Seit der Teilmobilisierung in Russland stockt die russische Regierung ihre Armee mit zahlreichen Arbeitsmigranten aus Zentralasien auf. Versprochen werden bei den Rekrutierungsverträgen hohe Löhne und die russische Staatsbürgerschaft, sofern Einschüchterungen und Manipulation nicht ausreichen.
Die Ankündigung vom 6. Mai, dass ein tadschikisches Bataillon an der Seite der russischen Armee am Ukrainekrieg teilnehmen soll, hat bei vielen in Russland lebenden Tadschik:innen Besorgnis ausgelöst.
In einem Post auf Telegram entrüstete sich der russische Abgeordnete Michail Matwejew darüber, dass Bürger mit doppelter Staatsbürgerschaft „nicht im Rahmen der Teilmobilmachung einberufen werden“, berichtete die russische Nachrichtenagentur Ura News.
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Bereits vergangenen Januar wurde von Alexander Bastrykin, Leiter des russischen Ermittlungskomitees, die Forderung erhoben, zentralasiatische Arbeitsmigranten zunehmend unter Druck zu setzten, sich der Front anzuschließen.
Allerdings verbieten Tadschikistan, Kirgistan und Usbekistan ihren Bürgern mit doppelter Staatsbürgerschaft, in fremden Kriegen zu kämpfen. Ein Vergehen, das als „Söldnertum“ bezeichnet wird und mit mehrjährigen Haftstrafen geahndet werden kann. Der russische Abgeordnete rief daraufhin laut Ura News dazu auf, Änderungen vorzubereiten, um dieses Gesetz zu umgehen. Nach russischem Recht übernehmen neue Staatsbürger:innen alle Verpflichtungen des Militärdienstes, selbst wenn sie diesen bereits in ihrem Heimatland geleistet haben.
Eine wichtige Ressource der Mobilisierung
Die russische Menschenrechtsaktivistin Valentina Tschupik hält es für unwahrscheinlich, dass ein solches Bataillon entstehen wird. Die Ankündigungen seien in erster Linie ein Mittel, um Druck auf die zentralasiatischen Länder auszuüben. „Sie wollen den Regierungschefs der GUS-Staaten klarmachen, dass sie ihre Bürger in Scharen auf das Schlachtfeld schicken werden, wenn sie Russland auf der internationalen Bühne nicht unterstützen“, sagte sie dem tadschikischen Nachrichtenportal Asia-Plus.
Tadschiken in Russland sind zahlreichen Einschüchterungsversuchen der russischen Behörden ausgesetzt, um sie zum Eintritt in die Armee zu bewegen. Nach mehr als einem Jahr Krieg in der Ukraine hat Russland mit Verlusten an der Front zu kämpfen. Die Ankündigung einer Teilmobilmachung im September hat viele Bürger zur Auswanderung veranlasst, um der Einberufung zu entgehen.
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Zentralasiatische Arbeitsmigranten sind somit das neue Ziel russischer Rekrutierungsstellen, die die Reihen ihrer Armee auffüllen wollen. „Die russischen militärischen Rekrutierungsbüros können eine so wichtige Mobilisierungsressource nicht ignorieren,“ warnte der tadschikische Politologe Parwis Mullodschonow gegenüber Asia-Plus.
Migration nach Russland steigt weiterhin an
Die Instrumentalisierung von Migranten und Flüchtlingen im Kriegsfall ist ein gängiges Phänomen, das auch als „refugees as weapons“ bezeichnet wird. Seit dem 15. Mai ermöglicht ein Dekret der russischen Regierung Ausländern, die in der Ukraine kämpfen, die russische Staatsbürgerschaft zu erhalten, berichtet Radio Ozodi, der tadschikische Dienst von Radio Free Europe.
Trotz des Krieges und der unrechtmäßigen Behandlung, suchen viele Zentralasiat:innen weiterhin Arbeit in Russland. Im ersten Quartal 2023 kamen 1,3 Millionen Menschen nach Russland, 1,5-mal so viele wie vor einem Jahr. Laut Radio Ozodi stammen 90 Prozent dieser Migrant:innen aus Zentralasien. Wie das Central Asian Bureau for Analytical Reporting (CABAR) berichtete, sei laut russischem Innenministerium die Zahl der Tadschik:innen, die die russische Staatsbürgerschaft erhielten, zwischen 2021 und 2022 um 60 Prozent gestiegen.
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Für viele Tadschik:innen ist [die Migration nach Russland] die einzige Möglichkeit, Arbeit zu finden. Der 28-jährige Ahmad Nasarow reiste kurz vor Bekanntgabe der Mobilmachung nach Russland. „Ich würde gerne in meiner Heimat arbeiten, aber mit einem Lohn von 100 bis 150 US-Dollar [89 bis 133 Euro] kann ich meine Familie nicht ernähren“, erzählt er gegenüber CABAR.
Rekrutierungspersonal in Aufnahmezentren für Migrant:innen eingesetzt
Seit 2022 berichten Radio Ozodi und Asia-Plus über verschiedene Taktiken der russischen Regierung, um Migranten für den Krieg zu gewinnen. Strategisch platzierte Rekrutierer:innen verteilen Flugblätter in Moscheen und Migrationszentren, darunter auch im Sacharow-Zentrum in Moskau.
