement berechneten. Ich schloss meine Dissertation ab, aber durch verschiedene Interessen habe ich sie nie verteidigt. Mein Vater war darüber natürlich sehr verärgert und besonders seine Kolleg:innen machten sich darüber lustig. Er habe mich zu demokratisch und freiheitlich erzogen, ein anderer Mann wäre auf mich losgegangen.

Wenn Wissenschaftler:innen ihre Dissertation verteidigen, folgt danach oft eine wissenschaftliche Karriere – sie bekommen Leitungsaufgaben. Aber mir gefällt mein Zustand, ich fühle mich viel freier. Mein Vorgesetzter sagt immer: „Wozu soll man Direktor:in oder Chef:in sein, wenn man kreativ sein kann?“. Ich begann die Flugweise der Vögel zu beobachten, baute zwei Hängegleiter und sprang damit unzählige Male vom Shylpyk. Mein letzter Sprung war im Januar 2016, um die Mechanismen nachzuempfinden, die nach meiner Vorstellung einen Vogel zum Fliegen bringen.

Aufwachsen in einer Familie von „Volksfeinden“

Mein Großvater mütterlicherseits hieß Jali Maxsym (Abdijalil Ismetullaev). Er wurde in einer reichen Familie geboren und unterstütze zunächst die sowjetischen Machthabenden. Später traten er und seine Brüder jedoch gegen die Zwangskollektivierung ein. Dafür wurden seine beiden Brüder vor seinen Augen erschossen und Jali Maxsym wurde nach Shymbay verbannt. Freund:innen von Jali Maxysm, die sich ebenfalls gegen die sowjetischen Machthabenden gestellt hatten und nach Turkmenistan emigriert waren, erfuhren von seiner Verhaftung und fuhren nach Shymbay, um ihn zu befreien. Sie erklärten ihn zum letzten gewählten Khan der Karakalpaken. Für einige Zeit kämpfte mein Großvater als Basmatschi gegen die Kommunisten, doch schließlich wurde er verraten und ausgeliefert. Jali Maxsym wurde zusammen mit seinem 14-jährigen Sohn erschossen und bis heute ist unbekannt, wo sie begraben wurden. Über meinen Großvater begann man erst nach der Unabhängigkeit offen zu schreiben und inzwischen sind Informationen über die Aufstände in Shymbay und Taxtakupyr, bei denen er eine wichtige Rolle spielte, offen zugänglich.

Meine Mutter wurde von ihrem Großvater adoptiert und änderte ihren Nachnamen in Esemuratova. Sie wurde Journalistin und erinnerte sich oft daran, wie sie fast jeden Abend für Befragungen zum KGB musste. Dadurch, dass sie als „Tochter eines Volksfeindes“ abgestempelt wurde, wurden meine Mutter und meine Oma direkt nach meiner Geburt aus ihrer Wohnung geworfen. Zudem haben Krankheiten und ein Unfall ihr Leben geprägt. Trotz allem ist sie nach wie vor am Leben und inzwischen 94 Jahre alt. Sie ist eine starke Frau, sowas gibt es heute gar nicht mehr.

Vereinigung zum Schutz des Aral und Amudarja

Auf Initiative des bekannten Schriftstellers Orazbay Abdraxmanov gründete eine Gruppe von Intellektuellen am 6. Dezember 1989 die NGO „Vereinigung zum Schutz des Aral und des Amudarja“. Ich trat damals der Organisation durch meinen Vater bei. Anfang der 1990er begannen wir gerade erst mit unseren Aktivitäten und zu unseren Versammlungen kamen um die 300 Personen.

Wir hatten damals Freund:innen in Amerika, die quasi unsere Repräsentanz in den USA herstellten und ausbauten. Deshalb haben wir uns 1991 offiziell als internationale Organisation registriert. Anfang der 1990er lebten wir vergleichsweise frei und waren gut aufgestellt. Einschränkungen waren nicht zu spüren. Dies blieb jedoch nicht lange so. Das Lebensniveau sank und viele emigrierten. 1994 verließ der Vorsitzende der NGO aus persönlichen Gründen seinen Posten und ich übernahm.

