Luftverschmutzung ist ein immer dringenderes Thema in Kirgistan. Während die Hauptstadt Bischkek in dichtem Nebel liegt, organisiert sich die Reaktion auf den Smog unter ökologischen Aktivisten.
Es ist Smogzeit in der kirgisischen Hauptstadt. Der dichte Nebel aus für die Gesundheit und die Umwelt schädlichen Luftverunreinigungen ist ein Merkmal des Winters in Bischkek.
Von Oktober bis März vervielfachen sich die Schlagzeilen zu dem Thema, Umweltschützer informieren und die lokalen Behörden bemühen sich, per Pressemitteilungen die Bevölkerung zu beruhigen.
Smog, ein wichtiges Gesundheitsproblem
Die Luft, die die Bewohner von Bischkek atmen, ist voll Feinstaub und krebserregenden Stoffen, deren Konzentrationen häufig die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgelegten Standards übertreffen. Im Jahr 2016 wurden in Kirgistan fast 3.000 von 100.000 Todesfällen durch Luftverschmutzung verursacht. Laut dem kirgisischen Statistikkomitee ist die Hauptstadt für fast die Hälfte der Umweltverschmutzung des Landes verantwortlich.
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Die Lage hat manche BürgerInnen dazu bewegt, die Erklärung des Ausnahmezustandes in Bischkek zu fordern. Umweltgruppen betreiben Informationskampagnen mit Warnungen vor als PM 2,5 bezeichneten Feinstaubpartikeln. Diese sind fein genug, um in die Lungenbläschen zu gelangen und kardiovaskuläre Risiken zu erhöhen.
Umstrittene offizielle Messungen
Auch in sozialen Medien gibt es viele Berichte über das Thema, so dass einige den Medienhype beschuldigen andere Skandale in den Hintergrund zu drängen, insbesondere den sogenannten Matraimow-Skandal zu Korruption in der Zollbehörde.
Offizielle Messungen der Luftqualität sind umstritten. Das Bischkeker Bürgermeisteramt erklärte Ende November in einer Pressemitteilung, die Luftqualität sei „mäßig“, was von den kirgisischen Medien Kloop.kg stark kritisiert wurde. Laut dem unabhängigen Medium wurde die Luftqualität von der Schweizer Organisation AirVisual zum genannten Zeitpunkt als „gefährlich für sensible Menschen“ eingestuft.
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Die Nationale Umweltschutzbehörde hat ihrerseits Erklärungen von Umweltgruppen wie MoveGreen zurückgewiesen, wonach die Luftqualität in Bischkek die Norm um das Elffache überschritten habe. Smog ist ein immer wiederkehrendes Thema in der öffentlichen Debatte Kirgistans. Mangels konkreter Regierungsmaßnahmen haben sich nun Umweltgruppen des Themas angenommen.
Der erste Faktor: die Häufung von Industrie in der Stadt
Die Bürger von Bischkek werfen dem riesigen Wärmekraftwerk im Osten der Stadt vor, für den Großteil der Luftverschmutzung verantwortlich zu sein. Das Werk ist der größte Stromerzeuger der Stadt und verbrennt eine Million Tonnen Kohle pro Jahr, um 2.350 Gebäude und 1.840 Wohnungen in der Hauptstadt zu beheizen. Trotz umfangreicher Renovierungsarbeiten im Jahr 2017 hat das Werk weiter mit technischen Problemen zu kämpfen.
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Der Standort des Kohlekraftwerks ist ein echtes Problem: Im Jahr 1958 wurde es noch außerhalb der Stadt gebaut, aber das städtische Wachstum hat sie mitabsorbiert, ebenso wie eine beträchtliche Anzahl von weiteren Fabriken. Das Wärmekraftwerk sei aber nur für 14 Prozent der 240.000 Tonnen Schadstoffe verantwortlich, die in die Atmosphäre von Bischkek freigesetzt werden, so der Direktor der Anlage Nurlan Omurkul im Gespräch mit der Presseagentur AKIPress. Der Transport mache hingegen 75 Prozent der Schadstoffemissionen aus.
Das Transportwesen, Hauptquelle der Umweltverschmutzung
Auch die Agentur für Umweltschutz und Forstwirtschaft sieht im Straßenverkehr den Hauptgrund der Luftverschmutzung. Laut der Schätzung der Behörde ist er für 180.000 Tonnen Schadstoffemissionen verantwortlich. Diese Beobachtung wurde von Umweltschützern weitergegeben, die Fahrzeugüberlastung anprangerten und kürzlich in sozialen Medien einen autofreien Tag vorschlugen, mit dem Hashtag #Язаденьбезмашины oder „Ich bin für einen Tag ohne Auto“.
