Bald sind Europawahlen. Die Europäische Union beeinflusst maßgeblich das tägliche Leben der Europäer. Die Menschen von 27 Staaten leben in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Als EU-Bürger genießen sie gemeinsamen Binnenmarkt, gemeinsamen Arbeitsraum und eine stabile Währung. Auf der internationalen Bühne entwickelte sich die EU zu einem bedeutsamen Akteur; die Ansprüche der internationalen Gemeinschaft an die Europäische Union sind enorm gestiegen. Nach der erfolgreichen Osterweiterung rückten viele Länder der ehemaligen Sowjetunion, darunter auch die zentralasiatischen Staaten, in den Fokus der EU. Die Frage ist, mit welchem Nachdruck die Union ihr Interesse an einer vertieften Partnerschaft verfolgt und welche Rolle die Gemeinschaft der europäischen Staaten im Leben der Zentralasiaten spielt.
Die Politik der EU in unabhängigen Staaten Zentralasiens
Die EU erkannte die zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion unverzüglich nach deren Unabhängigkeit an und entfaltete in allen verschiedene Aktivitäten. Die Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States (TACIS) war eine der ersten EU-Initiativen zur Unterstützung der wirtschaftlichen und politischen Transformationsprozesse in ihren Partnerstaaten im GUS-Bereich. Das Programm trat schon 1991 in Kraft und wurde ab 2007 durch die Instrumente der Entwicklungs- und Wirtschaftskooperation (DCI) ersetzt. Die ersten politischen Beziehungen der EU zu Kirgistan, Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan wurden durch das so genannte Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) von 1995 formalisiert. Aufgrund des Bürgerkrieges kam das PKA mit Tadschikistan allerdings nicht zustande und in Turkmenistan wurde der Ratifizierungsprozess des Abkommens wegen der Unstimmigkeiten bezüglich der weit reichenden Menschenrechtsverletzungen auf Eis gelegt. Weitere wichtige Programme waren: Transport Corridor Europe-Caucasus-Central Asia (TRACECA), Black Sea Regional Energy Center (BSREC) und Interstate Oil and Gas Transport to Europe (INOGATE) und Border Management in Central Asia (BOMCA).
Unter den EU-Institutionen hatte die Europäische Kommission seit 1994 eine offizielle Vertretung in Kasachstan und unterhielt zwei weitere kleine Büros (chargés d’affaires) in Kirgistan und Tadschikistan sowie das Europa-Haus in Usbekistan. Das Europäische Parlament pflegte, Wahlbeobachter und Wahlexperten zu den Präsidentschaftswahlen in Kasachstan und Kirgistan zu entsenden, die Durchführung der notwendigen Reformen zu überwachen und die Menschenrechtslage in den Versammlungen und Konferenzen des Parlaments kritisch zu diskutieren. Die politischen Unruhen in Andischan im Mai 2005 veranlassten schließlich, einen EU-Sonderbeauftragen für Zentralasien zu ernennen (1).
Neben den EU-Institutionen fiel die politische Präsenz der EU-Mitgliedstaaten in der Region recht unterschiedlich aus. Deutschland eröffnete in den ersten Jahren der Unabhängigkeit in allen fünf zentralasiatischen Staaten Botschaften und hat über Jahre hinweg in der Region die Interessen der EU und der NATO vertreten. Deutschland integrierte auch alle Staaten der Region – mit Ausnahme Turkmenistans – in zahlreiche Entwicklungs- und Kooperationsprogramme wie das Zentralasienkonzept des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ heute GIZ) (2). Zudem engagierte sich Deutschland in besonderem Maße sowohl bilateral als auch zusammen mit den europäischen Partnern im Rahmen der EU-Zentralasienstrategie in der Region.
Obwohl sich der Außenhandel Zentralasiens auf die GUS konzentrierte, entwickelte sich die EU zum drittgrößten Handelspartner nach Russland und China. Außerdem wurde die Union durch ihrer finanziellen und technischen Hilfsleistungen zum größten Geldgeber. Nichtsdestotrotz fiel das Engagement der EU in Zentralasien insgesamt bescheiden und spärlich aus. Auch das europäische Interesse an Zentralasien war generell eine lange Zeit nicht sonderlich ausgeprägt. Begründet wurde dieser Zustand mit der geographischen Entfernung, mit einem Mangel an Fürsprechern für die zentralasiatischen Länder in der Union, aber vor allem mit den Problemen und Prioritäten, mit denen die EU in den 90er Jahren konfrontiert war.
Oft wurde die Kritik geäußert, dass die Europäische Union in Zentralasien zwar eine Vielzahl untereinander isolierter, entwicklungspolitischer Programme durchführt, denen aber an einem politischen Überbau und an einem Rahmendokument fehlt.