In den 2000ern, nach der Revolution in Georgien und einer instabilen Weltlage, begannen in Usbekistan Repressionen gegen internationale Organisationen. Die Beschuldigungen waren gegenüber allen dieselben: Verspätungen bei der Einreichung von Berichten an das Justizministerium. Aufgrund dieser Beschuldigungen mussten viele NGOs ihre Arbeit aufgeben, aber dank internationaler Unterstützung und unserer Stellung konnten wir unsere Unschuld in allen fünf Anklagepunkten vor Gericht beweisen. Trotzdem verloren wir den Status als internationale Organisation und wurden gewissermaßen zu einer örtlichen NGO „degradiert“. Aber das hindert uns nicht daran, uns weiter mit den Problemen des Aralsees zu befassen.

Lest auch auf Novastan: „Der Aralsee bricht alle Rekorde – aber er lebt weiter!“

Wir bekommen oft Kritik von oben: wir wurden beschuldigt, Wasserressourcen kommerzialisieren zu wollen und dafür kritisiert, dass wir einen Marketing-Ansatz verfolgen. Sogar unsere Kolleg:innen aus Almaty haben mich für diese Idee verurteilt. Leider ist bei uns nach wie vor die sowjetische Denkweise vorherrschend und der Wirtschaft gelingt nicht der Schritt weg von den Sowjetzeiten. Unsere Bevölkerung ist es gewohnt zu kritisieren und beispielsweise Angst vor den USA oder der NATO zu haben. Das ist nur ein Stereotyp, dass alles Neue schlecht sei und alles Sowjetische gut. Aber die Mehrheit der Menschen kann man nicht davon abbringen und wir sind in der Minderheit.

Die Rettung des Aralsees als Ziel

1994 erarbeiteten wir ein Konzept mit neuen Methoden im Umgang mit Wasserressourcen, um nicht nur auf eine Erholung des Aralsees hinzuwirken, sondern auch für eine gerechte Verteilung des Wassers zu sorgen. Wir schickten unser Vorhaben an Vertreter:innen der fünf zentralasiatischen Länder, die sich zu einem internationalen Fond zur Rettung des Aralsees zusammengeschlossen hatten. Eine Antwort erhielten wir lediglich von einem Berater des Präsidenten Kirgistans, allerdings eine ablehnende.

Unser Konzept sah vor, die Verwaltung des Amudarja Flusses in neutrale Hände zu geben, aber die Regierungen entschieden, dass eine solche Übergabe die Neutralität der Staaten verletzen würde. Die Vereinigung organisierte außerdem Vorträge, veröffentlichte und nahm an Konferenzen teil. Dadurch, dass das Leben schwerer geworden war, gingen jedoch einige und unser Team schrumpfte auf fünf oder sechs Leute. Viele sind inzwischen auch schon gestorben.

Lest auch auf Novastan: Fünf ökologische Probleme Zentralasiens

Heute ist der Aralsee praktisch verschwunden. Die Fläche des Aralsees beträgt zusammen mit den kasachstanischen und westlichen Teilen weniger als sieben Prozent der ursprünglichen Wasserfläche. Es macht keinen Sinn zu sagen, dass der Aralsee noch existiert. Das sind einfach nur einige Pfützen.

Das westliche Ufer weicht jedes Jahr um 100 Meter zurück. Wenn man vor circa zehn Jahren auf dem Ustjurt-Plateau stand und in Richtung des Aralsees schaute, dann konnte man das südliche und östliche Ufer von dort nicht sehen. Inzwischen sind beide Ufer erkennbar. Im westlichen Teil ist der See vielleicht noch 15 Meter tief. Früher lag der tiefste Punkt bei mehr als 60 Metern. Im Vergleich etwa zum Baikalsee war der Aralsee schon immer eher flach. Der Baikalsee ist stellenweise mehr als zwei Kilometer tief. Der Aralsee glich einer Pfütze auf heißem Asphalt. Und wenn man dann aus einer Pfütze trinkt, vertrocknet sie innerhalb einer Stunde.

