Die von Russlands Präsident Wladimir Putin am 21. September verkündete Teilmobilmachung hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Länder Zentralasiens. Zentausende von Russen, die nicht in den Krieg gegen die Ukraine ziehen wollten, wurden aufgenommen. Eine zweite offizielle Mobilmachung wird jetzt erwartet, die nicht weniger einschneidend für die Wirtschaft und die Menschen in Zentralasien sein dürfte als die erste.
Moskau bestreitet die Vorbereitung einer neuen Mobilmachung. Geheimdienstmitarbeiter:innen sowie russische und ukrainische Expert:innen gehen dennoch davon aus, dass es bald so weit sein könnte. Alexander Bastrykin, Chef des Ermittlungskomitees der Russischen Föderation, hat am 13. Januar in einem Interview mit der russischen Tageszeitung Rossijskaja Gaseta betont, dass Personen, die in Russland eingebürgert wurden, für den Krieg in der Ukraine rekrutiert werden sollten.
Innerhalb der zentralasiatischen Gemeinschaft in Russland, die aus mehreren Millionen Menschen besteht, hat das Angst geschürt. Laut einer Studie von FinExpertiza stieg die Zahl der Arbeitsmigranten in Russland im zweiten Quartal 2022 auf 3,12 Millionen Menschen an. Davon waren rund die Hälfte usbekische und ein Drittel tadschikische Staatsbürger. Die drittgrößte Gruppe kam mit 7,2 Prozent aus Kirgistan. Bastrykin erklärte, dass im ersten Halbjahr 2022 mehr als 60.000 Bürger aus diesen Ländern die russische Staatsbürgerschaft erhalten hätten.
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Schon 2022 wurden viele zentralasiatische Staatsbürger, teils gegen ihren Willen, rekrutiert und in Russlands Krieg in der Ukraine geschickt. Für die prekär beschäftigten Arbeitsmigranten mit befristeten Aufenthaltstiteln aus Zentralasien ist der Erwerb der Staatsbürgerschaft verlockend, der ihnen von den russischen Rekrutierungskräften in Aussicht gestellt wird.
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Es gibt bereits Berichte darüber, dass die Behörden versuchen werden, Migranten aus Zentralasien für die Front zu rekrutieren. Laut dem US-amerikanischen Nachrichtensender Radio Free Europe wurde einigen von ihnen verboten, über die Landesgrenze in ihr Heimatland zurückzukehren.
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Die russischen Behörden begründeten das Verbot damit, dass die Männer die russische Staatsbürgerschaft besäßen und deshalb eingezogen werden könnten. Wer keinen russischen Pass besitzt, konnte die Grenze hingegen überqueren.
Die Länder Zentralasiens bereiten sich auf Fluchtwelle vor
Einige Länder rechnen mit einem erneuten Andrang von Russ:innen an ihren Grenzen. Das trifft beispielsweise auf Georgien und Kasachstan zu, die ihre Aufenthaltsbedingungen und -regeln verschärft haben. Früher durften sich Bürger:innen aus einem der Mitgliedsländer der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ohne behördliche Registrierung drei Monate lang in Kasachstan aufhalten.
Mittels Aus- und Wiedereinreise konnten sie ihren Aufenthalt dann direkt um drei weitere Monate verlängern und das immer wieder. Seit dem 27. Januar dieses Jahres müssen sie, wie die kasachstanische Nachrichtenagentur KazTAG berichtet, nach Ablauf von 90 Tagen erst einmal weitere 90 Tage abwarten, bevor sie abermals einreisen können.
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Bis Ende November 2022 haben mehr als 400.000 vor der Teilmobilmachung geflohene Russen Zuflucht in Kasachstan gefunden. Etwas mehr als 320.000 sind wieder ausgereist. Ungefähr 100.000 sind geblieben. Die verschärften Aufenthaltsregelungen Kasachstans haben auch Einfluss auf die Staatsangehörigen anderer Mitgliedsstaaten der GUS, insbesondere auf kirgisische Migrant:innen, die häufig nach Kasachstan zum Arbeiten kommen, erklärt Eurasianet.
Kirgistan könnte damit in Zukunft noch mehr „relokanty“ – wie die Russen genannt werden, die vor der Mobilisierung in andere Länder fliehen – anziehen als bisher, denn für russische Staatsangehörige bestehen hier keine zeitlichen Aufenthaltsbeschränkungen.
Emma Collet, Journalistin für Novastan France
Aus dem Französischen von Lucas Kühne
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