Die Region Murghab ist ein Landstrich, der auf über 3 600 Höhenmetern für seine kirgisischen und tadschikischen Bewohner nicht besonders einladend ist. Eine Reportage über die isolierte Region im Pamir, zwischen Marsreise und Westernflair.
Sind die Formalitäten einmal erledigt, ist der Weg bei vollem Wind in 4 000 Metern Höhe frei. Die dürre Barriere öffnet sich an der Grenze zu Tadschikistan, der Blick auf den Pamir wird frei. Vorbei an den kilometerlangen gefrorenen Tälern heißt uns das alte Betondenkmal im Gebiet Berg-Badachschan willkommen und öffnet gleichzeitig das Tor zu einer anderen Welt.
An den Ufern des Karakul-Sees wird man Zeuge einer fantastischen Vision: Eine gigantische Bergkette erhebt sich am Horizont und stellt Wesen, Dinge, Elemente dar, in roten, gelben und ockerfarbenen Tönen und mit dunklen Schatten geschmückt. Willkommen auf dem Mars.
Stacheldraht
Ab der Landesgrenze säumt ein dünner und regelmäßiger Stacheldraht gleich neben der Straße den Weg: Hier trifft Geopolitik auf Realität. Der Stacheldraht erinnert Reisende an die Gegenwart des mächtigen chinesischen Nachbarn und die Grenzprobleme, die immer noch andauern. 2004 führte ein chinesisch-tadschikisches Abkommen zur endgültigen Demarkation der Grenze und damit einhergehend zur Abtretung eines 980 Quadratkilometer großen tadschikischen Territoriums an China.
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Seitdem markiert der Stacheldraht eine wenige Kilometer breite Pufferzone voller Berge und mit einem extremen Klima. Einige dort stationierte Soldaten sollen den mächtigen Nachbarn und seinen gefräßigen Appetit auf Distanz halten.
On the road
Die Autobahn M41 (auch Pamir Highway genannt), die Bischkek über Osch und Murghab mit Chorugh verbindet, ist eine holprige und unwegsame Straße, die durch windige und eiskalte Winter und Steinschläge aus den Bergen weiter zerstört wird. Aus diesen Berge, die die weiten Täler einsäumen, ragen an manchen Stellen als Wächter einer Stille, die nur selten gestört wird, Steinfestungen hervor.
Und das Auto kriecht weiter und ruckelt über die Schlaglöcher. Wenn der Gesprächsstoff ausgeht, hört man Radiomusik aus der ganzen Welt und aus allen möglichen Epochen: Boutyrka, Guldschigit Satybekow, Jurij Schatunow, Alizée… Alle hören zu, alles verhallt an der Grenze.
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Von Zeit zu Zeit erschein am Horizont ein Mann oder eine Handvoll Leute, mitten im Nirgendwo, die da sind, um zu heilen, was vom Asphalt übrig ist. Mit kunterbunt verschiedener Kleidung, den Gesichtern wettergegerbt wie die Straße, die sie reparieren, stehen sie da und füllen die Löcher mit Kies auf. Wohl oder übel muss man die Straße, die Verbindung nach Kirgistan am Leben erhalten.
Der Pamir und die Pamiri
Die Straße versickert im Pamir, einem Schmelztiegel von Menschen unterschiedlicher Sprachen und Herkunft. Neben den Kirgisen, die die größte Minderheit bilden, findet man hier Bevölkerungen indogermanischer und auch indoiranischer Herkunft wie die Bartangi, die Schughni und die Wakhi.
Trotz der Vielfalt der Völker wird die Population des Pamir ständig als „tadschikisch“ bezeichnet, ein Begriff, der tendenziell auf alle nicht-kirgisischen Menschen abzielt. Die Einheit ist jedoch relativ und betrifft nur die gemeinsame Staatsbürgerschaft. Die einzigen ethnischen Tadschiken arbeiten in den verschiedenen Stadtverwaltungen und stellen den Großteil des militärischen Kontingents der Region.
Zusätzlich zu dieser ethnischen Unterscheidung gibt es auch religiöse Verschiedenheiten, die sich wiederum in einzelne konfessionelle Zugehörigkeiten untergliedern: Die Ismailiten bilden eine große Gemeinschaft, deren regionales Zentrum Chorugh ist. Die Kirgisen unterdessen sind meistens sunnitisch.
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Murghab
Die Ankunft in Murghab ähnelt der Eingangsszene eines Westernfilms: Wind hebt den Staub, einige Plastiktüten drehen sich in der Luft, die Schatten gefrieren an den Ecken der Container des Basars, die Luft ist trocken und kalt, Blicke durchbohren das zusammengeklebte Auto, um das Gesicht eines Bekannten zu erkennen oder die Ankunft eines Fremden zu registrieren.
Wie in einem mexikanischen oder griechischen Dorf reihen sich dutzende rechteckige, makellos weiße oder ockerfarbene Häuser zwischen den beiden Hauptstraßen der Stadt aneinander.
Schornsteine rauchen, Satellitenantennen öffnen sich – Murghab ist mit rund 7 000 Einwohnern die am dichtesten besiedelte Stadt in der Region. Isoliert, aber trotzdem ans Verkehrsnetz angeschlossen.
Die Energie
Kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion brach die Stromversorgung zusammen. Die kraftvollen Dieselgeneratoren, die Murghab großzügig mit Strom versorgten, wurden aus Mangel an Rohstoffen verschrottet. Heute sind die Mittel zur Erzeugung von Elektrizität vielfältig: Sonnenkollektoren auf dem Dach, Autobatterien, kleine Windkraftanlagen… alle liefern ein paar Stunden am Tag Strom, der für die Verwendung der wenigen elektrischen Haushaltsgeräte gebraucht wird. Abends konkurriert das Schnurren der Generatoren mit dem Bellen der Hunde.
Das Feuer
Die Häuser neigen dazu, sich perfekt in die Landschaft einzufügen. Ihre Farben, ihre Formen verbergen sie regelrecht vor dem Auge. Meistens sind sie rechteckig mit ungebleichten weißen Wänden, die von wenigen Fenstern durchbrochen werden, manchmal mit einer Veranda, die im Sommer ein wenig Kühlung verspricht.
Der Hauptraum ist immer um den Ofen und damit um das ständige Feuer angeordnet. Essen, Teewasser sowie die Bewohner werden so warm gehalten, während draußen Wind und Kälte herrschen. Die Frauen sorgen sich um das Feuer. Ihre Hauptaufgabe ist es, sich um das Haus zu kümmern. Die Männer kümmern sich um den Brennstoff. Was auch immer es ist: Es gibt keinen Müll. Alles wird verbrannt.
In Murghab bleibt man, um sich an die Höhe, die Landschaft und an die besondere Atmosphäre des Pamirs zu gewöhnen. Man befindet sich auf einem anderen Planeten, auch wenn er nicht so weit entfernt ist.
Julien Bruley & Jérémy Lonjon
Aus dem Französischen von Elisabeth Rudolph
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