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Wer ist Aga Khan V., das neue spirituelle Oberhaupt der Ismailit:innen?

Als Prinz ohne Königreich, aber spiritueller Führer einer Gemeinschaft mit schätzungsweise 12 bis 15 Millionen Mitgliedern, trat Aga Khan V. im Februar die Nachfolge seines Vaters an, der Anfang des Monats im Alter von 88 Jahren verstorben war.

Prinz Rahim Aga Khan V. ist der neue Imam der Ismailit:innen, Photo: theismaili…

Als Prinz ohne Königreich, aber spiritueller Führer einer Gemeinschaft mit schätzungsweise 12 bis 15 Millionen Mitgliedern, trat Aga Khan V. im Februar die Nachfolge seines Vaters an, der Anfang des Monats im Alter von 88 Jahren verstorben war.

Prinz Rahim al-Hussaini ist jetzt Aga Khan V. Der 53-Jährige wurde gemäß des Testaments seines Vaters, Aga Khan IV., zum 50. Imam der Ismailit:innen ernannt. Die Ernennung erfolgte im Rahmen einer Zeremonie, bei der Vertreter der Gemeinschaft ihm spirituelle Treue schworen, heißt es in einer Pressemitteilung des Imams vom 11. Februar. Aga Khan IV. war am 4. Februar im Alter von 88 Jahren in Lissabon verstorben. Er hatte seinerseits den Titel 1957 geerbt.

Das Ismailitische Imamat bezeichnet das erbliche Amt, das der Imam der nizaritischen Ismailit:innen bekleidet. Letztere stellen einen Minderheitszweig des Schiismus dar, dem heute zwischen 12 und 15 Millionen Menschen in mehr als 35 Ländern angehören. Eine große Gemeinde lebt in Tadschikistan. Das Imanat geht auf den ersten Imam, Hazrat Ali, Cousin und Schwiegersohn des Propheten Muhammad, zurück. Der Titel Aga Khan, was in einer Mischung aus Türkisch und Persisch „Oberbefehlshaber“ bedeutet, wurde erstmals in den 1830er Jahren Hassan Ali Shah, dem 46. ismailitischen Imam, nach seiner Heirat mit der Tochter des Schahs von Persien verliehen.

Die Beerdigung von Prinz Karim Aga Khan IV. fand am 8. Februar in der Villa Mendonça in Portugal statt, die seit 2016 das Weltzentrum des ismailitischen Imamats beherbergt. Wie das kirgisische Nachrichtenportal Kaktus berichtet, nahmen an der Feier mehrere ausländische Würdenträger teil, darunter Kirgistans stellvertretender Regierungschef Edil Baisalow. Aga Khan IV. wurde am nächsten Tag im ägyptischen Assuan im Mausoleum seines Großvaters Aga Khan III. beigesetzt. Im 10. und 11. Jahrhundert war Ägypten das Zentrum des Fatimiden-Kalifats, das von ismailitischen Imamen regiert wurde.

In den Fußstapfen des Vaters

Prinz Rahim al-Hussaini wurde am 12. Oktober 1971 in Genf geboren und ist das zweite von vier Kindern und der erste Sohn von Aga Khan IV. Nach seinem Studium in der Schweiz und den USA, wo er an der Brown University Literatur studierte, absolvierte er ein Management- und Verwaltungsprogramm an der Graduate Business School der Universität Navarra in Barcelona. Aus seiner 2022 geschiedenen Ehe mit einem amerikanischen Model gingen zwei Kinder hervor, die Prinzen Irfan, geboren 2015, und Sinan, geboren 2017.

Nach seinem Studium schloss er sich dem Aga Khan Development Network (AKDN) an, das 1967 von seinem Vater gegründet wurde. Das Netzwerk ist in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wohnen sowie Wirtschaftsentwicklung in ländlichen Regionen tätig und stellt jährlich 1 Milliarde US-Dollar für seine Entwicklungsprojekte bereit. Heute ist das AKDN in mehr als 30 Ländern aktiv und beschäftigt weltweit etwa 96.000 Menschen.

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Das Vermögen des Aga Khan, das die Durchführung dieser wohltätigen Arbeit ermöglicht, bleibt ein Rätsel. Die Presse schätzte es in den letzten Jahren auf 10 bis 13 Milliarden Euro. Es wurde im Laufe der Jahrhunderte vererbt und angesammel. Teilweise wird es auch durch die Zahlung eines Zehnten durch die Ismailit:innen gespeist, der je nach ihren Mitteln bis zu 12,5 Prozent ihres Einkommens ausmachen kann.

