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Taschkent vs. Almaty – die Geschichte zweier Städte erzählt anhand ihrer Gebäude

Almaty und Taschkent sind die beiden größten Städte Zentralasiens. Trotz vieler Parallelen hat die Architektur der beiden Städte ein recht unterschiedliches urbanes Lebensgefühl entstehen lassen. Hook wagt den Vergleich.

Taschkent bei Nacht, Photo: Guidecity/Wikimedia Commons

Almaty und Taschkent sind die beiden größten Städte Zentralasiens. Trotz vieler Parallelen hat die Architektur der beiden Städte ein recht unterschiedliches urbanes Lebensgefühl entstehen lassen. Hook wagt den Vergleich.

Almaty und Taschkent liegen Hunderte von Kilometern voneinander entfernt und haben unterschiedliche Schicksale. Dennoch begegnen sie sich in der Geschichte fast als Nachbarn und sprechen dieselbe Sprache – die Sprache der Architektur. Taschkent ist eine tausendjährige Stadt, die an der Kreuzung von Handelsrouten wuchs und in der die Jahrhunderte die Ziegel der Medresen und die Lehmwände der Mahallas geformt haben. Almaty hingegen ist vergleichsweise jung: Seine Gründung im 19. Jahrhundert als Militärfestung Werny war eher ein politischer Akt als das organische Wachstum einer alten Siedlung.

Dieser Altersunterschied ist mehr als reines Zahlenwerk. Er prägt die Architektur: Während in Taschkent Ost und West aufeinandertreffen, herrschte in Almaty zunächst ein regelmäßiges Raster und ein „weißes Blatt“ bei der Gestaltung vor. Spätere Erdbeben, die Industrialisierung, Kriege und der Zusammenbruch von Imperien – all dies prägte das Erscheinungsbild der beiden Städte kontinuierlich und hinterließ Spuren der Zeit an ihren Fassaden und Straßen.

Der Vergleich von Taschkent und Almaty ist wie das Lesen zweier paralleler Texte. Der eine beginnt lange vor der Entstehung des Russischen Reiches und trägt die reiche Erinnerung an den Osten in sich; der andere entsteht plötzlich, wie eine Zeile, die mit der festen Hand der Kolonialmacht geschrieben wurde.

Die Zeit vor der Revolution

Als Taschkent 1865 vom Russischen Reich annektiert wurde, hatte es bereits den Rhythmus seiner alten Viertel angenommen. In der Altstadt liefen die engen Gassen wie ineinander verschlungene Bewässerungsgräben auf Medresen, Moscheen und Basare zu. Die Häuser waren aus Lehm gebaut – Material, das sich im heißen Klima seit Jahrhunderten bewährt hatte. Dicke Mauern hielten die Luft kühl, und Innenhöfe spendeten Schatten und Ruhe. Die Fassaden waren selten zur Straße ausgerichtet; das Leben konzentrierte sich in den Innenhöfen.

Neu-Taschkent ist der europäische Teil der Stadt, der angrenzend an das alte Taschkent entstand. Im Gegensatz zu den informellen Straßen der Mahallas wurde die neue Bebauung nach einem radial-zentralen Plan angelegt: Die Straßen liefen auf dem Hauptplatz zusammen. Diese Planungslogik verlieh der Stadt eine neue Achse und einen neuen Maßstab.

Die Architektur dieses Stadtteils hatte einen kolonialen Charakter: Sie kombinierte russische und europäische Formen mit der Verwendung lokaler Materialien und Techniken. Die Wohngebäude waren meist ein- oder zweistöckig, hatten aber dicke Wände und hohe Decken zum Schutz vor der Hitze. Die Fassaden waren mit eklektischen Elementen russischer und usbekischer Architektur verziert. Das Ergebnis war ein einzigartiger Hybrid: eine „russische Stadt“ in Zentralasien, jedoch mit ihrer eigenen, unverwechselbaren Ästhetik und ihrem eigenen Charakter.

Das alte und das neue Taschkent werden durch den Anchor-Kanal getrennt, der zu einer städtischen und kulturellen Grenze wurde. Diese Grenze ist noch heute spürbar.

