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An der Front in der Ukraine sterben weiterhin Zentralasiaten

Als Gegenleistung für Geld und die Staatsbürgerschaft schickt Russland weiterhin Migranten aus Zentralasien an die Front. Ihre genaue Zahl ist unbekannt. Seit Beginn des Konflikts im Februar 2022 sind aber laut einer Umfrage der BBC schon mindestens 124 von ihnen gestorben.

An der Front in der Ukraine (Illustration). Photo : Ukrainische Nationalgarde / Wikimedia Commons.

Als Gegenleistung für Geld und die Staatsbürgerschaft schickt Russland weiterhin Migranten aus Zentralasien an die Front. Ihre genaue Zahl ist unbekannt. Seit Beginn des Konflikts im Februar 2022 sind aber laut einer Umfrage der BBC schon mindestens 124 von ihnen gestorben.

124 Männer aus zentralasiatischen Ländern sind seit Februar 2022 in den Reihen der russischen Streitkräfte in der Ukraine gestorben. Dies dokumentiert eine Umfrage des russischsprachigen Dienstes der BBC. Die Umfrage war in Zusammenarbeit mit dem russischen Medium Mediazona durchgeführt und in diesem September veröffentlicht worden. Die Daten basieren auf offen zugänglichen Quellen, wie zum Beispiel Nachrufe in den lokalen Medien bei der Rückführung der Leichen oder Nachrichten von den Angehörigen der Soldaten in sozialen Netzwerken. Unter den 265 ausländischen Toten auf der russischen Seite, waren 51 Tadschiken, 47 Usbeken und 26 Kirgisen.

Eine frühere Untersuchung der BBC berichtete im Juni 2023, dass mindestens 93 zentralasiatische Staatsangehörige in der Ukraine ihr Leben verloren hatten: Darunter waren 40 Tadschiken, 34 Usbeken und 19 Kirgisen, wie Asia-Plus berichtete. Die ersten Todesfälle zentralasiatischer Staatsangehöriger unter russischen Streitkräften in der Ukraine ereigneten sich schon im März 2022.

Die russischen Behörden bieten seit Beginn des Konflikts immer mehr Anreize für Migranten aus Zentralasien, sich der ukrainischen Front anzuschließen: Sie versprechen ihnen Geld und die russische Staatsbürgerschaft (und wenn man sie in Gefängnissen rekrutiert – die anschließende Freilassung). Dafür gehen diese Menschen, hauptsächlich Tadschiken, Usbeken und Kirgisen, in die Ukraine. Dort müssen sie Wiederaufbauarbeiten leisten, Schützengräben ausheben, aber auch kämpfen.

An der Front in der Ukraine mangelt es immer mehr an Soldaten; die Lage von Migranten aus Zentralasien in Russland hat sich in den letzten Monaten verschlechtert, insbesondere seit dem Anschlag auf die Crocus City Hall im März. Das Land hat seine Gesetze verschärft und Abschiebungen erleichtert: Russland hat laut Asia-Plus zwischen Januar und Juni dieses Jahres mehr als 17.000 Tadschiken abgeschoben, hauptsächlich wegen Verstößen gegen die Aufenthaltsbestimmungen.

Abschiebung oder Front?

Die russischen Behörden verbergen ihre Absichten nicht. Alexander Bastrykin, Leiter des Untersuchungsausschusses der Russischen Föderation, erklärte im Juni auf dem Internationalen Rechtsforum in St. Petersburg, dass die Behörden mehr als 30.000 Migranten, die die russische Staatsbürgerschaft angenommen hatten, „gefasst“ haben. 10.000 davon habe man schon in die Ukraine geschickt.

„Wir haben einen Trick gefunden, der dazu führte, dass nun die Migranten die Russische Föderation nach und nach verlassen. Möchten Sie wissen, welcher das ist? Nun, wir haben Gesetze eingeleitet, nach denen Personen, die die Staatsbürgerschaft erhalten, sich zum Militärdienst anmelden müssen und, wenn nötig, an der SVO (militärische Sonderoperation, Anm.d.Red.) teilnehmen müssen“, so Bastrykin laut Current Time.

