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Massenproteste in Kasachstan, Regierung entlassen

In Kasachstan führen Massenproteste zu revolutionsähnlichen Zuständen. Der Präsident hat die gesamte Regierung entlassen. Die Bewegung war nach einem drastischen Anstieg der Treibstoffpreise in Westkasachstan entstanden. Mittlerweile haben sich die Proteste aber zu frontaler Kritik an den Behörden ausgeweitet. In Kasachstan haben sich Demonstrationen im Westen des Landes gegen Preiserhöhungen für Flüssigerdgas ab dem 4. Januar zu einer landesweiten Protestbewegung gegen die Regierung entwickelt. Wie das Nachrichtenportal Vlast.kz berichtete, entließ Präsident Qasym-Jomart Toqaev am Mittwoch, dem 5. Januar, die gesamte Regierung. Die Präsidialverwaltung teilte mit, dass Asqar Mamin, Premierminister seit Februar 2019, von Interims-Premierminister Alihan Smailov abgelöst wurde. Bei einer weiteren Fernsehansprache am Nachmittag erklärte Präsident Toqaev sich  selbst zum neuen Leiter des Sicherheitsrats, so das kasachstanische Online-Medium Orda.kz bei Telegram. Diesen strategisch wichtigen Posten hatte der ehemalige Präsident Nursultan Nazarbaev nach seinem Rücktritt im Jahr 2019 besetzt. Im gesamten Land wurde vom 5. bis zum 19. Januar der Ausnahmezustand ausgerufen. Am Abend des 5. Januar bat der Präsident um die Unterstützung der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), um die Proteste, die er als "terroristische Bedrohung" bezeichnet, einzudämmen. Die Lage bleibt weiter angespannt bei teils gewalttätigen Auseinandersetzungen.

In Kasachstan führen Massenproteste zu revolutionsähnlichen Zuständen. Der Präsident hat die gesamte Regierung entlassen. Die Bewegung war nach einem drastischen Anstieg der Treibstoffpreise in Westkasachstan entstanden. Mittlerweile haben sich die Proteste aber zu frontaler Kritik an den Behörden ausgeweitet. In Kasachstan haben sich Demonstrationen im Westen des Landes gegen Preiserhöhungen für Flüssigerdgas ab dem 4. Januar zu einer landesweiten Protestbewegung gegen die Regierung entwickelt. Wie das Nachrichtenportal Vlast.kz berichtete, entließ Präsident Qasym-Jomart Toqaev am Mittwoch, dem 5. Januar, die gesamte Regierung. Die Präsidialverwaltung teilte mit, dass Asqar Mamin, Premierminister seit Februar 2019, von Interims-Premierminister Alihan Smailov abgelöst wurde. Bei einer weiteren Fernsehansprache am Nachmittag erklärte Präsident Toqaev sich  selbst zum neuen Leiter des Sicherheitsrats, so das kasachstanische Online-Medium Orda.kz bei Telegram. Diesen strategisch wichtigen Posten hatte der ehemalige Präsident Nursultan Nazarbaev nach seinem Rücktritt im Jahr 2019 besetzt. Im gesamten Land wurde vom 5. bis zum 19. Januar der Ausnahmezustand ausgerufen. Am Abend des 5. Januar bat der Präsident um die Unterstützung der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), um die Proteste, die er als „terroristische Bedrohung“ bezeichnet, einzudämmen. Die Lage bleibt weiter angespannt bei teils gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Offizielle Gebäude in Flammen

Das im Westen Kasachstans gelegene Gebiet Mańģystaý, wo sich weite Teile des kasachstanischen Ölvorkommens befinden, war Ausgangspunkt der Protestbewegung, die auf andere Teile des Landes ausweitete. In Jańaózen demonstrierten am 3. Januar den ganzen Tag Hunderte von Menschen. Noch am selben Tag sei  laut dem lokalen Onlinemedium Lada.kz auch im benachbarten Aqtaý Unmut geäußert worden. Dabei seien laut Radio Azattyq, dem kasachstanische Dienst von Radio Free Europe, mehr als 6000 Menschen auf die Straße gegangen. Am 4. Januar fanden in der zentralkasachstanischen Stadt Qaraģandy sowie in Almaty, der größten Stadt Kasachstans, erste Versammlungen statt. Laut Radio Free Europe seien dabei am 4. Januar seitens der Polizei auch Blendgranaten eingesetzt worden.