An der Stelle des späteren Alma-Ata (wir verwenden diesen Ortsnamen im Zusammenhang mit den jeweiligen historischen Namen der Stadt, Anm. Hook) befand sich im Mittelalter eine Stadt namens Almata, die an die Seidenstraße angeschlossen war, aber im 19. Jahrhundert verschwunden war. 1854 wurde hier die Festung Sailiskoje gegründet, die bald in Werny umbenannt wurde. Dies war ein politischer Schachzug: die Festigung der zaristischen Macht in Semiretschje.

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Der Grundriss war von Anfang an rechteckig: ein klares Straßenraster mit gleich großen Blöcken. Die ersten Gebäude waren aus Stein gebaut, doch nach den verheerenden Erdbeben von 1887 und 1911 setzten sich Holzhäuser durch, die in der Erdbebenzone stabiler waren. Die Architektur orientierte sich an russischen Provinzmodellen: geschnitzte Fensterrahmen, Mezzanine, Kuppelkirchen und eklektische öffentliche Gebäude. Die Straßen waren von Bewässerungsgräben und Bäumen gesäumt, was Werny Ende des 19. Jahrhunderts den Ruf einer „grünen Stadt“ einbrachte.

Anders als Taschkent, wo zwei Kulturen nebeneinander existierten, war Werny architektonisch homogen: ein russisches Militär- und Verwaltungszentrum ohne jahrhundertealte östliche Traditionen. Das kühlere Klima ermöglichte es, auf massive Lehmwände zu verzichten, wodurch die Gebäude heller und optisch „nördlicher“ wirkten.

Die Geschichte der beiden Städte trennte sich also bereits im 19. Jahrhundert – und diese Weggabelung ist noch heute in ihren Straßen sichtbar. So wurden die beiden unterschiedlichen Visionen – radial und rechteckig, kulturell gemischt und relativ homogen – zu mehr als bloßen Plänen des 19. Jahrhunderts. Sie wurden zum genetischen Code der Architektur und bestimmten, wie die beiden Städte im 20. Jahrhundert und darüber hinaus wachsen und sich entwickeln würden.

Von der Avantgarde zur Repräsentation

Die ersten Jahrzehnte nach der Revolution begannen in Alma-Ata und Taschkent unter einem neuen Vorzeichen: Die Behörden strebten nach Ordnung, Massenwohnungen und der Schaffung von Verwaltungszentren. Auf den ersten Blick schienen sich die Städte parallel zu entwickeln. Doch bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass ihre architektonischen Entwicklungen voneinander abwichen. Besonders deutlich tritt dies Mitte des Jahrhunderts hervor.

Alma-Ata begann die 1920er und 1930er Jahre mit einem unerwarteten avantgardistischen Geist. Die Stadt erhielt eine Reihe von Gebäuden im Geiste des Konstruktivismus: strenge geometrische Volumen, Fensterbänder und offene Grundrisse. Das von Mossej Ginsburg entworfene Regierungsgebäude der Kasachischen SSR gibt den Ton an: Es handelt sich um eine rationale, zukunftsweisende Architektur, die gleichzeitig die Erdbebengefahr der Region berücksichtigt.

In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre und insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg verlagerte sich der Schwerpunkt. Sieg und neue ideologische Ziele verlangten nach Monumentalität und symbolischer Repräsentation. Symmetrische Fassaden, Kolonnaden und Gesimse tauchten in der Architektur zunehmend auf. Doch Alma-Atas Charakter blieb zurückhaltend: Kasachische Ornamente wurden, wie Intonationen, zart in Gittern, Bändern und Friesen eingefügt. Das Hauptvolumen blieb streng und „nördlich“, und nationale Motive betonten lediglich die Masse des Gebäudes, ohne sie aufzulösen.

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In Taschkent war die Avantgarde nur von kurzer Dauer. Mitte der 1930er Jahre vollzog sich in der Stadt eine rasche Hinwendung zur klassischen Architektur. Hier nahm der Kanon „national in der Form, sozialistisch im Inhalt“ Gestalt an, und in der Architektur bedeutete dies vor allem eines: Monumentalität gepaart mit dekorativem Reichtum.