Bishkek wurde ursprünglich für den Verkehr von 45.000 Autos pro Tag konzipiert. Im Jahr 2015 wurden 460.000 Autos zugelassen. Dazu gehören eine beträchtliche Anzahl von Gebrauchtwagen und „Marschrutkas“, Kleinbusse für den städtischen Nahverkehr, die erhebliche Auswirkungen auf die Luftqualität haben. Um die Schadstoffemissionen des Autoverkehrs zu reduzieren, schlugen drei kirgisische Abgeordnete im November vor, die Einfuhr von Elektrofahrzeugen durch steuerliche Anreize zu vereinfachen. Der kurzfristige Aktionsplan 2019 der Nationalen Umweltbehörde sieht seinerseits eine Reduzierung der Anzahl von Marschrutkas und deren Ersatz durch ein leistungsfähigeres Bussystem vor.
Kohleheizung zum Ausgleich der Unzulänglichkeit des städtischen Netzes
Neben dem Kraftwerk und dem Straßenverkehr wird die Luftqualität in Bischkek durch den unkontrollierten Stadtwachstum beeinträchtigt. Seit 2010 entstehen am Stadtrand neue Stadtteile: Nowostrojki (Rus. „Neubauten“) sind Orte der spontanen Urbanisierung, an denen sich Migranten aus dem Inland durch Beschlagnahme von Brachflächen niederlassen. Diese Nowostrojki stellen ein großes ökologisches Problem dar: Sie sind nicht an das Gas- und Stromnetz der Stadt angeschlossen und ihre Heizung trägt wesentlich zum Smog bei.
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Im Bezirk Artscha-Beschik, in dem 40.000 Menschen leben, werden nur 6.000 Haushalte mit Gas versorgt. Das im Jahr 2000 beschlossene Verbot der privaten Nutzung von Hochleistungsstrom, auch bekannt als Dreiphasenwechselstrom zwingt die Bewohner, auf umweltschädliche Heizquellen zurückzugreifen. Sie verbrennen Kohle, Brennholz, Abfall und laut manchen Berichten sogar Autoreifen. Die Luftqualität variiert je nach Wochentag: samstags, am „Badetag“, verschärft die zusätzliche Beheizung von privaten und öffentlichen Bädern (Banjas) die Situation. Um diese Probleme des ungleichen Zugangs zur Wärme zu lösen und die Abhängigkeit von Kohle zu verringern, erklärte Premierminister Muchammetkalyj Abylgasijew am 29. November, dass die Umstellung auf Gasheizung Priorität habe.
Stadtplanung, ein erschwerender Faktor
Der letzte Faktor, der die Situation erklärt, besteht in der Lage von Bischkek, die Luftzirkulation nicht begünstigt und die Opazität des Smog erhöht. Die Luft stagniert aufgrund des Effekts der „urbanen Wärmeinsel“, der durch die Konzentration der industriellen Aktivitäten in der Stadt verstärkt wird: Die Temperaturen sind in der Stadt fünf Grad höher als in der Umgebung, erklärte der vor kurzem verstorbene Umweltaktivist Emil Schukurow bereits vor ein paar Jahren.
Andererseits berücksichtigt die Stadtplanung nicht die notwendige Luftzirkulation: Im Südosten der Stadt wurden während der Sowjetzeit die Mikrorajon-Viertel nach dem Windschutzprinzip gebaut. Immer größere Gebäude blockieren den Luftstrom aus den Bergen. Schukurow hatte im November 2018 vorgeschlagen Gebäude zu zerstören, die den Luftstrom blockieren. „Jeden Tag kommt Luft aus den Bergen: Es müssen Luftkanäle geschaffen werden, um die Stadt zu belüften. Es ist notwendig, einige Gebäude zu zerstören. Das wird die Situation erheblich verändern“, erklärte er dem kirgisischen Medium Kaktus Media.
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Die Luftverschmutzung prägt auch die Geographie der Hauptstadt: Der Immobilienmarkt nimmt die Luftqualität als Bewertungskriterium für Wohnraum. Die Wohlhabenderen investieren in den südlichen Stadtteilen, in den Höhen der Ausläufer des Tian Shan, wo die Luft weniger belastet ist.
Ökologie kanalisiert politische Mobilisierung
In Bischkek hat sich der Öko-Aktivismus um lokale Themen herum entwickelt, durch eine Protestbewegung gegen das Fällen der Bäume der Stadt im Sommer 2017. Aktivisten hatten jedoch mit abschreckender Repression zu tun. Verbände wie MoveGreen setzen nun auf Informationsstrategien, um die Bevölkerung für Umweltprobleme zu sensibilisieren.
Die Regierung hat die Dringlichkeit der Situation anerkannt und im Rahmen der Pariser Abkommen den Grünen Klimafonds eingerichtet. „In den letzten Jahren ist die Luftverschmutzung in unserem Land, insbesondere in der Stadt Bischkek, zu einem echten Problem geworden und hat große Aufmerksamkeit erregt“, sagte die stellvertretende Ministerpräsidentin Altynaj Omurbekowa am 27. November 2019. Die angekündigten Maßnahmen sind vielversprechend, aber es bleibt abzuwarten, inwieweit sie die prekäre soziale Realität mit in Betracht ziehen: Ist die Steuerbefreiung von Elektroautos eine ausreichende Antwort auf das Problem der Heizung in der ärmeren Außenbezirken?
Arnaud Muller
Redakteur für Novastan.org
Aus dem Französischen von Florian Coppenrath
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