Ende Oktober wurde in Kasachstan dem im Februar verstorbenen Dolmetscher, Publizisten und Schriftsteller Herold Berger ein Denkmal errichtet. Bekannt war Berger vor allem für seine Übertragung der Werke kasachischer Schriftsteller ins Russische. Wie viele ethnische Deutsche in Kasachstan beherrschte er neben Deutsch auch Russisch und Kasachisch. So konnte er eine Brücke zwischen den drei Kulturen schlagen.
Das Denkmal, das auf einem Friedhof der Stadt Almaty errichtet wurde, gilt als Zeichen für den Beitrag, den die größtenteils von Stalin nach Kasachstan deportierten Deutschen zur Entwicklung des Landes geleistet haben.
Herold Berger war noch keine sieben Jahre alt, als er mit seiner Familie im Herbst 1941 aus Powolschje an der Wolga in die Kasachische SSR geschickt wurde. Gemeinsam mit hunderten anderen Deutschen fiel er der Stalin’schen Deportierung der Wolgadeutschen zum Opfer. Diese waren einst auf Einladung von Katharina der großen nach Russland gezogen.
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Die ersten Deutschen, meist Mennoniten, waren schon zum Ende des 19. Jahrhunderts nach Zentralasien gezogen, um der Wehrpflicht zu entgehen. Eine massive Umsiedlung folgte zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Erst in der Gorbatschew-Ära und in den 1990ern kamen viele zurück nach Deutschland.
Anfang und Ende der deutschen autonomen Sowjetrepublik
Im Jahr 1917 gab es mehr als 200 deutsche Siedlungen entlang der Wolga, in denen über 400.000 Menschen lebten. Dabei bemühten sich die Deutschen, ihre eigenen Traditionen und ihre Sprache zu bewahren. Nach langem Ringen wurde den Wolgadeutschen sieben Jahre später eine Autonome Republik zugeteilt.
1918 wurde erstmals eine Arbeitskommune der Wolgadeutschen gebildet. Die meist landwirtschaftlichen Gemeinschaften gehörten zu denen, die am stärksten unter den Beschlagnahmungen und der Ausbeutung im Kriegskommunismus 1921/22 litten. Zu der Zeit flüchteten auch einige in die Autonome Sowjetrepublik Turkestan, also in das heutige Zentralasien.
Mit Unterstützung aus dem Ausland wurde die Arbeitskommune 1924 schließlich als Autonome sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (ASSRdWD) reorganisiert.
Diese existierte bis zum Kriegsbeginn 1941. Schon während des Ersten Weltkriegs wurden deutsche Vereine und Medien, Unterricht und gar Gespräche in deutscher Sprache verboten. Die Reaktion der Sowjetmacht zu Kriegsbeginn fiel noch härter aus. Mit der Auflösung der ASSRdWD wurden die Deutschen massiv nach Osten, vor allem in die 1936 entstandene Kasachische SSR und nach Sibirien deportiert.
Massendeportation
Ende August 1941 wurde die Deportation aller sowjetischen Deutschen aus den Wolga-, Saratow- und Stalingrad-Gebieten beschlossen. Der Grund dafür war unklar. Die Regierung wollte wohl die Kooperation der „Russlanddeutschen“ mit den Nationalsozialisten verhindern. So lautete es im Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941, dass sich „unter der in den Wolga-Bezirken lebenden deutschen Bevölkerung Tausende und Zehntausende von Diversanten und Spionen befinden, die nach einem aus Deutschland gegebenen Signal in den von den Wolgadeutschen besiedelten Bezirks Sprenganschläge verüben sollen“. Bis Dato wurden keine Beweise für die Kooperation der „Russlanddeutschen“ mit den Nationalsozialisten gefunden.
So wurden mehr als 400.000 Deutsche aus Powolschje vertrieben. Die ersten Umsiedler mussten innerhalb von vierundzwanzig Stunden packen und konten dabei nur die notwendigsten Dinge mitnehmen. Menschen, die fast ein halbes Jahrhundert dort gelebt hatten, mussten Häuser und Vieh zurücklassen und ein neues Leben an einem unbekannten Ort beginnen.
Von den zuerst Vertriebenen wurden 73% nach Sibirien und 27%, also etwa 100 000 Menschen, in die Kasachische SSR umgesiedelt. Später wurden auch Deutsche aus anderen Gebieten der UdSSR, wie dem Nordkaukasus, Transkaukasien oder der Ukraine, deportiert. Die Gesamtzahl der deportierten Deutschen beträgt demnach 800.000, also die Hälfte aller deportierten Menschen.
Leben an einem neuen Ort
Die Menschen wurden in Viehwaggons transportiert. Sie mussten auf dem Boden auf Heu schlafen. Dabei mangelte es an Lebensmitteln und an Trinkwasser und es breiteten sich schnell Krankheiten aus, besonders bei Kindern. Fluchtversuche wurden mit 10 Jahren Gefängnis geahndet.
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In ihrer neuen Heimat sollten die „Russlanddeutschen“ eine Entschädigung für ihr verlorenes Eigentum bekommen, aber dies wurde nur sehr selten in die Tat umgesetzt. Erst 1964 wurde unter Chruschtschow ein Teil der Russlanddeutschen rehabilitiert. Die Rückkehr ins Wolga-Gebiet blieb ihnen aber weiter verwehrt.