An 5. Januar versammelten sich mehrere Tausend Menschen auf dem Platz der Republik in Almaty. Menschenmassen strömten zum Rathaus, Fenster und Türen wurden eingeschlagen. Das Gebäude brenne, berichtet Tengrinews. Nach Angaben der örtlichen Behörden wurden „120 Fahrzeuge, darunter 33 Krankenwagen und Feuerwehrfahrzeuge, in Brand gesteckt. 120 Geschäfte und Shops, 180 Gastronomiebetriebe, rund 100 Büros waren betroffen“, berichtete Tengrinews am späten Vormittag des 5. Januar. Laut Radio Azattyq sei auch das Hauptquartier der Präsidentenpartei Nur-Otan in Brand gesteckt worden. Gleichzeitig beschreibt Vlast.kz, dass mehrere Tausend Menschen versuchen, in das Territorium der Präsidentenresidenz Almaty einzudringen. „Wir hören Granatenexplosionen und Schüsse“, fügt der Korrespondent der kasachstanischen Mediums im sozialen Netzwerk Telegram hinzu. Der russischsprachige Dienst der BBC berichtete am späten Vormittag, das Gebäude stehe in Brand.

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Auch das Gebäude des nationalen Fernsehsenders „Kasachstan“ brenne seit dem Abend, meldet das kasachstanische Onlinemedium Orda.kz. Das Gebäude sei zuvor gestürmt und verwüstet worden, anwesende Mitarbeiter:innen seien geschlagen worden. Am Abend wurde darüber hinaus der Flughafen von Almaty besetzt und kam erst in der Nacht wieder unter die Kontrolle der Behörden. Auch in anderen Städten sammelten sich die Menschen. Wie Orda.kz via Telegram berichtet, waren es in Aqtaý am frühen Abend fast 10.000. In Aqtóbe, im Nordwesten des Landes, versammelten sich in der Nähe des Rathauses mehrere Hundert Demonstranten, die das Gebäude betreten wollten. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Blendgranaten ein.

Kasachstan vom Internet abgeschnitten

Mehr als 200 Menschen seien festgenommen worden, teilte das kasachstanische Innenministerium am Mittwoch (5. Januar) mit. Laut Radio Azattyq kam es auch in der Stadt Oral, im Nordwesten des Landes, zu Massenverhalftungen. Drei Polizeiabteilungen seien demnach schon voller Menschen. In Almaty seien laut Angaben der Behörden 190 Menschen (Stand 5. Januar) verletzt worden. Am Abend des 5. Januar meldete das in Lettland ansässige Nachrichtenportal Meduza mit Verweis auf das kasachstanische Innenministerium, dass acht Polizisten während der Ausschreitungen getötet und 317 weitere verletzt worden seien. Ab 14 Uhr MEZ waren die Ereignisse jedoch schwieriger zu verfolgen. In Kasachstan gehostete Websites waren nicht mehr zugänglich. Wie der Forscher Kévin Limonier feststellte, sind Internet-Netzpunkte im ganzen Land gesperrt worden. Kasachstan war für mehrere Stunden komplett vom Internet abgeschnitten. Erst am späten Abend (Ortszeit) wurde die Verbindung wiederherstellt.

Gaspreise als Auslöser

Die Proteste begannen am 2. Januar in Jańaózen im Westen des Landes. Ausgangspunkt ist eine Verdoppelung des Preises für Flüssigerdgas (LNG) innerhalb weniger Monate. LNG wird von vielen Kasachstaner:innen als Treibstoff verwendet. Laut Vlast.kz forderten einige Dutzend Demonstrierende, dass der Preis pro Liter von 120 Tenge (0,24 Euro) auf 60 Tenge (0,12 Euro) gesenkt werden solle. Die meisten Autos der Gegend fahren mit Gas und die seit dem neuen Jahr steigenden Preise machen sie für die Bevölkerung unzugänglich, sagten einige der Demonstrierenden. Bereits am 2. Januar hatte das Energieministerium erklärt, dass weder die regionalen Behörden, an die sich die Demonstrierenden wenden, noch das Energieministerium Einfluss auf die marktbedingten Gaspreise nehmen können. Dem widersprach Präsident Toqaev am 4. Januar. „Die Regierung hat im Rahmen der ihr übertragenen Befugnisse beschlossen, den Preis für Flüssiggas im Gebiet Mańģystaý auf 50 Tenge pro Liter zu senken, um die Stabilität des Landes zu gewährleisten“, twitterte Toqaev laut Angaben von Kazinform. Lest auch bei Novastan: Kasachstan – zunehmende Streiks gegen Leiharbeit im Ölsektor Das im ölreichen Westen des Landes gelegene Jańaózen war bereits im Dezember 2011 Schauplatz blutig zerschlagener Massenstreiks von Ölarbeiter:innen, die sich gegen zunehmen prekäre Arbeitsbedingungen einsetzten. Auch bei den aktuellen Protesten stehen soziale Forderungen im Vordergrund. Eine über soziale Netzwerke verbreitete Forderungsliste des „Volkskomitees von Kasachstan“ verweist etwa auf Preissenkungen und die Erhöhung von Gehältern und Sozialleistungen. Die Bewegung erhielt aber schnell auch einen politischen Charakter. Laut Radio Azattyq forderten Demonstrierende mit Rufen von „Shal Ket“ („Greis, geh weg!“) eine Erneuerung politischer Eliten und den vollständigen Rückzug des ersten Präsidenten Nursultan Nazarbaev aus der Politik. Auch Rufe nach einer parlamentarischen Republik waren in Jańaózen zu hören. Die 2019 nach dem Rücktritt von Nazarbaev entstandene politische Bewegung „Oyan, Qazaqstan“ („Wache auf, Kasachstan“) hat am Vormittag des 5. Januar ebenfalls detaillierte Forderungen nach einer Verfassungsreform veröffentlicht, die vor allem eine stärkere Gewaltenteilung und eine Umverteilung von Kompetenzen zugunsten des Parlaments vorsieht.