Das Paradebeispiel ist das Alisher-Navoiy-Theater. Alexej Schtschussew schuf eine monumentale Komposition, doch der Innenraum wird zu einer Enzyklopädie usbekischen Kunsthandwerks: Marmor, Schnitzereien, Ornamente, wobei jedes Foyer auf eine bestimmte Region verweist. Taschkenter Gebäude aus dieser Zeit sind leicht zu erkennen: Bögen, Kuppeln und gemustertes Gitterwerk verwandeln den Stil des sowjetischen Empires in ein „Schaufenster des Ostens“.

Materialien und Dekorationstechniken

Der Unterschied zwischen Alma-Ata und Taschkent zeigt sich besonders in der Verwendung von Materialien und Dekor. In Taschkenter Gebäuden aus den 1930er bis 1950er Jahren ist Ornamentik mehr als nur Dekoration, sie ist Teil der Bausprache. Gantsch und Steinmetzarbeiten verwandeln Innenräume in ganze Musterwelten: Säulen und Bögen lösen sich in einem ornamentalen Teppich auf, der Raum wirkt festlich, „bühnenhaft“. Jedes Gebäude scheint die reichen Handwerkstraditionen der Region zu präsentieren und sie in einem einheitlichen, repräsentativen Programm für die Hauptstadt zu vereinen.

Das Alisher-Navoiy-Theater, Photo: Bgag/Wikimedia Commons

Alma-Ata verfolgt einen anderen Ansatz. Hier „verdeckt“ die Ornamentik nicht das Volumen, sondern ist in dessen Geometrie eingewoben. Kasachische Motive betonen die strenge Tektonik des Gebäudes, statt sie zu ersetzen. Masse, Symmetrie und Kolonnade werden zuerst gelesen, erst dann das Muster. Dadurch wirkt der nationale Code subtiler: eher wie ein Akzent denn wie ein Hauptthema.

Maßstab und städtebaulicher Kontext

In den 1940er und 1950er Jahren hatten beide Städte die gemeinsame sowjetische Ästhetik des stalinistischen Empire-Stils übernommen: Symmetrie, Kolonnaden, monumentale Plätze. Der Maßstab der Umsetzung dieses Stils war jedoch unterschiedlich. In Taschkent wurde Repräsentation zum Ziel des gesamten Stadtzentrums. Verwaltungsgebäude, Theater und Kulturzentren bildeten ein einheitliches Ensemble, in dem orientalische Ornamente und monumentale Formen die Rolle der Stadt als politisches und kulturelles Zentrum der Region betonten.

Alma-Ata geht trotz seiner Rolle als Hauptstadt der Kasachischen SSR behutsamer vor. Hier wird der Empire-Stil selektiv umgesetzt: Wichtige Gebäude erhalten Kolonnaden und Gesimse, doch insgesamt bleibt die Stadtstruktur diszipliniert und rational. Das rechteckige Straßenraster und die strenge Logik der Häuserblocks halten die Architektur von übermäßiger Dekorativität fern. Monumentalität ist vorhanden, erreicht aber nicht das Niveau totaler Dekoration wie in Taschkent.

Anfang der 1950er Jahre hatten sich diese Unterschiede bereits zu festen architektonischen Regeln verfestigt. Alma-Ata behielt seine Verbindung zur avantgardistischen Rationalität bei und verwob nationale Motive in seine Details, ohne die Integrität seiner strengen Formen zu beeinträchtigen. Taschkent hingegen verwandelte den Empire-Stil in eine demonstrative Synthese klassischer und orientalischer Ornamentik: Kuppeln, Bögen und geschnitzte Gitter wurden nicht mehr nur zur Ergänzung, sondern zum Kern des architektonischen Bildes.

Diese gegensätzlichen Ansätze legten den Grundstein für die Zukunft. In Almaty konnte sich die Moderne mit ihrer Liebe zur Geometrie und zu klaren Volumen auf dieser Grundlage leicht etablieren. In Taschkent ging das ornamentale Programm ganz natürlich in die Moderne der 1960er- bis 1980er-Jahre über, wo Fassaden weiterhin als „Schaufenster“ der Tradition dienten.

