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Wo die Rosen wachsen – ein Interview mit Almagul Menlibaeva

Die kasachische Künstlerin Almagul Menlibaeva ist bekannt für ihre Foto- und Videoarbeiten, bei denen modellhafte, fitte und konventionell schöne Protagonistinnen in verschiedene Settings des (quasi-)traditionellen Kasachischen platziert werden. Die Steppe, die Wand einer Moschee oder die Ruinen sowjetischer Industrieanlagen in Kombination mit femininer Nacktheit und Objekten wie Ziegenhörnern, toten Füchsen oder Polizeiuniformen erzählen Geschichten von Totalitarismus, postsowjetischer Dekolonialisierung und Feminismus. Victoria Kravtsova sprach mit Almagul über ihre Kunst, Feminismus und die kasachische Kunstwelt.

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Übersetzt von: Robin Roth

Ein Viedeo von Almagul Menlibaeva
Die kasachische Künstlerin Almagul Menlibaeva ist bekannt für ihre Foto - und Videoarbeiten

Die kasachische Künstlerin Almagul Menlibaeva ist bekannt für ihre Foto- und Videoarbeiten, bei denen modellhafte, fitte und konventionell schöne Protagonistinnen in verschiedene Settings des (quasi-)traditionellen Kasachischen platziert werden. Die Steppe, die Wand einer Moschee oder die Ruinen sowjetischer Industrieanlagen in Kombination mit femininer Nacktheit und Objekten wie Ziegenhörnern, toten Füchsen oder Polizeiuniformen erzählen Geschichten von Totalitarismus, postsowjetischer Dekolonialisierung und Feminismus. Victoria Kravtsova sprach mit Almagul über ihre Kunst, Feminismus und die kasachische Kunstwelt.

Das folgende Interview erschien im englischsprachigen Original auf TransitoryWhite. Wir übersetzen es mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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Victoria Kravtsova: Almagul, bitte erzähl mir etwas über dich und deinen Hintergrund. Wo bist du aufgewachsen? Wo hast du studiert?

Almagul Menlibaeva: Ich bin in Alma-Ata (heute Almaty, Anm. d. Red.) geboren und habe an der Kasachischen Nationalen Kunstakademie studiert. Ich war schon immer an der nomadischen Kultur interessiert, die mir immer ein großes Rätsel war. Ich war daran interessiert zu verstehen, was das Bild ist und warum es kontrolliert werden muss. Und erst vor kurzem, als ich anfing Performances und Videos zu machen, habe ich verstanden, dass es in dieser Sphäre so viele Männer gibt. Und Männer haben eine andere Sicht auf die Dinge, ihnen wurde beigebracht, die Dinge anders zu sehen. Männern wurde beigebracht, Frauen als Objekte zu sehen. Das wurde mir klar, als ich meine Karriere begann. Es gab ein paar Fälle, in denen mir meine Werke gestohlen wurden. Danach begann ich alles selbst zu machen, auch das Filmen.

Victoria Kravtsova: Würdest du das als einen emanzipatorischen Akt betrachten und siehst du dich selbst als Feministin?

Almagul Menlibaeva: Natürlich nenne ich mich selbst eine Feministin. Aber ich habe diesen Begriff nicht immer verwendet: Ich war Feministin, lange bevor ich anfing, das Wort zu benutzen. Ich bin in einer recht traditionellen patriarchalen Familie geboren, wie es viele davon in Kasachstan gibt. Ich würde tatsächlich argumentieren, dass die gesamte UdSSR patriarchalisch gewesen ist. Und wir sollten unbedingt Zeit investieren, um zu erforschen, was wir taten und unter welchen Voraussetzungen wir damals lebten. Ich hatte persönliche Probleme zu Hause, in der Familie, in der Schule, an der Universität und auch als ich beschloss, Künstlerin zu werden. Es war mir immer klar, dass diese Probleme damit zusammenhängen, dass ich eine Frau bin. Ich muss immer doppelt so viel arbeiten wie Männer, um etwas zu bekommen.

Victoria Kravtsova: Wie würdest du DEINEN Feminismus definieren?

Almagul Menlibaeva: Ich lese viel, aber ich werde dir keine konkreten Namen, keine konkreten TheoretikerInnen nennen. Feminismus hat viele Klischees und niemand kann alles perfekt machen. Daher brauchen wir wirklich eine Vielzahl an Meinungen und Beschreibungen für Feminismus, um etwas zu entwickeln, was jeder akzeptieren kann. MEIN Feminismus sollte genau meinen Ideen entsprechen. Wie ich schon sagte, werde ich keine Namen von TheoretikerInnen nennen, aber denke da an ein paar Künstlerinnen aus ganz verschiedenen Gegenden – wie sie das Bild kolonisieren oder befreien. Ich liebe Marina Abramović, ich liebe nicht-weiße Feministinnen aus Afrika, aus Kuba. Wir können den Feminismus nicht in seiner „sauberen“ elitären Version belassen. Er muss verschieden sein und allen etwas bieten. Wir müssen die Agenda insoweit ausweiten, dass möglichst viele Männer und Frauen daran teilhaben. Wir müssen die Reflexion dieses Wortes allgegenwärtig sein lassen.

