Startseite      Kirgistan: Elf unabhängige Journalist:innen verhaftet

Kirgistan: Elf unabhängige Journalist:innen verhaftet

Die kirgisische Polizei hat nach eigenen Angaben Verhaftungen vorgenommen, um Unruhen zu verhindern. Bei den Festgenommenen handelt es sich um Journalist:innen. Was wird ihnen vorgeworfen?

In Kirgistan sind elf unabhängige Journalist:innen verhaftet worden, Photo : Olga Mazourova / Facebook

Die kirgisische Polizei hat nach eigenen Angaben Verhaftungen vorgenommen, um Unruhen zu verhindern. Bei den Festgenommenen handelt es sich um Journalist:innen. Was wird ihnen vorgeworfen?

Wird die Kirgisische Republik durch „Aufrufe zu Massenprotesten und Unruhen“ bedroht? So zumindest heißt es in einer Pressemitteilung des Innenministeriums vom 16. Januar.

Diese Anschuldigungen richten sich insbesondere gegen zwei Online-Nachrichtenseiten: Temirov Live und Ayt Ayt Dese. Strafrechtliche Ermittlungen des Innenministeriums hätten zur Einleitung eines „Strafverfahrens […] gemäß Artikel 278 (Massenunruhen), Teil 3 (Forderungen zur aktiven Missachtung der legitimen Forderungen von Behördenvertretern und Aufrufe zu Massenunruhen und zur Gewalt gegen Bürger) des Strafgesetzbuches der Kirgisischen Republik“ geführt.

Razzien im Morgengrauen

Es war am frühen Morgen des 16. Januar, als die Polizei in Bischkek mit der Durchsuchung der Häuser der ersten Journalisten begann, berichtet das kirgisische Nachrichtenportal 24.kg. Um 6:22 Uhr twitterte Bolot Temirov, Direktor von Temirov Live, dass die Polizei sein Haus und das des Direktors von Ayt Ayt Dese durchsucht habe.

Andere Journalist:innen der Medien Temirov Live, Ayt Ayt Dese, PolitKlinika, Archa Media und Alga Media erlebten das gleiche, berichtet das kasachstanische Nachrichtenportal Turanews. Neben den Wohnungen der Journalist:innen wurden auch die Räumlichkeiten von Temirov Live durchsucht. Geräte wie Computer und Mobiltelefone sowie Dokumente wurden beschlagnahmt und die Räumlichkeiten versiegelt.

Elf der Betroffenen seien bis zum 13. März in einem Untersuchungsgefängnis inhaftiert, berichtet die internationale Menschenrechtsorganisation Front Line Defenders. „Eine vorbeugende Maßnahme“, so der entsprechende Beschluss des Bischkeker Perwomajskij-Bezirksgerichts vom 17. Januar.

Was wird ihnen vorgeworfen?

Der Pressedienst des Innenministeriums berichtet laut 24.kg, dass „den Schlussfolgerungen eines Gutachtens zufolge die von Ayt Ayt Dese und Temirov Live veröffentlichten Inhalte Spuren von Aufrufen zu Protestaktionen und Massenunruhen enthalten.“

Unklar sei jedoch, in welchen Materialien diese Aufrufe enthalten sein sollen, so die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW). Die Bestimmung des Strafgesetzbuches sei vage formuliert. Die NGO betont, dass dieses Verfahren „mehrmals genutzt wurde, um Strafanzeigen gegen Behördenkritiker zu erheben.“

Lest auch auf Novastan: Kirgistan: Oppositioneller Journalist nach Russland ausgewiesen

HRW weist außerdem darauf hin, dass die beschuldigten Medien – 24.kg, Temirov Live, Ayt Ayt Dese, Alga Media, Archa Media und Politklinika – gemeinsam haben, dass sie ihre Berichterstattung und Recherchen völlig unabhängig durchführen. Die NGO berichtet weiter, dass andere unabhängige Medien wie Kloop und Radio Azattyk unter starkem Druck stehen und dass Kaktus Media „Gegenstand einer Untersuchung wegen Vorwürfen der Kriegspropaganda war, weil es über Feindseligkeiten an der Grenze zwischen Kirgistan und Tadschikistan berichtete.“

Warnschuss am Vortag

Bereits am 15. Januar, dem Tag vor den groß angelegten Razzien, waren die Bischkeker Büros der kirgisischen Nachrichtenagentur 24.kg Gegenstand von Durchsuchungen des nationalen Geheimdienstes GKNB (Staatskomitees für nationale Sicherheit) gewesen.