Modernismus und spätsowjetische Architektur

Nach den 1950er Jahren änderte sich die sowjetische Architektur: Der Empire-Stil wich der Moderne. Der neue Stil versprach Schlichtheit und Funktionalität und setzte auf Stahlbeton, Glas und Licht. In Zentralasien manifestierte er sich jedoch anders: In jeder Stadt entwickelte die Moderne ihren eigenen Charakter, geprägt von ihrer Geschichte, ihrem Status und ihrer Umgebung.

Für Taschkent fiel die Wende zur Moderne mit einer Katastrophe zusammen – dem Erdbeben von 1966. Die Stadt musste im Wesentlichen von Grund auf neu aufgebaut werden und übernahm in diesem Moment die Rolle des „östlichen Schaufensters der UdSSR“. Daher auch der große Maßstab: breite Alleen, Platzensembles und grandiose öffentliche Komplexe.

Zu den wichtigsten Beispielen zählen die Metro (1970er Jahre, mit Mosaiken und Themenstationen), der Palast der Völkerfreundschaft (1981), die Zentrale Ausstellungshalle (1974), das Hotel Usbekistan (1974), der Zirkus (1969/1976) und der Chorsu-Basar (1983). Diese Gebäude zeigen nicht nur ihren dekorativen Reichtum, sondern auch eine Verbindung zum Klima und den überlieferten Bräuchen. So verfügt die Zentrale Ausstellungshalle beispielsweise über eine natürliche Belüftung und eine runde Galerie, die an traditionelle Architekturtechniken der heißen Region erinnert. Das Ergebnis war ein unverwechselbarer Stil der Moderne, durchdrungen von orientalischen Elementen, aber sowohl dekorativ als auch funktional bedeutsam.

Fassade des Hotels Usbekistan, Photo: Robin Roth/Novastan

Die Materialien unterstrichen die Größe des Konzepts: Marmor und Granit, Beton, dekorative Gitter, Mosaike und Stuckornamente. All dies ermöglichte eine Mischung aus Modernität und Tradition, nicht nur in der Form, sondern auch im städtischen Umfeld.

Alma-Ata entwickelte sich stetig, ohne Katastrophen, doch mit einer konzentrierten Sammlung hochwertiger modernistischer Gebäude. In Untersuchungen des Garage Museum of Contemporary Art und des Stadtführers „Audiala“ wird die Stadt als „Freilichtmuseum der Moderne“ bezeichnet: Das heutige Almaty verfügt über mehr als sechzig denkmalgeschützte Gebäude aus den 1960er bis 1980er Jahren.

Zu den wichtigsten Beispielen zählen der Palast der Republik (1970), das Hotel Kasachstan (1977), das Kino Arman (1968), der Kasachische Staatszirkus (1970), der Palast der Schulkinder (1983), die Arsan-Bäder (1982), die Medeu-Eisbahn sowie Wohnkomplexe wie der Komplex „Drei Bogatyrs“ und ein Netzwerk von Mikrobezirken mit Kinos und Konzertsälen. Das Hotel Kasachstan ist zu einem wahren Symbol der Stadt geworden: ein schlanker Turm mit erdbebensicherem Rahmen und einem ornamentalen „Kronenband“ an der Spitze. Der Palast der Republik verbindet die Monumentalität des Platzes mit der lakonischen Plastizität seiner Fassade.

Das Hotel Kasachstan mit seiner ikonischen Krone, Photo: Nikolay Yushnikov/Wikimedia Commons

Ein besonderes Merkmal der Almatinsker Moderne ist die Verwendung von Muschelkalk, einem porösen Kalkstein aus Mañğystau. Dieses Material wurde häufig für die Fassaden- und Innenausstattung verwendet: im Hotel Kasachstan, im Palast der Republik und in vielen Wohngebäuden. Seine warme, schwammartige Textur wurde zu einem der charakteristischen Merkmale der Stadt. In Kombination mit Marmor, Granit und Buntglas verlieh es der Architektur einen lokalen Charakter und passte gut zum nahen Gebirgsklima.