Innerhalb der AKDN ist Prinz Rahim al-Hussaini Mitglied der Aga Khan Foundation (AKF), der Aga Khan University (AKU), des Aga Khan Fund for Economic Development (AKFED), der Aga Khan Agency for Microfinance (AKAM) und des Aga Khan Trust for Culture (AKTC). Er ist außerdem Vorsitzender des AKDN-Umwelt- und Klimaausschusses.

Engagement für Umwelt und nachhaltige Urbanisierung

Im Jahr 2020 gab der AKDN in Zusammenarbeit mit dem Herzog von Cambridge (dem heutigen Prince of Wales) die Einrichtung des Earthshot-Preises bekannt. Der Preis soll neue Lösungen für ökologische Krisen auszeichnen und zur Verbesserung des Lebensstandards beitragen, insbesondere für die vom Klimawandel am stärksten bedrohten Bevölkerungsgruppen. Zehn Jahre lang werden jedes Jahr fünf Earthshots zu fünf Themen vergeben: Schutz und Wiederherstellung der Natur, Reinigung der Luft, Regeneration der Ozeane, Aufbau einer Welt ohne Abfall und schließlich Reparatur des Klimas. Die letzten Earthshots wurden im November im südafrikanischen Kapstadt verliehen.

Die Verbindungen zwischen dem Aga Khan und der britischen Monarchie gehen auf Königin Victoria zurück. Traditionell waren die ismailitischen Imame in Persien ansässig. Im Jahr 1848 ließ sich Aga Khan I. in Sind und später in Bombay im britischen Raj nieder. Die Verlegung des ismailitischen Imamats nach Indien belebte die lokalen ismailitischen Gemeinden. Das Mausoleum von Aga Khan I befindet sich auf einer der sieben Inseln von Bombay. Aga Khan III wurde in Karatschi geboren und lebte hauptsächlich in Bombay, wo 1936 sein Goldenes Jubiläum gefeiert wurde. Aga Khan III. war der erste Vorsitzende der Muslimliga, einer politischen Partei, die Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet wurde, um die Interessen der Muslime im britischen Raj zu vertreten.

Auf dem zehnten World Government Summit in Dubai im Februar 2023 betonte Prinz Rahim al-Hussaini die Bedeutung der Urbanisierung in Ländern des Globalen Südens angesichts des Klimawandels, wobei der Urbanisierungsprozess in diesen Ländern besonders schnell voranschreitet, was vor allem auf die Landflucht zurückzuführen ist.

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Während seiner Rede beim COP29 in Baku im vergangenen November bekräftigte der neue Aga Khan einen nachhaltigen Ansatz bei der Entwicklung von Städten: „Unser Hauptziel ist es, das Leben der Bewohnenden historischer Gebiete mit Kulturerbestätten zu verbessern und gleichzeitig Entwicklungsmodelle einzuführen, die diese Verbesserungen nachhaltig machen können“, sagte er mit Blick auf die Arbeit des Aga Khan Trust for Culture (AKTC).

Im Januar nahm Prinz Rahim al-Hussaini im Namen seines Vaters in Lissabon den Mostar Peace Connection Award entgegen. Das Zentrum für Frieden und multikulturelle Zusammenarbeit zeichnet mit diesem Preis Menschen und Organisationen aus, die sich für Frieden, Zusammenarbeit und Verständnis für die Welt einsetzen. Darüber hinaus wurde dem AKTC, für sein Engagement beim Wiederaufbau der Alten Brücke und weiteren Teilen der Stadt Mostar (Bosnien), die Mostar-Friedencharta verliehen.

Die große Gemeinschaft in Tadschikistan

Auch wenn die Ismailit:innen heute in mehr als 35 Ländern präsent sind, leben besonders viele von ihnen im Pamir,  in der historischen Region Badachschan, zu der heute die Autonome Provinz Berg-Badachschan (GBAO) in Tadschikistan gehört. Obwohl in Berg-Badachschan nur knapp 3 Prozent der Bevölkerung Tadschikistans leben, macht die Provinz 40 Prozent des Staatsgebiets aus. Die Mehrheit der 250.000 Einwohner:innen von GBAO sind Ismailit:innen. Die ethnische Gruppe der Pamiris traf den Aga Khan IV. zum ersten Mal bei seinem Besuch im Mai 1995. Dieses Datum wird seitdem von den ismailitischen Pamiris als „Rouzi Nour“, der Tag des Lichts, gefeiert.

