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Wie fünf Forschende für die Sprachen der Pamir-Region kämpfen

Gleich mehrere Pamirsprachen stehen kurz vor dem Aussterben. Für ihren Erhalt engagieren sich nun die Sprechenden selbst. Fünf von ihnen stellte Asia-Plus am 23. August 2020 vor. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion übersetzen wir den Artikel aus dem Russischem. Fotos der Porträtierten finden sich im Originalbeitrag.

Gleich mehrere Pamirsprachen stehen kurz vor dem Aussterben. Für ihren Erhalt engagieren sich nun die Sprechenden selbst. Fünf von ihnen stellte Asia-Plus am 23. August 2020 vor. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion übersetzen wir den Artikel aus dem Russischem. Fotos der Porträtierten finden sich im Originalbeitrag.

Firus Sabsalijew – der Regisseur

Der Schauspieler Firus Sabsalijew dreht seit vielen Jahren Kinofilme, organisiert und realisiert den Dreh. Vor einem Jahr startete er ein neues Projekt: Hörbücher auf Pamirsprachen. Es erfuhr viel Unterstützung und befindet sich gerade in der Abschlussphase. Ein Hörbuch umfasst zwei Teile der „Märchen des tadschikischen Volkes“ („Afsonachoi chalki totschik“) – zwei CDS mit jeweils 15 Geschichten. Die Sammlung besteht aus Märchen in den Sprachen Shughni, Rushani und Wakhi. Sabsalijew betont, dass er dieses Projekt zugunsten der Erhaltung der Pamirsprachen ins Leben rief.

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„Ich bin kein Sprachwissenschaftler und kein Linguist, aber ich kann nicht mehr tatenlos bleiben. Ich war sehr froh, dass mein Projekt unterstützt wurde. Ich liebe es, die Menschen zu erfreuen und etwas Nützliches zu tun“, so Sabsalijew. „Ich bin heute mit Freude bei der Sache und bemühe mich, mit meiner Arbeit andere zu erfreuen.“ Wenn die Arbeiten an dem Hörbuch abgeschlossen sind, soll es im Internet frei verfügbar sein. Außerdem arbeitet Sabsalijew als Regisseur an weiteren ähnlichen Projekten: sowjetische Zeichentrickfilme und Filme auf Shughni, die auf YouTube anzusehen sind.

„Aber allein meine Hörbücher sind nicht genug“, ist sich Sabsalijew bewusst, „um die Sprache zu erhalten, muss sie gelernt werden. Die Pamirsprachen sollten zum Lehrplan in Schulen gehören, in den ersten Klassen. Im örtlichen Fernsehen ‚Badachschon‘ müsste die heimische Sprache zu hören sein, und natürlich ein Radiosender, der in Pamirsprachen sendet.“ Auch seinen Film „Der Prophet. Das Leben des Omar Chajm“, den er im Iran drehte, will er synchronisieren lassen.

Sawri Kuwatbekowna – die Komparatistin

Seit einigen Jahren schon lebt Sawri Kuwatbekowna in den USA und reist durch viele Länder. „Auf meinen Reisen erforsche ich die Sprachen, lausche den Klängen der verschiedenen Sprachen. Ich stelle mir immer die Frage, inwiefern sie meiner Muttersprache ähneln – dem Pamirischen“, so Kuwatbekowna. „Zum Beispiel das Wort ‚Frau‘ heißt im Griechischen ‚genika‘ – genauso wie in Shughni: ‚genik‘. Auf Hindi sagt man ‚jaldi‘, was ‚schneller‘ heißt, im Persischen ‚xÏst‘ für ‚nass‘, das bulgarische ‚chashma‘ bedeutet ‚Quelle‘ – all diese Wörter benutzen wir auch in Shughni. Viele andere Sprachen gibt es mit Wörtern aus meiner Muttersprache.“

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Es mache sie traurig, dass Wörter, die in der Steinzeit benutzt wurden, heute viel seltener würden – stattdessen spreche man mehr und mehr in technischen Begriffen. „Das bemerkst Du nicht, solange Du nicht außerhalb von Tadschikistan lebst“, sagt sie. Kuwatbekowna arbeitet eigentlich im Gesundheitswesen, parallel beschäftigt sie sich aber auch mit Übersetzungen und Nachhilfeunterricht, dabei spricht sie reines Shughni.

In den Sozialen Netzwerken hat Sawri Kuwatbekowna die Gruppe „Pamirsprachen“ gegründet, wo sie regelmäßig interessante Fakten, Lieder, wissenschaftliche Studien und Geschichten rund um das Thema teilt. Auf dieser Plattform fällt es ihr dann besonders leicht, sich mit den Menschen aus ihrem Heimatland in der Muttersprache auszutauschen. „Ich habe Kontakt zu Leuten, die reines Shughni sprechen“, sagt Kuwatbekowna. „Mit diesen Menschen teile ich Sprache und Kultur über den Fluss hinweg – Badachschan-Afghanistan – und sie leben in den USA. Immer, wenn ich eine Frage zu einem unverständlichen Wort habe, wende ich mich an sie.“

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Ihr Interesse an den Pamirsprachen entdeckte Kuwatbekowna während ihres Studiums der englischen und französischen Sprache an der staatlichen Universität in Chorugh. Nach ihrem Master-Abschluss in Linguistik an der Kunstfakultät der Uni im indischen Delhi University, begann Kuwatbekowna, als Englischlehrerin an der professionellen Sprachschule der Zentralasien-Universität in Tadschikistan zu arbeiten. Besonders habe sie ihr verstorbener Cousin Tupchi Bachtibekow inspiriert, der als einer der ersten die Pamirisprachen thematisierte. Er hatte mehrere wissenschaftliche Arbeiten über die Struktur der Shughni verfasst und trug wesentlich zum Studium der Pamirsprachen bei.