Die Architektur Alma-Atas blieb intim und rational. Selbst große Gebäude sind in ein Raster integriert, das durch das Relief betont wird. Straßen steigen zu den Bergen hin an und erzeugen einen markanten vertikalen Panoramaeffekt.

Ingenieurbauwerke als Teil der Moderne

Almatys seismische und bergige Umgebung führte zu einer Vielzahl von technischen Lösungen, die Teil der architektonischen Identität der Stadt wurden. Das markanteste Beispiel ist der Staudamm am Fluss Medeu (1970er Jahre). Dieses grandiose hydraulische Bauwerk schützte die Stadt nicht nur vor Schlammlawinen, sondern wurde auch als in die Landschaft eingebettetes Denkmal wahrgenommen: Eine gestufte Betonmauer in den Bergen wurde zu einem einzigartigen Denkmal ingenieurstechnischer Höchstleistungen.

Auch andere Objekte fallen in diese Kategorie: ein System von Schlammlawinen-Dämmen, in das Stadtgefüge integrierte Bewässerungskanäle und die für Almaty charakteristischen Terrassenstraßen. Letztere entstanden dort, wo die Stadt die Hänge zu den Bergen hinaufführte. Die Planer legten die Häuserblöcke stufenweise und dem Gelände folgend an: Jede Ebene wurde zu einer separaten Straßenterrasse mit Wohnhäusern, Schulen und Grünflächen. Dies ermöglichte die Kombination typischer Gebäude aus der Sowjetzeit mit der einzigartigen Landschaft und bot gleichzeitig Panoramablicke, natürliche Entwässerung und Erdbebensicherheit.

Der Staudamm vom Eisstadion Medeu aus gesehen, Photo: Robin Roth/Novastan

Anders als in Taschkent, wo Kulturkomplexe und die Metro zu den Wahrzeichen der Moderne wurden, spielten in Alma-Ata technische Lösungen eine besondere Rolle – sie verliehen der Architektur einen „heroischen“ Ton und festigten das Bild der Stadt als rational und doch poetisch, eingebettet in die Berglandschaft.

Der Unterschied zwischen Alma-Ata und Taschkent zeigt sich auch in der Stadtplanung. In Taschkent wird die Moderne zur Bühne der Repräsentation: Magistralen und architektonische Ensembles sind für Massendemonstrationen, offene Plätze und Paraden konzipiert. Die Stadt strebt nach Horizontalität und Weite und entfaltet sich entlang der Ebene von Alleen und großen Plätzen. Alma-Ata hingegen wird anders wahrgenommen: Seine Moderne bleibt intimer, in die Landschaft „eingebettet“. Hier streckt sich die Architektur den Bergen entgegen, die Straßen steigen an, und die Wahrnehmung wird von Vertikalität und Panoramen bestimmt. Selbst große Gebäude unterbrechen diesen Rhythmus nicht, sondern betonen ihn eher.

Rivalität der Hauptstädte

Hinzu kam der Faktor des unausgesprochenen Wettbewerbs. Zu Sowjetzeiten galten Taschkent und Alma-Ata als die beiden wichtigsten Hauptstädte Zentralasiens, und die Architektur wurde zur Sprache ihres Wettbewerbs. Nach dem Erdbeben von 1966 erhielt Taschkent besondere Mittel und den Auftrag, sich zu präsentieren: Die ersten Metro-Stationen der Region, neue Paläste, Plätze und Museen sollten seinen Status als „Schaufenster des sowjetischen Ostens“ untermauern.

Alma-Ata reagierte mit seinen eigenen Symbolen: der hoch aufragenden „Krone“ des Hotels Kasachstan, dem Palast der Republik und den Ingenieurbauwerken von Medeu, wo Architektur und Infrastruktur das einheitliche Bild einer Stadt formten, die Gelände und seismische Einflüsse geschickt zu integrieren wusste. So entstanden zwei unterschiedliche Darstellungsebenen: Taschkent vermittelte seine Stärke durch die Größe seiner Ensembles und den „vorbildlichen“ Charakter der neuen Hauptstadt des Ostens, während Alma-Ata seine Stärke durch die Verbindung monumentaler Gebäude mit der Natur und dem städtischen Alltag präsentierte.