Victoria Kravtsova: Gibt es einen spezifischen zentralasiatischen Feminismus?

Almagul Menlibaeva: Es scheint mir seltsam, von Zentralasien als einem Ganzen zu sprechen. Es sind sehr unterschiedliche Länder und Nationen. Generell bin ich dagegen ein bestimmtes geografisches Gebiet zu separieren und die Spezifität einer Region, eines Landes oder eine Ländergruppe herauszuheben, da dies zu Generalisierungen führt. Ich halte individuelle Strategien in jedem konkreten Fall für sinnvoller: Mit wem spreche ich? Werde ich genau jetzt verstanden?

Victoria Kravtsova: Da deine Kunst sich auf die Themen Kolonialität und Geschlecht beziehen, musst du dir des schmalen Grats zwischen Empowerment, Objektivierung und Exotisierung bewusst sein. Wo verläuft dieser Grat? Sind dir irgendwelche Einwände gegen deine eigene Arbeit bekannt?

Almagul Menlibaeva: Ich kann mir vorstellen, dass manche Leute in meiner Arbeit eine Exotisierung sehen. Für mich war es das allerdings nie, sondern eine Suche nach meiner eigenen Identität. Viele Jahre lang wusste ich nicht, wer ich bin: Ich wuchs in einer russischsprachigen Familie auf, ich kannte die russische Kultur, wusste aber nichts über meine eigene. Und eines Tages begann ich danach zu suchen. Es gab da den einen Moment – als ich ungefähr vier Jahre als war, bekam ich eine Puppe geschenkt und meine Großmutter verbrannte sie. Warum tat sie das? Sie hielt die Puppe für unangemessen. Warum war es so wichtig, das Bild zu bewahren?

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Während meines Studiums der Ornamente und des dekorativen Handwerks verstand ich, wie Ideen innerhalb verschiedener Kulturen reisen und sich wandeln. Und nun erforsche ich weiter, wie sich Identität in visuellen Bildern widerspiegelt. Dieses Muster, das wir heute als türkische oder orientalische Gurke kennen, kommt zum Beispiel tatsächlich aus dem Norden, aus den Zeichnungen sibirischer Stämme. Von dort gelangte es durch den Osten zu den königlichen Höfen.

Jedes Imperium nimmt etwas vom Kolonisierten in sich auf, um sich selbst zu rekonstruieren. Wir können also sehen, wie Wissen wandert, aber normalerweise bemerken es die Leute nicht. Und vieles von dem, was von der Kolonisation aufgenommen wird, gehört vor allem Frauen, denn Frauen sind diejenigen, die mit Handwerk zu tun haben. Die Bereiche, in denen Frauen am aktivsten sind, sind auch die Bereiche, in denen Kolonialität manchmal weniger präsent ist, weshalb hier eine neue Perspektive auf die Geschichte gefunden werden kann.

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Es mag Populismus in diesen Diskursen geben, aber die Zeit wird alles wieder in Ordnung bringen. In den postsowjetischen Gebieten wird allem „Nationalen“ große Aufmerksamkeit geschenkt, weil es schon so lange ein Tabuthema war. In der UdSSR war das „Nationale“ lediglich eine vom Staat geschaffene Rekonstruktion: Zuvor gab es 30 bis 40 nationale Trachten, doch die Sowjets machten sie zu einer, die jetzt „Authentizität“ symbolisieren sollte. Wir alle arbeiten mit Stereotypen, denn Stereotypen sind das, was uns bleibt.

Victoria Kravtsova: Es gibt ein interessantes Phänomen in den postsowjetischen Ländern, auch in Russland und Kasachstan. Während in der UdSSR eine offizielle Politik des Atheismus vorherrschte, Kirchenländereien konfisziert und religiöse Führer verfolgt wurden, hat sich die Situation nach dem Zerfall der Sowjetunion radikal geändert. Ist das mit der Suche nach Identität verbunden, damit dass man irgendeiner Art Gemeinschaft – ethnisch oder territorial – angehören möchte?

Almagul Menlibaeva: Warum wurde der postsowjetische Raum religiös? Weil an Stelle des Totalitarismus eine Lacuna trat, die man loswerden wollte. Niemand hat versucht, unser totalitäres Bewusstsein neu zu erfinden und zu überdenken. Die 1990er Jahren waren dann eine harte Zeit und es überraschst nicht, dass Menschen in der Religion Zuflucht fanden. Gleichzeitig war die Vergangenheit noch am Leben, die materialistische Vergangenheit, so dass wir am Ende eine Art materialistische Religiosität erhielten.

Und wieder einmal litten Frauen am meisten darunter, denn Religion unterdrückt an erster Stelle Frauen.  Doch es ist nicht so, dass Männer daran schuld sind: Wir alle sind schuld, auch Frauen, denn am Ende erziehen uns Frauen zu dem, wer wir sind. Frauen sind in einer sehr umstrittenen Position, sie sind sowohl Unterdrückerinnen als auch Unterdrückte. Ich versuche, diese Dualität in meiner Arbeit darzustellen.