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Im Juli verabschiedete die russische Duma ein spezielles Gesetz dazu: Dies koppelt die Verleihung der russischen Staatsbürgerschaft an der Registrierung beim Militär. Die russischen Abgeordneten behaupten, es sei „allgemein bekannt“, dass neu eingebürgerte Ausländer sich dieser Registrierung entziehen. Das neue Gesetz zwingt sie dazu: Wer sich weigert, verliert automatisch seine neue Staatsbürgerschaft. Wie das kirgisische Medium Kaktus anmerkt, richtet sich diese Regelung anscheinend vor allem gegen Migranten aus Zentralasien.

„Es stellt sich heraus, dass es der Weg in den Tod ist“

Im Juli unterzeichnete der Bürgermeister von Moskau, Sergej Sobjanin, einen Erlass: Wer ab dem 23. Juli in Moskau einen Vertrag mit dem russischen Verteidigungsministerium unterschreibt, erhält einmalig 1,9 Millionen Rubel (ca. 18.000 Euro). Anschließend wurde die Ankündigung über soziale Netzwerke, die viele Migranten aus Zentralasien nutzen, weit verbreitet.

Radio Azattyk, der kirgisische Zweig von Radio Free Europe, sprach mit einem Vermittler: Er rekrutiert Freiwillige für die russische Armee und wirbt proaktiv in den Netzwerken für die Initiative. „Die Leute, die zu mir kommen, haben viele Schulden und Kredite. Sie brauchen dringend Geld. Ich werbe sie an. Es gibt viele solcher Unternehmen. Wir werben und rekrutieren. Wir sorgen dafür, dass jeder seine Zahlung erhält“, erklärt er.

Radio Azattyk hatte im Juli den Bericht von Aman veröffentlicht: Er ist als Sohn kasachischer Eltern in Russland geboren, besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft und war bei den russischen Streitkräften in der Region Donezk. „Es stellte sich heraus, dass es der Weg in den Tod ist“, fasst Aman zusammen. „Ich habe einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium unterzeichnet. Nach einer zweimonatigen Ausbildung, in der ich gelernt habe, wie man ein Maschinengewehr hält, bin hierhergekommen. Ich habe viele Kasachen, Tadschiken und Kirgisen kennengelernt“.

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„Ich habe neulich mit einem Tadschiken gesprochen, der hier verwundet wurde und nach der Behandlung im Krankenhaus auf das Schlachtfeld zurückgekehrt ist. […] Er prahlte damit, dass er mit dem Geld, das er erhalten hatte, eine Wohnung in Russland kaufen konnte. Er sagte, seine Mutter suche Möbel aus. Er scherzte: wenn er wieder verletzt werde, könne er sie kaufen, diese Möbel.“

„Wir sind alle zu Sklaven des Geldes geworden. Die Russen zahlen, was sie versprochen haben, aber der Preis ist zu hoch. Wie viele sind hier begraben? Ihre Angehörigen suchen nach ihnen, warten und denken, dass sie noch leben. Aber sie sind hier, irgendwo begraben“, stellt er fest.

Aufrufe zur Rückkehr in die Heimat

Im September, nach der Rückführung aus der Ukraine der sterblichen Überreste von zwei Tadschiken, haben die Behörden des Bezirks Ischkoschim in der autonomen Provinz Berg-Badachschan eine Erklärung veröffentlicht: Dort warnten sie die Einwohner davor, sich an ausländischen Konflikten zu beteiligen, berichtete Asia-Plus.

„Einer der Aspekte, die uns in Tadschikistan heute am meisten beunruhigen, ist die Beteiligung unserer Landsleute an Kriegen im Namen fremder Staaten. Die Handlungen dieser Landsleute schaden dem Ruf Tadschikistans und des tadschikischen Volkes auf der internationalen Bühne. Dies ist in erster Linie das Ergebnis der Bemühungen interessierter Gruppen in einigen Staaten, die die Naivität, Unerfahrenheit und Unwissenheit einiger unserer jungen Leute ausnutzen“, so die Erklärung.