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Fosildschon Umarow, ein tadschikischer Arbeiter aus Nischni Nowgorod, kam zur Registrierung in ein Migrationszentrum, wo ihm eine Mitarbeiterin anbot, für 3.000 US-Dollar (2.671 Euro) im Monat in die Armee einzutreten. „Sie sagte, wenn ich Vertragssoldat würde, bräuchte ich keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis mehr und könnte nach sechs Monaten Militärdienst einen russischen Pass bekommen“, erzählte er Radio Free Europe, bevor er das Angebot ablehnte. Migranten wird sogar angeboten, dass sie sich keiner medizinischen Untersuchung unterziehen müssen, um angeworben zu werden: „Sie müssen nur ein Papier unterschreiben, auf dem steht: ‘Ich bin gesund‘“, erklärte Dschurabek Amonow, ein Aktivist für die Rechte von Migrant:innen in Russland, gegenüber dem US-Medium.
Russische Staatsbürgerschaft als Gegenleistung für Militärdienst
Auf den Straßen und in den Unterkünften der Migranten wird in tadschikischer Sprache mit den gleichen Angeboten geworben. Ein Teil des Lohns der Migranten, die oft nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung haben, fließt in die Bürokratie, um in Russland bleiben zu können. Von den 50 bis 60.000 Rubel (491 bis 590 Euro), die der tadschikische Migrant Nawrus Asisow, monatlich in Moskau verdient, bleiben ihm nach Zahlung der Miete und Aktualisierung seiner Papiere nur 30.000 Rubel (295 Euro), wie er gegenüber Radio Ozodi berichtet.
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Laut Alexander Kowalenko, einem Experten des ukrainischen Zentrums für Sicherheitsforschung, ist es leicht, Tadschiken für den Einsatz in der Ukraine zu gewinnen. Sie würden alles tun, um ihre Angehörigen zu versorgen, sagte er gegenüber Radio Ozodi.
Tadschiken an Ausreise gehindert
Die Einziehung in die Armee erfolgt manchmal noch härter. Der Tadschike Dalerdschon wurde am 4. Mai wegen illegalen Aufenthalts in Russland festgenommen und zunächst zu einer Geldstrafe von 3.000 Rubel (29,50 Euro) sowie einem Ausreisebefehl verurteilt. Schließlich wurde er in eine Militäreinheit geschickt. Dort wurde sein Pass eingezogen. Auf Nachfrage des russischen Medienunternehmens Kholod versicherte Dalerdschon, dass er nie einen Vertrag zum Dienst in der Armee unterschrieben habe.
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Bereits im Dezember letzten Jahres wurden kirgisische und tadschikische Migranten an der Ausreise aus Russland gehindert, da sie von den Behörden aufgrund ihrer doppelten Staatsbürgerschaft als mobilisierbar eingestuft wurden. Die Geschichte wiederholte sich am 23. Mai, als Tadschiken an der Ausreise aus Russland gehindert wurden. Laut Radio Ozodi wurden sie mit einer einfachen elektronischen Einberufung vom Büro für militärische Rekrutierung gewarnt.
Elektronische Einberufungen
Die kürzlich eingeführten elektronischen Einberufungen machen es schwieriger, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Noch im vergangenen Jahr konnten sich einige Migranten der Einberufung entziehen, weil sie keine gültigen Papiere vorweisen konnten: gefälschte Aufenthaltsgenehmigungen, unterschiedliche offizielle und tatsächliche Postadressen etc. Nun „werden all diese Faktoren keine Rolle mehr spielen und es wird praktisch unmöglich sein, sich der Einberufung zu entziehen“, warnt Parwis Mullodschonow gegenüber Asia-Plus.
Viele Migranten aus Zentralasien haben sich der russischen Armee angeschlossen, trotz der Warnungen ihrer Heimatbehörden. Diese haben laut Radio Ozodi bereits damit begonnen, eine Liste ihrer „Bürger-Söldner“ zu erstellen. Nach einer Zählung von Asia-Plus vom Mai dieses Jahres sollen etwa 20 Tadschiken, die an die Front geschickt wurden, bei den Kämpfen in der Ukraine ums Leben gekommen sein.
Für Alexander Kowalenko gibt es zwei Möglichkeiten, die Tadschiken davon abzuhalten, in der Ukraine zu kämpfen. Erstens durch einen „Informationskrieg“. Zweitens sollten die tadschikischen Behörden einen scharfen Protest aussprechen und ihre Bürger gestützt auf das Gesetz daran hindern, an die Front geschickt zu werden, ohne den Zorn Moskaus zu fürchten.
Solche Proteste sind jedoch nicht leicht durchzusetzen. Mit den Massenverhaftungen tadschikischer Migranten im Mai und Juni dieses Jahres hat Moskau wieder einmal demonstriert, dass Tadschikistan wirtschaftlich zu sehr von Russland abhängig ist, um sich politisch gegen Russland zu stellen.
Romane Haquette, Redakteurin für Novastan
Aus dem Französischen von Berenika Zeller
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