In den 1980er Jahren hatten sich architektonische Trends etabliert. Alma-Ata war zu einer Art Sammlung modernistischer Monumente geworden, in denen rationale Strukturen und zurückhaltende Dekoration ein einheitliches Bild ergeben. Taschkent hingegen war zu einem Vorzeigeobjekt der östlichen Moderne geworden, in der Ornamente und handgefertigte Motive ebenso wichtig waren wie Beton und Glas.

Die postsowjetische Zeit

Nach 1991 schlugen Almaty (die Stadt trägt seit 1993 diesen Namen, Anm. d. Ü.) und Taschkent unterschiedliche Wege ein. Doch bevor wir die Unterschiede diskutieren, sollten wir ihre Gemeinsamkeiten betrachten. In beiden Städten entstehen neue Moscheen und Medresen, wodurch islamische Architektur zu einem prägenden Bestandteil des Stadtbildes wird.

Auch moderne Typologien entwickeln sich: Geschäftszentren, Einkaufszentren und große Wohngebiete. Globale Prozesse – die Kommerzialisierung der Innenstädte und die Entstehung von Einkaufszentren als neue „Plätze“ – sind in Almaty und Taschkent gleichermaßen spürbar. Dies ist eine Art „Hintergrund“ der postsowjetischen Entwicklung, der diese Städte im Kontext des globalen Urbanismus erkennbar macht.

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Hinter diesem roten Faden verbergen sich jedoch zwei sehr unterschiedliche Szenarien. Taschkent, das seinen Status als Hauptstadt behält, konzentriert sich auf Großprojekte, neue Cluster und eine Durchgangsstraße. Almaty hingegen, das seine politische Zentralität verloren hat (seit 1997 ist Astana die Hauptstadt Kasachstans, Anm. d. Ü.), sucht seine Identität im Alltäglichen – in grüner Infrastruktur, bequemen Wegen und dem „menschlichen Maßstab“ der Straße.

Das Gefüge aus Grün und Wasser spiegelt diesen Unterschied deutlich wider. In Almaty bilden Bewässerungsgräben und Plätze durchgehende, kühle Linien, die es den Einwohner:innen ermöglichen, schattige Wege zu Fuß zu erkunden. Hier ist Wasser keine dekorative Kuriosität, sondern Teil des städtischen Alltags. In Taschkent hingegen wird Wasser eher diskret genutzt: in Brunnen, Kanälen und abgelegenen Parks. Es ist eher ein Akzent als ein durchgehender Faden, und der Verkehr wird durch Straßen organisiert, auf denen Autos Vorfahrt haben.

Auch die vertikale Dimension ist anders. Almatys Zentrum ist bewusst auf eine moderate Anzahl von Stockwerken ausgelegt, um den Blick auf die Berge und den sanften Rhythmus der Fassaden zu bewahren. Neue Geschäftszentren und Wohnkomplexe entstehen, ohne die Größe des Zentrums zu beeinträchtigen. Taschkent hingegen entwickelt aktiver Hochhauscluster wie „Tashkent City“ und „Neu-Taschkent“. Die Hauptstadt demonstriert Stärke durch Größe und schafft „Hauptstädte in der Hauptstadt“.

Auch die Fußgänger:innen- und Fahrradfreundlichkeit hat sich unterschiedlich entwickelt. In Almaty waren die letzten Jahre geprägt von der Ausweitung der Fußgängerzonen, dem Bau von Radwegen und kurzen Verbindungen zwischen den Stadtteilen. Hier ist das städtische Umfeld auf die Bequemlichkeit des täglichen Gehens ausgerichtet. In Taschkent hingegen sind Fußgänger:innen immer noch der Magistrale untergeordnet: Breite Straßen und lange Gehwege lassen das Auto den Hauptakteur bleiben.