Gemeinsame Politik der EU gegenüber Zentralasien
Um den politischen Willen der EU, ihr Engagement in Zentralasien merklich zu erhöhen und das bestehende „Patchwork der Beziehungen“ und die verschiedenen Instrumente der Union zu bündeln, wurde auf Initiative der deutschen EU-Präsidentschaft im Juni 2007 die Strategie „EU und Zentralasien – eine Partnerschaft für die Zukunft“ verabschiedet. Diese erstmals festgelegten Leitlinien bilden die Grundlage für das gegenwärtige und künftige Engagement der EU in dieser Region. In Verbindung mit der Fortentwicklung der EU-Russland-Beziehungen und der „Östlichen Partnerschaft“ (Belarus, Ukraine, Republik Moldau, Georgien, Armenien, Aserbaidschan) ist die Zentralasienstrategie ein wichtiger Baustein einer verstärkten EU-Politik im postsowjetischen Raum.
Das Strategiepapier legte die folgenden Hauptkriterien fest: Sicherheit und Stabilität, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte, Jugend und Bildung, Förderung von Handel und Infrastruktur, Förderung des Energiesektors, wobei dem sicherheitspolitischen die höchste Priorität eingeräumt wird. Es wurden 750 Millionen Euro für den Zeitraum von 2007 bis 2013 bewilligt. Für die Implementierung der Ziele sowie optimale und kohärente Nutzung der EU-Potenziale setzt die EU eine ausgewogene bilaterale und multilateral–regionale Zusammenarbeit mit den zentralasiatischen Staaten voraus. Die bilaterale Zusammenarbeit bietet sich insbesondere in Bereichen der Menschenrechte, der Demokratie, der Armutsbekämpfung bzw. sozialen Entwicklung und Bildung. Für die bilateralen Hilfsprogramme wird der Großteil – etwa 70 % – der EG-Hilfe für Zentralasien verwendet. Die regionale Zusammenarbeit fokussiert sich auf die Herausforderungen Sicherheit und Stabilität, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Wassernutzung sowie Energie-, Handels- und Verkehrsinfrastruktur, die ein gemeinsames regionales Vorgehen erfordern. Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit beansprucht die restlichen 30 % der EG-Hilfe für Zentralasien.
In Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan wurden EU-Delegationen eingerichtet, die verschiedenen EU-Projekte vor Ort koordinieren, die Union politisch vertreten und den Menschenrechtsdialog, Energiedialog, „E-Seidenstraße“-Dialog zur „Europäischen Bildungsinitiative“ und den Dialog zur „Rechtsstaatlichkeitsinitiative der EU“ auf verschiedenen Ebenen organisieren. Eine weitere Aufgabe der EU-Delegation ist die Intensivierung der Zusammenarbeit in diversen Problembereichen mit internationalen Organisationen wie OSZE, NATO, UN, United Nations Economic Commission for Europe (UNECE), und der Venedig-Kommission des Europarates sowie internationalen Finanzinstituten, unter anderem der Weltbank, der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und der Europäischen Investitionsbank (EIB). Insgesamt stellt die Zentralasienstrategie der EU ein breit gefächertes Konzept mit sehr unterschiedlichen Programmen dar.
Die Ankündigung eines erhöhten EU-Engagements in Zentralasien entfachte verschiedene Spekulationen und man bediente sich des Öfteren des Begriffes vom „Neuen Great Game“, angelehnt an den Kampf der Kolonialmächte Russland und England im 19. Jahrhundert um die Vorherrschaft in Zentralasien. Zentralasien hat mit seinen Öl- und Gasreserven energiepolitisch einen globalen Stellenwert und versucht, durch seine ‚multivektorale‘ Politik, die Großmächte Russland, USA, China und Indien zu vereinen. Die Europäische Union schien sich mit ihrer neuen Zentralasienpolitik ebenso in den Konkurrenzkampf um Ressourcen und Einfluss zu begeben und wurde von der Außenwelt als neuer Global Player angesehen.
Die EU in Zentralasien doch kein neuer Spieler?
Seit 2007 erzielte die EU insgesamt viele Fortschritte in der Region. Dazu zählen diverse Bildungs- und Austauschprogramme und die Rechtsinitiative. Beispielweise wurde von 2007 bis 2013 alleine für die Stipendienprogramme Tempus und Erasmus Mundus 109,4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die EU zieht selbst eine positive Bilanz über den Menschenrechtsdialog, den die EU mit allen fünf Staaten etabliert hat und freut sich über die regelmäßigen Begegnungsmöglichkeiten sowie Plattformen zu verschiedenen Themen. Betont werden außerdem die erhöhte Präsenz der EU in der Region und ständiger Kontakt mit den Regierungen. Mit der positiven Evaluierung der festgelegten Programme 2012 wurden die finanziellen Mittel für weitere Jahre aufgestockt und die Instrumente um den hochrangigen Sicherheitsdialog erweitert. Die Erteilung des Mandats eines EU-Energiekomissars gilt als positiver Schritt im Bereich Energie, die dennoch nicht weit gediehen ist.