Maßnahmen zur Preiskontrolle

Kasachstans Präsident reagierte aufmerksam auf die Ereignisse, insbesondere auf Twitter. So forderte Toqaev bereits am 2. Januar die Regierung auf, „die Lage in Jańaózen dringend zu prüfen“. Am 4. Januar setzte er dann eine Kommission zu Verhandlungen mit den Demonstrierenden in Aqtaý ein. Als die Proteste bis in die frühen Morgenstunden des 5. Januar andauerten, fügte sich Toqaev manchen der Forderungen der Demonstrierenden. Er entließ die komplette Regierung, wie mitunter das kasachstanische Nachrichtenportal TheVillage berichtete. Zudem forderte Toqaev laut Angaben der Präsidialverwaltung eine Preisregulierung für Flüssiggas, Benzin und Diesel für die nächsten sechs Monate.

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Auch die Lebensmittelpreise sollten reguliert werden. Letztere habe zwischen Juli 2020 und Juli 2021 einen Zuwachs von 11 Prozent erfahren, beschreibt Kapital.kz. Eine Situation, die die kasachstanischen Haushalte belastet, wo fast 50 Prozent der Ausgaben für Lebensmittel anfallen, erklärte der Wirtschaftsbeobachter Sergei Domnin gegenüber Radio Azattyq. Lest auch bei Novastan: Dosym Satpajew: Wenn der Nachfolger Nasarbajews das System nicht ändert, wird es zusammenbrechen Am frühen Mittwochabend machte Präsident Toqaev bei einer  Fernsehansprache dann eine Gruppe von „hochorganisierten“ und „finanziell motivierten“ „Verschwörern“ für die Geschehnisse im Land verantwortlich. „Was auch immer geschieht, ich werde in der Hauptstadt bleiben„, so der Präsident weiter. „Ich werde in Kürze neue Vorschläge für die politische Umgestaltung Kasachstans vorlegen. Ich werde meine Position zu konsequenten Reformen beibehalten.

Nazarbaev am Ende?

Der Übergang der Leitung des Sicherheitsrates an den Präsidenten markiert einen deutlichen Rückschlag für den politischen Einfluss von Ex-Präsident Nazarbaev und setzt so womöglich den Ungewissheiten rund um eine Doppelspitze des Staates ein Ende. Die in sozialen Netwerken verbreitete Aufnahme der Zerstörung einer Nazarbaev-Statue in Taldyqorǵan unterstreichen dies mit symbolischer Stärke.

Alexei Wenediktow, Chefredakteur von Echo Moskwy, schrieb  am Abend des 5. Januar mit Verweis auf Quellen aus dem russischen Außenministerium, dass Nazarbaev bereit sei, Kasachstan zur medizinischen Behandlung zu verlassen. Am späten Abend entliess Toqaev den Leiter des nationalen Sicherheitsdienstes KNB Kárim Másimov, der das Amt seit 2016 innehielt. Er wird durch den aktuellen Leiter der Staatsschutzes Ermek Saginbaev, so Vlast.kz. Er bat zudem um die Unterstützung der Mitglieder des OVKS, dessen Rat für Kollektive Sicherheit laut Medienberichten die Entsendung ausländischer Friedenstruppen „zur Stabilisierung der Situation“ entschied. Bei dem ungesehenen Ausmaß der Proteste scheint eine eine Rückkehr zum Status Quo ausgeschlossen, zumal sie sich um systemische Probleme des Landes drehen. „Es gibt eine Menge (klassenbezogenen) Groll in verschiedenen Teilen der Gesellschaft, verursacht durch weit verbreitete Korruption, sich verschlechternde Wirtschaftsbedingungen, Verarmung und Ungerechtigkeit„, kommentierte die Forscherin Diana Kudaibergenova bei Twitter. „Diese Protestwellen sind nicht aus dem Nichts entstanden – Menschen protestieren seit Jahrzehnten, aber diese Proteste waren bisher nicht so groß und im ganzen Land verbreitet. 

Die Redaktion von Novastan

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