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Die Krise in Russland mit verstärktem Echo in Tadschikistan

Infolge des Einmarschs in die Ukraine unterliegt Russland zahlreichen Sanktionen, die die wirtschaftliche Aktivität beeinträchtigen. Das hat auch direkte Konsequenzen für Zentralasien, insbesondere für das von den Rücküberweisungen seiner Arbeitsmigranten abhängige Tadschikistan.

Arbeitsmigranten Russland
Tadschikische Arbeiter in Russland (Illustrationsbild)

Infolge des Einmarschs in die Ukraine unterliegt Russland zahlreichen Sanktionen, die die wirtschaftliche Aktivität beeinträchtigen. Das hat auch direkte Konsequenzen für Zentralasien, insbesondere für das von den Rücküberweisungen seiner Arbeitsmigranten abhängige Tadschikistan.

Die sogenannte „militärische Sonderoperation“ der Russischen Föderation in der Ukraine, die darauffolgenden Sanktionen und der Rückzug internationaler Firmen haben negative Auswirkungen in Russland. Das Land befindet sich in einer Wirtschafts- und Finanzkrise, die mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit einhergeht. Wie die russische Zeitung Kommersant berichtet, könnte die Zahl der Arbeitsplätze in der russischen Wirtschaft bis Ende 2022 um 2 Millionen zurückgehen und die Arbeitslosenquote von derzeit 4,4 Prozent auf über sechs Prozent – laut manchen Prognosen sogar auf bis zu 7,8 Prozent steigen.

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Dies hätte auch unmittelbare Konsequenzen für die zahlreichen Arbeitsmigranten aus Tadschikistan, die in Russland arbeiten. Dies erklärt der tadschikische Wirtschaftswissenschaftler Chodschimuchammad Umarow in einem Interview mit der Nachrichtenplattform Cabar.Asia. Er merkt an, dass „die russische Führung einige Maßnahmen ergreifen wird, um sicherzustellen, dass sich der Stellenabbau nicht wesentlich auf die Beschäftigung der eigenen Bürger auswirkt“.

Restriktionen auf dem russischen Arbeitsmarkt

Arbeitsmigranten hingegen werden unter anderem durch Restriktionen von lokalen Behörden um ihre Stellen gebracht. Wie Asia Plus berichtet, haben die Verwaltungen der Regionen Kaluga, Tjumen, Kaliningrad und des Autonomen Kreises der Chanten und Mansen im Februar Migranten die Arbeit in einer Reihe von Bereichen untersagt. Dazu zählen das Fahren von Taxis und anderen öffentlichen Verkehrsmitteln, der Verkauf von Alkohol, Tabak und Lebensmitteln und die Arbeit im Gesundheitswesen.

In manchen anderen Regionen des Landes, wie etwa in Perm, dürfen Migranten nicht in den Bereichen Bergbau und Holzhandel arbeiten. Es ist wichtig anzumerken, dass solche Beschränkungen nur für Arbeitnehmer gelten, die spezielle Arbeitsgenehmigungen – sogenannte „Patente“ – beantragen müssen. Bürger von Staaten der Eurasischen Wirtschaftsunion, also insbesondere Kirgistan und Kasachstan, sind davon nicht betroffen.

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Seit Anfang der 1990er Jahre wandern zahlreiche Tadschiken zum Arbeiten in die Russische Föderation ein. Ihre Not und die Probleme, ihre Familien zu ernähren, zwingen sie zu diesem Schritt.  Bei einem Treffen mit dem tadschikischen Präsidenten Emomali Rahmon in St. Petersburg am 27. Dezember 2021 bemerkte der russische Präsident Wladimir Putin: „Ich weiss um ihre Aufmerksamkeit und Ihr Interesse für die Entwicklung der russischen Sprache… Es gibt viele, die sie lernen wollen. Das ist verständlich, denn es gibt etwa eine Million Menschen aus Tadschikistan, die vorübergehend in Russland leben und arbeiten“.

Bei den Arbeitsmigranten aus Tadschikistan handelt es sich meist um junge, männliche Staatsbürger im Alter zwischen 18 und 50 Jahren. Ungefähr 20 Prozent sind Frauen. Im Jahr 2021 schickten die Arbeitsmigranten aus Russland rund 1,8 Milliarden US-Dollar (1,7 Milliarde Euro) in ihre Heimat, also ca. 23 Prozent des tadschikischen Bruttoinlandsproduktes. Für das Jahr 2020, das aufgrund der Covid-19-Pandemie ein Krisenjahr war, belief sich dieser Betrag auf 1,74 Milliarde US-Dollar (1,67 Milliarde Euro), also 759 Millionen (729 Millionen Euro) weniger als 2019. Die Asiatische Entwicklungsbank prognostiziert, dass sich die Überweisungen von Arbeitsmigranten aus Russland nach Tadschikistan, in US-Dollar berechnet, im Jahr 2022 halbieren werden. Infolgedessen wird Duschanbe bereits im laufenden Jahr den Einkauf von Importgütern, insbesondere von Lebensmitteln und Treibstoff, um ein Drittel reduzieren müssen, und im Jahr 2023 wird ein weiterer Rückgang der Importe um 20 Prozent vorausgesagt.