Trotz des erhöhten Engagements durch die Zentralasienstrategie bleiben die Erfolge der Union – so wie die Think Tanks FRIDE und Centre for European Policy Studies (CEPS) es kritisch bewerten – bescheiden und wenig zufriedenstellend. Insbesondere die Bereiche Menschenrechte, Demokratie und Zivilgesellschaft sind ein entscheidender Punkt für die EU, in der sie sich immer wieder scharfen Kritiken unterziehen muss. Denn alle fünf Staaten zeichnen sich durch eine ausgesprochen schlechte Menschenrechtsbilanz aus und widersetzen sich ernsthaften Reformschritten. Die EU hob Sanktionen gegen Usbekistan auf, obwohl das Land die dafür erforderlichen Kriterien nicht erfüllt hatte. Ferner setzt sich die Union aktiv für eine Verbesserung ihrer Beziehungen zu Turkmenistan ein, ohne im Gegenzug Maßnahmen zur Verbesserung der Menschenrechtslage einzufordern. Die erhofften Reformen und Fortschritte seitens der EU-Staaten im Rahmen des OSZE-Vorsitzes von Kasachstan im Jahre 2010 führten auch nicht zum gewünschten Erfolg in Demokratieentwicklung. Inzwischen sind die europäischen Bemühungen in diesem Bereich sogar mit dem negativen Image begleitet, die EU würde Homosexualität sowie Kinderlosigkeit, sexuelle Freiheit propagieren und NGOs fördern, die Traditionen und kulturelle Werte zerstören. Auch die vielen Plattformen und Pilotprojekte in den Bereichen Wasser, Sicherheit und Umwelt haben keine konstruktive regionale Zusammenarbeit zustande gebracht. Die Europäische Union ist als außenpolitischer Akteur immer noch nicht einfach zu verstehen und zeichnet sich während der Krisensituationen (beispielsweise im Süd-Kirgistan 2010) durch Handlungsunfähigkeit aus, die weit hinter den Erwartungen zurück bleibt.
Fazit
Die Europäische Union etablierte sich über die Jahre in bestimmten Bereichen als Vertrauenspartner, zuverlässiger ‚Investor‘, Förderer und Entwicklungshelfer. Diese Rolle bleibt möglicherweise weiterhin bestehen. Das Einfordern von demokratischen Werten und Menschenrechten gilt sowohl als Schwäche als auch als Stärke bei den Entwicklungsstrategien der EU in Zentralasien. Es unterscheidet sie substanziell vom Russland und der VR China, verwickelt aber die EU in die Moral des doppelten Standards. Noch sind die strukturellen Bedingungen der zentralasiatischen Gesellschaften autoritär und mangelhaft. Im Unterschied zu den baltischen und kaukasischen Staaten lassen die zentralasiatischen Staaten keine klare Orientierung in Richtung EU als Erfolgsmodell erkennen. Nichtsdestotrotz steht die Europäische Union neben den USA für Wohlstand, Rechtstaatlichkeit und Sicherheit. Deutschland, England und Frankreich sind die beliebtesten Zielländer für Bildung und Selbstverwirklichung nahezu aller jungen Menschen aus der Region. Für ihre spätere Jobsuche und bessere Zukunft ist es sinnvoll, einen Fuß an der Tür zur EU zu haben. Die Konzentration des EU-Zentralasienverhältnisses auf wenige Schwerpunkte, wie beispielsweise Bildungsprogramme und Kulturtransfer, empfiehlt sich daher im besonderen Maße.
Mahabat Sadyrbek
Novastan.org, Kirgistan
Politikwissenschaftlerin und Doktorandin der BGSMCS
Autorin von „Die Zentralasienstrategie der EU – neue Great Game oder neue Chance für die Region“, Verlag Dr. Kovac, Hamburg, 2009
Redaktion: Christoph Richter
Edits
(1) Seit dem Rücktritt von Patricia Flor, der letzten Specialbeauftragten, am 28. Februar, ist dieser Posten jedoch zurzeit nicht besetzt, was als eine Reduzierung des EU-Engagements in der Region gelesen werden könnte.
(2) Mit Kasachstan gibt es schon seit 2008 keine Bilaterale Entwicklungszusammenarbeit mehr, jedoch bleibt das Land teils in regionale Initiativen eingebunden. Auch Turkmenistan nimmt nur an regionalen Projekten teil.