Das AKDN begann seine Aktivitäten in Tadschikistan im Jahr 1992, einem neuen unabhängigen Land, das jedoch von einem fünf Jahre andauernden Bürgerkrieg beherrscht wurde. Neben der Versendung mehrerer Tonnen Nahrungsmittelhilfe spielte das AKDN eine Vermittlerrolle in dem Konflikt, die dem Aga Khan über die ismailitische Gemeinschaft hinaus ein gewisses Ansehen in Tadschikistan verschaffte.

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Nach dem Tod von Aga Khan IV. erinnerte das tadschikische Nachrichtenportal Asia-Plus an das Erbe des AKDN in Tadschikistan, insbesondere in Berg-Badachschan. Zu den vom AKDN finanzierten Infrastrukturen gehören sieben Brücken zwischen Tadschikistan und Afghanistan am Fluss Pandsch (darunter fünf in Berg-Badachschan), der Bau von Fernstraßenabschnitten für den Zugang nach China und Pakistan, die Sanierung des Energieunternehmens Pamir Energy, das die Stromversorgung abgelegener Dörfer ermöglicht, die Gründung der ersten Mikrofinanzbank in Tadschikistan sowie eine Reihe von Gesundheits-, Bildungs- und Kultureinrichtungen. Auch der heute in Tadschikistan führende Mobilfunkanbieter Tcell geht auf den AKDN zurück.

Investitionen trotz angespannter Lage

Die Aga Khan Foundation hat in Zusammenarbeit mit der Regierung Tadschikistans in Chorugh einen Campus der University of Central Asia (UCA) gegründet, die auch jeweils einen Campus in Naryn (Kirgistan) und in Tekeli (Kasachstan) hat. Die UCA in Chorugh, die Studierende aus Tadschikistan, Kirgistan, Kasachstan, aber auch aus Afghanistan und Pakistan willkommen heißt, wurde 2018 im Beisein von Tadschikistans Präsidenten Emomali Rahmon offiziell eingeweiht. Dies geschah jedoch in Abwesenheit des Aga Khan IV., dessen letzter Besuch in dem zentralasiatischen Land im Jahr 2011 stattfand.

Seit 2012 hat Tadschikistans Regierung die Repression im ganzen Land verschärft, doch Berg-Badachschan ist davon besonders betroffen. In Chorugh, der Hauptstadt der Provinz, wurden Demonstrationen im Juli 2012, im November 2021 und im Mai 2022 brutal niedergeschlagen.

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Die Aktivitäten des AKDN werden von Duschanbe ins Visier genommen, wobei es zunehmend zu Beschlagnahmungen und Verstaatlichungen kommt. Im Jahr 2022 wurde der Zentale Kultur- und Freizeitpark Chorugh an den Staat übertragen, die Behörden schlossen zeitweise ismailitische Gebetsstätten und die Bewohner:innen wurden gezwungen, das Porträt ihres spirituellen Führers von den Wänden ihrer Häuser zu entfernen. Im Jahr 2023 ging das Aga Khan Lycée in Chorugh in Staatseigentum über.

In Tadschikistan unter Druck…

Die UCA ist zwar bisher nicht verstaatlicht, allerdings wurde die Kooperationsvereinbarung mit dem AKDN nicht verlängert. Zwischen 1995 und 2018 investierte das AKDN 1 Milliarde US-Dollar in die Entwicklung Tadschikistans. Rund 3.500 Menschen in Tadschikistan arbeiteten für das AKDN und seinen Einrichtungen.

Prinz Rahim al-Hussaini seinerseits besuchte Tadschikistan im Jahr 2011 im Rahmen der Mikrofinanzaktivitäten des AKDN und des Aga Khan Fund for Economic Development. Im Dezember 2022 traf er in Paris den tadschikischen Außenminister während dessen Arbeitsbesuch in Frankreich.