„Strategisches“ Ziel für Arbeitsmigration

Die derzeitige soziale, politische und wirtschaftliche Lage in Russland, insbesondere nach der am 24. Februar 2022 begonnenen „Sonderoperation“ in der Ukraine, hat eine gewisse Anzahl tadschikischer Migranten zur Rückkehr in ihre Heimat veranlasst, so Asia Plus. Im ersten Quartal 2022 kehrten 60.337 tadschikische Migranten aus Russland nach Tadschikistan zurück, ein Anstieg um das 2,6-fache im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2021. Gleichzeitig steigt auch die Zahl der Arbeitsmigranten, die ihr Heimatland verlassen. In den drei Monaten dieses Jahres verließen 106.132 Menschen Tadschikistan in Richtung Russland.

Die Bevölkerung Tadschikistans stetig wächst. Im Jahr 2021 stieg sie um 1,8 Prozent auf 9,8 Millionen Menschen an. Im Jahr 2023 wird die Gesamtbevölkerung Tadschikistans nach Prognosen der Demografen die zehn Millionen Marke erreichen. Allerdings bleibt die Rate der neu geschaffenen Arbeitsplätze weit hinter dem Bevölkerungswachstum zurück. Daher wird Tadschikistan auch in den kommenden Jahren auf Arbeitsmigration angewiesen sein. Dabei ist Russland nicht das einzige Zielland. Manche suchen ihre Nische auch in Kasachstan oder Südkorea suchen, und die Reise zur Saisonarbeit nach Großbritannien, Polen und in die Türkei nimmt ebenfalls zu.

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Russland gilt für Arbeitssuchende hingegen als ein mehr oder weniger vertrautes Land. In Tadschikistan wird die russische Sprache von der zweiten Klasse an in allgemeinbildenden Schulen unterrichtet. Russland und Tadschikistan sind laut tadschikischem Außenministerium „strategische Partner“.  Sie gilt als zweite Heimat der Tadschiken. Darüber hinaus gibt es ein Abkommen zwischen Russland und Tadschikistan über die doppelte Staatsbürgerschaft, welches die Bedingungen für den gegenseitigen Aufenthalt von Bürgern beider Länder vereinfacht. Mahdi Sabir*, ein ehemaliger Mitarbeiter des Zentrums für Strategische Studien in Duschanbe, der heute im sibirischen Surgut lebt, erklärt, der Krieg Russlands gegen die Ukraine sei das Werk der Feinde Russlands, um die russische Wirtschaft zu schwächen und zu zerstören.

Seiner Meinung nach sollen dadurch auch zentralasiatische Länder dazu ermutigt werden, sich von Russland abzuwenden. „Trotz des Produktionsrückgangs und der erwarteten Inflation wird Russland ein attraktives Land für tadschikische Migranten bleiben. Schließlich ist der Lebensstandard der tadschikischen Bürger in diesem Land zum großen Teil viel besser als in Tadschikistan. Das Verfahren zur Erlangung der russischen Staatsbürgerschaft wird daher fortgesetzt“, sagte Mahdi Sobir. Einige junge tadschikische Bürger gehen auf Vertragsbasis in die russische Armee. Das Ziel ist meist das gleiche: die russische Staatsbürgerschaft zu Vorzugsbedingungen zu erhalten und Geld zu verdienen.

Seit Beginn der Kampfhandlungen in der Ukraine wurden zwischen dem 24. Februar und dem 28. April mindestens sieben tadschikische Staatsangehörige, die im Rahmen von Verträgen in der russischen Armee dienen, getötet. Dies berichtet Radio Ozodi, der tadschikische Dienst von Radio Free Europe. Die Leichen der meisten von ihnen wurden nach Tadschikistan überführt. Die Wirtschaftskrise in Russland betrifft in erster Linie Arbeitsmigranten im Niedriglohnsektor, die zum Beispiel im Handel und in öffentlichen Versorgungsbetrieben arbeiten. Fachkräfte, die auf den russischen Arbeitsmärkten gefragt sind, sind weniger betroffen. Dazu gehören Ärzte, Ingenieure, Lehrer, IT-Spezialisten, usw. Generell werden Arbeitsmigranten aus Zentralasien, insbesondere aus Tadschikistan, von den relativ hohen russischen Gehältern Föderation angezogen. Diese entsprechen oft einem vielfachen von dem, was sie in ihrem Heimatland verdienen könnten.