Auch die nächtliche Beleuchtung verdeutlicht diesen Kontrast. Almaty setzt auf sanfte Akzente: Fassaden, Denkmäler und Boulevards werden beleuchtet, um eine gemütliche, stimmungsvolle Atmosphäre zu schaffen. In Taschkent hingegen dominiert die allgemeine Beleuchtung von Magistralen und großen Plätzen – Architekturbeleuchtung wird punktuell eingesetzt, doch die Logik der Stadt selbst spricht die Sprache der Weitläufigkeit und des lebendiges Stadtbildes.

Im Straßenbild ist dieser Unterschied noch deutlicher. Almaty bewahrt die reiche Struktur seiner Fassaden: warme Mineralien, eine Vielzahl von Fenstern, individuelle Schaufenster und eine Beschilderung im Erdgeschoss schaffen eine lebendige Fassade voller Cafés und Geschäfte. Taschkent hingegen weist eine größere Einheitlichkeit auf: Renovierungen und standardisierte PVC-Systeme glätten das Erscheinungsbild, während standardisierte Einzelhandelslösungen für eine eher monotone Umgebung sorgen. Es gibt jedoch auch einen positiven Effekt: Das Zentrum sieht jetzt ordentlicher aus als zuvor, und die geplanten Renovierungen haben den schäbigen Eindruck gemildert.

Selbst solche Details wie Mülleimer und kleine architektonische Formen verdeutlichen den unterschiedlichen Ansatz. In Almaty sind sie allgegenwärtig, auch in Innenhöfen. In Taschkent ist ihre Konzentration im Zentrum stärker ausgeprägt, während sie in den Außenbezirken abnimmt. Dies spiegelt indirekt die Priorität wider: Die Hauptstadt versucht, Schlüsselräume darzustellen, doch alltägliche Details erreichen nicht immer die Außenbezirke.

Erhaltung des architektonischen Erbes

Das Schicksal des Kulturerbes in Almaty und Taschkent wird maßgeblich von ihrem Status bestimmt. Taschkent blieb zwar Hauptstadt, stand aber ständig unter dem Druck neuer Projekte und Umbauten. Um ihr Image als „Aushängeschild des Landes“ zu wahren, opferte die Stadt wiederholt die Integrität ihrer modernistischen Bausubstanz. Viele Gebäude aus den 1960er bis 1980er Jahren gingen verloren und die verbliebenen wurden oft bis zur Unkenntlichkeit rekonstruiert: Neue Verkleidungen und Fassaden veränderten ihre ursprüngliche Formensprache. Die Symbole der Hauptstadt sind noch erkennbar, doch ihre Authentizität wurde durch eine Reihe von Renovierungen und „Modernisierungen“ geschwächt.

Almaty hingegen hat mehr bewahrt. Nachdem die Stadt ihren Status als Hauptstadt verloren hatte, entging sie einer Welle von Abrissen und Renovierungen. Dank dessen hat ein Teil der Moderne bis heute überlebt, oft ohne radikale Umbauten, die das Erscheinungsbild verändert hätten. Infolgedessen wird Almaty heute als „Freilichtmuseum der Moderne“ wahrgenommen, in dem die Gebäude als Ganzes und in ihrer ursprünglichen Form zu sehen sind.

In beiden Städten wächst derzeit das Interesse am Erhalt des kulturellen Erbes, allerdings in unterschiedlicher Form. In Taschkent wird die Moderne häufiger durch Ausstellungen, Publikationen und internationale Projekte repräsentiert – sie ist Teil des Images der Hauptstadt. In Almaty hingegen ist die Arbeit am kulturellen Erbe konkreter: Lokale Gemeinden, Forscher:innen und Stadtführer:innen bieten Touren an, erstellen Stadtrundgänge und fördern die „architektonische DNA“ der Stadt.

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Der Status der Hauptstadt wurde somit zu einem paradoxen Faktor: Taschkent erhielt zwar Ressourcen und Aufmerksamkeit, verlor jedoch einen Teil seines ursprünglichen Erbes, während Almaty mehr davon behielt – nicht absichtlich, sondern weil es keinen dringenden Bedarf an einer Neugestaltung seines Images gab.

