Zwischen dem 8. und dem 12. Juni ist am Fluss Murgap im Südosten Turkmenistans ein Staudamm gebrochen. Dies führte zu schweren Überschwemmungen in mehreren Dörfern in den Provinzen Mary und Lebap, teilweise Hunderte Kilometer vom Staudamm entfernt. Die Behörden schweigen über die Katastrophe, obwohl sich die Provinz Lebap kaum von den Verwüstungen eines heftigen Sturms erholt hat.
Weniger als anderthalb Monate nach dem Bruch des Sardoba-Staudamms in Usbekistan ist in Turkmenistan zwischen dem 8. und dem 12. Juni der Staudamm von Soltan Bend gebrochen. Dies berichtete das unabhängige turkmenische Nachrichtenportal Chronicles of Turkmenistan am 15. Juni. Der Damm befindet sich am Fluss Murgap, der seinen Ursprung in Afghanistan nimmt, bevor er die turkmenische Provinz Mary durchfließt und im Sand der Wüste Karakum versickert. Flussabwärts kreuzt der Murgap den Karakumkanal, der mit seinen 1.375 Kilometern der längste der Welt ist. Dieser Kanal verbindet den Murgap mit dem Fluss Amudarja, der mehrere hundert Kilometer weiter östlich verläuft.
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Der Damm war 1890 auf Befehl von Zar Alexander III. zur Bewässerung des Murgap-Tals errichtet worden und soll laut Chronicles of Turkmenistan seit mindestens 30 oder 40 Jahren nicht repariert worden sein. Der Bruch des Damms führte zum Überlaufen des Karakumkanals sowie zu einem Anstieg des Pegels von Murgap und Amudarja.
Mehrere Dörfer überflutet
Nach dem Dammbruch wurden mehrere Dörfer in der Provinz Mary überflutet, insbesondere im Bezirk Ýolöten. In dem Dorf Sultan, das sich in der Nähe des Staudamms befindet, sollen mehr als 100 Häuser zerstört worden sein, wodurch die BewohnerInnen gezwungen wurden, auf den Höhen oder in nahe gelegenen Dörfern Zuflucht zu suchen.
Laut Radio Azatlyk, dem turkmenischen Dienst des amerikanischen Medienhauses Radio Free Europe, sind auch Dörfer in der Provinz Lebap von den Überschwemmungen betroffen. Die meisten dieser Dörfer befinden sich im Bezirk Kerki, wo der Karakumkanal in den Amudarja mündet.
Das Wasser hat auch Felder überflutet, zumal sich die Landwirtschaft in der Region entlang von Flüssen und Kanälen konzentriert. Andererseits verhindert der Bruch des Staudamms nun die Versorgung des Hanyap-Kanals, der den westlichen Teil des Bezirks Ýolöten bewässert. Laut Chronicles of Turkmenistan sind AgronomInnen besorgt, dass aufgrund der hohen Temperaturen Baumwolle austrocknen könnte.
Die offiziellen Medien schweigen
In Turkmenistan, wo Informationen streng von der Regierung kontrolliert werden, ist noch wenig über die Ereignisse bekannt. Die Behörden haben keine Angaben über die Anzahl der betroffenen Dörfer und die Anzahl der Opfer gemacht. Weder das genaue Datum noch die Ursache des Einsturzes des Staudamms sind bekannt. Das Gleiche gilt für die Auswirkungen des Dammbruchs auf den Betrieb des Bewässerungssystems.
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Die offiziellen turkmenischen Medien schweigen über den Vorfall. Am 15. Juni begannen einige Informationen und mehrere Videos im Internet zu zirkulieren, hauptsächlich dank unabhängiger Medien. Die offizielle Nachrichtenagentur TDH berichtete derweil lieber über die einen neuen Freizeitkomplex in der Nähe der Hauptstadt Aschgabat, den Präsident Gurbanguly Berdimuhamedow einweihte.
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Darüber hinaus hat die Regierung laut Radio Azatlyk den betroffenen Dörfern bisher keine Hilfe geleistet. „Um Wasser aus den Häuser und Straßen zu pumpen, ist eine spezielle Ausrüstung erforderlich, aber wir haben sie noch nicht erhalten. Die Bewohner flüchteten auf den Hügel des Dorfes und beobachteten, wie ihre Häuser vor ihren Augen zusammenbrachen“, berichtet der Korrespondent von Radio Azatlyk aus dem in der Provinz Mary gelegenen Dorf Nichka.
Lebap zuvor schon schwer von Sturm getroffen
Die Überschwemmungen infolge des Dammbruchs erfolgen anderthalb Monate nach einem Orkan, der die Provinz Lebap am 27. April schwer getroffen hatte. Der Sturm verursachte erhebliche Sachschäden und zerstörte einen Teil der Ernte. Mehrere Menschen starben. Die turkmenischen Behörden versuchten, die Katastrophe zu vertuschen, indem sie die Fotos und Zeugenberichte zensierten, während die offiziellen Medien die Informationen einfach nicht weitergaben.
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In dem autoritär geführten Land, in dem Proteste extrem selten sind, hat die Untätigkeit der Regierung einen Teil der Bevölkerung empört. Am 13. Mai demonstrierten Menschen in Türkmenabat, der Hauptstadt der Provinz Lebap, um die mangelnde Rücksichtnahme der Behörden gegenüber der durch Inflation verarmten Provinz anzuprangern. Diese Unzufriedenheit, die in der turkmenischen Diaspora auf Resonanz stieß, zwang lokale Beamte zwar dazu, sich mit den AnwohnerInnen zu treffen und einige Maßnahmen anzukündigen. Doch angesichts der Tatsache, dass praktische Reaktionen seitens der Behörden ausblieben, ist davon auszugehen, dass sie aus diesen Ereignissen keine Lehren gezogen haben.
Quentin Couvreur, Redakteur für Novastan
Aus dem Französischen von Robin Roth
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