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Vom Mythos Seidenstraße

Die Seidenstraße erlaubte den Handel und die Kommunikation zwischen verschiedenen Zivilisationen, war aber ebenso Wegbereiter für Krankheiten und Parasiten. Die Ergebnisse einer archäologischen Studie stellen den Mythos der Seidenstraße als Goldenes Zeitalter Zentralasiens in ein neues Licht.

Dunhang China
Die Stadt Dunhang, China

Die Seidenstraße erlaubte den Handel und die Kommunikation zwischen verschiedenen Zivilisationen, war aber ebenso Wegbereiter für Krankheiten und Parasiten. Die Ergebnisse einer archäologischen Studie stellen den Mythos der Seidenstraße als Goldenes Zeitalter Zentralasiens in ein neues Licht.

Eine Gruppe aus britischen und chinesischen Archäologen konnte Darmbakterien in 2000 Jahre alten menschlichen Exkrementen nachweisen. Diese wurden bei Ausgrabungen im Dorf Xuanquanzhi – einer alten Station auf einer der Routen der Seidenstraße an der Ostgrenze zur Taklamakanwüste – auf gerollten Bambusblättern, einer Art antikem Toilettenpapier, in der chinesischen Provinz Gansu gefunden.

Eine Straße für Seide und Infektionen

In ihrer Studie, die im vergangenen Jahr im Journal of Archeological Science erschienen ist,  führen die Archäologen die Herkunft der entdeckten Parasiteneier auf einen Saugwurm zurück, der in den chinesischen Sumpfgebieten vorkommt und gemeinhin als Chinesischer Leberegel bekannt ist. Demnach kommen die Eier aus der Region Guangdong, 2000 Kilometer entfernt vom Dorf Xuanquanzhi, in welchem die Archäologen die Eier fanden.

Die Seidenstraße steht bereits im Verdacht, den ursprünglich aus Zentralasien stammenden Überträger der Beulenpest im 14. Jahrhundert nach Europa transportiert zu haben, sowie zu verschiedenen Zeitenpunkten Lepra und Milzbrand. Bis vor kurzem hatten die Archäologen allerdings keine greifbaren Beweise für die Verbreitung von Infektionskrankheiten zwischen Asien und Europa gefunden. Die Entdeckung derartiger Parasiten in menschlichen Exkrementen, die auf das 1. Jahrhundert nach Christus datiert und einer Station entlang der Seidenstraße zugeordnet werden können, ist ein Novum.

Der Mythos von der Seidenstraße und dem Goldenen Zeitalter Zentralasiens

Die Bildung der zentralasiatischen Nationalstaaten hat reichlich dazu beigetragen, die Seidenstraße als ein Goldenes Zeitalter der Region zu konstruieren, in dem Karawanen die erlesensten Güter transportierten: Gewürze, kostbare Edelsteine, Porzellan und Seide. Zahllose internationale Projekte, die eine moderne Seidenstraße und damit die Verbindung von Europa und Asien über den Landweg zum Ziel haben, haben den Mythos Seidenstraße zusätzlich befeuert. Das bekannteste davon ist das chinesische Projekt „Silk Road Economic Belt“ oder zu deutsch „Neue Seidenstraße“, für das China Milliarden in die Infrastruktur der post-sowjetischen zentralasiatischen Staaten investieren will.

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In der Diskussion um die Seidenstraße wird aber oft die historische Realität vergessen: die Seidenstraße bestand aus einem Netz aus vielen verschiedenen und häufig wechselnden Strecken, die oftmals von Angreifern genutzt wurden. Wie die Entdeckungen in China zeigen, trug das alte Streckennetz auch seinen Anteil zu der Verbreitung von Infektionskrankheiten bei.

Der Begriff Seidenstraße verbirgt einen Großteil der historischen Realität Zentralasiens. Laut Frantz Grenet vom Lehrstuhl „Geschichte und Kultur des vor-islamischen Zentralasiens“ am Collège de France erscheint der Begriff Seidenstraße, der 1877 von dem deutschen Geographen und Expeditionsreisenden Ferdinand Von Richthofen geprägt wurde, „etwas langweilig und abgenutzt“.

