Für die viertgrößte Gasreserve der Welt scheint Verkaufssaison zu sein. Turkmenistan ist zu einem der wichtigsten Gaslieferanten Chinas geworden und hat bekannt gegeben, dass es den gesamten Kredit für die Gaspipeline, die die beiden Länder verbindet, zurückgezahlt hat. Gleichzeitig wurde ein recht hoher Kubikmeterpreis für den Kauf von turkmenischem Gas durch Russland angekündigt. Dem turkmenischen Gassektor scheint großes Wachstum versprochen. Aber ist dem wirklich so? Unsere Kolleg:innen von Novastan France haben in ihrer kostenpflichtigen Rubrik décryptage (dt.: Entschlüsselung) am 21. Juni 2021 eine Analyse vorgenommen, die wir mit freundlicher Genehmigung übersetzen.
Eine „günstige Konstellation“ für Turkmenistan: Am 8. Juni gab das Land offiziell bekannt, dass es seine Kredite für die Gaspipeline nach China vollständig zurückgezahlt hat. Diese Erklärung, die von der offiziellen Presseagentur TDH veröffentlicht wurde, bedeuten eine Last weniger auf den Exporten von Aschgabat, für das Gas der einzige internationale Aktivposten bleibt. Laut Informationen von Novastan bestand das Darlehen an China aus zwei Krediten in Höhe von jeweils 4 Milliarden US-Dollar (3,35 Milliarden Euro), die 2009 und 2011 aufgenommen wurden. China ist zwar der erste Gaspartner Turkmenistans [fr], und Beijing möchte diese Beziehung sogar noch ausbauen [fr], aber das Ende dieser Schulden könnte Aschgabat eine freiere Hand in seiner Wirtschaftspolitik ermöglichen.
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Laut einer von Novastan kontaktierten Quelle, die dem Fall nahesteht, zielt diese Medienberichterstattung darauf ab, die Zweifel derjenigen auszuräumen, die das Land „mit Händen und Füßen“ an China gebunden sahen. „Das Auslaufen dieses Darlehens ist positiv für Turkmenistan. Es ist eine neue Etappe, die neue Projekte ermöglicht“, ergänzt Gilles Remy, Geschäftsführer von Cifal, einem französischen Unternehmen, das sich auf die Unterstützung französischer Unternehmen in Zentralasien und Russland spezialisiert hat, gegenüber Novastan.
Russland kauft turkmenisches Gas zu einem guten Preis
Parallel dazu gab Russland offiziell seinen Kaufpreis für turkmenisches Gas bekannt. Der russische Botschafter in Turkmenistan, Alexander Blochin, teilte der turkmenischen Presse mit, dass Moskau im Jahr 2020 durchschnittlich 182 Dollar (152 Euro) für 1.000 Kubikmeter bezahlt, wie die unabhängige turkmenische Zeitung Chronika Turkmenistana berichtet. Den von Novastan kontaktierten Quellen zufolge ist dies ein eher hoher Preis. Dieser Durchschnitt wurde im vergangenen April mit einem Kaufpreis von 216 Dollar (180,90 Euro) für 1.000 Kubikmeter übertroffen, beschreibt die russische Nachrichtenagentur Interfax. Die russischen Käufe sind jedoch nicht ausschließlich für den heimischen Verbrauch bestimmt, sondern für den Export, insbesondere nach China.
Die Ukraine fragt zentralasiatisches Gas nach
Diese Wiederausfuhr von turkmenischem Gas durch Russland hat auch eine unerwartete Wendung genommen. Am 14. Juni erklärte die Ukraine ihre Bereitschaft, den russischen Gasriesen Gazprom zu verklagen, um ihn zu zwingen, zentralasiatisches Gas nach Europa zu liefern, berichtete die Financial Times. Kiew ist der Ansicht, dass Gazprom 15 Jahre lang Pipelines für zentralasiatisches Gas blockiert hat, und hat ein Verfahren vor einem internationalen Schiedsgericht angestrengt.
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In Wirklichkeit handelt es sich bei dem zentralasiatischen Gas größtenteils um turkmenisches Gas. Wie die usbekische Onlinezeitung Gazeta.uz berichtete, hat Usbekistan im Jahr 2020 nur sehr wenig Gas exportiert, während Kasachstan laut den kasachischen Medien LS im Jahr 2020 19,8 Milliarden Kubikmeter exportierte. Die turkmenischen Gasexporten beliefen sich in der Zeit nach Angaben des russischen Mediums Neftegaz.ru auf mehr als 30 Milliarden Kubikmeter. Sollte das ukrainische Vorhaben erfolgreich sein, wird Turkmenistan sein Gas auch in Europa verkaufen können, ein seit dem Ende der Sowjetunion geäußerter Wunsch. Nach Angaben einer mit der Angelegenheit vertrauten Quelle wäre diese ukrainische Route wirtschaftlich sinnvoll und hätte den Vorteil, dass sie nicht erst gebaut werden muss. Dies steht im Gegensatz zur transkaspischen Pipeline, deren Bau noch nicht begonnen hat, oder zur TAPI-Gaspipeline (Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan, Indien), die von der Sicherheitslage in Afghanistan abhängig ist.
Geplante Bauprojekte
Damit wäre der Weg für turkmenisches Gas geebnet, und die Käufer stünden bereit. Es bleibt abzuwarten, wie die „freigewordenen“ Mittel von Turkmenistan verwendet werden. Die von Novastan befragten Experten sind der Meinung, dass sich die Aufmerksamkeit des turkmenischen Präsidenten Gurbanguly Berdimuhamedow auf Bauprojekte in der Hauptstadt Aschgabat richtet. Insbesondere wurde das Projekt Ashgabat City erwähnt, das die Stadt mit einer Investition von 12 Milliarden Dollar (10 Milliarden Euro) in eine intelligente Stadt verwandeln soll. Auch die Pläne für ein von der französischen Firma Vinci gebautes Protokollhotel, das Hotel Nissa, wurden erneut vorgestellt. Diese Projekte sind jedoch noch nicht genau definiert.
Genauer gesagt bedeutet das Auslaufen des chinesischen Darlehens nicht, dass Ashgabat völlig schuldenfrei ist. Turkmenistan hat zum Beispiel ausstehende Darlehen an Japan und Südkorea, die kurz vor der Fälligkeit stehen.
Ein neues chinesisches Darlehen
Nicht zuletzt ist Turkmenistan nach wie vor ein verschlossenes Land, in dem Informationen sehr kontrolliert und intransparent sind. Der physische Zugang zum Land ist fast unmöglich, selbst für Geschäftsreisen. Dies erschwert die Entwicklung neuer Projekte mit ausländischen Investoren. In diesem Zusammenhang wird den bestehenden Partnern Vorrang eingeeträumt. China hat sein Interesse an der Erschließung des Gasfeldes Galkynyş, eines der größten der Welt, bestätigt. Am 18. Juni gab das staatliche turkmenische Gasunternehmen Turkmenaz bekannt, dass das chinesische Unternehmen CNPC Chuanging Drilling Engineering Company die Ausschreibung für eine neue Bohrung in Galkynych gewonnen hat, so TDH. Nach Angaben der Chronika Turkmenistana soll das Projekt 6,7 Milliarden Dollar (5,6 Milliarden Euro) kosten und innerhalb von drei Jahren durch den Verkauf von Gas an China finanziert werden.
Etienne Combier Chefredakteur von Novastan France
Aus dem Französischen von Florian Coppenrath
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