Die lokalen Behörden rufen ihre Staatsangehörigen in Russland zur Rückkehr in die Heimat. „Wir rufen unsere Landsleute dazu auf, nach Hause zurückzukehren und mit ihren Familien ein friedliches Leben zu führen. In unserer Region hat der Bau von Anlagen für den Abbau und die Verarbeitung von Mineralien begonnen. Es gibt Tausende Arbeitsplätze mit Löhnen von 250 bis 300 Somoni (21 bis 25 Euro) pro Tag“, berichtet Radio Ozodi, der tadschikische Zweig von Radio Free Europe. Die kirgisischen Behörden hatten im vergangenen September einen ähnlichen Aufruf an ihre Staatsangehörigen in Russland gerichtet.

Asyl in Russland beantragt

Die Behörden der zentralasiatischen Länder verschärfen den Ton gegenüber Personen, die an den Kämpfen in der Ukraine teilgenommen haben und verhängen immer häufiger Urteile wegen Söldnertätigkeit. Erst im vergangenen Oktober berichtete das usbekische Nachrichtenportal Kun über die Verurteilung eines 56-jährigen Usbeken: Zwischen August und Oktober 2023 hatte er an den Kämpfen in den Regionen Donezk und Lugansk teilgenommen.

Der Mann hatte seit 2005 in Russland als Elektriker gearbeitet. Wegen administrativer Schwierigkeiten in seinem Beruf hatte er die russische Staatsbürgerschaft beantragt. Nach einer einmonatigen Ausbildung wurde er in die Ukraine geschickt. Er wurde verletzt und dann in einem Krankenhaus in Russland behandelt. Schließlich kehrte er in die Heimat zurück. Dort wurde er gemäß Artikel 154 des Strafgesetzbuchs der Republik Usbekistan wegen Söldnertum zu drei Jahren Haft verurteilt.

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Im Juni berichtete Radio Azattyk von einer weiteren Geschichte: Kirgistan verurteilte einen 31-jährigen Mann wegen der Teilnahme an den Kämpfen in der Ukraine. Askar Kubanytschbek Uulu hatte sich bei der Wagner-Miliz verpflichtet, im November 2022 trat er aber aus der Einheit aus und kehrte nach Kirgistan zurück. Dort wurde er ursprünglich zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt. Der Oberste Gerichtshof der Kirgisischen Republik hatte seine Strafe jedoch aufgehoben und den Fall an die Justiz zurückverwiesen. 

Im Januar 2024 wurde der Mann schließlich zu sieben Jahren Haft auf Bewährung verurteilt und auf freien Fuß gesetzt, er durfte das Land aber nicht verlassen. Trotzdem reiste er im Frühjahr über Kasachstan nach Russland, stellte dort einen Antrag auf vorübergehendes Asyl und beantragte die russische Staatsbürgerschaft. Daraufhin verlängerte er seinen Vertrag mit dem russischen Verteidigungsministerium.

Zentralasiaten in den ukrainischen Reihen

Im April 2023 berichtete Current Time über einen Freiwilligen in den ukrainischen Reihen. Der 44-jährige Abu Yunus stammte aus Turkmenistan und lebte seit 2018 in der Ukraine. Im Februar 2022 schloss er sich als Scharfschütze dem Scheich-Mansur-Bataillon an. Scheich Mansur war der erste Kaukasus-Imam und ein tschetschenischer Anführer im Freiheitskampf gegen die russische Besatzung im 18. Jahrhundert. Das Bataillon besteht hauptsächlich aus Menschen aus dem Nordkaukasus und Zentralasien.

Abu Yunus ist sich der juristischen Konsequenzen bewusst, die ihm in seiner Heimat wegen seiner Teilnahme an den Kämpfen in der Ukraine drohen. Er äußert allerdings sein Unverständnis über zentralasiatische Migranten, die sich den russischen Streitkräften anschließen. In den Mittelpunkt seines Engagements stellt er seinen muslimischen Glauben. Diese Ansicht teilen die religiösen Autoritäten dieser Länder nicht: Dagegen versuchen diese mit zahlreichen Reden, ihre Bürger davon abzuhalten, sich an einem Konflikt mit oder gegen die ehemalige Schutzmacht (Russland) zu beteiligen, die fast 3.000 Kilometer von Zentralasien entfernt liegt.

Eléonore Darasse für Novastan

Aus dem Französischen von Giulia Manca

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