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Der 48-jährige Sharif Karimow* stammt aus Tadschikistan und arbeitet als Arzt in Nischnewartowsk, im Norden Russlands. Er sagt, dass der Stellenabbau infolge der westlichen Sanktionen gegen Russland die Situation vieler zentralasiatischer Migranten nicht beeinträchtigt habe. Schließlich seien viele von ihnen vor allem in sogenannten „Schwarzarbeitsberufen“ mit niedrigen Löhnen beschäftigt. Einheimische würden diese Stellen nicht annehmen, selbst wenn sie doppelt so viel verdienen würden. „Ich bin viel in den Regionen unterwegs und sehe mit eigenen Augen, wie sich Migranten und ihre Familien in Randgebieten und abgelegenen, verlassenen Dörfern niederlassen und diese Orte aufwerten, indem sie Sümpfe in fruchtbares Land verwandeln.  Es ist unwahrscheinlich, dass sie wegen irgendwelcher Sanktionen alles verlassen und in ihre historische Heimat zurückkehren“, betont Karimow.

In Erwartung der Krise

Russland bleibt also ein gefragtes Ziel für Arbeitsmigration aus Tadschikistan. Dies gilt umsomehr, da die Preise von Grundnahrungsmitteln – vor allem derer, die aus Russland und der Ukraine importiert wurden – in Tadschikistan spürbar steigen. Derzeit wird ein 50 kg-Sack Mehl in Tadschikistan für 325-350 Somoni (24-27 Euro) verkauft. Dies entspricht in etwa einer durchschnittlichen Monatsrente. Nach Angaben der Zollbehörde gab Tadschikistan im Jahr 2021 rund eine Milliarde US-Dollar (960 Millionen Euro) für den Kauf von Lebensmitteln aus anderen Ländern aus. Wie Asia Plus berichtet, prognostizieren die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank für Tadschikistan in diesem Jahr eine noch nie dagewesene Inflationsrate von 15 Prozent.

Viele Wirtschaftszweige werden von der Krise betroffen sein. Die tadschikischen Behörden planen, die Inflation bis Ende 2022 bei sechs Prozent zu halten. Für das Jahr 2021 wurde ein gleichbleibender Anstieg der Preise und Tarife prognostiziert, aber am Ende des Jahres lag die Inflation bei acht Prozent. Infolge der zunehmenden sozioökonomischen Anspannung hat die Regierung Tadschikistans einen Anti-Krisen-Plan ausgearbeitet und verabschiedet, der unter anderem die Verwendung des russischen Rubels und des chinesischen Yuan als Hauptwährungen für die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Tadschikistan, Russland und China vorsieht. Der Plan sieht auch vor, Preiserhöhungen für Strom, Wasser und andere Versorgungsleistungen aufzuschieben und Preiserhöhungen im Bildungs- und Gesundheitswesen zu verhindern. Die Regierung plant, sich auf die Förderung von der inländischen Produktion zur Reduktion der Importabhängigkeit.

Die Zeit wird zeigen, wie wirksam diese Maßnahmen sein werden und wie die einfachen Menschen ein schwieriges Jahr überstehen werden. Denn oft werden Pläne geschmiedet, und viele von ihnen bleiben unausgeführt.  In den meisten Fällen wird die Meinung von Wissenschaftlern, Ökonomen, Financiers, Soziologen und normalen Bürgern bei der Ausarbeitung von Strategieplänen nicht berücksichtigt. Die COVID-19-Pandemie und die Sanktionen gegen Russland hatten negative Auswirkungen auf die Wirtschaft Tadschikistans, sagte Guzel Maitdinowa, stellvertretende Vorsitzende des Zentralasiatischen Expertenclubs (CAEC Eurasian Development) und Professorin für Geschichte an der Russisch-Tadschikischen Slawischen Universität. Ein schrumpfender Arbeitsmarkt in Russland, auf dem mehr als 90 Prozent der tadschikischen Arbeitsmigranten beschäftigt waren, hat zu einem Rückgang der Geldüberweisungen geführt.

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Dies habe auch die Familieneinkommen beeinträchtigt, was sich auch in einer zunehmenden sozialen Ungleichheiten in der tadschikischen Gesellschaft niederschlägt. Derzeit sind die Haushaltseinnahmen gesunken, ebenso wie die Einkommen eines großen Teils der tadschikischen Familien, die von Überweisungen leben. „Politisch und wirtschaftlich sind die Staaten Zentralasiens, einschließlich Tadschikistans, miteinander verbunden. Eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Russland schränkt die Rechte der neuen zentralasiatischen Staaten auf Entwicklung ein“, erklärt Maitdinowa. Zum Zeitpunkt des russischen Einmarsches in die Ukraine befanden sich dort mehr als viertausend tadschikische Staatsbürger, wie Radio Ozodi berichtet. Manche von ihnen sind Studierende und Diplomaten, und die große Mehrheit hatte sich für die Ukraine als Arbeitsland entschieden. Nach dem Ausbruch der Feindseligkeiten verließen viele von ihnen das Land zusammen mit einheimischen Bürgern – die meisten von ihnen nach Polen.

Aziz Rustamov Journalist für Novastan.org

Aus dem Russischen von Florian Coppenrath

* Name geändert

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