Auch Kuwatbekowna ist davon überzeugt, dass es zu deren Erhalt Medien, Radio, Bücher, Zeitungen und Fernsehen brauche. All dies sollte den Sprechenden zur Verfügung stehen. Aber auch die Menschen selbst sollten die Sprache nicht sterben lassen, denn Sprache sei ein Spiegelbild der Kultur.

Safo Alinasar – der Dichter

Safo Alinasar ist ein aktiver, junger Dichter, der Gedichte und Lieder in seiner pamirischen Muttersprache schreibt. Bis heute hat er zwei Bücher in Shughni veröffentlicht. Das erste Buch mit dem Titel „Feuer, Wasser, Rauch“ enthält ausschließlich Gedichte in Shughni, der Titel des zweiten Buches, „Nan ziv“, bedeutet Muttersprache und wurde bereits von vielen romanischsprachigen Amateurdichtern geschätzt. Hauptberuflich arbeitet Alinasar im Bildungswesen.

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„Von Zeit zu Zeit schreibe, komponiere und veröffentliche ich meine neuen Gedichte in Pamirsprache, meistens in den Weiten des Internets“, so der Dichter Alinasar. „Ich denke, dieses mündliche Wissen über die Sprache wird von Generation zu Generation weitergegeben, und auf diese Weise können wir zumindest einen Teil davon bewahren, wenn nicht sogar alles. Ich bin froh, dass ich einen Beitrag leisten kann. Heute befinden sich unsere Pamirsprachen in einer sehr schwierigen Situation, Globalisierung und Fehlübersetzung verschlimmern und zerstören die Einzigartigkeit dieser Sprachen.“

Chusnija Chutschamerowa – die Sprachwissenschaftlerin

Chusnija Chutschamerowa engagiert sich im Verband für Studien bedrohter Sprachen und lebt seit mehr als zehn Jahren in New York. Sie hat die Pamirsprachen studiert und spricht bereits mit ihren 21 Jahren als Referentin vor amerikanischen Studenten über bedrohte Sprachen auf der ganzen Welt. Zu Forschungszwecken besuchte sie auch schon ein paar Mal Tadschikistan, um dort ältere Menschen im Pamir zu interviewen. Für ihre Recherche suchte sie nach seltenen Wörtern, die noch von der älteren Generation verwendet werden.

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„Um den Verfall der Pamirsprache zu verhindern, versuche ich alles, was ich erfahren kann, zu bewahren – jede Information“, sagt die junge Sprachforscherin. Sie berichtet von ihrer Arbeit in englischer Sprache, um das Thema weltweit bekanntzumachen. „Das ist mein Job, ich erzähle viel über Tadschikistan, über unsere Sprache, Kultur und den Alltag. Ich tue, was ich kann, um meine Muttersprache zu bewahren, auch wenn ich weit jenseits des Ozeans lebe. Ich habe diese Gelegenheit und das ist meine Mission und eine sehr wichtige Sache.“

Chutschamerowa schreibt auch Kinderbücher – in fünf Pamirsprachen: Shughni, Rushani, Wakhi, Bartangi und Ishkashmi. Die Reihe besteht aus gesammelten Geschichten in Pamirsprache. Die Initiative komme zur rechten Zeit, meint Chutschamerowa: „Die Zukunft der Sprache liegt in den Händen der Kinder, und Bücher in ihrer Muttersprache werden dazu beitragen, ihr Wissen über die Sprache und die Geschichte ihrer Vorfahren zu stärken.“

Scherwonscho Alomschojew – der Forscher 

Auch Scherwonscho Alomschojew widmete als junger Wissenschaftler den Pamirsprachen seine ganze wissenschaftliche Arbeit. Er entdeckte dabei zahlreiche Fakten und Werken von weltberühmten Historikern und Schriftstellern. „Es wurden viele wissenschaftliche Arbeiten über die Sprache geschrieben und verschiedene Bücher veröffentlicht, aber leider wurden alle diese Arbeiten vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion erstellt“, räumt Alomschojew  ein.

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„Zu dieser Zeit wurden verschiedene Schulbücher veröffentlicht, es gab einen Pamir-Verlag, Zeitungen, Zeitschriften sowie Radio- und Fernsehsendungen, in denen über die Bedeutung der Existenz und den Erhalt der Sprache diskutiert wurde. Es gab fakultativen Unterricht in Shughni, Shughni-Alphabet und -Grammatik  sowie ein Yazgulam-Alphabet, Lehrbücher wurden publiziert.“ Alomschojew bedauert, dass mittlerweile Drucke und Veröffentlichungen in Pamirsprachen aus den Massenmedien verschwanden. „Es ist traurig, dass das Schicksal der Pamirsprachen heute nur noch diejenigen betrifft, die sie sprechen, und die Sprecher selbst um sie kämpfen.“

Wasila Bulbulschojewa für Asia-Plus

Aus dem Russischen von Peggy Lohse

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