Manche Journalist:innen berichten davon, dass der Aralsee sich erhole, aber davon kann keine Rede sein. Ja, der Fluss Syrdarja speist von Kasachstan aus nach wie vor den Aralsee mit Wasser, aber er ist nur halb so groß wie der Amudarja-Fluss. Die 100 Kubikkilometer Wasser, die den Aralsee jedes Jahr erreichen, verdunsten und so bleibt kein Wasser übrig, dass den See wieder auffüllt. Inzwischen ist es schon gut, wenn auch nur fünf Kubikkilometer im Aralsee bleiben würden.

Ein „Schiffsfriedhof“ als Denkmal

Das, was inzwischen als „Schiffsfriedhof“ bekannt ist, ist eigentlich nur eine Ansammlung unterschiedlicher Schiffe: Boote, Lastkähne und Schlepper, die 2010 aus Anlass des Besuchs des damaligen UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon hergebracht wurden. All diese Boote wurden ausgegraben, hierhergebracht und inszeniert. Viele denken, dass der „Schiffsfriedhof“ früher ein Hafen gewesen sei. Tatsächlich konnte sich dort aber kein Hafen befinden – der See war zu seicht. Der Hafen war bei Mo’ynoq, neben der Fischfabrik. Die Schiffe liefen den Hafen an, indem sie die Halbinsel Mo’ynoq von Osten und Westen her umrundeten, da das Gewässer dort tiefer war. Die Schiffe fuhren nicht in der Nähe des heutigen Aral-Schiffs-Denkmals vorbei.

Hoffnung auf eine Rückkehr des Aralsees?

Theoretisch ist eine Rückkehr des Aralsees möglich. Wenn man die Wasserverluste begrenzen kann, könnte ein Teil des Aralsees zurückkehren. Nicht auf das frühere Niveau, aber zumindest um den Boden zu befeuchten und die Seen im Delta wieder zu füllen. Das Delta sollte regeneriert werden, denn dort leben Menschen. Wenn wir Wasser sparen, dann hätten wir solche Möglichkeiten.

Wir müssen an mehreren Fronten handeln. Die Kolleg:innen aus Kasachstan haben mich dabei unterstützt. Die Wälder müssen aufgeforstet werden, das ist die Hauptsache. Außerdem sollte eine Baumwollsorte genutzt werden, die weniger Wasser verbraucht. Die Akademie und ich könnten alle möglichen benötigten Kontakte herstellen, wir könnten dabei helfen, die Produktion der notwendigen Mittel in die Wege zu leiten. Schauen Sie sich die Arabischen Emirate an, dort ist die Entsalzung von Meerwasser eine große Einnahmequelle. Warum schlagen wir nicht diesen Weg ein?

Großes Problem mit Versickerung von Wasser

Die Versickerung von Wasser, steigendes Grundwasser und Bodenversalzung sind ein Teufelskreis, den wir durchbrechen müssen. Eine Möglichkeit ist das Ausbetonieren der Flussbetten, was schon in der Sowjetunion ein Thema war, jedoch nicht umgesetzt wurde. Ende 2023 gab Präsident Mirziyoyev den Erlass heraus, wonach Kanäle auf 1500 Kilometern Länge ausbetoniert werden sollen, um dem Versickern von Wasser entgegenzuwirken. Das Wasser versickert im Boden noch bevor es die Felder erreicht – aktuell verschwinden 37 Prozent nur durch diese Kanäle. Und von den Kanälen haben wir hier Tausende, auf einer Strecke von Tausenden von Kilometern in ganz Usbekistan. Stellen Sie sich vor, wie viel Wasser wir verlieren! Dieselbe Situation besteht auch bei denjenigen Wasserreservoirs, die nicht durch Beton oder Schutzfolie umgeben sind. Dadurch verlieren wir jährlich rund 40 Prozent des Wassers. Am meisten geht jedoch durch Verdunstung verloren.