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Um zu reflektieren, was ich beobachtet habe: Ich glaube, dass Kultur eine Art ist, über das menschliche Leiden hinweg zu kommunizieren. Und diese Kommunikation ist eine Funktion der Kunst. Kunst muss in die Politik, in den Journalismus. Sie kann nicht in Museen bleiben. Meine Kunst ist auch das Mittel, um meine Ideen zu kommunizieren, und ich glaube, dass die Sprache, die ich benutze, für das geeignet ist, was ich ausdrücken möchte.

Victoria Kravtsova: „Bread and Roses“ – so der Titel der letztes Jahr von dir kuratierten Ausstellung – stammt von dem gleichnamigen, 1911 geschriebenen Gedicht von James Oppenheim, in dem er die erfolgreichen Streiks der Textilarbeiterinnen in den USA ein Jahr später vorhersieht. Der Titel ist durch und durch politisch und deutet auf die Themen des feministischen Kampfes und der Probleme der Arbeiterklasse hin. Es ist unmöglich diese zu analysieren, ohne die Kolonialpolitik der UdSSR und den Entzug der ethnischen und nationalen Identität zu berücksichtigen.

Almagul Menlibaeva: In der Ausstellung ging es um die UdSSR als feudale Einheit, um Sklavenarbeit, Kolonialismus und darum, wie die sowjetische Moderne die Menschen nationenlos machte. Ich zeigte darin auch Gender-Themen. Ich interviewte Frauen, die in den Lagern des Karlag (Gulag-Komplex in der Nähe von Karagandy, Anm. d. Red.) vergewaltigt worden sind, um zu analysieren, wie dies normalisiert wurde, und um zu zeigen, dass eine sowjetische Frau niemals frei war. Wir versuchten zu erforschen, wie sich die sowjetische Frau innerhalb des Systems ausdrücken konnte und wie Repression mit Geschlecht und Sexualität verbunden war. Ich habe mit dem Staat gearbeitet – ich glaube, dass es unser Recht ist, Forderungen an den Staat zu stellen. Man braucht auch den Staat, um andere zu erreichen.

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Wir durften die Ausstellung nicht explizit feministisch machen, nur implizit – die Idee ist feministisch. Manche Frauen leben unter Bedingungen, die es ihnen völlig unmöglich machen zu sagen: „Ich bin eine Feministin“. Ich sprach mit Jekaterina Kusnezowa, die Menschen dabei hilft, ihre Wurzeln zu finden. Sie erzählte mir eine interessante Geschichte über den Karlag und wie Stalin ihn als Ort benutzte, um die Frauen seiner Bürokraten dorthin zu schicken. Damit schuf er diese eigenartige Machtdynamik von Mann zu Mann, um zu sehen, für wen sich die Männer entscheiden: ihre Frauen oder ihren Anführer. Eine Geschlechterperspektive ist manchmal sehr nützlich, Sie offenbart viele wichtige Narrative.

Almagul Menlibaeva, 1969 in Alma-Ata geboren, ist Videokünstlerin, Fotografin und Co-Kurator von Focus Kazakhstan Berlin (2018). Sie hat einen Master of Fine Arts der Kunst- und Theateruniversität Almaty und arbeitet hauptsächlich mit Multi-Channel-Videos, Fotografie und Mixed-Media-Installationen. Ihre Werke behandeln Themen der postsowjetischen Moderne wie soziale, ökonomische und politische Transformationen in Zentralasien, dekoloniale Re-Imaginationen von Geschlecht, Umweltzerstörung und eurasisch-nomadische und indigenen Kosmologien und Mythologien. In Verbindung mit Ihrer Einzelausstellung „Transformation“ im Grand Palais in Paris (Frankreich, 2016 – 2017) wurde sie 2017 vom französischen Kulturminister mit dem renommierten „Chevalier Ordre des Arts et des Lettres“ ausgezeichnet. Weitere Auszeichnungen sind unter anderem der Daryn-Staatspreis von Kasachstan (1996) und der Hauptpreis des Internationalen Filmfestivals „Kino der Kunst“ (2013) in München.

Victoria Kravtsova hat Internationale Beziehungen in St. Petersburg und Berlin studiert. In Berlin ist sie in NGO-Projekten im Bereich Osteuropa aktiv und organisiert Seminare und Austauschprogramme zu Umwelt, Menschenrechten, Gleichstellung und zivilgesellschaftlicher Bildung. Victoria ist Stipendiatin der Heinrich Böll Stiftung und schreibt Ihre Dissertation „Between the‘ posts‘, out of the void“, in der sie nachzeichnet, wie zeitgenössische feministische Diskurse sowohl nach Zentralasien als auch hinaus gelangen.

Der Artikel erschien im Original auf TransitoryWhite

Aus dem Englischen von Robin Roth

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