Seismizität und Klima sind eine gemeinsame Realität, die architektonische Entscheidungen bis heute prägt. Beide Städte liegen in stark seismisch aktiven Zonen: In Almaty führt dies zu sorgfältiger Berücksichtigung des Geländes, der Versorgungsinfrastruktur (Staudämme, Terrassenstraßen) und der erdbebensicheren Gebäudekonstruktionen. In Taschkent festigte das Erdbeben von 1966 die Tradition verstärkter Strukturen und Fassadenverkleidungen, die sowohl vor Sonne als auch vor Vibrationen schützen. In beiden Fällen diktiert das Klima die architektonischen Techniken: Sonnenschutz, Belüftung und die Schaffung kühler Außenbereiche. Die Lösungen sind jedoch unterschiedlich: Almaty integriert sie in die Grün- und Wasserinfrastruktur und Taschkent in die Dimensionen von Magistralen und öffentlichen Komplexen.

Letztlich liegt der Unterschied nicht nur in Größe oder Stil. Almaty und Taschkent begegnen denselben Herausforderungen – religiöse Architektur, Geschäftszentren, Einkaufszentren, seismische und klimatische Gegebenheiten. Sie übersetzen diese jedoch in unterschiedliche „Sprachen“. Almaty pflegt das gemächliche Tempo, die Gelassenheit und den Komfort eines Spaziergangs. Taschkent hingegen strebt nach Größe, Clustern und Präsentation, während der Raum für Fußgänger:innen nur langsam zu jenem der Magistrale aufschließt.

Schlussbetrachtung

Betrachtet man Taschkent und Almaty heute, sind die im 19. Jahrhundert verwurzelten Unterschiede nicht nur in ihren Fassaden und Grundrissen spürbar – sie spiegeln sich wie zwei unterschiedliche urbane Rhythmen wider. Taschkent, das ein Erdbeben überstanden hat und mehrmals neugebaut wurde, scheint es gewohnt zu sein, in Ensembles und Plätzen zu denken. Es spricht die Sprache der Bühne: von Kulturzentren bis zu Geschäftsvierteln, von breiten Alleen bis zu beleuchteten Plätzen. Stets ist ein demonstrativer Ton zu hören – die Hauptstadt muss sich zeigen, überzeugen und beeindrucken.

Almaty hat einen anderen Rythmus. Die Stadt wuchs in der Nähe der Berge, und ihre Geographie hat ihr eine intime Atmosphäre verliehen: Die Straßen ziehen sich nach oben, der Blick schweift zum Bergrücken, und das Zentrum bewahrt seine bescheidene Größe, wobei der Paradeplatz nicht so wichtig ist wie die schattige Promenade entlang des Bewässerungsgrabens. Hier muss keine Erhabenheit bewiesen werden, die Architektur spricht eher vom Alltäglichen: Bequemlichkeit, Intimität, kleine Schritte.

Beide Städte liegen in erdbebengefährdeten Gebieten, und das bringt sie einander näher, als es scheint. In beiden dient die Architektur nicht nur der Form, sondern auch dem Schutz: vor der Sonne, vor Erdbeben, vor den Elementen.

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Heute treten diese Unterschiede besonders deutlich zutage. Taschkent entwickelt sich zu einem Labor für Vorzeigeprojekte, zu einer Stadt der großen Gesten und neuer „Zentren in der Hauptstadt“. Almaty hingegen wird zu einem Museum der alltäglichen Moderne, wo sich das urbane Gefüge in Details offenbart: einem Schaufenster, einem Baum, einem öffentlichen Garten, einem Abendlicht.

Und genau darin liegt der Wert ihres Vergleichs. Zusammen offenbaren sie zwei Entwicklungsmodelle, zwei Intonationen derselben Ära. Und vielleicht entsteht gerade in diesem Dialog – zwischen Taschkents „großer Geste“ und Almatys „kleinem Schritt“ – die wahre Architekturgeschichte der Region.

Rushena Seminogova für Hook

Aus dem Russischen von Robin Roth

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