Wie Berger in einem Interview mit der Deutschen Allgemeinen Zeitung bemerkte, war die Zeit zwischen 1941 und der Rehabilitierung für die Russlanddeutschen eine Zeit des „totalen Schweigens“. Er selbst wuchs in einem kasachischen Dorf auf und hatte sich schnell die kasachische Sprache zu eigen gemacht. Auch seine Tagebücher und seine ersten Werke schrieb er in dieser Sprache. Kontakt mit dem gesprochenen Russisch erhielt er erst an der Universität. Später bezeichnete er sich wegen dieser dreifachen Kultur oft als ein „Zögling dreier Staaten“.
Eine deutsche Autonomie in Kasachstan
Auf die Rehabilitierung der Russlanddeutschen sollte auch eine weitere politische Anerkennung folgen. Im Mai 1979 beschlossen die sowjetischen Behörden und der Leiter des KGB-Geheimdienstes Juri Andropow nach Anfragen aus Deutschland, auf dem Territorium der Kasachischen SSR ein autonomes Gebiet für Deutsche zu bilden. Offizieller Grund dafür war die Wiederherstellung ihrer Rechte, die von Stalin verleumdet worden waren. Der Beschluss sollte vor allem die Auswanderung der Deutschen nach Deutschland verhindern.
Das autonome Gebiet sollte im Nordosten Kasachstans auf Territorien der Regionen Koktschetaw, Pawlodar und Zelinograd (das heutige Astana) mit einem Verwaltungszentrum in Erejmentau entstehen. Auch der erste Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Kasachischen SSR, Dinmuchamed Kunajew, stimmte der Entscheidung zu.
Im Juni 1979 begannen in Zelinograd Proteste der Einheimischen gegen das autonome Gebiet. Tausende versammelten sich auf dem Hauptplatz der Stadt mit Losungen wie „Kasachstan ist unteilbar“, oder „Kehrt zurück, wo ihr herkommt“. Nach Angaben des Generals und damaligen KGB Offiziers Goluschko hatten Parteimitglieder aus Angst vor Machtverlust absichtlich die Bevölkerung gegen das autonome Gebiet angespornt. Letztendlich verblieb die Bildung eines Autonomiegebiets der Deutschen Kasachstans nur auf dem Papier.
Belger begrüßte die Proteste und das Scheitern der Bildung einer deutschen Autonomie. Auch viele weitere Deutsche Kasachstans hätten ein solches Vorhaben abgelehnt: „Alle kasachstanischen Deutschen waren dem kasachischen Volk sehr dankbar für den warmen Empfang in ihren schwierigsten Jahren. Ein Anspruch auf das Land der Kasachen wäre undankbar von uns gewesen“, erklärte er im Gespräch mit Radio Azattyk.
Auswanderung der Russlanddeutschen aus Kasachstan
Laut offiziellen Daten lebten im Jahr 1989 mehr als zwei Millionen ethnische Deutsche in der Sowjetunion, davon 957.000 in Kasachstan. Nach dem Zerfall der Sowjetunion begann eine Massenausreise von Russlanddeutschen nach Deutschland. In den ersten Jahren verließen jährlich mehr als 100.000 Deutsche Kasachstan.
Die Zahl hat sich über die Jahre verringert, aber in den letzten Jahren stabilisiert. Nach Angaben des statistischen Komitees Kasachstans blieben Anfang 2015 noch 182.000 Deutsche im Land. Insgesamt haben fast 800.000 Menschen seit der Unabhängigkeit Kasachstans das Land verlassen: ein irreparabler Verlust für das Land.
Deutsche in Kasachstan
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Umso bedeutender ist in der Hinsicht die große Ehrung von Herold Berger, der Kasachstan zu seiner endgültigen Heimat machte. Dieser „Zögling dreier Staaten“ ist ein Symbol für das multinationale Selbstverständnis, dass die kasachische Regierung dem Land verleiht.
Elvina Bulatova
Übersetzung aus dem Deutschen und Redaktion
Zarina Zinnatova und Florian Coppenrath
Georg, 2023-06-12
Schöner Bericht aber was ich von Augenzeugen, Spätaussiedler aus KZ höre klingt das alles etwas anders. Natürlich gab es diese Seite wie im Artikel beschrieben aber es gab auch eine andere Seite, welche bis heute nicht aufgearbeitet wurde.
Es gab nämlich auch andere Erfahrungen und das kann man sich auch gut vorstellen oder glaub hier jemand das in kleinen Dörfern alles zivilisiert abgelaufen ist?
Mein Ziel ist es, auch diese Seite an die Öffentlichkeit zu bringen!
Niemand möchte die dunklen Seiten der Kazakhstanier anschauen aber wer möchte kann sich selber mit einer Gruppe junger Kasachen auf eine excursion begeben, z.b. Kolsay see und Canyon und dann das verhalten der Menschen beobachten ob eine Diskriminierung denkbar wäre!
Viele Spätaussiedler würden nach dem Zerfall der Sowjetunion stark diskriminiert und es gab auch Selbstjustiz (tote) über die niemand spricht. Das sollte auch aufgearbeitet werden oder?
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