Wie bewässern wir die Felder? Wir verwenden Bewässerungsgräben (Anm. d. Red.: In Zentralasien auch „Aryk“ genannt.) und Saatbeete. Wir begießen die Felder einfach mit Wasser. Und dazu werden die Felder noch zwei Mal im Jahr vom Salz gereinigt. So werden mehr als 90 Prozent unseres Wassers zum Bewässern oder Böden reinigen verwendet, bzw. es verdunstet oder versickert.

Stellen Sie sich mal vor, wenn wir es schaffen würden, auch nur die Hälfte dieser Verluste zu verhindern. Was wäre dann? Dann würde der Aralsee sich wieder füllen. Nicht sofort natürlich, aber uns geht es auch nicht nur um den Aralsee, sondern auch darum, das Delta des Amudarja wiederzubeleben, wo alle Wälder und Seen verschwunden sind.

Frühere Zuflüsse des Aralsees

Vor etwa 300 Jahren mündete noch ein dritter Fluss in den Aralsee – der Turgai. Den Turgai gibt es nach wie vor, er fließt auf dem Territorium des heutigen Kasachstan. Aber vor 200 Jahren kam der Fluss etwa 100 Kilometer vom Aralsee entfernt zum Stillstand. Warum? Weil begonnen wurde, die Wälder entlang des Flusses abzuholzen. Und der Wald und der Fluss, das ist eine Symbiose, sie helfen sich gegenseitig. Je mehr Wälder entlang eines Flusses wachsen, desto mehr Wasser führt der Fluss. Und umgekehrt, je mehr Wasser im Fluss, desto besser wachsen die Wälder. Überschwemmungen halten die Wurzeln der Bäume feucht. Genauso verhielt es sich mit dem Auwald des Amudarja, aber die Wälder wurden abgeholzt und damit nahm die Wassermenge des Flusses natürlich ab.

Mit dem Fluss Serafschan ist es eine ähnliche Situation. In der Provinz Buxoro in der Wüste Qizilqum versickert der Fluss, während er früher einer der großen wasserreichen Zuflüsse des Amudarja war. Und insbesondere in den Bergen und Wüsten brauchen die Menschen den Wald. Aber anstatt die Wälder aufzuforsten, werden 250 Millionen Bäume in den Städten gepflanzt.

Was muss getan werden?

Man muss den Grund des Aralsees zumindest ein bisschen befeuchten, anstatt Geld für die Anpflanzung von Saxaul-Sträuchern auszugeben. Denn Saxaul wächst leider nur einzeln. Der nächste Busch sollte in 5-10-50-100 Metern Entfernung wachsen (Anm. d. Red.: abhängig von den Umweltfaktoren). Lediglich Saxaul anzupflanzen führt dazu, dass sich der Staub verbreitet. Zwar hält der Saxaul Sand zurück, aber keinen Staub oder Salz. 2018 hielt ich einen Vortrag in einem Hotel. Alle Fenster waren verhängt, die Türen geschlossen, und trotzdem war der Tisch mit Staub und Salz bedeckt, weil der Staub so feinkörnig ist. Und wie sieht es auf dem Ustjurt-Plateau aus? Dort breitet sich das Gras aus, wodurch der Staub nicht vom Wind verweht werden kann.

Lest auch auf Novastan: Usbekistan: Kampf gegen Sandstürme

Wenn man den Staub vermeiden möchte, dann muss der Grund des Aralsees befeuchtet werden. Asphaltieren des Bodens ist nutzlos. Stattdessen könnten mit ein wenig Feuchtigkeit ohne Aussaat Saxaul und Gräser wachsen. Wenn Sie Surgil passieren, dann sind links davon Felder, auf denen üppige Gebüsche wachsen. Warum? Weil der Sudoche-See vor acht Jahren über die Ufer getreten ist und das Wasser einen Teil des Aralsees bei Surgil überschwemmt hat. Obwohl also in acht Jahren nur einmal die Fläche bewässert wurde, wachsen dort Sträucher und andere Pflanzen.