Die Leitung der Nachrichtenagentur, darunter Generaldirektorin Asel Otorbajewa und Chefredakteur Anton Lymar, wurden zur Befragung festgehalten, später aber freigelassen. Der Grund: ein Strafverfahren wegen „Kriegspropaganda“, so die kirgisischen Behörden. Wie Kaktus Media berichtete, wurden sie am 17. Januar erneut zur Befragung vorgeladen.

Lest auch auf Novastan: Kirgistan: Verbot von „Radio Azattyk“ schlägt Wellen

Eurasianet berichtet, dass auch hier keine Materialien identifiziert werden konnten, die diese Anschuldigungen stützen könnten. Das Medium weist aber darauf hin, dass es sich um einen im vergangenen August veröffentlichten Artikel über die Beteiligung kirgisischer Staatsangehöriger auf ukrainischer Seite am Krieg mit Russland handeln könnte.

Dem Ende der Pressefreiheit entgegen?

Diese Einschüchterungen der Behörden gegenüber den Medien seien nicht neu, ruft Matthew Miller, Sprecher des amerikanischen Außenministeriums, in Erinnerung: „Diese Maßnahmen stehen im Einklang mit der Vorgehensweise der Regierung, die offenbar auf die Unterdrückung der öffentlichen Debatte und der Meinungsfreiheit abzielt.“ Im von Radio Free Europe produzierten Podcast Majlis weisen Beobachterinnen auf das beispiellose Ausmaß der Aktionen hin und bezeichnen diese als „Repressionen“.

Die Freiheit der unabhängigen kirgisischen Presse wurde bisher weithin gelobt. Diese Qualität wurde kürzlich auch von 40 unabhängigen russischen Medien und Journalist:innen hervorgehoben. Sie prangern aber „einen harten Schlag für die Meinungsfreiheit“ in einem Land an, „in dem [die unabhängige Presse] eine der mächtigsten in Zentralasien ist, [mit] der Entwicklung einer eigenständigen und soliden Schule des Journalismus, einschließlich des investigativen Journalismus. […] Kirgisische Journalisten haben keine Angst davor, Fakten über Oligarchen […], das GKNB […] und Verwandte des Staatsoberhaupts zu berichten.“

Ihnen zufolge bilden diese Recherchen, die dazu beitragen, die demokratische Debatte „innerhalb der kirgisischen Gesellschaft sowie unter politischen Vertretern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens […] anzufachen“, nun das Angriffsziel der kirgisischen Behörden.

Die Medien sind alarmiert

Wie Kaktus Media berichtet, verurteilte der journalistische Interessenverband „Kyrghyzstan Media Action Plattform“ auf einer Pressekonferenz am 17. Januar die Anschuldigungen der Regierung als „Versuche, Journalisten einzuschüchtern [und] Zensur im Land zu etablieren“.

„Anstatt die Rolle des Journalismus für das öffentliche Bewusstsein und die Transparenz der Regierung anzuerkennen und zu würdigen, wirken solche Anschuldigungen wie das Streben danach, unabhängige Informationsquellen zu schwächen und zu eliminieren, was die sozialen Spannungen in der Gesellschaft verstärken kann“, beklagen die Journalist:innen.

Lest auch auf Novastan: Pressefreiheit in zentralasiatischen Ländern verschlechtert sich

Sie fordern „die internationale Gemeinschaft auf, auf die Verfolgung von Journalisten in Kirgistan zu reagieren“ und wiederholen damit den Aufruf der 40 unabhängigen russischen Medien, die „die größtmögliche Resonanz“ und eine Reaktion „der demokratischen Länder“ fordern, „diplomatische Bemühungen einzuleiten, um die rasche Freilassung der inhaftierten Journalisten und die Einstellung der Anklagen gegen sie zu erreichen“.

Die „Kyrghyzstan Media Action Platform“ warnt darüber hinaus vor einem „Entwurf eines Mediengesetzes, der die Meinungs- und Medienfreiheit diskriminiert“, und fordert dessen Rücknahme. Mehr denn je ist Wachsamkeit geboten, um die Pressefreiheit zu schützen.

Patrick Do-Dinh für Novastan

Aus dem Französischen von Robin Roth

Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen: Schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.

Kommentare

Your comment will be revised by the site if needed.