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Der tadschikische Präsident sandte nach dem Tod von Prinz Karim Aga Khan IV. ein Beileidstelegramm. „Mit unseren schönen Erinnerungen und unserem Respekt vor der Persönlichkeit des Verstorbenen drücken wir seiner Familie und seinen Freunden unser aufrichtiges Beileid und das des gesamten tadschikischen Volkes aus und bitten den Allmächtigen um freundliche Geduld mit ihnen“, heißt es im Text des Telegramms.

… aber in Kirgistan willkommen

Im benachbarten Kirgistan, wo die AKDN seit 2002 präsent ist, sind die Beziehungen zur Staatsmacht deutlich herzlicher. Wie Kaktus damals berichtete, erhielt Prinz Karim Aga Khan IV. im Oktober 2016 während seines Besuchs zur Einweihung des Naryn-Campus der UCA aus den Händen des kirgisischen Präsidenten Almasbek Atambajew den Danaker-Orden, die höchste Auszeichnung, die einem ausländischen Staatsbürger verliehen werden kann. Kirgistans Präsident hob die Umsetzung sozioökonomischer Projekte in den Bereichen Landwirtschaft, Bildung und Gesundheit hervor und dankte dem AKDN auch für die Unterstützung, die es den Pamir-Kirgis:innen in Afghanistan geleistet hat.

Im Mai 2020 berichtete Kaktus, dass das AKDN in Zusammenarbeit mit der Schweizer Regierung Hilfe bereitgestellt habe, um die Ernährungssicherheit und die sozioökonomische Situation von Landwirt:innen und Tierärzt:innen im damals von der Coronavirus-Pandemie betroffenen Gebiet Naryn zu gewährleisten. Mehr als 300 als gefährdet geltende Betriebe in den Bezirken Naryn und At-Batschy hatten von 48 Tonnen Sämlingen und 10 Tonnen Dünger profitiert. Die Viehzucht ist die Haupteinnahmequelle in der Region. Landwirt:innen im Gebiet Osch profitierten von einem ähnlichen Hilfsprogramm.

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Während der World Nomad Games 2016 in Tscholpon-Ata lud Präsident Atambajew Prinz Rahim al-Hussaini zusammen mit etwa dreißig weiteren Delegationsleiter:innen, darunter Staatsoberhäupter, Minister:innen und andere hochrangige Beamte, zur Eröffnungsfeier ein.

Im März 2024 empfing Kirgistans Präsident Sadyr Dschaparow Prinz Rahim al-Hussaini, um Fragen der Zusammenarbeit zwischen Kirgistan und dem AKDN zu besprechen. Der Schwerpunkt lag laut Kaktus auf den Aktivitäten der UCA in Naryn sowie auf der Entwicklung einer grünen Wirtschaft und der Umsetzung von Maßnahmen zur Entwicklung und zum Schutz von Bergregionen.

Ein erstes offizielles Treffen als neuer Imam

Bei seinem Besuch in Pakistan im Juni 2024 erhielt Prinz Rahim al-Hussaini von Präsident Asif Ali Zardari den Pakistan-Orden, die höchste zivile Auszeichnung des Landes, mit der „außergewöhnliche Verdienste“ für die Republik gewürdigt werden. Während seines fünftägigen Besuchs in Pakistan eröffnete er einen Software-Technologiepark in Nasirabad, der darauf abzielt, jungen Start-ups und Freiberufler:innen einen Hochgeschwindigkeits-Internetzugang und einen Co-Working-Space bereitzustellen. Außerdem war er Zeuge des Starts der zweiten Bauphase von zwei Solarkraftwerken in Gilgit-Baltistan, die weitere 32.000 Menschen mit Strom versorgen sollen.

Die Schweiz ist langjähriger Partner des AKDN, dessen Agentursitz sich in dem Land befindet. Im September 2024 traf sich Prinz Rahim al-Hussaini mit dem Schweizer Außenminister, um die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und dem AKDN zu besprechen. Anlässlich der Weltjugendtage, die im Juli und August 2023 in Lissabon stattfanden, traf er Papst Franziskus. Das ismailitische Imamat und die katholische Kirche in Portugal arbeiten laut AKDN in vielen Bereichen eng zusammen, insbesondere im Bildungs- und Gesundheitsbereich.

Am 13. Februar traf der neue Imam der Ismailiten, Prinz Rahim Aga Khan V., den portugiesischen Präsidenten im Bélem-Palast. Dies war sein erstes offizielles diplomatisches Treffen seit seiner Ernennung.

Eléonore Darasse für Novastan

Aus dem Französischen von Robin Roth

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