Es gibt ein ganz einfaches Mittel, die Luftfeuchtigkeit in den Städten zu erhöhen: man muss Laubbäume pflanzen, aber wir haben überall Nadelgehölz. Sie haben eine 10-Mal kleinere Oberfläche als Laubbäume. Auf den Laubbäumen setzt sich der Staub ab, aber auf den Nadelbäumen kann das nicht im selben Umfang geschehen.

Die Wasserfrage mit den Nachbarstaaten Afghanistan und Kirgistan

(Anm. d. Red.: Seit 2022 wird im Norden Afghanistans der Qoʻshtepa kanali gebaut. Das Wasser für ihn soll aus dem Amudarja abgezweigt werden.) Das Beschämendste am Bau des Kanals ist, dass die Pläne schon vor 50 Jahren bekannt waren. Damals vereinbarten Afghanistan und die Sowjetunion, jährlich 10 Kubikkilometer aus dem Amudarja zu entnehmen. Und jetzt geben alle vor, zum ersten Mal davon zu hören. In den 50 Jahren hätte man sich vorbereiten können, aber alle dachten, dass das Problem sich von selbst lösen würde. Und jetzt müssen spontan Maßnahmen ergriffen werden.

Ich habe eine Ahnung, warum die Situation im Land so ist wie sie ist. Wenn man zum Beispiel in die Verwaltung geht, dann sitzen dort zwei Menschen, die sagen, dass sie nicht einmal Zeit zum Nachdenken hätten. Sie sind ständig beschäftigt. In den Niederlanden ist es zum Beispiel anders, dort wird 25 Jahre im Voraus gedacht. Ich gehe davon aus, dass die Entscheidungsträger:innen nicht voraus denken. Sie denken vielleicht an die nächsten zwei Stunden, aber nicht an unsere Zukunft.

Lest auch auf Novastan: Die fünf wichtigsten Wasserkonflikte in Zentralasien

In Kirgistan wird oft die Frage diskutiert, ob flussabwärts gelegene Staaten für Wasser zahlen sollten. Ich bin dafür. Denn wenn man nicht zahlt, dann spart man nie. In dem Fall sollte Kirgistan aber für Qualität, Wassermenge, Pünktlichkeit und Absicherung zuständig sein. Einige werden sagen: „Wieso das denn? Das ist doch eine lebenswichtige Ressource, warum sollte ich dafür zahlen?“. Dann sollen sie eben nur für das Wasser zahlen, das ihnen Gewinn einbringt. Wenn sie etwa Baumwolle anpflanzen oder etwas bauen, dann zahlen sie für das Wasser. Und wenn es um Wasser für Hygiene, Trinkwasser, Artenvielfalt und Ökologie geht, dann sollte es kostenlos sein. Es ist nicht unsere Schuld, dass wir seit Jahrhunderten flussabwärts leben.

Nachwort

Werden wir unser ganzes Leben lang ein Agrarstaat sein? Werden wir Baumwolle und Reis anbauen? Das ist lächerlich. Kleinere Staaten wie etwa Singapur und Israel haben in dieser Zeit schon so viel mehr erreicht. Und wir, mit unserer Korruption, bleiben zurück. Wir versuchen aufzuholen, aber wohin? Wenn wir aufholen wollen, müssen wir ihren Weg gehen. Wie schon Suchow sagte: „Ich kann nicht mein ganzes Leben durch diese Wüste gehen.“ (Anm. d. Red.: Dabei handelt es sich um ein Zitat des Charakters Suchow aus dem sowjetischen Film-Klassiker „Weiße Sonne der Wüste“.)

Feride Maxsetova, Yana Modelova, Azamat Matkarimov und Lena für Hook Report

Aus dem Russischen von Marie Schliesser

Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen: Schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.

Kommentare

Your comment will be revised by the site if needed.