In seiner Antrittsrede zum Lehrstuhlinhaber am Collège de France im Mai 2013 betonte Frantz Grenet, das heutige Konzept der Seidenstraße „verschleiert die Tatsache, […], dass Seide seinen chinesischen Produzenten nicht dazu diente, Profit zu machen, sondern schlicht und einfach eine Währung zur Bezahlung von Angestellten und zur Entrichtung an fremde Herrscher war, vor allem für die der bedrohlichen Nomadenvölker. Es waren sogdische Händler, die sie unterwegs entdeckten, und begannen, mit ihr zu handeln. Es scheint jedoch nicht, als wäre der Seidenhandel seit jeher ihre hauptsächliche Beschäftigung gewesen. Briefwechseln und Zollregistern nach könnten sie sich gut und gerne auch die Herren der Moschus- oder der Sandelholzstaße nennen. In jedem Fall handelten sie mit Produkten in kleinen Mengen und von geringem Gewicht, verglichen mit modernem Handel, deren Preis fast ausschließlich symbolisch war. Auch wenn der Fernhandel durch die Kontakte, die durch ihn entstanden, einen enormen Beitrag zur religiösen, literarischen und künstlerischen Kultur Zentralasiens leistete, muss man sich von dem Gedanken lösen, er wäre jemals die hauptsächliche Grundlage der Wirtschaft der Region gewesen.

Eher ein Kanal für Früchte denn eine Seidenstraße

Die Idee einer Seidenstraße verbirgt nach Frantz Grenet die eigentliche wirtschaftliche Grundlage, die zur Entwicklung reicher und berühmter alter Oasenstädte wie Samarkand, Merw oder Urumqi führten.

Der Grund für die wirtschaftliche Entwicklung Zentralasiens ist nicht der Handel. Stattdessen sind es die „heutzutage wieder begonnenen Arbeiten der Kanalarbeiter – oder, wie man sagen möchte: Hydraulikingenieure, denn ihre Expertise braucht den Vergleich mit moderner Technologie nicht zu scheuen. Hier zeigt sich ein, den Verhältnissen entsprechender, Genie besonders in der Pflanzenzucht und -anpassung, vor Allem der der Früchte“, welche die wirtschaftliche Entwicklung der Region antrieb.

Bewässerung Samarkand Usbekistan
Ein Bewässerungssystem aus dem 16. Jahrhundert in Samarkand, Usbekistan

Tatsächlich sind es die unwirtlichen Wüstenregionen, in denen die großen historischen Städte Zentralasiens florierten – dort wo Wasser die knappste und wertvollste Ressource war.

Nach der Neuorganisation der Bewässerungssysteme durch russische Kolonisateure Ende des 19. Jahrhunderts – die nur noch ein Schatten dessen waren, was sie in der Antike waren – bis zur Entwicklung des hydraulischen Potentials der Region durch die Sowjets, ist Wasser erneut eines der großen wirtschaftlichen Probleme und Machtfaktoren der Region geworden. Heute sind die verbliebenen sowjetischen Bewässerungssysteme in sehr schlechtem Zustand, was zu einer wenig effektiven Landwirtschaft und der Zerstörung des Bodens führt. Die schlechte Nutzung des Wassers hat den größten Teil Zentralasiens in eine Abhängigkeitssituation und Nahrungsknappheit geführt.

Anstatt den Mythos der Seidenstraße wieder aufleben zu lassen – welcher ehrlicherweise sowohl Infektionen und Krankheiten als auch große Reichtümer und politische Instabilität beinhalten muss – wäre es vielleicht angebracht, in die Bewässerung von landwirtschaftlichen Flächen zu investieren. Denn die seit der Unabhängigkeit bestehenden Grenzen trennen die für den wirtschaftlichen Erfolg Zentralasiens so wichtigen Wasserressourcen voneinander.

Die Redaktion von Novastan.org

Aus dem Französischen von Janny Schulz

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